Jahrzehnte glaubte Turid Eden, ihre Eltern seien im KZ ermordet worden
Norwegen wollte nach dem Krieg 8000 Besatzerkinder loswerden
Mit falschen Daten in Schweden zur Adoption freigegeben
Von Hannes Gamillscheg (Kopenhagen)
Turid Eden war 52 Jahre alt, als sie erfuhr, wer ihre Mutter war. Bis dahin hatte die Frau in dem Glauben gelebt, daß ihre Eltern in einem deutschen Konzentrationslager umgekommen waren und sie deshalb in Schweden adoptiert worden war. Dann erst hörte sie, daß ihre Mutter Norwegerin war und ihr Vater ein deutscher Besatzungssoldat. Doch da war es zu spät, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Beide waren wenige Jahre zuvor gestorben. „Jahrzehntelang hat man mich belogen“, sagt Eden heute bitter. „Alle haben das Recht zu wissen, woher sie stammen.“ Mit ihrem Schicksal und dem von 30 Gleichaltrigen mit ähnlicher Geschichte beginnt nun ein weiteres Kapitel in dem Trauerspiel über Norwegens Umgang mit seinen Kriegskindern. Dieses Kapitel ist nicht so trostlos wie das jener „Deutschenkinder“, die in ihrer norwegischen Heimat mißhandelt und verstoßen wurden und vergeblich versucht haben, vom Staat Wiedergutmachung und Schmerzensgeld für erlittenes Unrecht zu erhalten. Turid Eden und ihre Kameraden hatten eine vergleichsweise glückliche Kindheit. Sie wuchsen bei liebevollen Adoptiveltern in Schweden besser auf als die in Norwegen verachteten „Deutschenkinder“. „Doch man hat mir die Chance gestohlen, meine Mutter zu treffen“, sagt die nun 58-jährige Frau.
Der norwegische Kultursoziologe Lars Borgersrud, der nun einen neuen Bericht über die Kriegskinder vorlegte, hat Belege dafür entdeckt, daß der norwegische Staat nach dem Krieg die Deportation all jener 8000 Jungen und Mädchen plante, die einer Beziehung zwischen einer Einheimischen und einem deutschen Besatzungssoldaten entsprungen waren. Man sah ihre „deutschen Gene“ als Gefahr für den Aufbau des eigenen Wohlfahrtssystems in Norwegen. Australien war als Zielland vorgesehen, lehnte die Aufnahme der Kinder jedoch ab. Stattdessen endete eine kleinere Gruppe des unerwünschten Nachwuchses als Adoptivkinder in Schweden.
Turid Eden war zunächst in einem Heim der NS-Organisation „Lebensborn“ in Bremerhaven aufgewachsen. Nach Kriegsende 1945 wurden 30 Jungen und Mädchen von dort ins schwedische Malmö gebracht und mit falschen Daten – Geburtsort: unbekannt, Nationalität: unbekannt, Eltern: unbekannt – zur Adoption freigegeben. Den norwegischen Müttern sagte man, ihre Kinder seien tot.
„Diese Kinder sind Opfer einer Geschichtsfälschung“, sagt Soziologe Borgersrud. „Schwedische und norwegische Behörden wußten, was geschah und ließen es zu. Juristen, die gegen die Adoptionen Einspruch erhoben, wurden zum Schweigen gebracht.“ Erst in der Schule erfuhr Turid Eden, daß sie ein Adoptivkind ist. „Was heißt adoptiert?“, fragte sie die Frau, die sie für ihre Mutter gehalten hatte. Da erzählte diese ihr die offizielle Geschichte: daß sie elternlos in einem KZ gefunden worden sei. Sie wußte es nicht besser.
„Für ein kleines Kind war das gewaltsam“, sagt Eden heute. „Ich versuchte mir vorzustellen, was mit meinen Eltern geschehen war. Wie verzweifelt meine Mutter gewesen sein mußte, daß sie mich in dem schrecklichen Lager nicht beschützen konnte. Als ich 20 war, sah ich einen Film von Auschwitz und weinte anschließend vier Tage lang.“ Die Unsicherheit über ihre Herkunft bereitete ihr große psychische Probleme, aber viele Versuche scheiterten, ihre Wurzeln zu finden.
Erst 1996 stieß Turid Eden im schwedischen Reichsarchiv auf die richtige Spur. „Ihr kamt nicht aus einem Konzentrationslager“, klärte ein Archivmitarbeiter sie auf. „Ihr stammt aus Norwegen.“ Nun erhielt sie auch die Namen von Mutter und Vater. Doch als sie nach möglichen Geschwistern suchen wollte, hieß es in Stockholm und Oslo, man könne ihr nicht helfen. Eden ging zur Heilsarmee. Die fand ihre Familie binnen drei Wochen. Die Mutter war 1992 gestorben, der Vater zwei Jahre früher. Doch mit drei Halbbrüdern hat Turid Eden inzwischen Kontakt gefunden. „Ich soll meiner Mutter stark ähneln“, sagt sie. „Ich hätte sie zu gerne getroffen und ihr gesagt, daß es mir gut geht.“
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Copyright © Frankfurter Rundschau 4.05.2002

Siehe auch den Bericht über Dänische Kriegskinder!

Siehe auch einen Bericht des „Nordschleswigers“ 2002-11-25