(Zitiert nach der Sudetendeutschen Zeitung Folge 41 2004-10-08 Seite 9)

143. Dekret des Präsidenten der Republik vom 27. Oktober 1945
über die Einschränkung des Klagerechtes im Strafverfahren.

Auf Vorschlag der Regierung und im Einvernehmen mit dem Slowakischen Nationalrat bestimme ich:

§ 1.
1) Ist es durch eine Straftat gegen das Gesetz über den Schutz der Ehre vom 28. Juni 1933, Nr. 108/1933 Slg. [= Sammlung der CSR-Gesetze] zu durch Privatklage verfolgbaren Schäden an der Ehre einer Person gekommen, die in § 1, Absatz 1 und 2 des Dekretes des Präsidenten der Republik vom 25. Oktober 1945, Nr. 108/1945 Slg. über die Konfiskation des feindlichen Vermögens [...] aufgeführt wurde, so kann diese selbst die Privatklage nicht erheben; die Person kann nur verlangen, daß ihre Privatklage durch einen Staatsvertreter (státni zástupec) erhoben werde.

2) Wenn der Staatsvertreter die Übernahme der Vertretung der beleidigten Person ablehnt, ist die Verfolgung dieser Straftat ausgeschlossen. Der Staatsvertreter handelt derart insbesondere dann, wenn die Straftat weniger schwerwiegend war oder die in ihrer Ehre geschädigte Person durch ihr Verhalten während der Zeit der Unfreiheit selbst die Begründung für die Straftat gab.

§ 2.
Dieses Dekret tritt am dritten Tag nach seiner Verkündung in Kraft und verliert seine Wirksamkeit am 31. Dezember 1946; es wird vom Justizminister im Einvernehmen mit den zuständigen Ministern durchgeführt.

(es folgte sicherlich ein Ausfertigungsvermerk wie bei allen anderen Dekreten. ML)

Kommentierung:
Hierin dürfte ein wichtiger Grund für den Erlaß dieses Dekretes 143/1945 gelegen haben:
Es verhinderte derartige Klagen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und wies sie einem „Staatsvertreter“ zur wohl eher administrativen Niederschlagung zu.
Dekret 143/1945 hatte darüber hinaus eine andere wichtige Bedeutung: Es sollte das CSR-(Beneš-)Dekret 16/1945 vom 19. Juni 1945 flankierend absichern. Durch dieses sogenannte Vergeltungsdekret wurden die behaupteten „Delikte“ nämlich „außerordentlichen Volksgerichten“ zur Verfolgung zugewiesen. Zusammensetzung und Verfahren vor diesen (entsprechend vorhergehenden NS-Instanzen aufgebauter) Tribunalen waren nicht rechtstaatlich: Es galten Prinzipien des Standgerichts, die Schuld von Amtsträgern (selbst der NS-Frauenschaft und der NS-Volkswohlfahrt) war vor Verfahrensbeginn gegeben, die Dauer des Verfahrens auf maximal drei Tage unter sofortiger Urteilsverkündung fixiert, es gab keine Rechtsmittel gegen ein Urteil, die häufige Todesstrafe war zwei Stunden nach Urteilsverkündung zu vollstrecken. Dieses Dekret 143/45 stellte daher auch sicher, daß „Verfahren“ nach Dekret 16/1945 vor einem „außerordentlichen Volksgericht“ nicht durch Verfahren nach Gesetz 108/1933 vor einem ordentlichen Gericht gestört wurden. Die Frage ist angebracht, warum dazu ein eigenes im CSR-Gesetzblatt veröffentlichtes Dekret erforderlich war; eine interne Verwaltungsanweisung hätte doch wohl ausgereicht. Sind hier letzte Auswirkungen ehemaliger k. u. k. Rechtstaatlichkeit festzustellen? Oder war die Zahl eingebrachter Privatklagen zu hoch? Oder beides? Vielleicht kann hier ein Leser aus seinen Erfahrungen zur Klärung beitragen.
Fritz-Peter Habel