EDVARD BENEŠ. Materialsammlung: Hanne Zakhari

„Die Republik muß entgermanisiert werden“

Ansprache Dr. Edvard Beneš
am 16. Juni 1945  in Tábor

Einführung
Text der Ansprache
Epilog
Anmerkungen und Hinweise

Aufruf der Redaktion

Rathaus Tábor

 

TEIL I      EINFÜHRUNG
Am 16. Juni 1945 hält Edvard Beneš in der historischen Stadt Tábor eine Ansprache an die Bevölkerung. Die Ansprache wird am nächsten Tag unter ihrem Leitmotiv „Entgermanisierung der Republik“ in der Presse veröffentlicht.

Eine Vorstellung über die Bedeutung einer solchen Ansprache in der damaligen Zeit zu entwickeln, ist nicht ganz einfach, selbst wenn der Redetext erhalten wäre. Uns fehlt heute jegliche Vorstellung über die Person des Vortragenden, die Art des Vortrags, die Stimmung der Zuhörerschaft, die Atmosphäre, die Kulisse, die Hintergründe und das politische, soziale oder ganz einfach das menschliche Umfeld.

Aber auch das gehört zur Bewertung dieser Ansprache mit dieser Brisanz.

Einiges davon kann man jedoch versuchen zu rekonstruieren.

Der Zeitpunkt
Die Rede wird gehalten fünf Wochen nach dem Kriegsende, der definitiven Kapitulation der deutschen Wehrmacht, etwa zwei Wochen nach dem Todesmarsch von Brünn und vier Wochen vor Beginn der Konferenz von Potsdam.

Das Gesetz über die Enteignung der Deutschen und Ungarn ist zum Zeitpunkt der Ansprache des Präsidenten in Tábor seit etwa vier Wochen in Kraft. Enteignet wird auch Eigentum aus gemischten Ehen. Selbst bei Personen, die nachweisen können, daß sie sich auch nicht im geringsten schuldig gemacht haben, dauert es Jahre, bis Enteignungen zurückgenommen werden. Es bedarf langwieriger Gerichtsverfahren, Rechtsanwälte, Verhandlungen.

Vier Tage nach der Ansprache in Tábor, am 19. Juni 1945 wird ein anderes Gesetz von Edvard Beneš verabschiedet, das Dekret des Präsidenten der Republik zur Bestrafung nazistischer Verbrecher, Verräter und ihrer Gehilfen und zur Errichtung von Sondergerichten.
Es ist das Gesetz, nach dem rückwirkende Rechtsnormen eingeführt werden. Schwere Strafen für Sachverhalte, wie z.B. die Mitgliedschaft in einer politischen Partei, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens formal zu der legalen politischen Parteienlandschaft gehörte. Deshalb zum Zeitpunkt ihres Entstehens alleine nach den grunddemokratischen Prinzipien wählbar und durch aktive Mitgliedschaft belegbar. – Haftstrafen von Jahrzehnten sind vorgesehen allein für die Mitgliedschaft in diesen Organisationen. Todesurteile werden verhängt. Diese, durch Sondergerichte ausgesprochen, müssen anhand der Vorgaben in diesem Gesetz innerhalb der nächsten zwei Stunden vollstreckt werden – ohne Möglichkeit einer Berufung oder Revision.

Innerhalb dieses Umfeldes spricht Edvard Beneš in Tábor zum Volk.

 

Der Standort
Die Stadt Tábor ist eine Stadt mit Tradition. Sie war einst die Hochburg der Hussitenbewegung und lebt im Bewußtsein des tschechischen Volkes und seiner nationalen Identität.

Darauf bezieht sich der Präsident mehrfach in seinen Ausführungen. Er weist auf eine seiner früheren Ansprachen in Tábor. Sehr geschickt weist er zum einen auf die unruhigen Zeiten der hussitischen Kriege als auch auf die nachfolgende Zeit unter dem böhmischen König Jirí  z Podebrady (Georg von Podiebrad), einen Herrscher, dessen Zeit unter den Historikern als eine Zeit der Ruhe und der Prosperität des Landes gilt.

Darüber hinaus haben Edvard Beneš mit Ehefrau Hana ihren privaten Wohnsitz unweit von Tábor, in Sezimovo Ústí. Auch darauf beruft sich der Präsident.

Die politische Situation im Lande
Am gleichen Tag haben sich die drei sozialistischen Parteien des Landes zu einem Block zusammengeschlossen (Kommunistische Partei, Sozialdemokraten und die tschechoslowakischen Nationalsozialisten). Nationalfront wird das Gebilde künftig genannt, Národní Fronta. Der Sachverhalt wird auf einer anderen Stelle der Zeitungsausgabe vom 17. Juni 1945 ausführlich beschrieben. Auch der Redakteur, der den Wortlaut der Rede einleitet, findet einige Worte zu der strukturell-politischen Änderung .

Eine Koalition würde man heute sagen. Nur – die Aussagen von Edvard Beneš lassen schon am 16. Juni 1945 einige Zweifel daran, daß es sich um eine Koalition in dem uns bekannten Sinne mit einer Koalitionsaussage handelt. Eher der erste Schritt in die später hinlänglich bekannte Gleichschaltung der nur noch nach außen hin formal existierenden Parteien des Einheitsblocks.

Der Text der Ansprache
PhDr. Karel Novotný, Philosophische Fakultät der Karlsuniversität Prag, Autor der Publikation „Odsun Nemcu z Ceskoslovenska“ (Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei), einer Zusammenfassung authentischer Texte aus Ansprachen und anderer Dokumente um Edvard Beneš aus den Jahren 1940–1947 erläutert u.a.:

Die Verarbeitung der Texte der Ansprachen von Edvard Beneš war (schon) schwieriger. Diese sind ausschließlich in Zeitungsdrucken erhalten. In den ersten Wochen nach der Befreiung wurden die Texte in vollem Wortlaut in den Tageszeitungen veröffentlicht, im Laufe der Zeit haben jedoch die Redaktionen die Texte gekürzt und angepaßt.

Nun – wir haben Glück.

Die Quelle
Herr Franz Zappe aus Wien hat uns eine Kopie der Ansprache von Edvard Beneš aus der Zeitung Lidová Demokracie vom 17. Juni 1945, einen Tag nach der Ansprache des Präsidenten, zur Verfügung gestellt. Wir haben sie übersetzt und stellen sie zur Diskussion.

Lidová Demokracie ist das Organ der Tschechoslowakischen Volkspartei (Cesko-slovenská strana lidová). Diese Partei entsteht 1918 durch den Zusammenschluß der tschechischen und mährischen Christdemokraten und sie trägt in ihren Grundsätzen die Wertvorstellungen der christlich geprägten europäischen Kultur zusammen mit den Grundsätzen parlamentarischer Demokratie über Jahrzehnte weiter. In der Nachkriegs-Tschechoslowakei gehört sie erneut zur parteipolitischen Landschaft als einzige Partei, die nicht dem sozialistischen Block angehört. Sie verlangt ein entschiedenes Vorgehen gegenüber der fortschreitenden Machtübernahme durch die Kommunisten.

Zu den Führungsmitgliedern der ersten Nachkriegszeit gehört Pavel Tigrid. Neben den Abgeordneten sind es der Partei nahestehende Journalisten, die sich für freie Information über Tabu-Themen, so z.B. der Übernahme von Karpato-Ukraine durch die UDSSR, einsetzen.  – Die Partei gerät jedoch später zusehends unter Druck, engagierte Parteimitglieder werden zum Austritt gedrängt, später auch verfolgt und einige hingerichtet. Für die weitere Existenz der Partei maßgeblich ist die Festlegung einer Höchstgrenze an Mitgliederzahl, einer Quote, die nicht überschritten werden darf.

 

TEIL II      DER TEXT DER ANSPRACHE

Überschrift Leitartikel:

Aufenthalt des Präsidenten Dr. Edvard Benes in Tábor

Die Republik muß entgermanisiert werden

Einführung der Redaktion
Unsere Nationalfront soll zur wahren Zusammenarbeit aller unserer politischen Parteien führen, sie soll demokratisch, aufrecht, dem Staat und der Nation ergeben und in heutigen Zeiten großer politischer und sozialer Veränderungen dauerhaft und unteilbar werden.

Der Präsident der Republik, Edvard Beneš, nahm am Samstag vormittag in Zinkovy bei Nepomuk an Militärfeiern teil, bei denen eine Reihe der Angehörigen des tschechischen Panzertrupps dekoriert wurde. Danach fuhr er durch die Städte Nepomuk, Horazdovice, Strakonice und Písek zum Besuch in der Stadt Tábor. Auf dem Stadtplatz antwortete der Präsident auf die Begrüßungsrede des Vorsitzenden des örtlichen Národní Výbor [Nationalausschuß/Ortsverwaltungsbehörde]

Text der Ansprache
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Bürger!

Bewegt komme ich heute nach Tábor. Ich wählte nicht umsonst die Umgebung von Tábor zu meinem zweiten Zuhause. Selbst die Deutschen haben das sehr gut verstanden, als sie dies während des Krieges so betont haben. – Außerdem habe ich in Tábor eine meiner wichtigsten Vorkriegsreden gehalten, in der ich Ihnen allen – Herr Bürgermeister Soumar erwähnte dies – aufgezeichnet habe, was für ein schrecklicher Sturm in unsere Richtung zieht. – Das war am 21. Mai 1938, an dem Tag unserer ersten, großen und feierlichen Mobilisierung, die Hitler und dem Nazismus zeigen sollte, daß wir keine Angst haben, daß wir nicht nachgeben werden und unser demokratisches Regime nicht gegen den faschistischen Totalismus tauschen wollen. Damals fand Euer Sokol-Tag statt, hier in Tábor. Es war gleichzeitig der Tag, an dem ich sozusagen das letzte Mal vor dem Gesicht der ganzen Welt öffentlich die Hand zur Versöhnung und zur Zusammenarbeit mit unseren Deutschen gereicht habe.

Dabei formulierte ich auch unser historisches, traditionelles Problem. Ausgedrückt durch die Historie dieser berühmten und schönen Stadt, der Stadt Tábor. Das Problem der richtigen Synthese des revolutionären Aufschwungs der Zeit, in der wir jetzt leben, und ihres Übergangs in ein normales Leben in Frieden. Ein Übergang, der uns in eine neue Friedensordnung führen soll.

Tábor als Vorbild und als Warnung

Ich habe damals gesagt:
Tábor ist für uns ein Vorbild und eine Warnung zugleich. Für uns ein Vorbild großer nationaler Solidarität und Entschlossenheit, alle füreinander einzustehen. So wie vor 500 Jahren die Tschechen für Jan Hus eingestanden sind und für das, was wir für Recht und Wahrheit halten. Tábor ist ein Vorbild großer idealistischer Begeisterung, ungebrochener Willenskraft und Entschlossenheit und auch nationaler Ehre, geführt von der Idee der Krieger Gottes. Die Nation geht den Weg des Dienstes für den Herrn auf der Erde. – Tábor ist uns auch ein Vorbild für das Bemühen um radikales Streben nach Gleichberechtigung dessen, dem eine Menschenseele innewohnt.

Jedoch – Tábor ist auch eine Warnung.
Sie zeigt auf, in welche Gefahr eine Bewegung sich selbst und die eigene Nation bringen kann. Eine Bewegung, die sich in Grenzsituationen begibt, in denen keine Rücksicht mehr auf grenzwertige Lebenszusammenhänge genommen wird, die nicht mehr bedenkt, daß menschliche Stärke, revolutionäre Anspannungen auszuhalten, nicht unerschöpflich ist. Je weiter wir sie aus ihrer natürlichen Bestimmung drängen, umso zerbrechlicher wird das Gleichgewicht, auf das wir sie gestellt haben. – Insbesondere erinnert sie uns daran, daß wir nicht alleine auf der Welt sind, daß wir auf unser Umfeld, unsere Nachbarn und Europa Rücksicht nehmen müssen.

In der gesamten Menschheitsgeschichte begegnen wir dem Phänomen, daß einer Phase des Radikalismus nach dem Tábor-Vorbild früher oder später eine Phase entgegensetzter Richtung folgt, so wie unser Zeitalter des [Jirí z] Podebrady (Georg von Podiebrad). Ein Zeitalter der Beruhigung und Ordnung, des Verstandes anstelle von Leidenschaften; Realismus anstelle von Doktrinen. – Dieses Phänomen einer schweren Veränderung verzeichnen wir in unserer Historie mehrmals, nicht immer, ohne Schaden zu nehmen. Nach dem vergangenen Weltkrieg konnten wir erfolgreich über den Nachkriegs-Radikalismus eine Konsolidierung und allmählichen Aufschwung erreichen. Unsere Nachkriegsrevolution ist weder im Extrem noch in der Reaktion stecken geblieben, sondern in eine neue, bessere Ordnung, eine für ihre Zeit sicher fortgeschrittene Ordnung übergegangen.

Und heute füge ich hinzu: Dies wäre 1938 sicher weitergegangen – wenn unsere damalige Entwicklung nicht aufgehalten worden wäre. Aufgehalten durch das Anwachsen eines brutalen und barbarischen Faschismus in unserer Nachbarschaft und zum Teil auch durch die Reaktion in unserem eigenen Lager.

Ferner habe ich damals festgestellt:
Wie auch zu Zeiten König Georgs haben wir ein Reich des Volkes geschaffen, das in seiner sozialen Gründung bei weitem seiner Zeit vorauseilte – und trotzdem ein erfolgreich wirkendes Staatsgebilde war, zu dem auch Tábor mit einem Fundament beitrug. Nach dem Weltkrieg 1918 waren wir zudem ein Staat, der in mancherlei Hinsicht einen Stand erreicht hat, den viele anderen erst in den nächsten Zeiten zu erkämpfen hatten; er wurde zur Gesellschaft der sich ausgleichender Gegensätze, Toleranz der Meinungen, gegenseitigem Respekt und gleichzeitig aus sich heraus prosperierend.

Keine Zwistigkeiten untereinander
Und ich wiederhole noch einmal: Wir waren 1938 entschlossen, in dieser Entwicklung bis zu der nächsten Stufe, der einer neuen sozialen Gerechtigkeit, fortzuschreiten. Jedoch – der Faschismus und bis zu einem gewissen Grad auch reaktionäre Kräfte innerhalb des eigenen Lagers haben sich entgegengestellt.

Aber – setzte ich damals meine Rede fort – auch in unserer Historie brachte solches Vorkämpfertum bestimmte Gefahren. Die Tradition des Podebrady-Zeitalters ist sehr überzeugend. Aber sie lehrt uns auch, daß ein vernünftiger und geregelter Fortschritt einer Nation, auch wenn er recht radikal ist, nicht zum Schaden sein kann. Solange die Nation in sich einig bleibt, solange keines der Teile aus der allgemeinen Solidarität ausbricht. Es war nicht eine fremde Kraft, sondern die eigenen hausgemachten Zerwürfnisse, die zur Dämmerung des Podebrady-Zeitalters führten, und niemand solle das in der heutigen Zeit vergessen.

Und erlauben Sie mir bitte noch ein Zitat aus meiner damaligen Rede:
Ich erinnere mich an die Lehre aus unserer Geschichte, weil, heute auf dem historischen Grund der Stadt Tábor stehend, ich mit Ihnen allen erkenne, daß wir für unseren Staat sehr wichtige Augenblicke erleben, die ernsthaftesten seit dem Kriegsende. Deshalb müssen wir einsehen, daß wir uns heute auf eine Weise verhalten, mit der wir allen Fehlern und Versehen der Vergangenheit entkommen können. Das bedeutet Ruhe und gute Nerven, ein klares Ziel. Wir dürfen den Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung Mittel- und Osteuropas sowie mit der des gesamten Europa nicht aus den Augen verlieren. Das bedeutet, keine Zwistigkeiten und keine Zerwürfnisse untereinander, ein Zusammenbleiben. Es bedeutet weiteren Aufbau der Einheit unseres Staates als auch unsere nationale Identitätsgründung auf breiter organischer, reeller und natürlicher Basis.

Letztendlich bedeutet dies, erläutert nach Tábor-Art, keine Angst vor den kommenden Tagen, keine Sorge insgesamt. Vorbereitet sein auf alles, Gutes oder Schlechtes, was da kommen mag.

In einem weiteren Teil meiner Rede sprach ich über die Gefahr, die sich um uns verbreitet. Ich sprach insbesondere über den Radikalismus unserer Deutschen, die damals schon ihren nazistischen Widerstand vorbereiteten. Ich sprach auch über unsere Vorbereitungen und Angebote einer Verständigung mit ihnen. Damals betonte ich: Als Präsident der Republik rufe ich nach Ruhe, Mäßigung, gegenseitigem Verstehen und Versöhnungswillen auf beiden Seiten. Politik kann in einer Demokratie nicht zum Diktat der Einen über die Anderen werden. Sie kann immer nur Einigung, Kompromiß und gegenseitiges Entgegenkommen sein. Ich weiß, daß da und dort manchmal mit Neugierde, manchmal mit Sorge die Frage nach der weiteren Entwicklung der Republik gestellt wird. Ich antworte eindeutig: Nichts, gar nichts kann unser demokratisches Regime erschüttern....

Ich beendete meine damalige Rede mit den Worten: Unsere heutige Zeit erinnert an das Zeitalter des Jirí von Podebrady, eines demokratischen Königs, eines Königs mit ausgeprägter Willenskraft, überzeugenden Ideen und starker Persönlichkeit, der an Tábor seine Stütze fand. Aber auch eines klugen Königs, versöhnungsbereit und abwägend. Wir schreiten heute in seinen Spuren. Wir werden zu Táboriten, fest, stark und unerschrocken, entschlossen und sendungsbewußt. Wir werden aber auch abwägend, klug und versöhnungsbereit. Wir werden nur das Gute und Wohl der Heimat, des Staates und der Nation im Sinn haben, wir werden den Mut finden, ihm alle Opfer zu bringen, persönliche und gemeinsame. Wir werden uns erneut bewußt und schwören, daß nur in unserer Einheit unser Heil und das Aufblühen unseres Staates liegt, sein Erfolg und seine wunderbare Zukunft.

Erlauben Sie mir, daß ich zu diesen Ausschnitten aus meiner damaligen Rede, die auch heute noch ihre Gültigkeit haben, einige Anmerkungen mache.

Werden wir fest, stark und ohne Furcht
In der Zwischenzeit, seit 1938, kam eine große Katastrophe über Europa und die ganze Welt, der schrecklichste Krieg der Menschheitsgeschichte, verursacht durch die, die ich damals warnte und zur Versöhnungsbereitschaft aufgefordert habe. Und heute, nach diesem, dem schrecklichsten Krieg der Welt, kommen wieder Zeiten großer sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen, ja, bis zum gewissen Maß revolutionärer, deren Ausmaßes wir uns bewußt werden müssen und deren Bedeutung wir nicht unterschätzen dürfen. Es wird zu sehr wichtigen Änderungen der sozialen Struktur in unserem Staat kommen.

Aber auch für unsere Nachkriegsentwicklung gilt das, was ich Ihnen damals schon sagte. Wir werden táborhaft fest sein, stark, ohne Furcht, entschlossen und mit klarer Zielvorstellung. Wir werden auch bedächtig und klug sein. Tábor wird uns ein Beispiel für hohe nationale Solidarität und Entschlossenheit werden; dafür, was wir für unser Recht und Wahrheit halten, auch einzustehen. Tábor ist uns ein Vorbild für das Bemühen und Gleichberechtigung dessen, was eine Menschenseele innehat.

Wir werden jedoch auch dessen bewußt werden, daß die menschliche Stärke nicht allzu lange hohe Revolutionsanspannung erträgt, daß sie rechtzeitig wieder zur Normalität zurückkehren muß und ein ausgeglichenes Leben im Frieden beginnen dürfen muß. – Wir müssen auch Rücksicht auf unser internationales Umfeld nehmen. Aber das alles kann und darf uns nicht daran hindern, das zu verwirklichen, was die heutige Regierung im Geiste der Nachkriegsära als ihre Aufgabe ansieht und was auch wir, im Sinne unserer umsturzgeprägten Zeit nach und nach ausführen können und müssen. Dies ist in etwa das, was sich unsere Regierung als Programm vorgenommen hat und um was sie sich bemüht und künftig bemühen wird.

Die Deutschen als fünfte Kolonne
Meine zweite Anmerkung betrifft unsere Deutschen. Ich habe sie damals, mit meiner Rede vom 21. Mai 1938, zu Mäßigung, Versöhnungswillen und gegenseitigem Verständniswillen aufgerufen. Ich habe betont, daß die Politik in einer Demokratie nicht das Diktat der Einen über die Anderen sein kann, sondern immer nur Einigung und Verständigung sein kann und ich betonte, daß sich die Deutschen nicht täuschen dürfen, nichts kann unser demokratisches Regime antasten. – Und gleichzeitig habe ich den Deutschen weitgehende nationale Konzessionen angeboten und die Gleichberechtigung in unserem Staat.

Die ganze Welt weiß heute, wie unsere Deutschen geantwortet haben: durch Verrat, Gewalt, Konzentrationslager für unsere tschechischen Mitbürger, durch nazistisches Wüten, den Versuch, unsere Demokratie zu vernichten und die Einführung von Nazismus und totalitärem Regime. Kann sich daher irgendwer in der Welt wundern, daß wir diese, unsere Deutschen, für immer loswerden wollen? Kann sich jemand darüber aufhalten, wenn wir von unseren Verbündeten fordern, sich hinter die Forderung zu stellen, die tschechischen und slowakischen Länder zu säubern, von denen, die während dieses mörderischen Krieges zur fünften Kolonne für die Vernichtung unseres nationalen Lebens, für unsere definitive Germanisierung und überhaupt unser Ausradieren aus der Landkarte und aus der Geschichte wurden?

Letztendlich meine dritte Anmerkung: ich habe mich auf das Beispiel des Hussitenkönigs Jirí z Podebrady berufen, eines Königs starken Willens, großer Ideen und starken Charakters, aber auch eines Königs der Klugheit und des Ausgleichs. Er verstand es seinerzeit, das Erreichte aus der hussitischen Revolution mit den Möglichkeiten und Notwendigkeiten seiner Zeit zu verbinden. Er war táborhaft fest, ohne Furcht und zielsicher, vor Augen ausschließlich das Gute und das Wohl der Heimat. Auch wir werden so in unserer von Umstürzen geprägten Zeit voranschreiten, wir werden den Mut finden, dem Staat alle Opfer zu bringen, persönliche und parteipolitische. Und wir werden uns dessen bewußt werden, daß in unserer nationalen Einheit und der Zusammenarbeit unseres Volkes, unseres wahrhaft demokratischen Volkes in unserer wahren Volksdemokratie unser Heil und der Aufschwung unseres Staates, sein Erfolg und seine wunderbare Zukunft liegt.

Für mich heißt es unter anderem, daß wir insbesondere unsere Verhältnisse innerhalb der Parteienlandschaft in diesem Sinne regeln müssen. Wir müssen uns dafür entscheiden, die Anzahl unsere Parteien definitiv zu reduzieren und gegen eine Rückkehr zu der früheren chaotischen Parteienlandschaft: das Parteienspektrum zu vereinfachen, alle unsere Wähler in eine kleinere Anzahl von Parteien zu führen und danach das künftige Leben der Nation auszurichten.

Unser Land bleibt demokratisch
Unser Land ist und bleibt demokratisch. In kürzester Zeit werden wir ein vorläufiges Parlament bilden, da es darum geht, so früh wie möglich den Präsidenten und die Regierung unter die Kontrolle des Parlaments zu stellen. Darum, daß wir nicht mehr mittels Dekreten regieren, wie es in der ersten Zeit nach den Krieg bis heute unausweichlich war und ist. In Kürze werden wir demokratische und freie Wahlen begehen, auf der Basis unserer früheren Wahlordnung. Danach werden wir zu einem normalen politischen Leben zurückkehren können und insbesondere zu einem regelmäßigen, ausgeglichenem, demokratischen Wettbewerb der politischen Parteien. Auf keinen Fall wollen wir jedoch das frühere Chaos ganzer Zehnerschaften politischer Gebilde wiederhaben.

Deshalb rufe ich heute im Geiste dessen, was ich Ihnen bereits 1938 gesagt habe, nach einer nationalen Einheit und Zusammenarbeit in einem neuen Geiste und neuer Richtung, im Namen neuen nationalen demokratischen und bürgerlichen Wettbewerbs und Zusammenarbeit. So wie wir es begonnen haben in der neuen Republik. Unsere Nationalfront soll eine wirkliche Zusammenarbeit aller unserer Parteien werden, sie soll demokratisch, aufrichtig, dem Staat und der Nation ergeben sein. In heutigen Zeiten großer politischer und sozialer Veränderungen soll sie von Bestand, sich selbst mit Respekt begegnend und in ihrem Zusammenhalt unerschütterlich werden. – Auch die Funktionsträger im Staat, die die heutige Entwicklung der Nation begreifen, gleichzeitig aber noch nicht parteipolitisch gebunden sind, sollen die Entwicklung der heutigen Zeit gut verfolgen und für die Zeit der nächsten Wahlen sich selbst mit Verstand und abwägend in die ganze Entwicklung des Staates ruhig, sachlich und demokratisch einbringen und an seinem weiteren Aufbau mitwirken.

Ich möchte für uns alle in der Tschechoslowakei noch hinzufügen:
Vergessen wir niemals, was die Deutschen mit uns in diesem Krieg getan haben und was sie für Absichten hatten, mit uns zu tun. Das war so schlimm, ja fürchterlich, daß daran für immer erinnert werden muß.
Entscheiden wir uns, daß wir die Republik entgermanisieren müssen, überall und in allem. Überlegt euch, wie wir dies tun werden. Es wird um die Entgermanisierung von Namen, Landkreisen, Städten, Gewohnheiten – es wird um alles gehen, was entgermanisiert werden kann. Heute bricht die Zeit dafür auf. Erinnert Euch, was uns durch die Germanisierung seit der Zeit der Hussiten entstanden ist. So wird es unser Leitmotiv sein: Überall und in allem: Entgermanisierung der Republik.
Es freut mich, Herr Bürgermeister, daß unser historisches Tábor insgesamt nicht spürbar gelitten hat. Sie wissen selbst, daß und wie ich Ihre Stadt gerne habe. Es freut mich auch, daß ich unserer Militärverwaltung zustimmen konnte, aus Ihrer Stadt ein großes Militärzentrum in Südböhmen zu machen. Es ist, wie Sie bereits richtig bemerkt haben, ein Anschließen auf die große Wehrtradition von Tábor. Tábor wird dadurch der gesamten Nation noch näher kommen und noch lieber werden.

Wir danken Ihnen noch einmal für das angenehme Willkommen und wir wünschen Ihnen allen aufrichtig gute Gesundheit und erfolgreichen Ausbau sowohl Ihrer Stadt als auch des ganzen Staates.

TEIL III      EPILOG – ANSÄTZE ZUM NACHDENKEN

havel01.jpg (26994 Byte)
Václav Havel
über Edvard Beneš                                                  Lidové Noviny 19. April 2002
Eher als Kritik an Präsident Beneš interessiert den Präsidenten die Frage, aus welchem Grund gegen die Entscheidungen von Edvard Beneš kein Widerstand erfolgte. – Vor der Frage, warum Beneš letztendlich das Münchner Abkommen akzeptierte und auch den Gedanken an die Aussiedlung [der deutschen Bevölkerung], interessiert mich die Frage, wieso er dies überhaupt durchführen konnte und warum das nur einen geringen Widerstand erzeugte – sagt Václav Havel.
Nach Václav Havel sollten auch die heutigen europäischen Politiker, aber auch Journalisten und Bürger in öffentlichen Funktionen ein Bewußtsein für eigene Verantwortung, aber auch für die Bedeutung von Passivität entwickeln.

Václav Klaus über Edvard Beneš                                                  Lidové Noviny 30. Mai 2002
Eine politische und menschliche Tragödie
... zu spät ist ihm bewußt geworden, daß die Bedrohung unserer Freiheit nicht nur bei den nazistischen Kollaborateuren, Verrätern oder dem Nazismus ergebenen Sudetendeutschen, über deren Ausweisung er in Übereinstimmung mit dem Standpunkt der Siegermächte entschied, zu suchen war, sondern daß er selbst die Tür öffnen half zur Machtübernahme durch ein neues, rücksichtsloses totalitäres System, den Kommunismus.

potsd-caec01.jpg (44263 Byte)       potsd-caec02.jpg (157221 Byte) Potsdam-Cäcilienhof
Eduard Mandler
über Edvard Beneš                                            Lidové Noviny 25. April 2002
Bedeutende politische Persönlichkeiten der freien Welt waren unterschiedlicher Ansicht in der Frage der Nachkrieggeschehens um die Sudetendeutschen. Dr. Beneš hat sich eindeutig differenziert. Nicht nur, daß er den Gedanken annahm, „daß es notwendig ist, alle Deutschen aus der Tschechoslowakei auszutreiben“; er schuf aus diesem Gedanken die Grundlage für die nationalsozialistische Ideologie einer Revolution (Verstaatlichung, Grundstücksreform, das Auschalten der Opposition aus dem politischen Leben des Staates) und setzte sie bei allen Mächten der Anti-Hitler-Koalition durch. Zäh, aber er setzte sich durch. Letztendlich hat er sich mit Stalin geeinigt, der der Prager Regierung sowohl mit der Aussiedlung umfassend half als auch während der Konferenz in Potsdam, die die Vertreibung letztlich sanktionierte.

Das Abgeordnetenhaus der Tschechischen Republik zu Edvard Beneš             Lidové Noviny 4. Mai 2002
Insgesamt 34 Kandidaten für die Verleihung der höchsten Orden des Staates wurden dem Präsidenten der Republik, Václav Havel, vom Parlament vorgeschlagen. Unter den Kandidaten fehlt der Name des ehemaligen Präsidenten Edvard Beneš, ursprünglich vorgeschlagen durch den stellvertretenden Parteivorsitzenden der ODS. Die Entscheidung über die Erteilung der Auszeichnungen trifft ausschließlich der Präsident der Republik.

TEIL IV       ANMERKUNGEN UND HINWEISE

Standort: Stadt Tábor
Homepage der Stadt 
(bildschön gestaltete Titelseite)

Virtueller Rundgang durch die Geschichte der Stadt Tábor (sehr empfehlenswert)

Hussiten (für vielbeschäftigte Schnelleser, in englischer Sprache)

Persönliche Buchempfehlung: die Hussiten
Dr. Heinz Rieder, 1911 – 1995, österreichischer Historiker und Schriftsteller,
1970 – 1973 leitender Direktor der Wiener Städtischen Büchereien:

Georg von Podiebrad (für vielbeschäftigte Schnelleser),
Kurzfassung Radio Praha

Dr. Edvard Benes
Kurzbeschreibung / Lebenslauf

Persönliche Buchempfehlung: „Edvard Beneš“ (in tschechischer Sprache)
Zbynek Zeman, Professor der europäischen Geschichte in Oxford, emeritiert, lebt in Prag

Englische Fassung „the life of Edvard Beneš 1884–1948“
Beide Publikationen entstanden unabhängig voneinander

Würdigung durch Prof. Richard Crampton 1999 St. Edmund Hall Oxford

Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Bitte besondere Beachtung zu Artikeln 3 und 4!

HZ 2002-10

 

Aufruf des Herausgebers:

Die Ansprachen von Edvard Beneš wurden, wie erläutert, durch Tageszeitungen veröffentlicht.

Diese Archivdokumente sind heute die wichtigste Quelle für Nachforschungen über die tatsächlichen Geschehnisse der ersten Nachkriegstage, Wochen und Monate.

Eine präzise Dokumentation über die Art und Weise, wie Edvard Beneš seine Ansprachen hielt, existiert jedoch nicht.
Es gibt allerdings Beobachtungen und Überlieferungen von Zeitzeugen, die – abweichend von den Texten der Ansprachen – über 
wesentlich schärfere Aussagen von Edvard Beneš berichten, die möglicherweise durch die aufzeichnenden Journalisten aus gutem Grund nicht weitergegeben wurden.

Einige davon sind – außer der Unklarheit der überlieferten Daten verschiedener Reden:

... daß er jetzt das machen werde, was er schon 1918 hätte machen wollen, woran er aber (durch die Engländer??) damals gehindert worden sei.

Oder:

Werft die Deutschen aus ihren Wohnungen, und macht den Unsrigen Platz! Alle Deutschen müssen verschwinden ... Was wir im Jahre 1918 durchführen wollten, erledigen wir jetzt.

Wann und wo, in welchem Zusammenhang hat Beneš dazu aufgefordert, die Deutschen zu verjagen und ihnen nichts zu belassen außer den Taschentüchern, damit sie ihre Tränen abwischen könnten?

siehe auch eine älterere Darstellung!

Da wir an einer exakten Wiedergabe der Äußerungen von Edvard Beneš interessiert sind, bitten wir unsere Leser und auch alle Zeitzeugen,  mit  ihren Beobachtungen und  Kenntnissen hierzu beizutragen. Auch andere Hinweise im Zusammenhang mit dem persönlichen Erleben der Person Edvard Beneš – oder authentischem Wissen aus der Erinnerung anderer Personen – sind uns willkommen.

Die Redaktion

Markwart Lindenthal 2003-09-29