Gedanken zu einer Lesermeinung : 
Das Kaunitz-Kolleg in Brünn (19. November 2003)
(tschechisch: Kounicovy koleje, im Volksmund: Kounicky)

Zum Beitrag über das Kaunitz-Kolleg (2003-11-19) erreicht uns die Meinung eines unserer ständigen Leser, Herrn K. aus der Tschechischen Republik, veröffentlicht  am 1. Dezember 2003 auf dem virtuellen Diskussionsforum über die Beneš-Dekrete der „Lidove Noviny“, einer der führenden tschechischen Tageszeitungen. Der Leser moniert, in unserer Berichterstattung vom 19. November 2003 fehlten grundlegende Fakten, und liefert gleich einen kurzen Text hierzu.

Der gleiche Leser beanstandete bereits einige Tage zuvor, er  vermisse auch nur ein einziges Wort, das die Mitverantwortung der Sudetendeutschen für die Geschehnisse des zweiten Weltkriegs in der Tschechoslowakei, in Brünn bekennt. Nicht nur in www.Mitteleuropa.de, sondern auch, wie er weiter am 6. Dezember im gleichen Medium behauptet, „in der gesamten streng zensierten propagandistischen sudetendeutschen Berichterstattung.“

(Wer den Anfang der Diskussion lesen möchte, klicke hier!)

Hier nun der Beitrag unseres Lesers K.: 
[Anmerkung: Dieser Text widerspiegelt im wesentlichen die gleichen Angaben, die im tschechischen Internet zum Thema Kaunitz-Kolleg (Kounicovy koleje) auffindbar sind.]
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»Das Kaunitz Kolleg wurde im Mai 1925 eröffnet. Nach dem Überfall am 17. November 1939 hat die Gestapo von hier aus 173 Studenten nach Sachsenhausen verschleppt. Seit 1940 diente das Kaunitz-Kolleg als Gefängnis der Brünner Gestapo. Das Kolleg wurde zu Gefängniszellen umgebaut, die Badezimmer wurden für „Verhöre“ benutzt, der Gesellschaftssaal wurde als Sammelstelle für Transporte in Konzentrationslager benutzt. Zum Komplex des Kaunitz-Kollegs hat die Gestapo ein Konzentrationslager, genannt „Unter den Kastanien“, eingerichtet in früheren Militärunterkünften, angeschlossen. Bis zum 19. April 1945 sind durch das Kaunitz-Kolleg etwa 35.000 Menschen durchgeschleust worden und einige hundert sind hier umgekommen (insbesondere in den Verhörbadezimmern). 1941 errichtete die Gestapo eine Richtstätte im Kaunitz-Kolleg. Über 1350 Menschen wurden hingerichtet, teils durch den Strang teils – inmitten des Wohngebietes – durch Erschießen. Unter den ersten war Professor Vladimir Groh, eine aus wissenschaftlicher und moralischer Sicht bedeutende Brünner Persönlichkeit.«

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Sehr geehrter Leser, Sie haben Unrecht. Nicht mit Ihren Ausführungen, was die Geschehnisse im Kaunitz-Kolleg betrifft, sondern allein mit Ihrer Aussage, die Sudetendeutschen sähen nicht ihre Verantwortung. Das Gegenteil ist der Fall. Die Sudetendeutschen gehen offen und verantwortungsvoll mit ihrer Geschichte um. Sie scheuen sich nicht, Verbrechen offen zu benennen und sich der Vergangenheit zu stellen.

Lesen Sie doch selbst den folgenden Text. Verblüffend ähnlich klingt er dem, den Sie schrieben. Er stammt aber aus einer ganz anderen Quelle, nämlich der Dokumentation: „Nemci ven!“ („Die Deutschen raus!“) herausgegeben von der BRUNA, dem Heimatverband der Brünner Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Publikation gibt es in deutscher und tschechischer Sprache, sie ist jederzeit von jedem einzusehen. Ein sorgfältig recherchierter Dokumentarbericht über die Geschehnisse in Brünn nach dem Kriegsende 1945.

Hier der Ausschnitt:

»Den schlimmsten Wandel für Tschechen und Deutsche erfuhr das Kaunitz-Kolleg, denn es sollte für beide Volksgruppen zum „Mährischen Golgatha“ werden. Das Studentenheim, gestiftet von einem Nachkommen des Fürsten von Kaunitz-Rietberg, Staatskanzler unter Maria-Theresia, wurde am 17. November 1939 von einem Kommando unter der Leitung des SS-Hauptsturmführer Ewald Taudt umstellt und besetzt. Die Studentinnen im Frauentrakt ließ man nach Hause fahren, aber die Studenten wurden festgehalten, durchsucht und verhört. 173 von ihnen kamen nach Sachsenhausen. Danach wurde das Kaunitz-Kolleg selbst zum KZ. Studentenzimmer verwandelten sich in in Gefängniszellen und im Hof errichtete man 3 Galgen zur Vollstreckung der Todesurteile. (Später wurde hier „der Einfachheit halber“ per Genickschuß getötet). Zwar ging die Gestapo gegen den deutschen Widerstand ebenso erbarmungslos vor, aber für die tschechische Intelligenz war mit dem 17. November 1939 das Maß voll. Das NS-Regime hatte nicht nur ihren Staat zerschlagen, es hatte auch ihrer Jugend die Zukunft geraubt.«
Quelle: „Nemci ven!“ ISBN 3-00-002566-9,  BRUNA 1998, Seite 35.
Alle anderen Darstellungen zum Kaunitz-Kolleg bzw. zum Jan Kouril sind ebenfalls in diesem Buche belegt.
Soviel zum Vorwurf der „zensierten Einseitigkeit“ der sudetendeutschen Berichterstattung.

Von den Verhafteten, die in das KZ Sachsenhausen kamen, wurden einige bereits im folgenden Jahr mit der Führungsnote „befriedigend“ entlassen. Die meisten haben den Krieg überlebt. Da die Machthaber keinerlei Unruhe wünschten, wurden die tschechischen Protektoratsbeamten angewiesen, den etwa 17.000 zwangsweise exmatrikulierten Studenten und Studentinnen möglichst schnell Arbeitsstellen zu besorgen. Der weitere Berufsweg der jungen Leute wurde von der Gestapo überwacht und in Kartotheken genau registriert.
Die naturwissenschaftlichen Institute der tschechischen Universität wurden größtenteils der Deutschen Technischen Hochschule übergeben.
In das Gebäude der Philosophischen Fakultät zogen die Dienststellen des Oberlandrats ein, der hauptsächlich für die Angelegenheit
der deutschen Staatsbürger zuständig war.
Aus der Rechtsfakultät wurde die berüchtigte Gestapo-Leitstelle für Mähren, ein Polyp, dessen Fangarme bis nach Bulgarien reichten.
Die Arbeitsräume wurden zu Verhörzimmern. In den Sälen tagten die Standgerichte.

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Zur dokumentarischen Vervollständigung werden in der (sudetendeutschen) Publikation allerdings auch weitere Informationen vermittelt.

Die Maschinerie des Kaunitz-Kollegs kam durch den 8. Mai 1945 keineswegs zum Stillstand. Sie arbeitete mit voller Kraft weiter. 1 800 Menschen, deutsche Zivilisten, Bürger Brünns, dabei auch 250 den tschechischen Behörden übergebene Soldaten, wurden ohne jeglichen Gerichtsprozeß oder Untersuchung im Kaunitz-Kolleg und im Lager Klajdovka unter der Aufsicht von Jan Kouril oder seiner persönlichen Mitwirkung sadistisch umgebracht.

Diese Morde wurden legalisiert durch das Gesetz 115/1946 vom 8. Mai 1946.

Jan Kouril, tschechischer Staatsangehöriger, hielt  sich besuchsweise in der Bundesrepublik auf. 1949 erkannte ihn ein Zahnarzt im Raum Karlsruhe, dem er ausgebrochene Goldzähne und Brücken verkaufen wollte. Der zeigte den früheren stellvertretenden Lagerkommandant der Lager Kaunitz-Kolleg und Klajdovka an, woraufhin Jan Kouril festgenommen und angeklagt wurde.

Das Karlsruher Schwurgericht verurteilte Jan Kouril im Juni 1951 wegen seiner in den Jahren 1945/46 an deutschen Staatsangehörigen und Sudetendeutschen begangenene Verbrechen zu 15 Jahren Zuchthaus.

In der Tschechoslowakei ist niemals ein Untersuchungsverfahren gegen Jan Kouril eingeleitet worden. Über die Opfer der Nachkriegsverbrechen ist auf den Internetseiten  über das Kaunitz-Kolleg nichts zu finden.

Zensierte Berichterstattung? Wenn ja, wo denn? Welche Seite ist es, die die halbe Wahrheit unterdrückt?

Der Leser hat noch eine Frage. Er stellt sie nicht direkt, er bezweifelt nur etwas. Er bezweifelt die Anzahl von 1 800 Todesopfern des Jan Kouril, des Aufsehers in Kaunitz-Kolleg und im Lager Klajdovka in Brünn nach dem Ende des 2. Weltkriegs.

Nun, diese Zahl von Ermordeten gab der einstige Totengräber des Lagers Kaunitz-Kolleg im Prozeß gegen Jan Kouril vor dem Schwurgericht in Karlsruhe zu Protokoll. Er wird sehr genau gewußt haben, was er aussagt.

Wir würden uns wünschen, daß sich manche der heutigen Bürger der tschechischen Republik genauso auf ihre Verantwortung der historischen Genauigkeit und Vollständigkeit gegenüber besinnen, wie es die Sudetendeutschen tun. Die ganze Wahrheit über das Kaunitz-Kolleg wäre schon ein guter Anfang.

Hana 

Anmerkung:  Wer von unseren Lesern kann zur Person von Professor Vladimir Groh weitere Angaben machen?
Insbesondere wären Angaben aus persönlichem Erleben auf der Masaryk-Universität willkommen.