Stimmen zum Tschechisch-Deutschen Zwist im April 2002
(Fortsetzung)

===========Radio Prag 2002-04-02==============
Havel kritisiert Diskussion um Beneš-Dekrete/ Abgeordnetenhaus debattiert voraussichtlich noch im April über Dekrete
Präsident Vaclav Havel hat den Streit um die so genannten Beneš-Dekrete als „hysterisierte“ Diskussion kritisiert. Wegen der aufgeheizten Atmosphäre werde er sich vorerst nicht zu den tschechoslowakischen Nachkriegsnormen äußern, sagte Havel am Montag gegenüber dem Tschechischen Rundfunk. Weiter verlautete aus der Kanzlei des Staatsoberhaupts, daß die von einigen Abgeordneten vorgeschlagene posthume Verleihung des höchsten Staatsordens an den früheren Präsidenten Edvard Beneš unnötig sei, da Beneš den Orden bereits 1936 erhalten habe. Es sei daher nicht damit zu rechnen, daß Havel den umstrittenen Politiker erneut auszeichnen werde, hieß es. Nach Informationen des tschechischen Rundfunks wird das Abgeordnetenhaus vermutlich noch im April erstmals über die Beneš-Dekrete debattieren.
Parlamentspräsident Vaclav Klaus habe die Vorsitzenden der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zu einem vorbereitenden Treffen am 11. April eingeladen, hieß es.
============Radio Prag 2002-04-03==============
Tschechische Republik übergibt Europäischem Parlament juristische Expertise der Beneš-Dekrete
Die tschechische Vertretung bei der Europäischen Union hat am Mittwoch in Brüssel dem Europäischen Parlament eine juristische Expertise der sog. Beneš-Dekrete übergeben. Der tschechische EU-Botschafter Libor Secka äußerte nach den Verhandlungen mit Europa-Abgeordneten die Überzeugung, daß das Europäische Parlament im Zusammenhang mit den Dekreten kein Interesse daran habe, die Nachkriegsentwicklung in Frage zu stellen oder zu Kompensationen und Restitutionen zu schreiten. In Gesprächen mit dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlamentes, Elmar Brok (CDU) sowie weiteren Abgeordneten sei man sich darüber einig gewesen, daß eine Diskussion, die die Vergangenheit neu öffnet, nicht anzustreben sei, sagte Secka der Nachrichtenagentur CTK. Brok wollte die tschechische Rechtsexpertise der Beneš-Dekrete am Mittwoch gegenüber CTK nicht kommentieren. Der Expertise zufolge sind die umstrittenen Beneš-Dekrete nicht mehr anwendbar und widersprechen daher nicht geltendem EU-Recht.
Da die Dekrete aber Teil der tschechischen Rechtsordnung seien, könnten sie nicht gestrichen werden, heißt es dem Tschechischen Rundfunk zufolge in der Analyse.
Im Zusammenhang mit dem Streit um die Dekrete hat der frühere tschechische Außenminister Josef Zieleniec scharfe Vorwürfe gegen Ministerpräsident Miloš Zeman und Parlamentspräsident Vaclav Klaus erhoben. Beide hätten mit ihrer unnachgiebigen Verteidigung der Dekrete „den gesamten EU-Integrationsprozeß Tschechiens gefährdet“, schrieb Zieleniec in einem Beitrag für die Mittwochsausgabe der Zeitung „Mlada fronta Dnes“. Die von Zeman und Klaus geplante Parlamentsdebatte über die Dekrete werde Prag weitere internationale Kritik einbringen.
===========Radio Prag 2002-04-04===========================
Tschechische Kommunisten sind für breites Forum zu den Beneš-Dekreten
Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) sprach sich für ein möglichst weitreichendes Forum aus, bei dem sich die tschechische politische Szene zu den sogenannten Beneš-Dekreten äußern sollte. Die Kommunisten sehen es als den günstigsten Fall an, wenn die Gültigkeit der Dekrete eindeutig von beiden Kammern des tschechischen Parlaments bestätigt würde, sagte deren Parteivizevorsitzender Václav Exner auf einer heutigen Pressekonferenz in Prag. Die Kommunisten begrüßten hierbei eine entsprechende Einladung von Abgeordnetenchef Václav Klaus zu einer Sitzung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden aller parlamentarischen Parteien am 11. April in Prag.
===========Radio Prag 2002-04-05===========================
ODS: Treffen zu Beneš-Dekreten am 9. April
Die oppositionellen Bürgerdemokraten ODS haben Außenminister Jan Kavan den 9. April als möglichen Termin für ein geplantes Treffen der Vorsitzenden der Parlamentsparteien zum Thema der Beneš-Dekrete vorgeschlagen. Ziel des Treffens soll es sein, eine von allen Parteien getragene Parlamentsresolution zu den Beneš-Dekreten vorzubereiten.
============Radio Prag 2002-04-06==========================
Kavan stimmt Treffen zu Beneš-Dekreten am 9. April zu
Der tschechische Außenminister Jan Kavan stimmt dem 9. April als Termin für das Treffen der Vorsitzenden der Parlamentsparteien zum Thema der Beneš-Dekrete zu. Die Bürgerdemokraten ODS hatten diesen Termin am Freitag vorgeschlagen.
Ziel des Treffens ist es, eine von allen Parteien getragene Parlamentsresolution zu den Beneš-Dekreten vorzubereiten.
============Radio Prag 2002-04-08==========================
Blair sieht keine Hindernisse für den EU-Beitritt der Tschechischen Republik
Die Beneš-Dekrete stellen dem britischen Premier Tony Blair zufolge keine Hindernisse auf dem Weg Tschechiens in die Europäischen Union dar. Beim Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Miloš Zeman am Montag in Prag bekräftigte Blair seine zuvor in den Gesprächen mit den Vorsitzenden von Abgeordnetenhaus und Senat, Václav Klaus und Petr Pithart, gemachten gleichlautenden Aussagen. Zudem bekannte sich Blair zu der 1996 von der britischen Regierung geäußerten Haltung, nach der die nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Nachkriegsverordnungen unantastbar und die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz unstrittig seien. Zeman dankte seinem Amtskollegen für diesen Standpunkt. Blair wiederum dankte der Tschechischen Republik für die Beteiligung tschechischer Ärzte an der internationalen Schutztruppe in Afghanistan. Gegenüber Senatschef Pithart äußerte Blair zudem, daß „Europa auf eigenen Füßen stehen müsse“, auch was seine militärische Bewaffnung und Ausrüstung anbelangt. In diesem Zusammenhang unterstützte Blair den vom Zeman-Kabinett ins Auge gefassten Kauf von Überschalljagdflugzeugen des Typs Gripen vom britisch-schwedischen Konsortium BAe Systems Saab.
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Deutsche Bundesregierung will Beneš-Dekrete nicht auf EU-Ebene bringen
Die deutsche Bundesregierung will die umstrittenen Beneš-Dekrete nicht zum Gegenstand der EU-Beitrittsverhandlungen mit Tschechien machen. Das sagte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Günter Pleuger, am Montag nach Gesprächen in Prag. Bei den deutsch-tschechischen Gesprächen betonten beide Seiten, die gemeinsame Aussöhnungserklärung von 1997 bleibe Basis für die bilateralen Beziehungen. Darin hätten beide Länder vereinbart, ihr Verhältnis nicht mit Fragen der Vergangenheit zu belasten und die Rechtsauffassung der Gegenseite zu respektieren, sagte Pleuger.
==============Radio Prag 2002-04-09==========================
Verheugen: BenešDekrete ohne Einfluß auf EU-Erweiterung
Die sogenannten Beneš-Dekrete würden auch in Zukunft keine Rolle bei der EU-Erweiterung spielen. Diese Überzeugung hat EU-Kommissar Günter Verheugen in einem Interview für die Dienstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung zum Ausdruck gebracht. Im Hinblick auf seinen für Donnerstag vorgesehenen Besuch in der Tschechischen Republik erklärte Verheugen gegenüber der Nachrichtenagentur CTK, tschechische Befürchtungen vor einer etwaigen Restitution seien unbegründet. Die Dekrete bezeichnete der EU-Kommissar als eine Sache der Vergangenheit. Er werde sich in seinen Gesprächen mit den tschechischen Politikern bemühen, die wegen der Debatte aufgeheizte Stimmung zu beruhigen, fügte Verheugen hinzu.
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Kavan verhandelt mit Chefs der Parlamentsparteien über die Beneš-Dekrete
Zu einer Sitzung über die Problematik der Beneš-Dekrete hat der tschechische Außenminister Jan Kavan für Dienstagnachmittag die Vorsitzenden der im tschechischen Parlament vertretenen Parteien in sein Ministerium eingeladen. Mit den Parteichefs will Kavan die tschechische Haltung zu den Dekreten erörtern und koordinieren.
===============Radio Prag 2002-04-11================
Verheugen:  Prag muß nicht Beneš-Dekrete vor EU-Beitritt aufheben
EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat am Donnerstag den tschechischen Politikern in Prag versichert, daß die EU-Kommission die umstrittenen Beneš-Dekrete auch weiterhin nicht zum Gegenstand der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien machen will. Demgegenüber will das tschechische Abgeordnetenhaus vermutlich noch im April eine Debatte zu den Dekreten führen. Die Nachkriegsverordnungen über die Enteignung der Sudetendeutschen und den Entzug ihrer tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit könnten keine juristische Wirkung mehr entfalten, erklärten Verheugen und der tschechische Ministerpräsident Miloš Zeman nach ihrem Prager Treffen am Donnerstag. „Die Dekrete gehören der Vergangenheit an“, unterstrich Verheugen. Nach Ansicht der tschechischen Regierung sind die Dekrete „erloschen“. Ihre Aufhebung sei aber unmöglich, da sie Teil der Rechtsordnung seien, sagte Zeman.
Eine ähnliche Meinung vertrat auch ODS- und Abgeordnetenchef Václav Klaus in seinen Gesprächen mit Verheugen. Bei der geplanten Parlamentsdebatte über die Nachkriegsverordnungen habe man die Absicht, eine Resolution über die „Unveränderbarkeit der Weltkriegsfolgen“ zu verabschieden, sagte Klaus. Demgegenüber rückte Klaus von seinem heftig kritisierten Vorschlag ab, im EU-Beitrittsvertrag eine Garantie für die Beneš-Dekrete zu verankern.
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Historiker:  Beneš-Dekrete im internationalen Kontext überprüfen
Auf ihrer turnusmäßigen Tagung befaßte sich die tschechisch-slowakische Historikerkommission am Donnerstag in Kosice/Kaschau u.a. auch mit Fragen zu den sogenannten Beneš-Dekreten. Laut Aussage von Stefan Sutaj von der Gesellschaftswissenschaftlichen Institut der Slowakischen Akademie nehmen die Historiker diese Frage wahr als ein Problem, das man ihrer Meinung nach aus dem internationalen Kontext heraus untersuchen sollte. Sowohl in der Slowakei als in Tschechien, aber auch in Österreich und weiteren europäischen Ländern wisse man nämlich oft gar nicht genau, was die Dekrete des ehemaligen Präsidenten der Tschechoslowakei eigentlich seien, betonte Sutaj. (grammatisch/syntaktisch richtiggestellt: ML 2002-04-11)
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„Pravo“:  Prager Parlamentsdebatte über Dekrete ist problematisch
Zur Diskussion über die umstrittenen Beneš-Dekrete schreibt die linksliberale tschechische Tageszeitung „Pravo“ in ihrer Donnerstag-Ausgabe u.a.: „Die geplante Debatte über die Beneš-Dekrete im tschechischen Parlament ist problematisch“ am meisten, weil sich zwei Monate vor der Wahl in Prag die Parteien oft gegenseitig überbieten beim Nennen einfacher Lösungen. Falls man aber nach dem Urnengang über das 50 Jahre lang vernachlässigte Problem diskutieren will, könnte das Abgeordnetenhaus natürlich eine solche Debatte auf die Tagesordnung setzen „auch wenn sich mit den Dekreten im Ausland weder Parlament noch Regierung befaßt“.
================Radio Prag 2002-04-12=================================
Verheugen beendet Tschechien-Besuch mit Übernahme der Ehrendoktorwürde der ökonomischen Hochschule Prag
Mit der Übernahme der Ehrendoktorwürde der Hochschule für Ökonomie in Prag hat EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen am Freitag seinen Besuch in der Tschechischen Republik beendet. In seiner Rede anläßlich der Verleihung des Ehrendoktortitels lobte Verheugen das Wirtschaftswachstum in der Tschechischen Republik und betonte, daß dies positive Bedingungen für die Lösung sensibler Themen wie beispielsweise der Reform der öffentlichen Verwaltung schaffen würde, die nicht weiter aufgeschoben werden dürften. Weiter warnte Verheugen, daß hohe Haushaltsdefizite die Tschechische Republik am Beitritt zur Europäischen Währungsunion hindern könnten. Bei seinen Hauptverhandlungen in Prag am Donnerstag hatte Verheugen den tschechischen Politikern in Prag versichert, daß die EU-Kommission die umstrittenen Beneš-Dekrete auch weiterhin nicht zum Gegenstand der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien machen will. Während einer Diskussion mit Politikern und Bürgern im Kreis Südböhmen hob Verheugen am Freitag die Bedeutung europäischer Regionalpolitik hervor und rief die Beitrittskandidaten dazu auf, sich gut auf die Verwaltung der Mittel vorzubereiten, die sie bereits jetzt aus den europäischen Fonds erhalten. Es sei wichtig, daß die Beitrittskandidaten aus den Kohäsions- und Strukturfonds nur Maßnahmen finanzierten, die sie auch bereit seien, selber mitzufinanzieren, so Verheugen. Eine Einladung in das umstrittene südböhmische Kernkraftwerk Temelin lehnte der EU-Erweiterungskommissar ab.
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ODS fordert von Regierung klare Erklärung zur Deklaration Verheugens und Zemans
Die Bürgerdemokratische Partei ODS hat am Freitag von der sozialdemokratischen Regierung eine klare Erklärung zum letzten Satz der gemeinsamen Deklaration gefordert, die Premier Miloš Zeman und EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen am Donnerstag unterzeichnet hatten. Dort heißt es, die tschechischen Behörden würden eine „Revision“ der Restitutions-Legislative von 1948 durchführen, um diese mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. ODS-Chef Vaclav Klaus bezeichnete diese Formulierung am Freitag vor Journalisten als schlichtweg inakzeptabel. Das tschechische Abgeordnetenhaus will vermutlich noch im April eine Debatte zu den Dekreten führen. Dabei habe man die Absicht, eine Resolution über die „Unveränderbarkeit der Folgen des Zweiten Weltkrieges“ zu verabschieden, sagte Klaus. Von seinem heftig kritisierten Vorschlag, im EU-Beitrittsvertrag eine Garantie für die Beneš-Dekrete zu verankern, rückte Klaus hingegen ab.
================Radio Prag 2002-04-13===========================
Parteivorsitzende noch nicht einig über gemeinsame Erklärung zu Beneš-Dekreten/ Weiteres Treffen mit Außenminister Kavan am kommenden Freitag
Ein weiteres Treffen zwischen Außenminister Jan Kavan und den Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien zu den sogennannten Beneš-Dekreten ist für den kommenden Freitag geplant. Darüber informierte die Vorsitzende der Freiheitsunion-Demokratischen Union, Hana Marvanova, am Samstag die Nachrichtenagentur CTK. Sie sprach sich dafür aus, daß die Parteien in der von ihnen geplanten gemeinsamen Erklärung zur Problematik der Dekrete die Bürger versichern sollten, daß sie keine Infragestellung der Nachkriegsordnung zulassen und daß die Mitgliedschaft in EU und NATO dafür die besten Garantien seien. Bislang haben die Parteien noch nicht endgültig beschlossen, wie ihre gemeinsame Erklärung aussehen soll. Laut Kavan bestehe aber Einigkeit über die inhaltliche Seite des Textes. Auch das tschechische Abgeordnetenhaus wird voraussichtlich noch im April über die Beneš-Dekrete debattieren.
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Pithart besucht als erster Politiker nach Zerwürfnis wegen Beneš-Dekreten Ungarn
Der Vorsitzende des tschechischen Senats, Petr Pithart, trifft sich in der kommenden Woche in Budapest mit dem ungarischen Staatspräsidenten Ferenc Madl. Darüber informierte Pitharts Berater Jaroslav Veis am Samstag die Nachrichtenagentur CTK. Pithart wird damit der erste gesetzmäßige Vertreter sein, der Ungarn besucht, nachdem es in den bilateralen Beziehungen durch die Äußerungen des ungarischen Premiers Viktor Orban über die Beneš-Dekrete zu einem Zerwürfnis gekommen war. Orban hatte sich auf die Seite einiger deutscher und österreichischer Politiker gestellt, die die Aufhebung der Dekrete fordern. Aufgrund von Orbans Äußerungen hatten die Regierungschefs Tschechiens, der Slowakei und Polens ihre Teilnahme an dem für März angesetzten Gipfeltreffen der Premiers der vier Visegrad-Staaten abgesagt. Pitharts Reise nach Budapest ist nicht dienstlich. Er wird auf der dortigen Buchmesse sein Essay mit dem Titel „Nach 1989: wer sind wir“ vorstellen, das jetzt auf Ungarisch erscheint.
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Prager Historiker Kren für Entschädigung bestimmter Vertriebener
Der renommierte tschechische Historiker Jan Kren hat eine Entschädigung bestimmter deutscher Vertriebener als „moralische und politische“ Pflicht der tschechischen Regierung bezeichnet. Zum Beispiel seien deutsche Antifaschisten bei der Übersiedelung aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzeswidrig enteignet worden, sagte Kren in der Samstagsausgabe der Zeitung „Pravo“. Eine Aufhebung der Beneš-Dekrete käme nach Ansicht des Historikers jedoch nur dann in Frage, wenn Tschechien im Gegenzug internationale Garantien für eine Unveränderbarkeit der Eigentumsverhältnisse bekomme. Kren war wegen seiner Verdienste im bilateralen Verhältnis 1996 mit der Goethe-Medaille und im Jahr 2000 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Eine mögliche humanitäre Geste an einen Teil der Vertriebenen wird in Tschechien derzeit innenpolitisch kontrovers diskutiert.
==============Die Welt 2002-04-14====================================
Die Vertreibung war lange geplant
Die Beneš-Dekrete stellen den EU-Beitritt Tschechiens infrage. Doch bis heute wird das Unrecht an den Sudetendeutschen verharmlost
Von Heimo Schwilk
Trotz Ermahnungen aus Straßburg, den Streit über die Beneš-Dekrete nicht eskalieren zu lassen, um den Beitritt Tschechiens in die EU nicht zu gefährden, überbieten sich tschechische Spitzenpolitiker fast täglich in der „Verteidigung der tschechischen Interessen“. Wer die zwischen 1945 und 1947 erlassenen Vertreibungsdekrete zur Disposition stelle, so Vaclav Klaus von der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), wolle ganz offenbar die europäische Nachkriegsordnung umstürzen. Der Vorsitzende der regierenden sozialdemokratischen Partei (CSSD), Vladimir Spidla, bekräftigte sogar, daß die Vertreibung und Enteignung von knapp drei Millionen Sudetendeutschen „notwendig“ gewesen sei. Die deutschen Minderheiten in Mitteleuropa hätten selbst die Instabilität erzeugt, die dann zum Zweiten Weltkrieg geführt habe.
Die Polemik der wahlkämpfenden Parteien beruht auf einer Grundüberzeugung, die in Tschechien als unumstößlich gilt. Demnach sei die Vertreibung der Deutschen das Ergebnis verbrecherischer NS-Politik, denn Hitler hatte am 15. März 1939 die Tschechei durch deutsche Truppen besetzen lassen. An die eigentlichen Ursachen des deutsch-tschechischen Konflikts, der viel weiter zurückreicht, möchte man im heutigen Tschechien (und in gewisser Weise auch in Deutschland) nicht gerne erinnert werden. Als die Tschechoslowakei 1918 aus Teilen des besiegten österreichisch-ungarischen Kaiserreichs gebildet wurde, behandelte man die Sudetendeutschen sogleich als „Kolonisten“ und „Immigranten“, obwohl sie rund 800 Jahre lang mit den Tschechen in den Ländern der böhmischen Krone zusammengelebt hatten. Zuvor hatte der Diktatfrieden von Versailles die Angliederung der deutschen Randgebiete von Böhmen und Mähren an die neue österreichische Republik untersagt und die Sudetendeutschen zusammen mit Polen, Slowaken, Karpato-Ukrainern und Ungarn in einen künstlichen Mehrvölkerstaat eingegliedert.
In der als „Schweiz des Ostens“ gerühmten Tschechoslowakei wurden die Sudetendeutschen von Anfang an diskriminiert. So durften sie an der Nationalversammlung 1918 als einzige Volksgruppe nicht teilnehmen und waren dadurch von der Mitgestaltung der Verfassung ausdrücklich ausgeschlossen. Die eigentliche Unterdrückung setzte jedoch 1935, nach der Ablösung des Staatsgründers Masaryk durch Präsident Edvard Beneš, ein. Das deutsche Schulwesen wurde um ein Viertel reduziert, Deutsche aus Staatsstellen herausgedrängt; bei Entlassungen wurden zuerst Deutsche arbeitslos, dann Ungarn, Polen, Slowaken und erst am Ende Tschechen. Obwohl das Sudetenland mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts der Tschechoslowakei erwirtschaftete, waren von mehr als 800.000 Arbeitslosen in der Tschechoslowakei 1938 eine halbe Million Deutsche. Alle staatlichen Förderungen fielen an die tschechischen Schwerindustriegebiete, das Sudetenland ging leer aus.
Die Vertreibung der Sudetendeutschen war von Beneš lange vor 1945 ins Kalkül gezogen worden. Der als Deutschenhasser bekannte Nationalist sagte mehrfach, man hätte die Deutschen bereits 1918 vertreiben müssen, leider sei das damals nicht möglich gewesen. Bereits 1942 stimmte das britische Kriegskabinett auf Drängen von Beneš, der sich der tschechischen Exilregierung angeschlossen hatte, der Vertreibung („Transfer“) zu. Am 16. Dezember 1943 beschlossen Beneš und Stalin in Moskau, die Tschechoslowakei ethnisch zu säubern, sie „deutschenfrei“ und „ungarnfrei“ zu machen. 1944 erklärte Beneš, möglichst viele Deutsche sollten „in der kommenden Revolution niedergemetzelt werden“.
Vor dem Kriegseintritt hatte England die tschechische Unterdrückungspolitik noch kritisch gesehen und sogar eine Revision des Versailler Vertrags in Erwägung gezogen. Der britische Staatsmann Walter Runciman bereiste im Sommer 1938 zwei Monate lang mit einer Kommission die Tschechoslowakei, um dort die Minderheitenpolitik zu überprüfen. In einem Bericht für Premierminister Neville Chamberlain schlug er vor, daß die deutschsprachigen Grenzgebiete „unverzüglich an Deutschland übertragen werden sollten“. Kurz darauf anerkannte Chamberlain das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen. Bereits im April 1938 hatte die Sudetendeutsche Partei in ihrem „Karlsbader Programm“ die volle Autonomie gefordert, war aber von Prag abgewiesen worden. Im September 1938 empfahlen London und Paris der tschechischen Regierung, die sudetendeutschen Gebiete sofort und ohne Volksabstimmung an das Reich abzutreten. Diese Forderung bildete die Grundlage des „Münchner Abkommens“. Weil die Vereinbarung mit den Westmächten durch massive Kriegsdrohungen Hitlers herbeigeführt wurde, ist der legitime Kern der schon von den demokratischen Regierungen der Weimarer Republik verfolgten Volksgruppenpolitik immer wieder verdrängt worden.
Das Münchner Abkommen vom 29./30. September 1938 ist zu seiner Zeit als gerechte Lösung eines seit 1918 bestehenden Unrechts empfunden worden. Doch nicht nur Deutschland setzte sich für seine Minderheit ein. Auch Polen und Ungarn besetzten nach „München“ tschechische Territorien, um die Rechte ihrer Volksangehörigen durchzusetzen. Auf die Frage eines Journalisten, ob das Münchner Abkommen denn von Anfang an („ex tunc“) ungültig gewesen sei, antwortete der Sprecher des Foreign Office in London: „Die Regierung Ihrer Majestät unterschreibt niemals Abkommen, die von Anfang an ungültig sind!“
Es mag zynisch klingen, entspricht aber der historischen Wahrheit: In dem von den Nationalsozialisten seit März 1939 okkupierten „Protektorat Böhmen und Mähren“ konnten die Tschechen unter viel besseren Bedingungen leben als im Reichsgebiet. Sie wurden nicht zur Wehrmacht eingezogen, das Protektoratsgebiet wurde kaum bombardiert, Reichsprotektor von Neurath gewährte den tschechischen Arbeitern zahlreiche Vergünstigungen – vor allem auch, um die Waffenfabriken am Laufen zu halten. Daß jedoch, wie der Vorsitzende der sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt unlängst einräumte, sich auch Sudetendeutsche an dem nationalsozialistischen Regime beteiligt hatten, mußte die Wut auf die deutsche Minderheit naturgemäß besonders anstacheln. Für deutsche Verbrechen an der tschechischen Bevölkerung steht die Auslöschung des Dorfes Lidice als Vergeltung für das Attentat auf Reinhard Heydrich.
Die Rache der Tschechen nach der Niederlage Deutschlands war fürchterlich, der bekannte österreichische Völkerrechtler Felix Ermacora bezeichnete die im Mai 1945 einsetzende Vertreibung der Sudetendeutschen als „Genozid“, und auch der an der Universität Bremen lehrende Genozid-Forscher Gunnar Heinsohn spricht von „Völkermord“. Bei den so genannten „wilden Vertreibungen“ am 5. Mai in Prag wurden 17.000 Deutsche ermordet, 25.000 Brünner Flüchtlinge starben auf dem „Todesmarsch“ nach Österreich. Sowjetische Offiziere waren geschockt vom Sadismus der tschechischen Bevölkerung. Wochen vor dem „Potsdamer Abkommen“ der Siegermächte am 2. August 1945, das die „Transfers“ der Sudetendeutschen billigte, sind bereits 750.000 Deutsche aus dem Land gejagt. 60.000 wurden innerhalb des tschechoslowakischen Staatsgebiets umgesiedelt. Alles land- und forstwirtschaftliche Vermögen wurde enteignet, sämtliches Barvermögen eingezogen, die Deutschen rückwirkend zum 10. Oktober 1938 ausgebürgert oder einer Arbeitspflicht unterworfen. Allein in den böhmischen Ländern wurden 2,4 Millionen Hektar Land enteignet, 3900 Industriebetriebe und 34.000 Gewerbebetriebe entschädigungslos konfisziert. Der Alliierte Kontrollrat billigte am 20. November 1945 den „Transfer“.
Die diskriminierenden Beneš-Dekrete sind bis heute gültig und vom tschechischen Verfassungsgericht immer wieder bestätigt worden. Der von tschechischer Seite geäußerte Verdacht, mit der Aufhebung der Dekrete sollte nur die Rückgabe des Eigentums an die Sudetendeutschen ermöglicht werden, ist von Europapolitikern mehrfach entkräftet worden. Es gehe allein darum, vor dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union die tschechische Rechtsordnung und Rechtspraxis auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz zu überprüfen. Der deutsche EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen stellte sogar fest, der EU-Vertrag sei „kein rechtliches Instrument für Wiedergutmachung oder Entschädigung“. Die aktuelle tschechische Gesetzgebung solle allenfalls „auf diskriminierende Elemente gegenüber EU-Bürgern“ überprüft werden. Inzwischen hat das Europaparlament ein rechtliches Gutachten über die Bedeutung der Beneš-Dekrete für die heutige tschechische Rechtsordnung in Auftrag gegeben.
Doch die tschechische Regierung will sich von Straßburg nicht maßregeln lassen. Um gegenüber Europa zu signalisieren, daß die Politik in Tschechien geschlossen steht, wenn es um die Verteidigung nationaler Interessen geht, soll das Abgeordnetenhaus des Tschechischen Nationalrats auf Initiative von Parlamentspräsident Klaus und Ministerpräsident Miloš Zeman jetzt eine Resolution zur Bekräftigung der Beneš-Dekrete beschließen. Das Vorhaben hat jedoch erstmals einen ernstzunehmenden öffentlichen Widerstand gegen die Vertuschung des Unrechts an den Sudetendeutschen provoziert. In einer Erklärung rufen 250 tschechische Bürger, darunter zahlreiche Intellektuelle, Publizisten und Kirchenvertreter, dazu auf, eine öffentliche Debatte über die Dekrete und die Zwangsaussiedlung zu führen, die noch immer „ein schmerzliches Problem“ darstellten. „Stattdessen“, heißt es weiter, „sind wir Zeugen eines Versuches, die entfesselten nationalen Emotionen zur Demonstration einer falschen nationalen Einheit auszunutzen, die den Antragstellern Punkte in der Wahlkampagne einbringen soll.“
Die Unterzeichner befürchten eine Einschränkung der politischen Freiheit, die Verschlechterung der Beziehungen zu den Nachbarn und die Erschwerung des EU-Beitritts.
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http://www.welt.de/daten/2002/04/14/0414pg326196.htx
==============Radio Prag 2002-04-14=====================
Zaoralek: Tschechien hat sich nicht zur Revision, sondern zur Analyse der Restitutionslegislative verpflichtet
Durch die gemeinsame Erklärung von Premier Miloš Zeman und EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen vom vergangenen Donnerstag habe sich die Tschechische Republik nicht zu einer Revision der Restitutionsgesetzgebung von 1948 verpflichtet, sagte am Sonntag im privaten Fernsehsender TV Nova der Sozialdemokrat Lubomir Zaoralek, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Abgeordnetenhauses. Stattdessen sei im englischen Originaltext der Erklärung von einer Analyse dieser Rechtsnormen die Rede.
Die Verpflichtung, Rechtsnormen zu überprüfen, sei ein allgemeines Prinzip und werde auch von den übrigen Beitrittskandidaten übernommen, so Zaoralek. Er reagierte mit diesen Äußerungen auf die heftige Kritik der Bürgerdemokratischen Partei (ODS) an dem Schlußsatz der gemeinsamen Erklärung Verheugens und Zemans. Dort heißt es in der inoffiziellen tschechischen Übersetzung, die tschechischen Behörden würden eine Revision der Restitutionslegislative vornehmen.
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Hauptmann Südböhmens betrachtet Botschaft Verheugens als äußerst wichtig für seinen Landkreis
Als sehr wichtig für seine Region bezeichnete am Sonntag der Hauptmann des Kreises Südböhmen, Jan Zahradnik, die Versicherung von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen, daß die sogenannten Beneš-Dekrete keinen Einfluß auf den tschechischen Beitritt zur Europäischen Union haben. Diese Zusicherung Verheugens sei  „zur richtigen Zeit und am richtigen Ort“ erfolgt und für seinen Landkreis von außerordentlicher Wichtigkeit, sagte Zahradnik als Reaktion auf Verheugens Besuch in Südböhmen am vergangenen Freitag. In diesem Zusammenhang erinnerte der Hauptmann daran, daß sein Kreis als einziger in der Tschechischen Republik an drei Bundesländer von EU-Mitgliedstaaten angrenze.
===============Walter Mogk lieferte im Ostpreußen-Forum:==============
Anhaltende Diskussion um die Beneš-Dekrete
Besuch von EU-Kommissar Verheugen in Tschechien
Der Kommissar der EU für deren Erweiterung, Verheugen, hat auf einem Besuch in Prag mit tschechischen Politikern die Auswirkungen der sogenannten Beneš-Dekrete auf den Prozeß des Beitritts zur EU erörtert. Die Diskussion um die Dekrete scheint auf eine Unsicherheit im Umgang mit der Geschichte in Tschechien hinzudeuten.

ruh. Prag, 11. April 2002
Der Kommissar der Europäischen Union für Erweiterungsfragen, Günter Verheugen, hat am Donnerstag mit tschechischen Spitzenpolitikern die Frage erörtert, inwieweit die sogenannten Beneš-Dekrete als Teil der tschechischen Rechtsordnung den Beitritt Prags zur EU komplizieren könnten. Namentlich Österreich und Ungarn sowie deutsche Vertriebenenverbände fordern seit einiger Zeit, daß diese Dekrete, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Enteignung und Entrechtung von Sudetendeutschen, Österreichern und Ungarn in der damaligen Tschechoslowakei gedient hatten, von Tschechien noch vor dessen EU-Beitritt für ungültig zu erklären seien. Prag hält dem entgegen, die verfassungsmäßig korrekt zustande gekommenen Dekrete seien zwar immer noch Teil der Rechtsordnung, doch handle es sich um «erloschenes Recht», das nicht mehr anwendbar sei.

Im Hinblick auf den Beitritt Tschechiens zur EU und allfällige Komplikationen durch die Beneš-Dekrete lautet die entscheidende Frage, ob es auf Grundlage dieser Dekrete auch heute noch zu Diskriminierungen von Bürgern der EU kommen könnte. Verheugen und der tschechische Ministerpräsident Zeman hielten am Donnerstag in einem gemeinsamen Communiqué fest, die Anwärter auf einen Beitritt zur EU würden von Brüssel ausschließlich nach dem gegenwärtigen Zustand ihres Rechtssystems und nicht nach ihrem Verhalten in der Vergangenheit beurteilt. Die Beneš-Dekrete würden unter diesem Gesichtspunkt geprüft. Bis jetzt laute das Resultat, daß die tschechoslowakischen Präsidialdekrete zu Enteignungen und Aberkennungen der Staatsbürgerschaft keine rechtliche Wirkung mehr entfalteten. Deshalb nehme man die Position ein, daß sie nicht Teil der Beitrittsgespräche seien und keinen Einfluß auf diese haben sollten.
Der Rechtsstandpunkt Prags, daß die Dekrete heute keine Wirkung mehr entfalten könnten, ist allerdings umstritten. Als Beispiel dient etwa der Restitutionsfall Des Fours Walderode. Der damalige tschechoslowakische Staatsbürger Karel Des Fours Walderode war nach dem Krieg enteignet worden, obwohl ihm 1947 ein Gericht seine antifaschistische Haltung bestätigt und die Staatsbürgerschaft deshalb gelassen hatte. Walderode emigrierte 1949, nach der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei, und wurde ausgebürgert. Nach der Wende von 1989 erhielt er die Staatsbürgerschaft zurück und konnte nach geltendem Recht einen Antrag auf Rückerstattung seines Eigentums stellen, dem auch stattgegeben wurde. Auf Grund einer Novellierung des Gesetzes, das für Restitutionen eine ununterbrochene Staatsangehörigkeit verlangte, wurde dieser Entscheid jedoch wieder aufgehoben. Dies brachte der Tschechischen Republik 1997 eine Rüge des Menschenrechtsausschusses der Uno und die Forderung nach unverzüglicher Rückerstattung im Fall Des Fours Walderode ein. Dessen Fall ist allerdings immer noch anhängig; nach einem tschechischen Verfassungsgerichtsentscheid vom März dieses Jahres wird sich einmal mehr die erste Instanz damit zu befassen haben.
Die Angst vor einem Präzedenzfall der Rückerstattung sudetendeutschen Eigentums – auch wenn es, wenn überhaupt, nur wenige weitere analoge Fälle geben dürfte – ist in Tschechien offenbar überaus groß. Die Vehemenz, mit der gegenwärtig von Politikern die Wahrung der «nationalen Interessen» beschworen wird, deutet laut einem hiesigen Kommentator auf eine innere Unsicherheit und ein schlechtes Gewissen wegen der unbewältigten Geschichte hin.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 12. April 2002
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Verschärfte Position Wiens zu den Beneš-Dekreten
«Hindernis für Tschechiens EU-Beitritt»
cer. Wien, 12. April
Der österreichische Bundeskanzler Schüssel hat am Freitag deutlich gemacht, daß er die sogenannten Beneš-Dekrete mehr denn je als Problem im Zusammenhang mit dem geplanten EU-Beitritt Tschechiens sieht. An einer Pressekonferenz sprach der Kanzler vom «erhärteten Verdacht», daß die umstrittenen Dekrete, in denen unter dem tschechoslowakischen Nachkriegs-Präsidenten Beneš die Enteignung und Vertreibung von Sudetendeutschen, Altösterreichern und Teilen der ungarischen Minderheit verfügt wurde, nach wie vor Geltung hätten. Bisher hatte Schüssel von «totem Recht» und dann von «totem Unrecht» gesprochen.
Jetzt macht der Kanzler geltend, daß jene Dekrete via «Überleitungsgesetze» nach wie vor Geltung hätten. Dies habe eine diskriminierende Wirkung, was wiederum «mit Sicherheit nicht mit EU-Recht vereinbar» sei. Schüssel unterstrich, daß dies die gemeinsame Überzeugung von Regierung und Nationalrat in Wien sei.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 13. April 2002
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Prager Historiker Kren für Entschädigung bestimmter Vertriebener
   Prag (dpa) • Der renommierte tschechische Historiker Jan Kren hat eine Entschädigung bestimmter deutscher Vertriebener als „moralische und politische“ Pflicht der Regierung in Prag bezeichnet. Zum Beispiel seien deutsche Antifaschisten bei der Übersiedelung aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzeswidrig enteignet worden, sagte der 72-Jährige der Prager Zeitung „Pravo“ (Samstagsausgabe). In Tschechien wird eine humanitäre Geste an einen Teil der Vertriebenen derzeit innenpolitisch kontrovers diskutiert.
   Kren, der im Jahr 2000 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war, erinnerte auch an eine Benachteiligung der etwa 38 000 Mitglieder starken deutschen Minderheit in Tschechien. Viele hätten nach 1945 Zwangsarbeit leisten müssen, ohne daß ihnen diese Zeit für die Rente angerechnet werde, kritisierte Kren. „Es wäre aber eine gerechte Geste gegenüber Mitbürgern“, sagte der Historiker der„Pravo“. Wegen seiner Verdienste im bilateralen Verhältnis war Kren 1996 von der Bundesregierung mit der Goethe-Medaille geehrt worden.
   Eine Aufhebung der Beneš-Dekrete käme nach Ansicht von Kren nur in Frage, wenn Tschechien im Gegenzug internationale Garantien für eine Unveränderbarkeit der Eigentumsverhältnisse bekomme. Die Vertreibung der Sudetendeutschen bezeichnete der Historiker als „Ergebnis des Weltkrieges“. Es habe aber schon 1938 „Gedankenspiele“ des damaligen Präsidenten Edvard Beneš gegeben, betonte Kren. „Es läßt sich also nicht sagen: Das haben die Großmächte entschieden – nein, es geschah im Einvernehmen“, sagte er der „Pravo“.
   Einem Großteil der Sudetendeutschen müsse man aber vorwerfen, daß sie aus freien Stücken das Nazi-Regime unterstützt hätten, betonte Kren. Etwa 90 Prozent der Sudetendeutschen hätten 1938 die Partei von Konrad Henlein gewählt und damit zur Zerschlagung der demokratischen Tschechoslowakei beigetragen. Man dürfe aber nicht den Bruchteil der loyalen Sudetendeutschen vergessen, erinnerte Kren: „Damit, daß sie gegen den Strom schwammen, waren sie heldenhafter als wir Tschechen.“
Quelle: dpa-Meldung vom 13.04.2002

================Radio Prag 2002-04-15=======================
Verheugen nennt Streit um Beneš-Dekrete „einen Sturm im Wasserglas“
EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat den Streit um die Beneš-Dekrete als „Sturm im Wasserglas“ bezeichnet. Da die Nachkriegsverordnungen keine neue Wirkung mehr entfalten könnten, seien sie für Tschechien keine Hürde bei dem für 2004 geplanten EU-Beitritt, sagte Verheugen am Sonntagabend im Tschechischen Fernsehen. Einige Dekrete würden sicher eine Kollektivschuldthese vertreten, jedoch sei für die EU-Erweiterung nicht entscheidend, welche Rechtslage 1945 in einem Land geherrscht habe, so der EU-Kommissar. Eine andere Frage sei die politisch-moralische Frage, die sich aus den Dekreten ergeben würde. Hier sollte Tschechien mit seinen Nachbarn eine einvernehmliche Lösung finden, riet Verheugen. Ein Grund für die momentane „hitzige Atmosphäre“ sei zum Beispiel, daß es zwischen Sudetendeutschen und Tschechen nie einen ernsthaften Dialog gegeben habe, sagte der EU-Politiker im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen.
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Klaus lehnt österreichische Forderung zu „symbolischer Entschädigung“ ab
Der Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses, ODS-Chef Václav Klaus, hat sich entschieden gegen den Vorschlag der österreichischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner ausgesprochen, nach dem die Tschechische Republik den nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei vertriebenen Sudetendeutschen eine „symbolische Entschädigung“ gewähren sollte. Klaus teilte der Nachrichtenagentur CTK am Montag über seinen Berater Ladislav Jakl mit, d hinter solch einer Aufforderung die Bestrebungen stünden, neue Ansprüche an die Tschechische Republik zu stellen sowie die Nachkriegsverordnungen zu verändern. Außenministerin Ferrero-Waldner hatte am Sonntag ausgeführt, das tschechische Abgeordnetenhaus sollte eine Erklärung dahingehend abgeben, daß einige der Beneš-Dekrete Unrecht nach sich gezogen hätten und daß deren Gültigkeit mit Blick auf die Zukunft aufgehoben werden sollte. ===========================================================
2002-04-16 *„Frontal“ im ZDF: ein erstaunlicher Beitrag über die Beneš-Dekrete
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Pressemitteilung des Bundes der Vertriebenen Nr. 12
Bonn, den 9. April 2002
Premierminister Blair setzt falsches Signal für Europa
Zum Besuch des britischen Premierministers Blair am Montag in Prag erklärt BdV-Präsidentin Erika Steinbach MdB:
„Sofern das Gewissen der Menschheit jemals wieder empfindlich werden sollte, werden diese Vertreibungen als die unsterbliche Schande aller derer im Gedächtnis bleiben, die sie veranlaßt oder sich damit abgefunden haben ...  Die Deutschen wurden vertrieben, aber nicht einfach mit einem Mangel an übertriebener Rücksichtnahme, sondern mit dem denkbar höchsten Maß an Brutalität.“ Diese Worte des britischen Verlegers und Humanisten Victor Gollancz, die er in seinem denkwürdigen Buch „Our Treatened Values“ 1946 veröffentlichte, beanspruchen noch immer Geltung.
Der britische Premierminister Blair hat in Prag Verständnis für die von verschiedenen Seiten geäußerten „tiefen Gefühle“ im Streit über die Beneš-Dekrete gezeigt.
Dies ist gut, aber nicht genug.
Wenn gleichzeitig nichts unternommen wird, die verletzten Gefühle der noch lebenden Opfer von Massenvertreibungen zu heilen, zeigt dies eine Mitleidlosigkeit ihnen gegenüber. Das Europa des 21. Jahrhunderts muß sich konsequent von Menschenrechtsverletzungen, Massakern und Rechtsnormen des 20. Jahrhunderts trennen, die die Würde von Menschen mit Füßen getreten haben. Dazu behören die Beneš-Dekrete. Die Anmerkungen des tschechischen Ministerpräsidenten Zeman in diesem Zusammenhang sind an Niveaulosikeit kaum noch zu überbieten und des tschechischen Volkes unwürdig.
Das Rad der Geschichte kann nicht zurückgedreht werden, aber es ist erforderlich, Gegenwart und Zukunft so zu gestalten, daß die Würde der Opfer wiederhergestellt wird. Wenn die Tschechische Regierung die Worte des britischen Premierministers als Freibrief dafür nimmt, Rechtsvorschriften wie die diskriminierenden Beneš-Dekrete in die Europäische Union einzubringen, waren diese Worte des britischen Premierministers Blair ein falsches Signal.
Überraschend allerdings waren sie dennoch nicht. Haben doch Briten und Amerikaner mit dem Potsdamer Protokoll bereits den Genozid an mehr als 15 Millionen Menschen hingenommen.
Quelle: www.bund-der-vertriebenen.de  
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Pressemitteilung des Bundes der Vertriebenen Nr. 13
Bonn, den 11. April 2002
EU verstößt gegen eigene Kriterien
Beneš-Dekrete bleiben ein europäisches Problem
Zu den Aussagen Günter Verheugens in Prag, daß die Beneš-Dekrete für die EU kein Hindernis für die Aufnahme Tschechiens in die EU seien, erklärt BdV-Präsidentin Erika Steinbach MdB:
Die Auffassung des EU-Kommissars Verheugen, daß die tschechische Rechtsordnung mit den Beneš-Dekreten dem EU-Standard entspricht, ist erschreckend. Europas Weichen werden damit falsch gestellt, mit unabsehbaren Auswirkungen für die Zukunft. Die Erklärung des tschechischen Ministerpräsidenten Zeman, daß die Dekrete angeblich erloschen seien und als Teil der Rechtsordnung seines Staates nicht aufgehoben werden können, ist bezeichnend für den Umgang mit Unrechtsnormen. Entweder ist ein Gesetz ist erloschen oder es ist Teil der Rechtsordnung. Beides zugleich ist nicht möglich.
Verheugen irrt, wenn er meint, die Beneš-Dekrete seien eine Angelegenheit der Vergangenheit. Sie sind, was eine Reihe von Urteilen in der Tagespraxis beweist, im Gegenteil noch höchst lebendige Gegenwart, entfalten sehr wohl noch Rechtswirkungen und verstoßen damit gegen den EU-Standard. Auch wenn die EU dies anders sieht, bleiben die Dekrete mit ihrem menschenrechtsverletzenden Charakter ein Problem, das man nicht so einfach übergehen kann. Die EU-Kommission sollte die Entscheidung des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen vom 30. Oktober 2001 nicht ignorieren, in der festgestellt wird, daß die Beneš-Dekrete nach wie vor die Grundlage fortbestehender Diskriminierungen bilden und mit der europäischen und internationalen Rechts- und Werteordnung nicht vereinbar sind.
Die EU verstößt gegen ihre eigenen in Kopenhagen aufgestellten Kriterien und ihren Wertekanon, wenn sie Tschechien mit seinen menschenrechtswidrigen Gesetzen den Beitritt ermöglicht. Menschenrechtswidrige Normen können und dürfen nicht Bestandteil der europäischen Rechtsordnung werden.
Quelle: www.bund-der-vertriebenen.de
=============== Mitteilungen von Walter Mogk (Forum Ostpreußen)=======================
Russen stellen sich im Streit um Beneš-Dekrete hinter Prag - 
- MOSKAU — Der russische Präsident Wladimir Putin hat Tschechien im Streit um die Beneš-Dekrete den Rücken gestärkt: „Die Versuche bestimmter Kräfte, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu revidieren und Gesetze in Frage zu stellen, sind fern von jeder Realität“, sagte Putins außenpolitischer Berater Sergej Prichodko am Mittwoch nach einem Treffen des Präsidenten mit Tschechiens Ministerpräsident Miloš Zeman im Kreml.
Putin sei sich darin mit der tschechischen Führung einig.
Zeman hatte vor dem Treffen mit Putin gesagt, die Frage der Beneš-Dekrete werde eines der Hauptthemen seines Besuches in Moskau sein. „Es gibt einige rechtsgerichtete politische Kräfte innerhalb Europas wie Herrn (Jörg) Haider, (Edmund) Stoiber, (Viktor) Orban und andere, die, wie einige ehemalige Bündnispartner von Deutschland während des Zweiten Weltkrieges, die Ergebnisse dieses Krieges zu ändern versuchen“, so Zeman. 
Quelle: Neues Volksblatt (Österreich) vom 18. 4. 2002

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Potsdamer Abgrund – 
• Eines muß man Miloš Zeman lassen: Die Ausfälligkeiten, mit denen er den Streit um die Beneš-Dekrete erst richtig angeheizt hatte, gleicht er nun durch geschickte Schachzüge aus. Sowohl Premier Blair als auch Präsident Putin sind dem tschechischen Regierungschef auf den Leim gegangen: Zeman hat es verstanden, den Ruf nach Aufhebung der Beneš-Dekrete in London und Moskau als Versuch einer Änderung der Nachkriegsordnung darzustellen. Dabei denkt niemand auch nur im Traum an eine Revidierung der Nachkriegsordnung. Es geht bloß um die Frage, ob Nachkriegsverbrechen ungesühnt bleiben sollen. – Zeman ist es offenbar gelungen, Briten und Russen (bei den Amerikanern wird er das noch versuchen) mit dem Hinweis auf das Potsdamer Abkommen in Geiselhaft zu nehmen: Darin hatten die Siegermächte 1945 der Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa zugestimmt. Zemans Botschaft: Wer von Prag Vergangenheitsbewältigung fordert, legt sich auch mit den Siegermächten an. Weil die nicht gern über ihre Mitschuld reden, bekommt Zeman die Unbedenklichkeitserklärung für etwas, das heute eigentlich als „ethnische Säuberung“ verdammt wird. – Umso mehr ist nun die EU gefordert: Springt sie mit in den Potsdamer Abgrund oder geht doch Recht vor Siegerwillkür?
Quelle: Neues Volksblatt (Österreich) vom 18. 4. 2002
================Radio Prag 2002-04-19=======================================
Erklärung tschechischer Politiker zu den Beneš-Dekreten
Die Vorsitzenden der fünf tschechischen Parlamentsparteien haben sich am Freitag bei einem Treffen mit Außenminister Jan Kavan auf den Wortlaut einer Entschließung zu den Beneš-Dekreten verständigt. Die Arbeitsversion des Dokuments wird dem Parlament vermutlich schon in der kommenden Woche vorgelegt werden. Bis dahin soll es nicht veröffentlicht werden. Das Dokument ist für jene tschechischen Bürger bestimmt, die durch die deutschen und österreichischen Forderungen nach der Rückgabe des nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten sudetendeutschen Eigentums beunruhigt sind. Die Erklärung soll zudem den ausländischen Partnern der Tschechischen Republik zeigen, daß die Dekrete zwar Bestandteil des tschechischen Rechtssystems sind, jedoch der Vergangenheit angehören und heute nicht mehr angewandt werden.
=============== Leserbrief an die Westfälischen Nachrichten ==========================

Emil Focke, Altemarktstr. 36, D-48565 Steinfurt
Westfälische Nachrichten
– Redaktion Leserpost –
Soester Str. 13
48155 Münster

Leserzuschrift an die Westfälischen Nachrichten zum Artikel vom 20. April 2002: „Die EU-Erweiterung: Tschechien“

 Sehr geehrte Damen und Herren!
„Musterschüler auf dem Weg zur Marktwirtschaft“ von Claudia Kramer-Santel

Wer solch einen Kandidaten als Musterschüler bezeichnet, dokumentiert damit, daß sie/er ihn durch eine verschwommene Brille wahrnimmt. Es war zu lesen: „Dem Land mit seinen Teilen Böhmen, Mähren und Schlesien eilt der Ruf eines Standortes europäischer Kultur voraus, der Werte der Demokratie verteidigt.“ Diese Aussage ist, bezogen auf die heutige CR, schlicht falsch, denn das ist Historie und bezieht sich auf jene Zeit, als die genannten Länder noch zu Österreich-Ungarn gehörten. Nach 1918 hat sich in diesem Lande viel verändert. Um die Geschichte der Tschechoslowakei nach ihrer Staatsgründung von 1918 besser verstehen zu können, muß man unbedingt die Schrift: „Unser Staat und der Weltfrieden“ von Hanus Kuffner gelesen haben, denn hier wird die Grundlage, auf der es zu den berüchtigten Beneš-Dekreten gekommen ist, beschrieben. Ein Originalzitat: „Heute sind die Deutschen und die Magyaren geschlagen. Man muß das Werk der Befreiung rücksichtslos vollenden und an die Zukunft denken. Für immer ausrotten die Idee der Herrschaften und Ritter. Auch nach dem Kriege werden wir Deutschland an der Gurgel bleiben. Unsere Interessen sind mit den deutschen Interessen unvereinbar. Wenn Prag – wie es sein Recht und seine Lebensinteressen fordern – mächtig ist, sind Berlin und Wien unmöglich.“
Grenzenloser Deutschenhaß bestimmte die Politik der Exilregierung in London, bis hin zu den Exzessen, die durch die Beneš-Dekrete entfesselt wurden. Diese Dekrete sind noch nicht aufgehoben und gelten zum Teil noch heute gegenüber den verbliebenen Deutschen im Lande. Somit sucht dieser Staat abermals seinen Vorteil, zu Lasten der Deutschen, mit seinem EU-Beitrittsbegehren.

Im Kommentar „Schlechte Noten für die Politik“ unter dem Stichwort Wirtschaft heißt es in der Prager Zeitung vom 10. April 2002: „Ganz schlecht kommen die Bereiche weg, die von der Politik zu verantworten sind: Steuersystem, öffentliche Verwaltung, Wirtschaftspolitik, da reicht es gerade für eine vier, bei Rechtssicherheit und Korruption ist mit einer vier bis fünf gar die Versetzung gefährdet.“ Ist das ein Musterschüler für die EU? Somit schreiben Sie zu Recht: „Gleichwohl zeigt die Debatte, daß die Vergangenheit noch mit Hypotheken belastet ist, die mit Bekenntnissen zum Beitritt nicht automatisch beglichen sind.“

Mit dem von mir aufgezeigten Hintergrund sind unsere Politiker aufgefordert, dieses Beitrittsbegehren nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen: Emil Focke
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Sudetendeutscher Pressedienst (SdP)
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Wien, 22. April 2002/GE

Wenzel Jaksch zum Vertreibungsplan 1945
Wenzel Jaksch – führender sudetendeutscher Sozialdemokrat – richtete von seinem Londoner Exil am 20. Feber 1945 folgendes Rundschreiben an die sudetendeutschen Sozialdemokraten:

„Der Vertreibungsplan steht im krassen Widerspruch sowohl zum internationalen als auch zum tschechoslowakischen Recht.

Die darin beantragten Maßnahmen werden vor der freien Welt weder vom Standpunkt einer politischen Vergeltung aus noch unter irgendwelchen Rechtsvorwänden zu verteidigen sein. Früher oder später wird zugegeben werden müssen, daß der Aussiedlungsplan auf nackter Willkür, Vermögensraub und nationaler Rachelust beruht. Wer immer daran beteiligt war, wird sich nie mehr als zivilisierter Europäer ausgeben können.“
================Mitteilung von Walter Mogk im Ostpreußen-Forum:======================

Beneš und das «tschechische Dilemma»
Das Drama eines europäischen Politikers
Die neu aufgeflammte Diskussion über den Umgang der Tschechoslowakei mit den
Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg hat auch das Problem der Bewertung
von Person und Politik des damaligen Präsidenten Edvard Beneš wieder ins
Gespräch gebracht. Der Beitrag Präsident Havels beschäftigt sich mit der Frage,
wie Konfrontationen mit übermächtigen Gegnern das Handeln von Beneš bestimmten.
Ob pragmatische Unterwerfung oder Beharren auf einer moralischen Position besser
gewesen wäre, ist ein Dilemma, das sich in der Geschichte des Landes mehr als
einmal gestellt hat.
 
Vom tschechischen Präsidenten Vaclav Havel

Europa ist ein ungewöhnlich gegliederter, mannigfaltiger und vielgestaltiger
Kontinent. Zugleich jedoch sind alle seine Teile mit ihrem Schicksal seit je so
eng verflochten, daß man von diesem Erdteil zu Recht als von einer einzigen –
wenn auch kompliziert strukturierten – Entität sprechen kann. Jedes etwas
weiterreichende Geschehen in jedem nur möglichen Bereich menschlichen Handelns
hat immer seine direkten oder indirekten Konsequenzen für unseren Kontinent als
Ganzes gehabt. Und tausend Mal konnte sich der Franzose, Holländer, Tscheche und
Deutsche nur um sich selbst kümmern, trotzdem hat sein Handeln in seiner
Bedeutung und den Folgen immer auch die andern betroffen.

Moralische oder pragmatische Lösung?

Die böhmischen Länder liegen in der Mitte Europas, an einem exponierten Ort, an
dem kein europäischer Konflikt vorbeiging, ja, wo sogar manche europäischen
Konflikte begannen und endeten. Wir Mitteleuropäer gehören zu den besonders
erfahrenen Zeugen dessen, daß die Verflechtung Europas ein politisches Faktum
ist. Deshalb empfinden wir verstärkt unsere Mitverantwortung für das europäische
Geschehen, und deshalb werden wir uns in verstärktem Masse bewußt, welch große
historische Chance für Europa als Gesamtheit und auch für uns darin die Idee der
europäischen Integration darstellt.

Diese besondere exponierte Lage der böhmischen Länder hat in vielen bewegten
Momenten der europäischen Geschichte die Vertreter unseres Staates vor
erdrückende Dilemmas gestellt. Nämlich, ob sie dem Volk Leid zufügen sollen,
indem sie sich irgend jemandes Diktat unterwerfen oder indem sie sich ihm nicht
unterwerfen. Ob sie eine sogenannte pragmatische Lösung wählen sollen oder eine
moralische.

Ein fürchterliches Dilemma hat der tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš in
der Zeit des Münchner Diktats durchlebt. Er hat wohl gewußt, daß es sich um
die Aggression eines Wahnsinnigen handelt, abgesegnet von unseren damaligen
Verbündeten, die so nicht nur die Verträge verrieten, die sie unterschrieben
hatten, sondern auch die Werte, zu denen sie sich bekannten, und daß es im
Interesse der nationalen Würde und der Rettung der moralischen Integrität
richtig gewesen wäre, sich diesem Diktat nicht zu unterwerfen. Er hat aber
zugleich gewußt, was dies hätte bedeuten können: Tausende und Tausende von
Toten, ein zerstörtes Land und seine wahrscheinlich baldige militärische
Niederlage, zugefügt von einem unvergleichlich stärkeren Gegner.

Kampflose Kapitulation

In den dreißiger Jahren hat Edvard Beneš die besten Traditionen unseres
Kontinentes verkörpert. Er hat den damaligen Völkerbund mitgestaltet,
Friedensbeziehungen zwischen den Staaten aufgebaut und Europa vor dem um sich
greifenden Faschismus gewarnt. Mit der Voraussicht eines empfänglichen
Mitteleuropäers hat er geahnt, welches Grauen naht, und versucht, leider
erfolglos, den apathischen Westen aufzurütteln. Gerade er war es, der – trotz
dem Widerstand tschechischer Nationalisten sowie sudetendeutscher
Henlein-Anhänger – in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre unser Land für
Tausende von freidenkenden Deutschen und Österreichern öffnete, die in der
Tschechoslowakei wohl die freundlichste europäische Zuflucht fanden. Hitler hat
gegen Beneš eine haßerfüllte Propaganda entfacht, aus der einige Stereotypen
leider bis heute auch in aktuellen Diskussionen oft unbewußt, gedankenlos
akzeptiert, unterschwellig überleben.

Beneš wußte, daß seine Entscheidung, das Münchner Diktat abzulehnen, auch vom
Unverständnis und Widerstand der demokratischen Welt begleitet worden wäre, die
aus ihm einen tschechischen Nationalisten, Störenfried, Provokateur und
Hasardeur gemacht hätte, der aberwitzig hofft, auch weitere Völker in einen
Krieg hineinzuziehen, den es überhaupt nicht geben müsse.

Er hat sich für die kampflose Kapitulation entschieden, weil es ihm schien, daß
dies verantwortlicher ist, als eine mit unendlichen Opfern bezahlte Kapitulation
zu riskieren. Es ist dann trotzdem zum Krieg gekommen, und mit Opfern an Gut und
Leben haben nicht nur Tschechen, sondern auch diejenigen bezahlt, die in München
töricht glaubten, den Frieden zu retten.

Das Münchener Abkommen ist ein historisches Trauma, das das tschechische Denken
bis heute beeinflußt. Und Beneš, vom Münchener Abkommen frustriert, entschloß
sich, etwas Ähnliches nie mehr zuzulassen. Dieser Mann, dessen Verwandte Hitler
in Konzentrationslager sperren ließ, ist im Londoner Exil zum Symbol des
tschechischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus und unserer demokratischen
Tradition geworden; zu dem, was de Gaulle für die Franzosen und Königin
Wilhelmine für die Niederländer oder auch Churchill für die Briten war. Ich
erinnere mich gut, wie die Menschen nach dem Krieg Beneš schätzten und wie viel
Hoffnung sie in ihn legten. Er war für sie die wirkliche Garantie unserer
Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit und unserer guten Perspektiven.

Vom Ursprung des Bösen

Wie ist es schließlich passiert, daß er, 1948 ein alter und gebrochener Mann,
vor den kommunistischen Putschisten kampflos zurückwich? Wie ist es passiert,
daß sich dieser Mann, der sich zu europäischen liberalen und demokratischen
Traditionen bekannte, gehaßt von den Nazis sowie von den Kommunisten,
allmählich die Idee zu eigen machte, daß ein langfristiger Frieden nur durch
die Aussiedlung von Millionen von Deutschen gesichert werden kann? Es ist zu
billig und oberflächlich, diese Frage abzutun und ihn verkürzt in einem Atem mit
Miloševic oder Stalin zu nennen. Edvard Beneš hat diese Vorstellung mit
Politikern wie Churchill, Roosevelt, mit polnischen Politikern wie Sikorski und
Mikolajczyk geteilt.

Das Handeln von Beneš in den tragischen Münchener Tagen sowie in der
Nachkriegszeit wird wohl ein Dauerthema von Diskussionen sein. Ich neigte immer
und neige auch heute eher zu einer kritischen Meinung über seine Entscheidungen
in diesen schicksalhaften Momenten. Diese Entscheidungen hatten nämlich etwas
Gemeinsames: der moralischen wurde die sogenannte pragmatische Lösung
vorgezogen. Was mich heute jedoch viel mehr als die ständige Kritik an Beneš
wegen seiner Kapitulationen vor dem Bösen interessiert, ist der Ursprung dieses
Übels, dessen Entwicklung und die gesellschaftlichen Mechanismen seines
Tolerierens. Und selbstverständlich auch das Phänomen, das mehr als andere
interessant ist und immer etwas übersehen wird: nämlich unser aller Fähigkeit,
eigenes Versagen in ausgewählte Opferlämmer zu projizieren und durch deren
ständige Kritik uns selbst vor dem eigenen Gewissen reinzuwaschen. Viel mehr als
die Frage, warum Beneš schließlich das Münchener Abkommen und die Idee der
Aussiedlung angenommen hat, ist für mich also eine andere Frage interessant: Wie
kam es, daß er das überhaupt hat machen können und daß es so wenig Widerstand
hervorgerufen hat?

Ich will nicht die politischen Entscheidungen eines Einzelnen relativieren und
die Verantwortung dafür abmildern. Es gehört zum Schicksal des Politikers, daß
er ab und zu für andere entscheiden muß und dann die Verantwortung für seine
Entscheidungen vor ihnen, aber auch vor dem Gericht der Geschichte zu tragen
hat. Ich weise nur darauf hin, daß dieses Gericht, wenn es gerecht sein soll,
auch darauf achten muß, ob sich nicht jemand, sämtliche Verantwortung auf einen
einzigen Mann übertragend, auch seiner eigenen Verantwortung entledigt.

Wiederbelebung alter Feindbilder

Heutige europäische Politiker, aber auch Journalisten und weitere öffentlich
Tätige sollten sich deshalb bewußt werden, daß sie die Verantwortung nicht nur
für ihre Taten, sondern auch für ihre Passivität tragen, wenn sie der Versuchung
erliegen, die Geister des Nationalismus und alter historischer Streitigkeiten
aus ihren Flaschen zu lassen, oder wenn sie diesen nicht entschieden Paroli
bieten. Leider wird die Wiederbelebung alter Feindbilder in der letzten Zeit in
Mitteleuropa zur Mode. Wir sollten nicht zulassen, daß diese Erscheinung zum
unauffälligen Beginn einer unseligen Entwicklung auf unserem Kontinent wird.

Ich bin fest überzeugt, daß die Zeit jener fürchterlichen Dilemmas, vor denen
der europäische Politiker Edvard Beneš stehen mußte, vorbei ist. Ich bin aber
auch davon überzeugt, daß, wenn wir doch irgendwann vor solchen Dilemmas stehen
müßten, die menschliche und politische Geschichte von Beneš uns als Quelle
allseitiger Belehrung dienen kann. Diese Geschichte ist nämlich ein großes
Drama der modernen Zeit. Und jedes Drama ist eine Herausforderung für den
Menschen. Wie wir diese Herausforderung verstehen und was wir daraus für uns
selbst ableiten, ist allerdings nur noch Sache unseres Gewissens.

Quelle: Neue Zürcher Zeitung vom 19.04.2002
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EU: Beneš- Dekrete nicht rechtswirksam
Wien – Ein von der EU-Kommission in Auftrag gegeBeneš, aber noch unter
Verschluß gehaltenes Rechtsgutachten, kommt zum Schluß, daß die Beneš-Dekrete
heute keine Rechtswirkung mehr besitzen. Das berichtet das Nachrichtenmagazin
Format in seiner heute, Freitag, erscheinenden Ausgabe. Damit nimmt die
EU-Kommission einen völlig anderen Standpunkt ein als die Österreichische
Regierung. Diese geht davon aus, daß die Beneš-Dekrete nach wie vor
rechtswirksam sind.

Die Brüßler Juristen haben zwölf für die Sudetendeutschen relevante Dekrete
untersucht. Nur bei Dekret Nummer 16 hatten die Juristen kurz gezögert. Darin
war für Deutsche im damaligen Tschechien, die mit den Nazis kollaborierten, auch
die Todesstrafe vorgesehen. Eine Verjährungsfrist war nicht angegeben.
Augenscheinlich werden Deutsche in Tschechien heute jedoch nicht mit dem Tod
bedroht. Die Schlußfolgerung der Juristen: Auch dieses Gesetz ist nicht
rechtsgültig.

Der juristische Dienst der EU hat deshalb am Ende befunden, daß die
Beneš-Dekrete in ihrer Gesamtheit den Beitritt der Tschechischen Republik nicht
behindern. Ähnlich hatte sich bereits der EU-Erweiterungskommissar Günter
Verheugen bei seinem jüngsten Besuch in Prag geäußert: Die Beneš-Dekrete
gehörten der Vergangenheit an, sagte er dort. (red)

Quelle: Der Standard vom 19.04.2002
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Prager Erklärung zu Beneš-Dekreten
heik Prag • Die umstrittenen Beneš-Dekrete bleiben Bestandteil der tschechischen
Rechtsordnung. Darauf haben sich am Freitag die Vorsitzenden aller fünf
Parlamentsfraktionen verständigt. Mit der gemeinsamen Erklärung soll die
tschechische Bevölkerung „beruhigt“ werden, daß ihr keine Enteignungen drohten
und die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs nicht angezweifelt würden, betonte
Außenminister Jan Kavan. Zudem solle dem Ausland signalisiert werden, daß die
Dekrete, die nach 1945 die rechtliche Grundlage für die Enteignung der
Sudetendeutschen bildeten, der Vergangenheit angehörten und heute keine
diskriminierende Wirkung mehr hätten. In der nächsten Woche soll der bisher
unveröffentlichte Text dem Parlament vorgelegt werden. Das Abgeordnetenhaus
solle „als Repräsentant des politischen Willens des gesamten tschechischen
Staates einen klaren Standpunkt in dieser sensiblen Frage“ einnehmen, sagte der
Vorsitzende der Sozialdemokraten, Vladimir Spidla. Mehrere Hundert
Intellektuelle beklagten dagegen in einem Aufruf „Stopp dem Nationalismus“, daß
die Parteien „nationale Emotionen zur Demonstration einer falschen nationalen
Einheit“ ausnutzen und den Meinungspluralismus einschränken wollten. Derweil
kündigten Vertriebene aus Österreich an, Restitutionsklagen gegen tschechische
Kommunen stellen zu wollen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 20.04.2002
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EU prüft noch einige Beneš-Dekrete
Erklärung in Tschechiens Parlament geplant
Brüssel/Prag • Entgegen Medienberichten hält die EU-Kommission nach derzeitigem Stand nicht alle Beneš-Dekrete für unbedenklich. Die Kommission widersprach am Freitag einer Meldung des Magazins Format, wonach einem internen Bericht der
Brüsseler Behörde zufolge die Dekrete in Tschechien keine Rechtswirkungen mehr
entfalteten. Ein Sprecher von Erweiterungskommissar Günter Verheugen betonte
demgegenüber die Position der Kommission, wonach jedenfalls die Dekrete, die die
Entziehung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft und die Enteignungen
verfügten, keine rechtlichen Folgen mehr hätten. Das Amnestiedekret, das für
Verbrechen im Zuge der Vertreibung der Sudetendeutschen Straffreiheit
garantierte, sowie einige andere Dekrete würden derzeit noch geprüft, so der
Sprecher Verheugens.

In Prag haben sich die Chefs der tschechischen Parteien am Freitag auf den Text
einer Erklärung des Abgeordnetenhauses zu den Beneš-Dekreten geeinigt, die am
Dienstag beschlossen werden soll. Laut Außenminister Jan Kavan soll die
Erklärung dem Ausland demonstrieren, daß die Dekrete heute nicht mehr geltend
gemacht werden könnten, und zugleich die tschechischen Bürger beruhigen. (red)

Quelle: Der Standard vom 20.04.2002
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Mit Recht
bko. In Europa dürften die Beneš-Dekrete keinen Bestand haben, hat der
bayerische Ministerpräsident Stoiber gesagt; wenn er Bundeskanzler wird, will er
dafür sorgen. Das ist er sich schon als „Schirmherr“ der Sudetendeutschen
schuldig. Viele seiner Wähler wenden sich mit Grausen von einer deutschen
Sozialdemokratie ab, der es egal ist, welcher Ungeist in die angebliche
Wertegemeinschaft namens EUaufgenommen wird. Wird Stoiber gar den Beitritt Prags
von der Aufhebung der Entrechtungsdekrete abhängig machen? Das ist weder vor
noch nach der Wahl wahrscheinlich. Denn im Wahlkampf würde ihm vorgehalten, er
bediene – wie Haider – ja doch nur dumpfe Ängste vor der Ost-Erweiterung. Und
welche außenpolitische Macht hat schon die Opposition? Im Kanzleramt angelangt,
müßte Stoiber die strategischen Interessen Deutschlands berücksichtigen, zu
denen die Erweiterung der europäischen Stabilitätszone durch die Ostverschiebung
der EU-Grenze zählt. Gleichwohl erinnert Stoiber mit Recht daran, daß das
Gelingen der europäischen Einigung nicht nur von einer möglichst großen Zahl von
EU-Mitgliedstaaten abhängt, sondern auch davon, ob sie auch ein gemeinsames
Verständnis von Recht und Moral haben. Eurokraten wie Verheugen mögen glauben,
daß sich das an der Übereinstimmung von Abgaswerten ablesen läßt. Den Bürgern
Europas kann das nicht reichen.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. 04. 2002
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Chamäleon Verheugen
DER STANDPUNKT
MANFRED PERTERER
Einmal so, dann wieder so: Man wird nicht schlau aus EU-Erweiterungskommissar
Günter Verheugen. Der Mann aus Brüssel versteht es zur Zeit wie kaum ein
anderer, grenzenlose Verwirrung zu stiften. Der Inhalt seiner öffentlichen
Äußerungen hängt offenbar nicht damit zusammen, was Sache ist, sondern, wo er
sich gerade befindet.

Hält sich Verheugen gerade in Tschechien auf, so flötet er sinngemäß, die
Beneš-Dekrete stellten aus heutiger EU-Sicht kein Hindernis für den Beitritt
dar. Verschlägt es den Deutschen aber nach Wien, so läßt er ebenso salbungsvoll
verlauten, man müsse über das eine oder andere Dekret durchaus noch nachdenken.

Dabei sagt der Mann die Wahrheit. Jedoch nur die halbe. Je nachdem. Es stimmt,
daß der Großteil der Beneš-Dekrete heute keine Wirkung mehr entfaltet und daher
ad acta gelegt werden kann. Es stimmt aber auch, daß einzelne Punkte der
Dekrete noch geprüft werden müssen, etwa die Generalamnestie selbst für
Schwerverbrecher.

Verheugens Absicht ist klar: Er will weder Öl in einen ohnehin hitzigen
tschechischen Wahlkampf gießen, noch zum Steigbügelhalter für eine beispiellose
Haß-Kampagne der österreichischen Rechten gegen unsere östlichen Nachbarn
werden. Mit seinen chamäleonartigen Auftritten erreicht er genau das Gegenteil.
© SN. Quelle: Salzburger Nachrichten vom 23.04.2002
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Beneš: Prag weist Verheugen-Aussage zurück
Tschechische Spitzenpolitiker haben die jüngste Äußerung von EU-Kommissar Günter
Verheugen zurückgewiesen, wonach man über einige der umstrittenen Beneš-Dekrete
noch reden müsse. Der „Außenminister“ in der „Schattenregierung“ der
oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei ODS, Jan Zahradil, lehnt Verheugens
Forderung kategorisch ab. Die Chefin der oppositionellen rechtsliberalen
Freiheitsunion-Demokratischen Union (US-DEU), Hana Marvanova, lehnt es ab, daß
Prag die 56 Jahre alten Amnestien noch einmal beurteile. Außenminister Jan Kavan
fürchtet indes nicht, daß das EU-Parlament die Beitrittsverhandlungen
Tschechiens komplizieren könnte.
Quelle: Wiener Zeitung vom 23.04.2002
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Vertreibung bleibt Wahlkampfthema
Mit einer Resolution will das Prager Parlament die Debatte über die
Beneš-Dekrete beenden. Dies wird nicht gelingen

Prag taz  Heute soll ein weiterer Strich unter die Diskussion um die so
genannten Beneš-Dekrete gezogen werden: Das tschechische Abgeordnetenhaus will
eine gemeinsame Erklärung an diejenigen verabschieden, die in Österreich, Ungarn
und Deutschland immer wieder die Aufhebung der Vetreibungsdekrete fordern. Diese
seien, so die Resolution, als eine Folge der Niederschlagung des Nazismus
entstanden. Zu dieser Zeit seien sie gültig gewesen, aber „heute können auf
ihrer Grundlage keine neuen Rechtsverhältnisse entstehen.“

Die Erklärung, auf deren Wortlaut sich die Chefs aller parlamentarischen
Parteien Ende vergangener Woche einigten, weist jegliche Versuche zurück „Fragen
zu öffnen, die mit dem Ende und dem Ergebnis des zweiten Weltkriegs
zusammenhängen“ und bezeichnet „gute nachbarschaftliche Beziehungen“ sowie eine
“volle Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU“ als eine Priorität
der tschechischen Außenpolitik. Unbeeindruckt von verschiedenen Forderungen nach
Aufhebung der Dekrete betont die Resolution, daß „Rechts- und
Eigentumsverhältnisse, die aus ihnen hervorgegangen sind, unbezweifelbar,
unantastbar und unabänderlich sind“.

Ziel der Erklärung sei es, so Außenminister Jan Kavan, Signale zu geben.
“Signale an unsere Bürger, daß sich nichts ändern wird und ihr Eigentum
unantastbar bleibt und Signale an das Ausland, daß wir keine Gesetzgebung
haben, die nicht im Einklang mit dem Recht der EU steht“. Abgeschlossen sei das
Thema mit der Erklärung aber noch nicht, sagte Parlamentspräsident Václav Klaus,
der als Vorsitzender der Bürgerdemokraten (ODS) die Dekrete zu einem zentralen
Thema seines Wahlkampfes für den Urnengang am 14. und 15. Juni gemacht hat.

Tatsächlich scheint es fraglich, ob die großen Parteien überhaupt ein Interesse
an einem Ende der Diskussion über die Dekrete haben. Bietet der Streit doch eine
wunderbare Plattform, sich als Verteidiger der tschechischen Staatlichkeit
darzustellen und Stimmen einzuheimsen, ohne sich Fragen über die wirtschaftliche
Lage stellen zu müssen. So enthüllte Klaus zum Wahlkampfauftakt den neuen Slogan
der ODS ausgerechnet auf dem Edvard-Beneš-Platz in Liberec: „Die ODS wählt
nationale Interessen.“ Die Symbolik ist klar: Liberec/Reichenberg war einst
Hauptstadt des Reichsgaus Sudetenland. ULRIKE BRAUN

Quelle: taz Nr. 6732 vom 23.4.2002, Seite 11, 78 Zeilen (TAZ-Bericht)
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„Beneš-Dekrete“: Geschichte und Tragik der Sudetendeutschen
Ausstellung vom 24. bis 27. April im „Theater am Steg“
Von Mittwoch, 24. April, bis Samstag, 27. April, ist im „Theater am Steg“ in der
Johannesgasse 14 eine Ausstellung zum Thema „Vertreibung der Sudetendeutschen“
zu sehen. Begleitet wird die Schau von einem Rahmenprogramm.

Die Ausstellung mit dem Titel „Beneš-Dekrete: Mord und Vertreibung“ gibt einen
guten Einblick in die Geschichte und Tragik der Sudetendeutschen. Ein
interessantes Programm mit Vorträgen, Publikumsdiskussionen und Filmvorführungen
begleitet diese viertägige Veranstaltung. Die Ausstellung ist am 24. April von
15 bis 18.30 Uhr und vom 25. bis 27. April von 10 bis 19.30 Uhr zu besichtigen.
Der Eintritt ist frei. Nähere Informationen unter Tel. 0664/ 817 09 24. Das
Rahmenprogramm startet am Mittwoch, 24. April, 18.30 Uhr, mit der Eröffnung
durch Landesrat Ernest Windholz. Anschließend Kurzvortrag und Filmvorführung.
Donnerstag, 25. April, 18.30 Uhr: Filmvorführung „Sudetendeutsche und
Tschechen“, Teil 1. 19.30 Uhr: Lesung sudetendeutscher Zeitzeugenberichte.
Freitag, 26. April, 18.30 Uhr: Filmvorführung „Sudetendeutsche und Tschechen“,
Teil 2. 19.30 Uhr: Lesung sudetendeutscher Zeitzeugenberichte. Samstag, 27.
April, 18.30 Uhr: Filmvorführung „Sudetendeutsche und Tschechen“ 19.30 Uhr:
Vortrag zur Ausstellung mit Diskussion.

Quelle: Badener Zeitung vom 23.04.2002
============Radio Prag 2002-04-23====================
Treffen Havel – Klaus
Staatspräsident Vaclav Havel und Abgeordnetenchef Vaclav Klaus sind am
Dienstag zu einem Dienstessen in Havels Amtssitz, der Prager Burg,
zusammengekommen. Beide Politiker erklärten anschließend, daß sie trotz
zahlreicher Meinungsverschiedenheiten in der Lage seien, konstruktiv über
die Interessen der Tschechischen Republik zu verhandeln.

Havel erklärte, er unterstütze die Erklärung zu den sog. Beneš-Dekreten, auf
die sich die Vorsitzenden der 5 Parlamentsparteien geeinigt hatten. Das
Abgeordnetenhaus soll die gemeinsame Deklaration am Mittwoch verabschieden.
Klaus würdigte Havels Zustimmung als wichtiges Symbol für die Einigkeit der
tschechischen politischen Szenen in dieser Frage.
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Stenzel: Beneš-Dekrete können bei Beitrittsgesprächen zum Thema werden
Am Dienstag hat der gemeinsame Ausschuß der tschechischen Volksvertreter
und einer Delegation des Europaparlaments seine zweitägigen Verhandlungen in
Prag beendet. Dabei hat man sich trotz z.T. kontroverser Ansichten auf den
Kompromiß geeinigt, daß die umstrittenen Beneš-Dekrete keine Hürde für den
tschechsichen EU-Beitritt darstellen sollen.

Die Vorsitzende des Ausschusses Ursula Stenzel betonte auf der
anschließenden Pressekonferenz jedoch, diese Angelegenheit könne im Rahmen
der tschechischen EU-Beitrittsverhandlungen durchaus eine Rolle spielen. Sie
hoffe, daß die vom tschechischen Parlament angestrebte Deklaration nicht
dazu führe, Türen zu schließen, ergänzte Stenzel.

Der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, der
ebenfalls der EU-Delegation angehörte, bezeichnete die Vorlage als „Beweis
für Tschechiens Autismus“ in der Frage der Nachkriegsverordnungen.

Er riet dem tschechischen Abgeordnetenhaus, sich von den „rassistischen“ und „diskriminierenden“ Dekreten zu distanzieren.
================Radio Prag 2002-04-24======================================
Abgeordnetenhaus verabschiedet Resolution zu Beneš-Dekreten
Das tschechische Abgeordnetenhaus hat am Mittwoch eine gemeinsame Resolution
zu den umstrittenen Beneš-Dekreten verabschiedet. An dem Text der Erklärung,
auf den sich die Vorsitzenden der 5 Parlamentsparteien bereits am
vergangenen Freitag geeinigt hatten, wurde nichts verändert. Alle 169
anwesenden Abgeordneten stimmten der Deklaration zu. Darin heißt es, die
Rechts- und Besitzverhältnisse, die aus den Nachkriegsgesetzen und
Präsidialdekreten resultierten, seien nicht anzweifelbar, unantastbar, und
unveränderlich. Das Abgeordnetenhaus erklärte weiter, daß die Dekrete als
Folge der Niederlage des Nazismus entstanden waren. Sie seien in der Zeit
nach deren Annahme realisiert worden und heute könnten auf deren Grundlage
keine neuen Rechtsverhältnisse entstehen.
================Mitteilungen von Walter Mogk (Ostpreußen-Forum)====================
Tschechiens Parlament bestätigt Beneš-Dekrete

Einstimmig hat das tschechisches Parlament die Gültigkeit der Beneš-Dekrete
bestätigt. Auch Präsident Havel teilt diese Auffassung.

Das tschechische Parlament hat am Mittwoch einstimmig die umstrittenen
Beneš-Dekrete bestätigt, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertreibung
der Sudetendeutschen verfügt wurden. Alle 169 der 200 anwesenden Abgeordneten
stimmten in Prag dafür, die Erlasse unverändert zu lassen.

Staatspräsident Beneš hatte in Dekreten die Vertreibung von drei Millionen
Deutschen und die Beschlagnahmung ihres Besitzes angeordnet.

Politiker und Prominente in Deutschland und Österreich haben immer wieder an
Tschechien im appelliert, die Beneš-Dekrete für null und nichtig zu erklären.

In einer Resolution der Abgeordnetenkammer hieß es dazu, Tschechien weise alle
Versuche zurück, Fragen im Zusammenhang mit dem Ende und Ergebnissen des Zweiten
Weltkriegs wieder aufzuwerfen.

Staatspräsident Vaclav Havel erklärte, die Resolution drücke auch seine Meinung
aus. (nz)

Quelle: Netzeitung, 24.04.2002

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Tschechien bezeichnet Beneš-Dekrete als „unantastbar“

PRAG. Das tschechische Abgeordnetenhaus hat verabschiedete heute einstimmig eine
Erklärung, in der die Beneš-Dekrete als unantastbar und unveränderlich
bezeichnet werden. In dem kurzen Dokument wird weiters ausdrücklich betont, daß
man die Rechts- und Eigentumsverhältnisse, die aus der tschechoslowakischen
Gesetzgebung der Jahre 1940 bis 1945 hervorgehen, nicht in Frage stellen könne.
Die sudetendeutsche und ungarische Bevölkerung der damaligen Tschechoslowakei
war aufgrund einiger Dekrete, die der damalige Präsident Edvard Beneš nach dem
zweiten Weltkrieg erlassen hatte, enteignet und vertrieben worden.

In der Erklärung steht weiters, daß die Nachkriegs-Dekrete des
Staatspräsidenten sowie die Nachkriegs-Gesetze bereits in der Zeit nach ihrer
Erlassung umgesetzt worden seien daher könnten heute auf deren Grundlage keine
neuen Rechtsverhältnisse mehr entstehen. Die Gesetzgebung der Jahre 1940 bis
1945, einschließlich der Präsidenten-Dekrete, sei ähnlich wie in anderen
europäischen Ländern eine Folge des Krieges und der Niederlage des Faschismus.

Hinsichtlich der Eigentumsforderungen der Sudetendeutschen erklärt das Dokument
, daß das Ausmaß und die Bedingungen der Restitutions-Gesetzgebung
ausschließlich Vollmachten der Verfassungsorgane der Tschechischen Republik
seien. Auf den Text dieser Erklärung hatten sich die Parlamentsparteien in der
vergangenen Woche geeinigt, am Dienstag hatte sich auch Staatspräsident Vaclav
Havel für die Erklärung ausgesprochen.

Quelle: Oberösterreichische Nachrichten vom 24.04.2002

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Streit im Parlament um Beneš-Dekrete

dpa Prag. Eine geplante Resolution des tschechischen Parlaments über die
umstrittenen Beneš-Dekrete hat gestern in Prag zu einer scharfen
Auseinandersetzung geführt. In der Entschließung heißt es u. a., daß Prag alle
Bemühungen ablehne, „die Nachkriegsergebnisse zu revidieren“. Der Vorsitzende
der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, der sich mit einer
EU-Delegation in Prag aufhielt, riet dem tschechischen Abgeordnetenhaus, sich
von den „rassistischen“ und „diskriminierenden“ Dekreten zu distanzieren.

Quelle: Nordwest-Zeitung vom 24.04.2002

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Dokumentation  

Auszüge aus den Beneš-Dekreten

Prag/dpa. Insgesamt 147 Dekrete hat der damalige CSR-Präsident Edvard Beneš
(1884-1948) zwischen 1940 und 1945 zur Wiederherstellung der Verfassungsordnung
in der Tschechoslowakei erlassen. Auf Grundlage von fünf der Verfügungen wurden
die im Lande lebenden etwa drei Millionen Deutschen sowie die ungarische
Minderheit ihrer politischen Rechte und wirtschaftlichen Lebensgrundlage
beraubt.

Zur entschädigungslosen Enteignung von Gegenständen heißt es (Dekret Nr. 5,
Paragraf 4a, vom 19. Mai 1945): «Als staatlich unzuverlässige Personen sind
anzusehen: Personen deutscher oder magyarischer Nationalität.» Ihr Eigentum war
nach Paragraf 2.1 «unter nationale Verwaltung zu stellen».

Zur entschädigungslosen Enteignung von Immobilien heißt es (Dekret Nr. 12,
Paragraf 1.1a, vom 21. Juni 1945): «Mit sofortiger Wirksamkeit und
entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche
Vermögen enteignet, das im Eigentum steht: aller Personen deutscher und
magyarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit.»

Zur Ausbürgerung heißt es (Dekret Nr. 33, Paragrafen 1,1 und 1.2, vom 2. August
1945): «Die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer
Nationalität, die nach den Vorschriften einer fremden Besatzungsmacht die
deutsche oder magyarische Staatsbürgerschaft erworben haben, haben mit dem Tage
des Erwerbs dieser Staatsangehörigkeit die tschechoslowakische
Staatsbürgerschaft verloren. Die übrigen tschechoslowakischen Staatsbürger
deutscher oder magyarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische
Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses Dekret in Kraft tritt.»

Zum Schutze vor Strafverfolgung heißt es in einem am 8. Mai 1946 von der Prager
Nationalversammlung erlassenen Gesetz: «Eine Handlung, die zwischen dem 30.
September 1938 und dem 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde, um einen Beitrag zum
Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten,
(...) ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden
Vorschriften strafbar gewesen wäre.»

(Anmerkung: Bei den meisten Dekreten bestand ein Widerspruchsrecht. Im Chaos der
unmittelbaren Nachkriegszeit herrschten aber in der Tschechoslowakei kaum die
politische Atmosphäre oder die amtlichen Voraussetzungen für eine detaillierte
Prüfung. Nach Ansicht von Juristen beruhen viele der Dekrete, die nie aufgehoben
worden sind, auf dem Prinzip einer Kollektivschuld der deutschen und ungarischen
Minderheit. Dies widerspricht aber den allgemeinen Menschenrechten.)

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung (Halle/Saale) vom 24.04.2002

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Hinderungsgrund Österreich

Die Zustimmung zur EU-Erweiterung kann für die Blauen noch an vielen Punkten
scheitern. „Wenn das Parlament in Prag beschließt, an den Beneš-Dekreten
festzuhalten, dann beschließt es, daß Tschechien nicht der Union beitritt“,
stellt [FPÖ-Klubchef] Westenthaler Österreichs Nachbarn die Rute ins Fenster.
“Wenn EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen meint, die Dekrete sind kein
Hinderungsgrund, dann wird Österreich einer sein“, droht der Freiheitliche wie
schon beim AKW Temelin mit Veto.

Quelle: Kurier (Wien) vom 24.04.2002

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Aufnahme Tschechiens in die EU Absage erteilt 

Professor Hampel sprach auf Einladung der Senioren-Union über die
Beneš-Dekrete – „Keinen Präzedenzfall schaffen“

GIESSEN (fm). „Wenn die an über drei Millionen Sudetendeutschen begangene
Entrechtung, Enteignung und Vertreibung stillschweigend übergangen wird, ist das
eine moralische Bankrotterklärung des sich vereinigenden Europas“, sagte
Professor Adolf Hampel, emeritierter Theologe der Gießener
Justus-Liebig-Universität im überfüllten Vortragssaal des
Konrad-Adenauer-Hauses. Vor rund 70 Mitgliedern der Senioren-Union des
CDU-Kreisverbandes Gießen erteilte er der Aufnahme Tschechiens in die
Europäische Union eine scharfe Absage, so lange nicht die
Beneš-„Unrechtsdekrete“ von 1945 aufgehoben werden. Falls die deutsche
Öffentlichkeit den EU-Beitritt ehemaliger Vertreiberstaaten stillschweigend
billige, werde damit ein Präzedenzfall geschaffen, der Europas Werte aushöhle,
sagte Hampel, der sich als Sudetendeutscher und Heimatvertriebener schon seit
Jahrzehnten für die Aussöhnung mit dem tschechischen Volk eingesetzt hat.
„Unrecht bleibt Unrecht – auch nach mehr als einem halben Jahrhundert“, erklärte
der Vorsitzende der Senioren-Union, Professor Edgar Harsche, bei seiner
Begrüßung. Unter dem Titel „Mit den ‚Beneš-Dekreten’ in die EU?“ wies Harsche
die Beschimpfungen der Sudetendeutschen als „Fünfte Kolonne“ und
„Landesverräter“ durch den tschechischen Premierminister Miloš Zeman scharf
zurück. Ausführlich ging er auf die Folgen der vom tschechoslowakischen
(Exil-)Präsidenten Eduard Beneš zwischen 21.August 1940 und dem 28.Oktober
1945 erlassenen 143 Dekrete ein, von denen etwa 15 die Entrechtung und
Enteignung der Deutschen und Magyaren in der Tschechoslowakei zum Gegenstand
hatten. Im Zusammenhang mit der offenen sudetendeutschen Frage hat das
Europäische Parlament die Regierung der Tschechischen Republik aufgefordert, die
Beneš-Dekrete zurückzunehmen. Diese zentrale Forderung der Sudetendeutschen
werde von der gegenwärtigen deutschen Regierung nicht geteilt, kritisierte
Hampel. Vielmehr übten sich führende Regierungsmitglieder in „zynischer
Kameraderie“ mit der tschechischen Regierung.
„Günter Grass’ Buch ‚Im Krebsgang’ und die jüngste Diskussion um die
Beneš-Dekrete hat uns in der Bundesrepublik wieder salonfähig gemacht“,
betonte Hampel, der vor knapp zwei Jahren zusammen mit seinem Kollegen Rudolf
Grulich ein Buch mit dem Titel seines Vortrags veröffentlicht hat, in dem das
Verhältnis von Sudetendeutschen und Tschechen analysiert wird. Dies sei
„vielleicht die letzte Gelegenheit, wo sich die Öffentlichkeit mit uns
beschäftigt“. Unter dem Beifall der rund 70 Zuhörer plädierte der Referent für
eine Mobilisierung aller Kräfte. Unter keinen Umständen dürfe hingenommen
werden, daß die Vertreibung der Deutschen von Tschechien als legal, legitim und
rechtens hingestellt werde. Denn, so Hampel abschließend, „Einsicht in die
Unumkehrbarkeit der Geschichte darf nicht zur Legitimation begangener Verbrechen
pervertiert werden.“ 

Quelle: Gießener Anzeiger vom 24.04.2002

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Kluft Tschechien-EU

Tschechiens Parlament zu Beneš-Dekreten

PRAG (SN-hkk).

Eine Resolution des parlamentarischen Ausschusses von EU und Tschechien zu den
Beneš-Dekreten wäre am Dienstag in Prag fast gescheitert. Dies berichtete Ursula
Stenzel (ÖVP), Vorsitzende dieses Ausschusses und Abgeordnete des EU-Parlaments,
den SN. Nach zweitägigen Debatten wurde zwar ein gemeinsamer Text formuliert,
tatsächlich wurden aber nur Differenzen festgeschrieben: Erklärt wird, daß die
Vertreter des Tschechischen und des Europäischen Parlaments anderer Meinung
seien und daß die Beneš-Dekrete kein Hindernis für den EU-Beitritt sein sollten
(was nicht ausschließt, das sie es sein könnten).

Kurz vor den Parlamentswahlen im Juni bereitet Tschechiens Parlament eine
Resolution zu den Beneš-Dekreten vor. Am Dienstag wurde diese im Plenum
debattiert, ein Beschluß steht noch aus. Dem Entwurf zufolge wird erklärt, daß
auf Grund der Dekrete „keine neuen Rechtsbeziehungen entstehen können“ und daß
die durch die Dekrete bedingte Eigentumsordnung „unbestreitbar, unantastbar und
unveränderbar“ sei.

“Wir hoffen, daß das nicht das letzte Wort ist“, sagte Stenzel. Allerdings: In
den Formulierungen gebe es Spielraum, „der hoffen läßt, daß dies eine Lösung
im Sinne Österreichs möglich macht“.

Man dürfe Erklärungen während des Wahlkampfes keine große Bedeutung beimessen,
sagte Hannes Swoboda, Geschäftsführer der Sozialdemokraten im EU-Parlament. Nur
etwaige Widersprüche der Beneš-Dekrete zum EU-Recht müßten vor dem EU-Beitritt
beseitigt werden; politische Problem könnten auch danach gelöst werden.

Quelle: Salzburger Nachrichten vom 24.04.2002

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Tschechiens Parteien schüren die Angst vor dem Westen

Beneš-Dekrete sollen „unantastbar“ werden

Von Hans-Jörg Schmidt

Prag – War es nur böhmische Schlampigkeit oder Angst vor der eigenen Courage?
Mehr als 100 Tagesordnungspunkte für die derzeitige Sitzungsperiode des
tschechischen Unterhauses konnte man auf der Internet-Seite des Prager
Parlaments nachlesen; der wichtigste aber fehlte: Erstmals planen die
Abgeordneten aller Parteien eine gemeinsame Stellungnahme, noch dazu eine, die –
glaubt man der Absicht ihrer Initiatoren – verhindern soll, daß das Land in die
Hände feindlicher Mächte fällt: In einer Einmütigkeit, die fatal an real
sozialistische Zeiten erinnert, sollen die Folgen der Nachkriegsgesetze,
inklusive der Beneš-Dekrete, gegen jegliche Angriffe als „unantastbar und
unveränderbar“ bekräftigt werden.

Zwei Signale sollen nach Aussage von Außenminister Jan Kavan von dem Beschluß
ausgehen. Das erste an die Tschechen. Sie sollen ruhig schlafen können, weil man
es nicht gestatten werde, daß irgend jemand ihr Eigentum antasten wird. Diese
Absicht hat zwar überhaupt niemand in der aktuellen Debatte über die
Beneš-Dekrete auch nur im Ansatz geäußert. Aber auf tschechischer Seite
wittert man seit Wochen eine „europäische Achse des Bösen“, die von
Revanchegelüsten getrieben sei. Parlamentspräsident Václav Klaus etwa will aus
Gesprächen mit Politikern aus den deutschsprachigen Ländern herausgehört haben,
daß man dort die Integrität Tschechiens ins Visier genommen hat. Namentlich
Klaus' Demokratische Bürgerpartei verspricht den Menschen im Wahlkampf denn
auch, mit aller Kraft die „nationalen Interessen“ zu verteidigen. Diesen Slogan
verkündete Klaus symbolträchtig auf dem Beneš-Platz in Liberec, das als
Reichenberg einst die Hauptstadt des Sudeten-GAUs war.

Das zweite Signal der Resolution des Parlaments ist laut Kavan an das Ausland
gerichtet. Ihm soll vermittelt werden, daß Tschechien keine Gesetzgebung hat,
die nicht im Einklang mit dem EU-Recht steht. Zu diesem Zweck hatte sich Prag im
Vorfeld der Parlamentsdebatte für die Beneš-Dekrete rasch noch einmal die
höheren Weihen zweier Siegermächte besorgt. Der britische Premier Blair und
Rußlands Präsident Putin sagten artig das, was die tschechische Führung von
ihnen hören wollte. Weigern konnten sie sich auch schlecht, hatte doch Prag
schon gejammert, es fühle sich von den Großmächten allein gelassen wie die
Tschechoslowakei vor dem Münchner Abkommen 1938. Ein aberwitziger Vergleich, der
aber in der derzeitigen aufgeputschten Wahlkampfzeit in Tschechien keineswegs
Seltenheitswert genießt.

Wie verbiestert sich die „demokratischen“ Parteien an der Moldau in den Kampf
gegen die „Revanchisten“ gestürzt haben, zeigt sich vor allem an der Tatsache,
daß sie dabei auch ein bislang absolutes Tabu über Bord geworfen haben: Zur
Wahrung der „nationalen Interessen“ holten sie sich erstmals sogar die
orthodoxen Kommunisten von der KSCM ins gemeinsame Boot und schufen eine Art der
Nationalen Front, die seit der Wende 1989 endgültig überwunden geglaubt war.

Die Wortwahl bürgerlicher Prager Politiker in der Beneš-Debatte unterscheidet
sich freilich schon lange nicht mehr von derjenigen der kommunistischen
Staatspartei vor der Wende. Daß die Kommunisten jetzt das Plazet der
“Demokraten“ erhalten haben, ist zwar nur ein Nebeneffekt – aber dafür ein
besonders trauriger. Er sorgte unter anderem dafür, daß eine andere Nachricht
dieser Tage in Prag fast unter den Tisch fiel: Zwischen 1948 und 1954 – so hieß
es da – wurden 95.000 Menschen in der Tschechoslowakei in kommunistischen
Schauprozessen abgeurteilt.

Links ins World Wide Web
Das Abgeordnetenhaus im Netz: www.psp.cz

Quelle: Die Welt vom 24.04.2002

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All-Parteien-Konsens: Nachkriegs-Rechts- und -Eigentumsverhältnisse „unantastbar
und unveränderlich“  . .

Prag beschließt Erklärung zu Beneš-Dekreten

Von Heike Hausensteiner

Das Prager Abgeordnetenhaus hat gestern die Erklärung zu den umstrittenen
Beneš-Dekreten diskutiert, auf die sich die Chefs der Parlamentsparteien
vergangene Woche geeinigt hatten. Heute wird die Erklärung voraussichtlich im
Unterhaus beschlossen. Dem Entwurf zufolge soll festgehalten werden, daß die
Nachkriegs-Rechts- und -Eigentumsverhältnisse „unantastbar und unveränderlich“
seien. Präsident Vaclav Havel unterstützt die Erklärung. Doch die Tschechische
Republik sollte nicht „Dämonen der Vergangenheit“ wecken.

Die Rechts- und Eigentumsverhältnisse in Tschechien, die aus den
Nachkriegs-Beneš-Dekreten hervorgehen, können laut dem All-Parteien-Konsens
nicht in Frage gestellt werden, geht aus dem Entwurf hervor. Die Gesetzgebung
aus den Jahren 1940 bis 1945, einschließlich der Dekrete des seinerzeitigen
Staatspräsidenten Edvard Beneš, sei ähnlich wie in anderen europäischen Staaten
als Folge des Krieges und der Niederlage des Nationalsozialismus entstanden.
Die Nachkriegsgesetze und Präsidenten-Dekrete seien in der Zeit nach ihrem
Erlaß realisiert worden; und heute könnten auf deren Grundlage keine neuen
Rechtsverhältnisse entstehen, heißt es weiters in dem Entwurf des Dokuments.
Demnach soll das tschechische Abgeordnetenhaus die Bemühungen ablehnen, jene
Fragen aufzurollen, die mit dem Ende und den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs
zusammen hängen. Das Ausmaß der Restitution und der entsprechenden Gesetzgebung
dazu lägen völlig und ausschließlich in der Kompetenz der tschechischen
Verfassungsorgane.

All-Parteien-Konsens

Auf die Erklärung haben sich alle Parlamentsparteien, also die Sozialdemokraten,
die konservative Demokratische Bürgerpartei, die christdemokratische
Volkspartei, die rechtsliberale Freiheitsunion und die Kommunisten, bei einem
Frühstück mit Außenminister Jan Kavan geeinigt. Sie ist als offizielle Reaktion
Prags auf die aktuelle Debatte zu den Beneš-Dekreten in Österreich, Deutschland,
Ungarn und im Europaparlament vorgesehen.

Thema festzurren

Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen in acht Wochen bemühe sich Prag,
daß das Thema der Beneš-Dekrete „festgezurrt“ werde, meinte im Vorfeld des
heutigen Beschlusses Arnold Suppan vom Österreichischen Ost- und
Südosteuropa-Institut im Gespräch mit der „Wiener Zeitung“. Offenbar sollten
“alle Parteien auf einen Nenner vergattert“ werden, so der Historiker Suppan.
Staatspräsident Vaclav Havel unterstützt den von den politischen Parteien
vorbereiteten Entwurf der Erklärung des Prager Abgeordnetenhauses zu den
Beneš-Dekreten. „Ich habe gegen den Text nicht einmal die kleinsten Einwände.
Ich unterstütze ihn, weil er auch meine Auffassung ausdrückt“, erklärte Havel
nach einem Treffen mit dem Chef des Abgeordnetenhauses, Vaclav Klaus. Wenn er,
Havel, irgendwelche Einwände habe, dann in dem Sinne, daß Tschechien nicht
“Dämonen der Vergangenheit“ wecken sollte.

Kein Hindernis für EU-Beitritt

Die Beneš-Dekrete waren gestern auch Gegenstand einer heftigen Debatte im
gemischt-parlamentarischen Ausschuß EU-Tschechien. ÖVP-EU-Abg. Ursula Stenzel,
Vorsitzende des EU-Tschechien-Ausschusses, berichtete via Aussendung, daß die
Abgeordneten des EU- und des tschechischen Parlaments keine Übereinstimmung
erzielen konnten. Nur so viel: Die Beneš-Dekrete sollen kein Hindernis für einen
EU-Beitritt Tschechiens darstellen.
Bei den meisten Dekreten bestand ein Widerspruchsrecht. Im Chaos der
unmittelbaren Nachkriegszeit gab es aber in der Tschechoslowakei keine
detaillierte Prüfung. Nach Ansicht von Juristen beruhen viele der Bestimmungen
auf dem Prinzip einer Kollektivschuld der deutschen und ungarischen Minderheit.
Das widerspricht den allgemeinen Menschenrechten.

Auszüge aus den Bestimmungen

Auf Grundlage von fünf der vom damaligen CSR-Präsidenten Edvard Beneš zwischen
1940 und 1945 erlassenen Verfügungen wurden die drei Millionen Deutschen sowie
die ungarische Minderheit ihrer politischen Rechte und wirtschaftlichen
Lebensgrundlage beraubt.
Gegenstände wurden ohne Entschädigung enteignet (Dekret Nr. 5, § 4a): „Als
staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen: Personen deutscher oder
magyarischer Nationalität.“ Nach § 2.1 war ihr „Eigentum unter nationale
Verwaltung zu stellen“. Auch Immobilien wurden enteignet (Nr. 12, § 1.1a): „Mit
sofortiger Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform
das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht: aller
Personen deutscher und magyarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf ihre
Staatsangehörigkeit.“
Zur Ausbürgerung (Dekret Nr. 33, § 1.1 und § 1.2): „Die tschechoslowakischen
Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität, die nach den Vorschriften
einer fremden Besatzungsmacht die deutsche oder magyarische Staatsbürgerschaft
erworben haben, haben mit dem Tage des Erwerbs dieser Staatsangehörigkeit die
tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren. Die übrigen
tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität
verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses
Dekret in Kraft tritt.“
Der Schutz vor Strafverfolgung wurde 1946 geregelt: „Eine Handlung, die zwischen
dem 30. September 1938 und dem 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde, um einen
Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken
zu leisten, (...) ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den
geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.“

Quelle: Wiener Zeitung vom 24.04.2002

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BdV-Pressemitteilung Nr. 14

Bonn, den 24. April 2002

Beneš lebt

Prager Parlamentsbeschluß ist menschenrechtsfeindlich

Zu der heute im tschechischen Parlament einstimmig verabschiedeten Erklärung, in
der die Beneš-Dekrete als unbestreitbar, unantastbar und unveränderbar
bezeichnet werden, erklärt BdV-Präsidentin Erika Steinbach MdB:

Mit dieser Erklärung dürfte auch dem letzten Wohlmeinenden klar geworden sein,
daß die Repräsentanten der Tschechischen Republik nicht ein Jota von den
ungeheuerlichen Beneš-Dekreten abrücken wollen. Es gibt kein Mitleid für die
Opfer, es gibt kein Bedauern für die „ethnischen Säuberungen“ durch den
tschechischen Staat. Diese Eiseskälte erschreckt und macht deutlich: Beneš lebt.

Wieviel muß den Politikern der bürgerlichen Parteien die Einstimmigkeit wert
gewesen sein, wenn sie dafür sogar die orthodoxen Kommunisten in das gemeinsame
Boot geholt haben.

Das tschechische Parlament hat mit dieser Stellungnahme wohl der im
tschechischen Volk vorherrschenden Meinung entsprochen. Ob es damit seinem
eigenen Volk einen Gefallen getan hat, ist mehr als zweifelhaft. Wenn die
Selbstvergewisserung eines Volkes nur über menschenverachtende Gesetze möglich
ist, muß Europa hellhörig werden.

Die Politik des tschechischen Parlaments ist von einer erschreckenden
Bunkermentalität geprägt, die Europa nicht gut tut. Ganz abgesehen davon, daß
damit ein eklatanter Verstoß gegen die Kopenhagener Kriterien der Europäischen
Union vorliegt. Das tschechische Parlament tut der nachwachsenden eigenen
Generation und Europa damit keinen Gefallen.

Quelle: www.bund-der-vertriebenen.de
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Sudetendeutscher Pressedienst (SdP)
Redaktion, Herausgeber, Medieninhaber:
Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich (SLÖ)
Bundespressereferat: A-1030 Wien, Steingasse 25
Telefon: 01/ 718 59 19, Fax: 01/ 718 59 23
E-Mail: sudetenpress@chello.at

Wien, 25. April 2002/GE

Tschechisches Parlament verlangt Beibehaltung der Völkermord-Dekrete

Utl.: So nicht in die EU!

Im Prager Parlament wurde am 24. April in einer Erklärung die Beibehaltung der Beneš-Dekrete in der Rechtsordnung der CR einstimmig beschlossen.

Die Rechtsgültigkeit der Genozid-Dekrete des Präsidenten Beneš wurde zum Beschluß erhoben, obwohl die Regierung schon mehrmals zu deren Aufhebung durch Europarat, Europa-Parlament und auch durch das US – Repräsentantenhaus aufgefordert wurde.

Damit wird deutlich, daß die tschechischen Politiker entweder nichts vom Völkerrecht verstehen und daher auch nichts vom EU-Recht halten, sondern auf dem Faustrecht bestehen.

Die Bemühungen höchstrangiger tschechischer Politiker, sich in den letzten Tagen von den von den Teilnahmestaaten der Potsdamer Konferenz von 1945 quasi ein Placet für die Vertreibung zu holen, sind daher als gezielte Vorbereitung für diesen europafeindlichen Beschluß zu werten.

Die stereotype Ausrede unter Bezug auf das Potsdamer Protokoll, das ja nur die Alliierte Kontrollkommission als Überleitung bestätigte, muß ins Leere gehen, weil es sich um keinen völkerrechtlichen Vertrag handelt, der „zu Lasten Dritter“ von vornherein ungültig wäre und vom amerikanischen Repräsentantenhaus im übrigen nicht ratifiziert wurde.

Die Absicht ist klar: Der Land- und Vermögensraub darf nicht nach den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts und des Rechts der internationalen Organisationen wieder gutgemacht werden. Jeder vierte Tscheche war Nutznießer der Vertreibung und ebenso der Staat selbst, mit seinem Fonds für nationale Erneuerung, dem Bodenfonds und den verstaatlichten Betrieben.

Von 240.000 sudetendeutschen Besitzern, wurden 2,4 Millionen ha, 28.000 Mietshäuser, 180.000 Einfamilienhäuser, 13.000 Industriebetriebe und 84.000 Gewerbebetriebe, 1 to Gold, 34 to Silber, 7.200 Safes, Versicherungen, Sparbücher, Wertpapiere als „Kollektivstrafe“ konfisziert. Das Gesamtvermögen der Deutschen und Magyaren belief sich auf rund 300 Milliarden Kronen.

Nach EU-Recht genießen die persönlichen Rechte und das Menschenrecht, wie auch der Schutz des persönlichen Eigentums höchste Priorität. Beides wurde durch die Völkermord-Dekrete brutal verletzt. Angesichts dieser Tatsachen bezeugt die Berufung auf eine „Nachkriegsordnung“ den national-bolschewistischen Standpunkt der tschechischen Politiker und die mangelnde Demokratiereife der tschechischen Gesellschaft, die unter diesen Umständen in einer europäischen Völkergemeinschaft nichts verloren hat. Völlig unverständlich sind die Eiertänze, welche angesichts der klaren Sachlage, ein offenbar völlig überforderter Erweiterungskommissar Verheugen aufführt.

=============Radio Prag 2002-04-25======================
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Kavan: Haltungen europäischer Parlamentarier zu den Beneš-Dekreten  haben
sich beruhigt
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Rechts orientierte deutsche und österreichische Abgeordnete des
Europaparlaments haben eine „neutrale bis positive“ Haltung zur Erklärung
des tschechischen Unterhauses zu den Beneš-Dekreten bezogen. Sie haben vor,
einen Hinweis auf die Erklärung – im positiven Sinne – auch in ihre eigene
Resolution über die Tschechische Republik einzuarbeiten. Dies erklärte der
tschechische Außenminister Jan Kavan am Donnerstag Brüssel nach dem Treffen
mit dem Chef des auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok.


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Europäische Liberale: Tschechien darf kein Geisel der Geschichte sein
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Die Beneš-Dekrete dürfen nach Meinung der europäischen Liberalen kein Mittel
für politische Kampagnen in Tschechien und dessen Nachbarländern werden. Die
Tschechische Republik darf zu keinem Geisel der Geschichte werden, hieß es
in der Erklärung, die von einer Gruppe der Europäischen liberalen und
Reformparteien im Europa-Parlament und von der Demokratischen Bürgerallianz
in Brüssel und in Prag gemeinsam veröffentlicht wurde. Der ODA-Chef Michael
Zantovsky stellte die Deklaration am Donnerstag der Nachrichtenagentur CTK
zur Verfügung.
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Zeman: Palästinenser müssen auf  Terrorangriffe verzichten
Premier Miloš Zeman hat am Donnerstag im Abgeordnetenhaus erklärt, solange
die Palästinenser mit den Terrorangriffen gegen Israel nicht aufhören, haben
sie kein Recht auf einen unabhängigen Staat genauso wie die Sudetendeutschen
1938 kein Recht auf Anschluß an Deutschland hatten. Dies erklärte der
Premier in seiner Antwort auf die Interpellation des Vizechefs der
Kommunisten, Vaclav Exner. Zeman stellte fest, das gegenwärtige Schicksal
Israels sei dem Schicksal der Tschechoslowakei im Jahre 1938 ähnlich. Er
betonte, niemand wolle den Palästinensern das Recht auf einen unabhängigen
Staat nehmen, sie hätten den Staat aber schon längst gehabt, wenn sie den
Plan des CIA-Chefs Tenet zum Waffenstillstand genutzt hätten und wenn Jasir
Arafat vor zwei Jahren die umfangreichen Zugeständnisse des damaligen
israelischen Premiers Ehud Barak nicht abgelehnt hätte. Zeman verurteilte
die antiisraelische Kampagne in einem Teil der tschechischen Presse, die er
als einen Ausdruck des Antisemitismus bezeichnete.

Herrn Zeman ins Gebetbuch geschrieben: Seine unerhörten Ausfälle sind ja kaum mehr zu überbieten.

Freilich hätten die Sudetendeutschen 1938 keinen Anschluß an Deutschland gebraucht, wenn sie nicht derart in ihrem Volkstum, in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung und in ihrem kulturellen Bestand geknebelt worden wären. Die von ihm so hoch gelobte „Wiege der Demokratie“ Erste Tschecho-Slowakische Republik hätte ja der zweitstärksten Volksgruppe nur eine gewisse Autonomie zugestehen zu brauchen, um den Eklat von 1938 zu vermeiden.
ML 2002-04-28

==============Hans Schädel aus Kanada 2002-04-25==============================================
Schröder erließ Putin und somit den Russen 7,1 Milliarden Euro. In der Tschechei hat sich Putin fuer die Beibehaltung der Beneš-dekrete ausgesprochen.
Was für gute Freunde sucht der Schröder sich – und das im Namen Deutschlands!
==============Walter Mogk (Ostpreußen-Forum)=====================
Unrecht bleibt
Prag verteidigt Beneš-Dekrete
Von Stefan Idel

Kein Demokrat in Deutschland stellt die europäische Nachkriegsordnung in Frage – auch nicht die Funktionäre der Vertriebenenverbände. Aber es ist mehr als legitim, Vertreibung und Enteignung als Unrecht zu benennen.
Das Parlament in Prag setzt mit seinem Bekenntnis zu den verwerflichen Beneš-Dekreten das deutsch-tschechische Verhältnis erneut einer schweren Belastungsprobe aus. Denn der gestrige Beschluß atmet kaum den Geist der Aussöhnungserklärung von 1997. Die Entschließung ist auch nicht mit dem Wahlkampf in Tschechien zu rechtfertigen, wie dies einige deutsche Diplomaten tun.
Hinterfragt werden muß aber auch die Rolle von EU-Kommissar Verheugen. Er hatte Tschechien mehrfach versichert, daß die Dekrete keine Beitrittshürde seien. Mit dieser Linie stellt die EU ihre Funktion als Wertegemeinschaft in Frage.

Quelle: Nordwest-Zeitung vom 25.04.2002
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Gebrandmarkt und vertrieben
Beneš-Dekrete ebnen Weg zu einer Kollektivbestrafung der Sudetendeutschen
Von Ulrich Schönborn
Prag. Mehr als drei Millionen Sudetendeutsche wurden nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Feststellung einer individuellen Schuld am Nazi-Terror enteignet, verfolgt oder aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben. Grundlage bildeten die so genannten Beneš-Dekrete, um die angesichts des geplanten EU-Beitritts der Tschechischen Republik ein neuer Streit entbrannt ist.
Für das tschechische Abgeordnetenhaus sind die Beneš-Dekrete laut gestern verabschiedeter Resolution „Folge des Krieges und der Niederlage des Nationalsozialismus“, an der heute nicht mehr zu rütteln sei. Vor allem die Sudetendeutsche Landsmannschaft und andere Vertriebenenverbände fordern dagegen eine Aufhebung der bis heute geltenden Gesetze, da sie rassistisch geprägt seien und von vornherein gegen das Völker- und Menschenrecht verstoßen hätten.
Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei in Folge des Münchner Abkommens und der Errichtung des „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren“ durch Hitler im März 1939 formierte sich in London eine tschechoslowakische Exilregierung. Exil-Präsident Edvard Beneš erließ zwischen 1940 und 1945 insgesamt 143 Dekrete, von denen mehrere die Entrechtung und Enteignung der deutschen und der ungarischen Minderheit in der Tschechoslowakei zum Gegenstand hatten. Diese Dekrete wurden im März 1946 von der tschechoslowakischen Provisorischen Nationalversammlung rückwirkend zu Gesetzen erhoben.
Prag rechtfertigt heute die Vertreibung mit Beschlüssen der Potsdamer Konferenz der Alliierten, die im Sommer 1945 „Bevölkerungstransfers“ als Beitrag zur „nationalen Entflechtung“ und damit zum Frieden im Nachkriegs-Europa gebilligt hatten. Die Tschechen hatten allerdings schon vor der Potsdamer Konferenz mit der „wilden“ Vertreibung der Deutschen begonnen. Ein Symbol für diese Willkür ist der „Todesmarsch von Brünn“: Am 30. Mai 1945 trieben bewaffnete Tschechen in der mährischen Stadt Brünn etwa 20 000 deutsche Bewohner zusammen. Sie hatten nur zehn Minuten Zeit, ihre Habseligkeiten zu packen, bevor sie auf einen Fußmarsch zur österreichischen Grenze geschickt wurden. Nachdem sie von den österreichischen Grenzposten abgewiesen worden waren, vegetierten sie wochenlang unter freiem Himmel im Niemandsland. Hunderte starben auf Grund katastrophaler hygienischer Zustände und mangelnder Versorgung.
Beneš schürte mit seinen Dekreten die antideutsche Stimmung der Tschechen. Sollte nach einem am 5. April 1945 in Kaschau verabschiedeten Regierungsprogramm zunächst bei der Entrechtung und Enteignung noch zwischen Nazi-Kollaborateuren und loyalen Deutschen unterschieden werden, ebnete er mit späteren Dekreten den Weg für eine Kollektivbestrafung der gesamten deutschen Bevölkerung. Deutsche wurden mit einem großen „N“ (Nemec = Deutscher) gebrandmarkt, in Lagern interniert oder vertrieben, Familien wurden getrennt, immer wieder kam es zu brutalen Übergriffen. Weit gefaßte Regelungen zur Staatsangehörigkeit führten dazu, daß sogar Bürger der Schweiz oder Liechtensteins enteignet wurden.
Auch nach der Potsdamer Konferenz war die dort geforderte „ordnungsgemäße und humane“ Durchführung der „Überführung“ nicht gewährleistet. Mit den in Viehwaggons zusammengepferchten Vertriebenen kamen auch die Berichte von Willkür und Gewalt in den westlichen Besatzungszonen an.
Die Nachwirkungen der Beneš-Dekrete sind bis heute zu spüren. „Die rund 40 000 Sudetendeutschen, die in Tschechien geblieben sind, werden immer noch als Menschen zweiter Klasse behandelt“, sagt die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach. Auf den Integrationsprozeß Tschechiens in die EU werfe das starre Festhalten der Tschechen an den Beneš-Dekreten einen langen Schatten.
Vertriebenenverbände im Internet: www.bund-der-vertriebenen.de
Quelle: Nordwest-Zeitung vom 25.04.2002
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BRIEFE AUS ST. GALLEN:
Beneš war kein de Gaulle
Nach seinem Wechsel zur Universität in St. Gallen ist Prof. Dr. Peter Glotz noch immer mit Thüringen verbunden. Mit ungetrübtem Blick greift er in aktuelle Debatten in Deutschland ein.
Tschechiens Präsident Vaclav Havel hat sich in einem hochsymbolischen Artikel in den neuen deutsch-tschechischen Historikerstreit eingeschaltet, der gerade um die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei entsteht. Präsident Havel würdigt den früheren Präsidenten der Tschechoslowakei, Edvard Beneš. Er bleibt zwar bei einer „eher kritischen Meinung“ über diesen umstrittenen Politiker. Trotzdem benutzt er sein hohes und wohlverdientes internationales Prestige, um den Nationalisten Beneš zu schützen. Der zentrale Satz seines Artikels lautet: „Dieser Mann... ist im Londoner Exil zum Symbol des tschechischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus und unserer demokratischen Tradition geworden; zu dem, was de Gaulle für die Franzosen und Königin Willhelmine für die Niederlande oder Churchill für die Briten war.“
Daß Beneš zum „Symbol des tschechischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus“ wurde, ist wohl wahr. Der Vergleich mit de Gaulle und Churchill ist gleichwohl abwegig. Aber es geht nicht nur um historische Wertungen. Havel greift in seiner Verteidigung von Edvard Beneš in die aktuelle Debatte um die Beneš-Dekrete und die Aufnahme der Tschechischen Republik in der Europäischen Union ein, und zwar nicht mit einem dringend nötigen Widerspruch gegen die nationalistischen Wahlkampfspielereien des tschechischen Ministerpräsidenten Miloš Zeman und des tschechischen Parlamentspräsidenten Vaclav Klaus, sondern mit einem historischen Plädoyer, daß diese beiden bejubeln werden. Denn Havel sagt über Beneš nur die halbe Wahrheit. Er mag zwar „in den dreißiger Jahren die besten Traditionen unseres Kontinents verkörpert“ haben. Ab Anfang der 40er-Jahre aber plante er kaltblütig und von langer Hand die ethnische Säuberung Böhmens und der Slowakei. Seine Hetzreden in den Jahren 1944 und 1945 haben in der Zeit der „wilden Vertreibungen“ vor der Potsdamer Konferenz vielen Angehörigen der nationalen Minderheiten in der Tschechoslowakei das Leben gekostet. Beneš brachte mit chauvenistischen Tiraden die verständlicherweise angeheizte Atmosphäre der Nachkriegsmonate zum Sieden. „Zusammen mit anderen Slawen werden wir vor allem unsere Heimat von jenen Elementen säubern, die zu uns nicht gehören und niemals mehr gehören werden“, sagte er im April 1945. Es wäre die erste Aufgabe, den Staat von Deutschen und Ungarn „zu säubern“. Und dann fügte er hinzu: „Es ist notwendig, dies gnadenlos zu tun und mit allen sich daraus ergebenden Folgen.“ So geschah es. Davon steht bei Vaclav Havel kein Wort.
Dessen Wahlspruch war „In der Wahrheit leben“. Er hat diesem Wahlspruch viele Jahre Ehre gemacht. Zum Beispiel hat er sich 1990 für die Vertreibung der Sudentendeuschen entschuldigt. Das muß man ihm hoch anrechnen. Schon bei der Debatte um die deutsch-tschechische Freundschaftserklärung aber ruderte er zurück und machte faule Kompromisse. Natürlich, es ist nicht leicht, gleichzeitig ein hohes Staatsamt zu haben und „in der Wahrheit zu leben“. Schade, daß man das sagen muß: Mit seinem Artikel über Edvard Beneš ist das Symbol Havel zu einem ganz normalen Politiker geworden.
Quelle: Thüringer Allgemeine (Erfurt) vom 25.04.2002
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Tschechien hält an den Beneš-Dekreten fest
Das Prager Parlament erklärte einstimmig in einer Resolution, die Beneš-Dekrete seien „unantastbar“.
Von unserem Korrespondenten HANS-JÖRG SCHMIDT
PRAG. Keine 60 Minuten dauerte das Prozedere im tschechischen Unterhaus. Dann hoben alle anwesenden 169 Abgeordneten in bisher ungekannter Einmütigkeit die Hand für eine Resolution. Mit ihr zeigten sie allen vermeintlichen Versuchen des Auslands die rote Karte, die umstrittenen Beneš-Dekrete anzutasten. Die Rechts- und Eigentumsverhältnisse, die nach dem Krieg auf der Grundlage der Dekrete entstanden sind, seien „unanzweifelbar, unantastbar und unveränderbar“, erklärten die Abgeordneten.
Der stellvertretende Chef der Kommunisten, Milošlav Ransdorf, sprach euphorisch von einem „bedeutenden Augenblick im Leben des tschechischen Parlaments“. Die Abgeordneten hätten deutlich gemacht, „daß die Herren Haider, Stoiber und (der noch amtierende ungarische Premier) Orbán in Tschechien keine Partner für ihr Ansinnen finden, die Frage der Nachkriegsordnung neu aufzurollen“.
Ähnlich zufrieden äußerten sich Politiker anderer Parteien. Ivan Pilip von der liberalen Freiheitsunion (US) sah die Resolution zwar als „eigentlich überflüssig“ an; als weniger gute Verteidiger der „nationalen tschechischen Interessen“ wollten die US-Abgeordneten jedoch auch nicht dastehen und votierten wie alle anderen mit Ja. Eine Rolle dabei mag auch gespielt haben, daß sich auch Präsident Václav Havel zur Resolution bekannt hatte – ungeachtet früherer Äußerungen, die Vertreibung sei „Unrecht“ und „Rache“ gewesen.
Parlamentspräsident Václav Klaus von der Bürgerpartei beteuerte zum Abschluß der Debatte, die Erklärung der Abgeordneten sei „kein Ausdruck von Nationalismus“. Sie sei vielmehr als eine „spontane“ Reaktion auf Bemühungen des Auslands zu werten, „die tragischen Probleme der Geschichte neuerlich zu öffnen, damit die internationalen Beziehungen zu komplizieren und die tschechische Öffentlichkeit zu beunruhigen“.
Klaus vergaß dabei, daß es gerade Premier Miloš Zeman und er selbst gewesen waren, die die aktuelle Debatte über die Dekrete mit zweifelhaften Vorwürfen an die Adresse der Sudetendeutschen erst heraufbeschworen hatten. Zeman hatte die Sudetendeutschen als „fünfte Kolonne Hitlers“ bezeichnet, die eigentlich mit dem Tode bestraft gehört hätten und mit der Vertreibung noch „milde“ davongekommen seien. Klaus wiederum hatte eine Festschreibung der Beneš-Dekrete im EU-Beitrittsvertrag Tschechiens verlangt.
Davon ist er zwar mittlerweile abgerückt; jüngst drohte er jedoch ein Nein der ODS-Anhänger im Referendum über den EU-Beitritt, sollte Brüssel keine Garantie geben, daß die Beneš-Dekrete „gesichert“ bleiben.
Eine solche Garantie scheint zumindest seitens des Europaparlaments ausgeschlossen. Am Dienstagabend war wegen des Streits um die Beneš-Dekrete fast eine Tagung des gemeinsamen Parlamentsausschusses EU-Tschechien gescheitert. Man einigte sich schließlich lediglich auf die vage Formulierung, wonach die Dekrete „kein Hindernis für den tschechischen EU-Beitritt sein sollten“.

FPÖ: „Kein EU-Beitritt“
WIEN (lui)
. Für FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler ist die Haltung des tschechischen Parlaments die „Zementierung der Anti-EU-Haltung“. Denn eines sei klar: „Mit den derzeitigen Beneš-Dekreten kann Tschechien nicht der EU beitreten.“ Auch Generalsekretär Karl Schweitzer bekräftigte den FPÖ-Standpunkt: „Wir können und werden einen EU-Beitritt Tschechiens mit diesen Unrechtsdekreten nicht akzeptieren.“
Quelle: Die Presse (Wien) vom 25.04.2002
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Kommentar
Wieder 100 Prozent Ja-Stimmen
Frank Herold
Ein historischer Tag für das Parlament in Prag. Zum ersten Mal seit der Wiedererlangung der Demokratie wurde eine Entscheidung einstimmig getroffen. Wenn es um die Beneš-Dekrete geht, stehen die Abgeordneten von den Kommunisten bis zu den Konservativen wie ein Mann. Selbst Präsident Vaclav Havel, der in der Vergangenheit so manchen Strauß mit den Parteipolitikern ausgefochten hat, nickt zustimmend: Diese mehr als 50 Jahre alten Rechtsakte sind aus Prager Sicht unantastbar.
Die Erklärung ist ambivalent: Sie nimmt – was dringend notwendig ist – vielen Tschechen Unsicherheiten über die Folgen eines EU-Beitritts. Gleichzeitig aber ist das Dokument eine neue Rechtfertigung für die Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg, denn eine Entschuldigung über begangenes Unrecht enthält sie nicht. Positiv wiederum ist ein Nebeneffekt. Durch den alle Parteien übergreifenden Konsens hat sich das Thema „Beneš-Dekrete“ für den nationalpopulistischen Hausgebrauch erledigt. Auf diesem Feld kann nun im Wahlkampf keiner mehr den anderen ausstechen.
Darüber hinaus ist die Resolution schon bald völlig irrelevant. Tschechien will der EU beitreten. Es mußten bereits viele tschechische Gesetze geändert werden, um sie an das Gemeinschaftsrecht anzupassen. Wenn die Beneš-Dekrete noch immer zur tschechischen Rechtsordnung gehören, dann müssen auch sie geprüft werden. Das haben jedoch nicht Politiker auf offener Bühne zu tun, sondern Juristen im detaillierten Vergleich der Paragrafen.
Quelle: Berliner Zeitung vom 25.04.2002
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Sudetendeutsche Klage liegt schon längst in Straßburg
– LINZ/WIEN
– Während ein Völkerrechtsprofessor und Politiker noch darüber diskutieren, ob eine Befassung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes sinnvoll wäre, liegt längst eine sudetendeutsche Klage in Straßburg. -
- Der Linzer Völkerrechtsprofessor Manfred Rotter bleibt dabei: Österreich solle die Frage der „Beneš-Dekrete“ vor das Straßburger Gericht bringen. Auch die Grün-Abgeordnete Ulrike Lunacek ist dafür. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) hatte dies bereits vorige Woche abgelehnt, da der Meschenrechtsgerichtshof nicht Rechtsvorschriften untersuchen könne, die vor In-Kraft-Treten der Europäischen Menschenrechtskonvention gesetzt worden seien. Tatsächlich liegt die sudetendeutsche Frage in Straßburg längst auf dem Tisch. Vor einem Jahr hat der Wiener Anwalt Johannes Eltz den Fall seines sudetendeutschen Mandanten, dessen Restitutionsklage in Tschechien abgewiesen worden war, vor den Menschenrechtsgerichtshof gebracht. Rotters Vorschlag hält er dennoch für „nicht ernst zu nehmen“. Sinnvoll seien nur Individualbeschwerden, so Eltz zum VOLKSBLATT. Es gehe um individuelle Rechtsverletzungen. Seine Klage betreffe einen solchen Fall. Ein Urteil des Straßburger Gerichtes liegt noch nicht vor. –
Quelle: Neues Volksblatt, 25.04.2002
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Rieß-Passer attackiert Zeman
München (SZ)
– Österreichs Vizekanzlerin Susanne Rieß-Passer besteht auf der Aufhebung der Beneš-Dekrete als Voraussetzung für den EU-Beitritt Tschechiens. Vor der Gesellschaft für Auslandskunde in München sagte sie, die Beneš-Dekrete widersprächen den Menschenrechten und könnten daher nicht zum Rechtsbestand der EU gehören. Die Frage der Beneš-Dekrete müsse vor dem Beitritt Tschechiens zur EU geklärt sein, sagte die Vizekanzlerin. Die Dekrete bildeten 1945 die Grundlage für die Ausweisung und Enteignung der Sudetendeutschen. Rieß-Passer warf Tschechiens Regierungschef Miloš Zeman vor, er falle mit seinen Äußerungen über die Sudetendeutschen in Beneš’ Diktion zurück. Gegenbeispiele seien die Slowakei und Slowenien, die bereit seien, über die Dekrete zu sprechen. Zum Streit um das tschechische Atomkraftwerk Temelin sagte Rieß- Passer, es werde nicht gebraucht, es sei sehr störanfällig und werde nur wegen der hohen Investitionen behalten.
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 25.04.2002
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Prager Parlament für Erhalt der Beneš-Dekrete
Von Heiko Krebs
Prag – Das tschechische Abgeordnetenhaus in Prag hat sich einstimmig gegen die Aufhebung der umstrittenen Beneš-Dekrete ausgesprochen. Die Rechts- und Eigentumsverhältnisse, die sich aus den Dekreten des damaligen tschechoslowakischen Präsidenten Eduard Beneš nach dem Zweiten Weltkrieg ergeben haben, seien „nicht anzuzweifeln, unantastbar und unveränderlich“, heißt es in einer Erklärung, die die 169 anwesenden Abgeordneten ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen verabschiedeten. Die Dekrete seien in den ersten Nachkriegsjahren umgesetzt worden und könnten heute nicht mehr angewendet werden, wird in der Resolution betont. Mit langem Applaus bekräftigten die Abgeordneten ihre Entscheidung, eine „Revision der Nachkriegsordnung“ keinesfalls zuzulassen.
Auf den Wortlaut der Resolution hatten sich die Vorsitzenden der fünf im Parlament vertretenen Parteien, die Kommunisten erstmals eingeschlossen, verständigt. Lediglich die Parteichefs durften im Plenum noch einmal ihren Standpunkt darlegen. Eine Aussprache zu der Erklärung gab es nicht. Parlamentspräsident und ODS-Chef Vaclav Klaus hatte die Abgeordneten zuvor beschworen: „Überlegen Sie sich gut, ob Ihr Redebeitrag dem gefundenen Konsens dienlich sein wird.“ Nach der Abstimmung dankte Klaus den Parlamentariern dafür, daß auch im Abgeordnetenhaus „staatsmännisches Abwägen über parteipolitische Grabenkämpfe siegen kann“.
Zuvor hatte Klaus die Fronten aufgezeigt: Das Parlament sei beunruhigt über Versuche, „vor allem im Ausland“, erneut tragische Probleme der Vergangenheit aufzugreifen, „damit die internationalen Beziehungen zu belasten und die tschechische Öffentlichkeit zu verunsichern“. Ähnlich äußerte sich der Chef der Sozialdemokraten,Vladimir Spidla: Den Politikern in Europa, die die Debatte führten, gehe es nicht darum, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Ziel sei es vielmehr, die Grundlagen der Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg zu revidieren. Lediglich der Fraktionschef der oppositionellen liberalen Freiheitsunion, Karel Kühnl, wies darauf hin, daß die Tschechen den Verlust ihres Eigentums oder der Souveränität ihres Landes gar nicht befürchten müßten. Die EU, der Tschechien 2004 beitreten will, garantiere die Unantastbarkeit der Grenzen und die Einhaltung der Menschenrechte.
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 25.04.2002
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Wagenburg-Mentalität
Vor der Wahl im Juni sind in einem Land, dessen Bevölkerung sich wegen der Beneš-Dekrete zunehmend unter Druck gesetzt fühlt, keine versöhnlichen Zeichen zu erwarten
Von Ulrich Glauber
Der als arrogant empfundenen Einflussnahme von außen folgt der Schulterschluß in der Wagenburg. Wie Österreich nach den Sanktionen der anderen EU-Länder hat das nun auch Beitrittskandidat Tschechien mit der einhelligen Bekräftigung der Beneš-Dekrete vollzogen. Jahrelang blieb die Bewältigung der verhängnisvollen Abfolge von Nazi-Okkupation und Vertreibung der Sudetendeutschen und Ungarn aus der Tschechoslowakei Bonn und Prag überlassen. Als Deutsche und Tschechen eine Lösung gefunden hatten, stänkerte Österreichs Rechtspopulist Jörg Haider, dann kleckerte der konservative Kanzler Wolfgang Schüssel nach. Selbst der ungarische Premier Viktor Orban instrumentalisierte das Thema im Wahlkampf. Vertriebenen-Patron Edmund Stoiber kann da nicht beiseite stehen.
Niemand bestreitet, daß kollektive Vertreibung Unrecht ist, auch wenn die Sudetendeutschen mehrheitlich die Zerschlagung der demokratischen Tschechoslowakei durch das NS-Regime unterstützt hatten. Eine Aufhebung der Dekrete brächte nach einem halben Jahrhundert jedoch ein rechtliches Chaos mit sich. Als Ausweg bleiben Gesten. Vaclav Havel hat das „moralische Unrecht an den Sudetendeutschen“ bedauert. Im tschechischen Parlament war vom Plan die Rede, ebenfalls ein versöhnliches Zeichen auszusenden.
Vor der Wahl im Juni ist in einem Land, dessen Bevölkerung sich wegen der Beneš-Dekrete zunehmend unter Druck gesetzt fühlt, nichts dergleichen zu erwarten. Aber Politikern wie Haider geht es ohnehin nur darum, alte Vorurteile gegen die slawischen Nachbarn und EU-Skepsis zu schüren. Dem muß europaweit ein Riegel vorgeschoben werden.
Quelle: Frankfurter Rundschau vom 25.04.2002
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Eine nationale Front
Von Berthold Kohler
Wer heute im Gespräch mit tschechischen Politikern die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei in den Jahren 1945 und 1946 ein Unrecht nennt, stößt in der Mehrzahl der Fälle auf Ablehnung. Das sei ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte, heißt es oft; daran lasse sich nicht rütteln.
So begann schon einmal, vor acht Jahren, ein Leitartikel dieser Zeitung. Viel hat sich seither im Verhältnis von Deutschen und Tschechen verändert, vieles hat sich verbessert. Bald will man sich auch in der Europäischen Union näherkommen und mehr gemein haben als jemals zuvor. Doch ist man sich tatsächlich schon so nahe, wie es scheint? Teilt man schon die wichtigsten Werte und Vorstellungen?
Die eingangs zitierte Feststellung trifft noch immer zu. Eine Kluft trennt Deutsche und Tschechen, wenn sie ihren Blick in die Vergangenheit richten, die immer noch mehr Macht über Gegenwart und Zukunft hat, als Politiker und Diplomaten zugeben wollen. Noch immer sind die meisten Tschechen und so gut wie die gesamte politische Elite der Ansicht, daß die Entrechtung und Austreibung von Millionen von Sudetendeutschen und Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg notwendig, legitim und gerecht gewesen sei. Deswegen sucht man in der Deklaration von 1997 auch vergeblich nach dem Satz, der die Vertreibung Unrecht nennt. Nach anderthalb Jahre dauernden Verhandlungen stimmte Prag der Formulierung zu, daß durch die Vertreibung „unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde“; ein feiner, für die tschechische Seite aber wesentlicher Unterschied, auf den selbst Präsident Havel hinwies.
Weil es an der Moldau herrschende Meinung war und ist, daß es richtig gewesen sei, die Deutschen aus dem Land zu jagen, und weil die tschechischen Parteien darin wetteifern, das Volk in diesem Glauben zu bestärken, konnte auch Regierungschef Zeman zum fünften Jahrestag der Erklärung innenpolitisch ungestraft Thesen über die Sudetendeutschen verbreiten, die weit hinter die mühsamen Formelkompromisse der Deklaration zurückfielen und die im westlichen Europa als unannehmbar gelten; nur auf den Besuch Bundeskanzler Schröders mußte Zeman daraufhin verzichten.
In Prag aber rückten, nachdem vor allem in Deutschland und in Österreich, dann auch in Ungarn Kritik an der „Zemaniade“ laut geworden war, die Rechten und die Linken zur Verteidigung der nationalen Interessen so eng zusammen, daß man an die Auferstehung der „Nationalen Front“ aus der Zeit der Kommunisten glauben konnte; letztere wurden, um dem Ausland vollkommene Geschlossenheit demonstrieren zu können, sogar aus der mehr als ein Jahrzehnt dauernden politischen Isolationshaft entlassen. Seither verteidigt eine tschechische Allparteienkoalition, verstärkt durch ein Freikorps von Juristen und Historikern, die Republik gegen einen angeblichen Angriff auf die tschechische Staatlichkeit, „auf die europäische Nachkriegsordnung“ gar. Nicht weniger als solch revisionistische Motive wollen die Hüter der tschechischen Nationalinteressen hinter der Forderung ausgemacht haben, Prag solle sich als künftiges Vollmitglied der „Wertegemeinschaft“ EU politisch von der Vertreibung distanzieren. Im Westen mag man den Popanz, den die tschechischen Politiker aufbauen, als absurd belächeln; an der Moldau wird er, das zeigt auch die jetzt verabschiedete Parlamentsresolution, für bare Münze genommen.
Dabei ist das Gerede von der angeblichen Bedrohung, mit der sich die tschechische Urangst vor einer Wiedereröffnung der „deutschen Frage“ trefflich schüren läßt, blanker Unsinn. Es geht nicht um die Änderung der Geschichte, die Verschiebung von Grenzen, die Enteignung der tschechischen Bevölkerung im früheren Sudetenland oder um die Rückgängigmachung anderer Fakten, die vor sechs Jahrzehnten nach einem von Hitler begonnenen Krieg geschaffen wurden. Der Streit um die Beneš-Dekrete dreht sich nicht um Materielles, sondern um eine Frage der Moral und des Rechts: Kann es Umstände geben, unter denen ein Kollektivschuld-Vorwurf und die ihm folgende Entrechtung und Vertreibung ganzer Volksgruppen nicht Unrecht sein könnten? Spätestens seit den Bildern von Miloševics Vertreibungskriegen, die manchem erst die Augen für die Bedeutung des Begriffs öffneten, gibt es eine einmütige europäische Antwort: Vertreibung „läßt sich niemals rechtfertigen. Vertreibung (. . .) ist stets ein Unrecht“ (Gerhard Schröder).
Viel mehr als die Zustimmung zu dieser europäischen Grundüberzeugung kann man im sechsten Jahrzehnt nach Kriegsende vernünftigerweise auch von den Tschechen nicht verlangen; man kann dieser Kulturnation, die sonst nur an den höchsten Maßstäben gemessen werden will, diese Forderung aber auch nicht ersparen. Es wäre nicht unmöglich, sie zu erfüllen: Das Prager Parlament könnte die Beneš-Dekrete „ex nunc“, also von jetzt an, aufheben, ohne daß dies Folgen für die bisher durch sie geschaffenen Tatsachen hätte. Statt dessen erklärte die tschechische Volksvertretung, daß die Dekrete „verbraucht“ seien und keine neuen „Rechtsbeziehungen“ mehr begründen könnten – daß also Deutsche und Ungarn nicht mehr befürchten müßten, enteignet und vertrieben zu werden, sobald sie tschechischen Boden betreten. In Brüssel und anderswo mag man das als Durchbruch werten. In Wahrheit steht die Parlamentsresolution von Prag aber für das Unvermögen und den von nationalistischem Gedankengut gespeisten Unwillen, sich von den Symbolen des dunkelsten Kapitels der tschechischen Geschichte zu lösen. Die tschechische Politik hat am Mittwoch die Chance vertan, die Begriffe und Denkmuster der unmittelbaren Nachkriegszeit hinter sich zu lassen. Auch mit ihnen kann man offenbar Mitglied der EU werden. Dem Geist, der das vereinte Europa beseelen soll, kommt man mit solchem Gepäck aber nicht näher.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.04.2002
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ANALYSE der Prager Erklärung zu den BENEŠ-DEKRETEN -
- Prag schreibt Rechtsunordung fest: – Steilauflage für Sudetendeutsche?
- Die Festschreibung der nach der Vertreibung der Sudetendeutschen entstandenen Rechtsverhältnisse sollte Vertriebenen eigentlich Recht sein. Denn das Prager Parlament unterstützt mit der gestern verabschiedeten Erklärung ungewollt die Argumentationslinie jener Anwälte, die den Sudetendeutschen wieder zu ihrem Eigentum verhelfen wollen. -  – Von MANFRED MAURER –
Politische Proteste helfen den Sudetendeutschen aber wenig. Lohnender wäre es, Prag beim Wort zu nehmen und eine tatsächliche Festschreibung bestehender Rechtsverhältnisse einzufordern.
Eine von der politischen Oberfläche in die juristische Tiefe gehende Analyse würde nämlich zeigen, daß die Enteignung formal in den meisten Fällen nicht stattgefunden und sich daher an den Eigentumsverhältnissen aufgrund der Beneš-Dekrete vielfach gar nichts geändert hat. Im Klartext: Den „Enteigneten“ wurde seinerzeit kein Konfiskationsbescheid zugestellt, in vielen Grundbüchern sind noch heute sudetendeutsche Eigentümer auf Grundstücken eingetragen, die sich lediglich im Besitz tschechischer Gemeinden befinden. – Das bestätigte etwa kürzlich der Bürgermeister der Gemeinde Brodek in der Proßnitzer Zeitung „Prostejovsky Vecernik“: „Sofern heute jemand solche (früher Sudetendeutschen gehörende, Anm.) Grundstücke kaufen wollte, können wir sie gar nicht verkaufen, weil sie zwar in unserem Besitz sind, aber im Grundbuch noch die ursprünglichen deutschen Eigentümer eingetragen sind und wir keinen Rechtstitel nachweisen können, so daß die Grundstücke praktisch unverkäuflich sind.“ – Genau an diesem Punkt hakt der Wiener Anwalt Johannes Eltz ein, der mit einigen Kollegen mehrere Sudetendeutsche in Restitutionsangelegenheiten vertritt: Formal sei es überhaupt nicht zur Enteignung gekommen, weil auch im tschechischen Verwaltungsrecht jeder Rechtsakt erst durch Zustellung eines rechtskräftigen Bescheides an den Betroffenen gültig werde. Solche Bescheide hat es aber in der Regel nicht gegeben und konnte es in Bezug auf die schon vor Erlaß der Beneš-Dekrete vollzogene „wilde Vertreibung“ auch gar nicht geben. Eltz ist es daher ziemlich egal, ob die Beneš-Dekrete aufgehoben werden oder nicht, denn: „Die Tschechen wissen ganz genau, daß sie in den Jahren 1945 bis 1948 Nicht-Akte produziert haben.“ Wer heute auf Herausgabe seines Eigentums in Tschechien klagt, bekommt den Enteigungsbescheid quasi nachgereicht, indem das zuständige Bodenamt unter Hinweis auf die Beneš-Dekrete die Restitution ablehnt. Eltz nennt das gegenüber dem VOLKSBLATT „ethnische Nachsäuberung“. Und diese steht im Widerspruch zur gestern im Prag verabschiedeten Erklärung. Darin heißt es nämlich, daß die Beneš-Dekrete nach ihrer Erlassung umgesetzt worden seien und „heute auf deren Grundlage keine neuen Rechtsverhältnisse entstehen können“. Tatsächlich wurden die Dekrete aber seinerzeit nicht rechtsgültig umgesetzt. Wird aber eine Restitutionsklage heute per Bescheid abgewiesen, werden jene „neuen Rechtsverhältnisse“ geschaffen, die nach dem Prager Parlamentsbeschluß gar nicht zulässig sind. Eltz ist daher gar nicht unglücklich über die Resolution: „Ich fühle mich in meiner Linie voll bestätigt.“ – Den Prager Abgeordneten scheint nicht bewußt gewesen zu sein, welche Rechtsverhältnisse sie da gestern festgeschrieben haben: nämlich nicht den Zustand nach, sondern jenen vor der Vertreibung der Sudetendeutschen. 
Quelle: Neues Volksblatt vom 25. 4. 2002
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“Die Resolution hat mich nicht erschreckt“ 
Außenministerin Ferrero-Waldner hofft auf Versöhnungsakt in Prag nach der Wahl. 
CARINA KERSCHBAUMER
Prag hat die Beneš-Dekrete mit den Enteignungsgesetzen gestern als unantastbar bezeichnet. Für die FPÖ ist nun „glasklar“, daß Tschechien nicht EU-Mitglied werden kann. Wie klar bzw. unklar ist für Sie jetzt die weitere Vorgangsweise?
FERRERO-WALDNER : Ich habe sofort eine Analyse in Auftrag gegeben. Das Thema ist so heikel, daß man nicht mit einem Schnellschuß antworten kann. Die Beneš-Dekrete sind ein Konflikt zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und ich denke, wir müßten die Zukunft unvergiftet angehen können.
Der Inhalt der gestrigen Resolution ist aber recht giftig.
FERRERO-WALDNER: Prag ist im Wahlkampf. Man muß jetzt die Ruhe bewahren. Ich stelle mir vor, daß es einmal eine Erklärung gibt, daß die Beneš-Dekrete Unrecht waren und daß hier ein Akt der Entschuldigung gesetzt wird. Weiters dürfen die in Frage gestellten Dekrete keine Rechtswirkung mehr haben. Daß man jetzt aber schwer mit Tschechien verhandeln kann, ist klar.
Prag ist aber nach dieser Resolution weiter denn je davon entfernt, die Vertreibungsdekrete der Geschichte zu überantworten.
FERRERO-WALDNER : Wir haben eine Historikergruppe eingesetzt und wir werden uns nach den Wahlen wieder zusammensetzen. Vorläufig werden wir aber nichts Initiatives tun.
Spricht hier die Vorsicht der Diplomatin?
FERRERO-WALDNER: Ich muß hier jedes Wort auf die Waagschale legen.
Die SPÖ hat Ihnen vorgeworfen, Sie würden hilflos dem Chaos in der Außenpolitik gegenüberstehen. Wie werden Sie die Kluft zwischen FP und VP in der Frage der Beneš-Dekrete und des EU-Beitritts Tschechiens schließen?
FERRERO-WALDNER : Zunächst: Es gibt kein Chaos. Im Regierungsübereinkommen steht, daß eine Lösung für die Beneš-Dekrete gefunden werden muß. Seien Sie sicher, daß wir noch vor dem EU-Beitritt eine Lösung finden werden.
Die Resolution kann Sie also nicht erschrecken?
FERRERO-WALDNER: Nein, sicher nicht.
Quelle: Kleine Zeitung, 25.04.2002
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Chance noch nicht vertan
Die Prager Erklärung zu den Beneš-Dekreten ist vor allem innenpolitisch motiviert
Josef Kirchengast
Der tschechische Parlamentspräsident Václav Klaus, einer der Favoriten für das Amt des Regierungschefs nach den Parlamentswahlen im Juni, spricht von „staatsmännischen“ Erwägungen, die über die Parteipolitik gestellt worden seien.
Das trifft insofern zu, als mit der gestrigen Erklärung des Prager Unterhauses zu den so genannten Beneš-Dekreten das Thema aller Voraussicht nach aus dem Wahlkampf herausgehalten wird. Und das muß auch im Interesse jener liegen, welche die Enteignungs- und Vertreibungsdekrete für unvereinbar mit den Menschenrechten halten, weil sie auf dem Prinzip der Kollektivschuld beruhen.
Das hat jetzt übrigens auch der Chef der ungarischen Sozialisten und mögliche neue Außenminister László Kovács in einem Interview mit einer slowakischen Zeitung bekräftigt. Die Entscheidung, ob die Beneš-Dekrete ein Hindernis für den EU-Beitritt Tschechiens darstellen, will Kovács Brüssel überlassen. Der scheidende ungarische Premier Viktor Orbán hält dagegen, wie auch die österreichische Regierung und der bayerische Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, die Dekrete für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der Union.
Tatsächlich prüft die Europäische Kommission derzeit noch einige der damaligen tschechoslowakischen Rechtsakte, welche die Enteignung und Vertreibung der deutschen und der ungarischen Bevölkerungsgruppe bei und nach Kriegsende betreffen. Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat gegenüber profil speziell das Amnestiegesetz aus dem Jahr 1946 genannt.
Dieses von der Einstweiligen Nationalversammlung in Prag verabschiedete Gesetz stellt alle im Zeitraum von 30. September 1938 bis 28. Oktober 1945 als „gerechte Vergeltung für die Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer“ begangenen Verbrechen straffrei. Angesprochen waren damit vor allem Gewaltexzesse bei der so genannten „wilden“ Vertreibung, die Tausende Tote forderte.
Laut Prager Deklaration sind die Enteignungs- und Vertreibungsdekrete nach Kriegsende umgesetzt, sozusagen „konsumiert“ worden und können damit heute „keine neuen Rechtsverhältnisse“ mehr begründen. Diese Formulierung versucht die Quadratur des Kreises: daß die Dekrete gelten (was die durch sie geschaffenen Rechts- und Eigentumsverhältnisse betrifft) und zugleich nicht mehr gelten. Juristisch ist diese Position schwer haltbar, politisch zumindest verständlich: Eine rückwirkende Annullierung der Dekrete hätte unabsehbare Auswirkungen auf die Rechtsordnung Tschechiens (und der Slowakei).
Für das Amnestiegesetz aber kann diese Argumentation nicht gelten: Seine Aufhebung würde die tschechische (und slowakische) Rechts-und Staatsordnung keineswegs erschüttern. Sie wäre, im Gegenteil, ein gewichtiger symbolischer Akt der Absage an die Kollektivschuldthese. Denn mit dem Amnestiegesetz wurden ja de facto alle Angehörigen der deutschen Volksgruppe im Nachhinein für vogelfrei erklärt. Auch tschechische Kritiker der Beneš-Dekrete sehen hier den Angelpunkt einer nachhaltigen Entschärfung des Themas.
Bezeichnenderweise bleibt das Amnestiegesetz aus der Erklärung des tschechischen Abgeordnetenhauses völlig ausgeklammert. Offenbar waren und sind sich alle Beteiligten der besonderen Brisanz dieses Gesetzes bewußt, von dem ja niemand ernsthaft behaupten kann, seine Wirksamkeit sei erloschen. Prinzipielle Straffreiheit für Gewaltverbrechen – unter welchen Umständen und aus welchen Motiven sie auch begangen wurden – kann nicht Bestandteil einer europäischen Rechtsordnung sein.
Bei aller begründeten Skepsis und Kritik sollte die Deklaration des Prager Parlaments aber zunächst nach ihrem vorrangigen Zweck beurteilt werden: das Thema innenpolitisch zu entschärfen. Ein echter Schlußstrich kann sie jedenfalls nicht sein. Nach den Wahlen wird man weitersehen.
Quelle: Der Standard (Wien) vom 25.04.2002
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Empörung über Prager Erklärung
Westenthaler: „Eine Provokation“
Wien/Brüssel
– Der einstimmige Beschluß des tschechischen Abgeordnetenhauses, daß die Beneš-Dekrete „unantastbar“ seien, sei ein „Anti-EU-Beschluß Tschechiens“, erklärte FP-Klubobmann Peter Westenthaler am Mittwoch. Denn mit den Dekreten gebe es nämlich „keinen Beitritt Tschechiens zur EU“. Das sei für die FPÖ „glasklar“. Für Westenthaler ist das Vorgehen Tschechiens „sehr befremdlich“ und eine „Provokation Österreichs“.
Schweigsam gab sich Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Bevor sie eine Stellungnahme abgibt, wolle sie erst die Analyse ihrer Mitarbeiter abwarten, hieß es.

Nationalratspräsident Heinz Fischer hat als Reaktion auf die Resolution der tschechischen Abgeordnetenkammer zu einer Stärkung der Gemeinsamkeiten zwischen Prag und Wien aufgerufen. Die Probleme rund um die Beneš-Dekrete würden durch die Prager Erklärung nicht einfacher, dies gelte auch für manche „Festlegungen“ in Österreich.
EU-Garantie „völlig undenkbar“
Ursula Stenzel, ÖVP-Delegationsleiterin im Europäischen Parlament, nahm es gelassen: Das sei kein Durchbruch, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Geprüft werden müßten auf alle Fälle die Bestimmungen über die Straffreiheit. „Damit bleibt offen, daß die Dekrete sehr wohl Auswirkungen auf den Beitrittsprozeß haben könne, diese aber kein Beitrittshindernis sind“, sagte Stenzel.
Die freiheitliche Delegationsleiterin im EU-Parlament, Daniela Raschhofer, ging auf die Forderung des tschechischen Unterhauschefs Vaclav Klaus ein, der eine EU-Garantie für die Unantastbarkeit der Beneš-Dekrete verlangt. Dies sei „völlig undenkbar“, sagte Raschhofer.
Der Linzer Völkerrechtler Manfred Rotter nutzte die Gelegenheit und wiederholte seinen Vorschlag, Österreich solle die Frage der Beneš-Dekrete vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. Den Einwand von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, daß dies rechtlich nicht möglich sei, hält Rotter für „unzutreffend“. Laut Schüssel könne der Straßburger Gerichtshof nach geltender Judikatur nicht Rechtsvorschriften untersuchen, die vor dem In-Kraft-Treten der Europäischen Menschenrechtskonvention gesetzt worden seien.
Der Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenamt, Hans Winkler, hält den Gang vor den Menschenrechts-Gericht für nicht sinnvoll. „Die Dinge, die sie feststellen könnten, wissen wir sowieso. Und die Dinge, wo eine Weiterwirkung besteht, sind eindeutig die Fälle, die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entzogen sind“ sagte er. Außerdem stelle sich die Frage, welchen Sinn der Beginn eines zumindest zwei oder drei Jahre dauernden Verfahrens mache.
(APA, ina, mue, pm)
Quelle: Der Standard (Wien), 25.04.2002
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IM WORTLAUT
“Nach Erlaß verbraucht“
Der Wortlaut des Beschlusses des tschechischen Abgeordnetenhauses zu den Beneš-Dekreten (Übersetzung APA):
Das Abgeordnetenhaus des Parlaments der Tschechischen Republik – ablehnend die Bemühungen um eine Öffnung der Fragen, die mit dem Ende und den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges zusammenhängen, – hervorhebend die positive Bedeutung der tschechisch-deutschen Deklaration (die so genannte „Schlußstrich-Erklärung“ vom Jänner 1997, Anm.) und den darin ausgedrückten Willen, die Zukunft mit den politischen und rechtlichen aus der Vergangenheit stammenden Fragen nicht zu belasten, – bestätigend, daß die guten Nachbarschaftsbeziehungen und die vollberechtigte Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der Europäischen Union zu den außenpolitischen Prioritäten der Tschechischen Republik gehört, – davon ausgehend, daß das Ausmaß und die Bedingungen der Restitutions-Gesetzgebung völlig und ausschließlich in Kompetenz der tschechischen Verfassungsorgane sind, erklärt, daß:
1) die tschechoslowakische Gesetzgebung aus den Jahren 1940-1945, einschließlich der Dekrete des Präsidenten der Republik, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, in Folge des Krieges und der Niederlage des Nationalsozialismus entstanden ist,
2) die Nachkriegsgesetze und Dekrete des Präsidenten der Republik sich realisiert haben, im Zeitraum nach deren Erlaß verbraucht wurden und heute auf ihrer Grundlage keine neuen Rechtsverhältnisse mehr entstehen können,
3) die Rechts- und Eigentumsverhältnisse, die aus ihnen hervorgegangen sind, nicht infragestellbar, unantastbar und unveränderlich sind. (red)
Quelle: Der Standard (Wien) vom 25.04.2002
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Analyse von Friedrich Gruber
Prag legt sich Stolperstein auf den Weg in die EU
Das Tschechische Abgeordnetenhaus hat gestern noch rasch vor der Veröffentlichung von Arbeitsergebnissen europäischer Experten einen Beschluß gefaßt, wonach die Beneš-Dekrete zur Vertreibung der Deutschböhmen „unantastbar“ sind.

Es ist das eine politische Entscheidung der Prager Volksvertretung, die dabei in einer gewissen Tradition steht – bei der zu klären wäre, ob sie ins Denken und in den Rahmen der EU paßt.
Denn Faktum ist, die Beneš-Vertreibungsgesetze und die Sanktionierung von Verbrechen in diesem Zusammenhang gründen auf ethnischer Säuberung und auf Pauschalverurteilung.
Europa genau auf den Punkt trifft freilich der eigentliche Hammer der gestrigen Prager Ereignisse: Parlamentspräsident Vaclav Klaus präzisierte: „Wir fordern Garantien der Unantastbarkeit der Nachkriegs-Legislative nach dem EU-Beitritt. Falls wir solche Garantien nicht bekommen, wird die ODS den Wählern nicht empfehlen, bei der Volksabstimmung für den EU-Beitritt (2003) zu stimmen.“ Klaus ist der Vorsitzende der Demokratischen Bürgerpartei ODS, die für die Parlamentswahlen im Frühsommer hofft, wieder stärkste Partei zu werden.
Mit dem gestrigen Beharrungsbeschluß legen sich die Tschechen allerdings selber einen gewaltigen Stolperstein in den Weg in die EU. Denn auch wenn es in Brüssel – im Gegensatz zum EU-Parlament – Leute gibt, die durchaus Verständnis hätten für tschechische Geschichtsverdrängung, von Aufnahmekandidaten erpressen lassen darf sich die EU nicht. Umsomehr als damit die ganze EU-Erweiterung auf eine schiefe Ebene von wechselweise politischem Opportunismus und blanker Nötigung kommt.
Was der „bürgerliche“ Vaclav Klaus der EU zumutet, ist übrigens mindestens so erschreckend und untragbar wie die Empfehlung des sozialdemokratischen tschechischen Ministerpräsidenten Miloš Zeman in Jerusalem: Israel möge es mit den Palästinensern jetzt genau so machen, wie es die Tschechoslowakei nach 1945 mit den Deutschstämmigen machte.
In der gestern vom Prager Parlament beschlossenen Deklaration beruft man sich auch auf den europäischen Rahmen: „Die tschechoslowakische Gesetzgebung aus den Jahren 1940-1945, einschließlich der Dekrete des Präsidenten der Republik, sind – ähnlich wie in anderen europäischen Ländern – infolge des Krieges und der Niederlage des Nationalsozialismus entstanden.“
Dieses war teilweise so. Was die Frage der Aufarbeitung dieser Vergeltungsmaßnahmen durch Pauschalverurteilung und ethnische Säuberung anlangt, steht die Tschechische Republik freilich bald alleine ignorant da.
Slowenien etwa hat in seinem Restitutionsgesetz festgelegt, daß bürgerliche Ehrenerklärung und Restitution allen jenen gebührt, die nicht Funktionäre, Helfer oder Kollaborateure des nationalsozialistischen Besatzungsregimes waren. Im Detail mühsam, aber europareif.
Auch Kroatien und Serbien, wo die so genannten AVNOJ-Vergeltungsbeschlüsse nach 1945 ebenso schlagend waren, gehen inzwischen den slowenischen Weg.
In Rumänien ist man inzwischen noch großzügiger: Hier gilt für einen Restitutionsanspruch, den übrigens auch Erben und Nichtrumänern stellen können, ausschließlich ein nachzuweisender früherer Eigentumstitel. Ob jemand ein NS-Mitglied war, wird in Rumänien nicht mehr gefragt.
In Ungarn ist dieses Thema praktisch vom Tisch, das damit ein breites Band von Investoren und neuen Freunden ins Land zog. Polen hat noch gewisse Probleme, ist aber nie und nimmer so verbissen wie Tschechien, das nicht zu begreifen scheint, daß es sich in Europa mit nationalistischer Ideologie auch wirtschaftlich schadet. Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen Tschechiens mit seinen Nachbarn stagnieren auf allen Ebenen. Skoda in deutscher Hand ist eine Ausnahme.
Es tut auch vielen Österreichern an der Grenze weh, daß das Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn eine neue Eintrübung erfahren hat aufgrund neuer Geschichtsverbissenheit, die nicht erst 1945 oder 1939 begann. Freilich auch durch die von uns selber aufgerichteten Anti-Temelin-Blockaden (Wer diese ablehnt, muß übrigens nicht für Temelin sein!).
Man muß den Tschechen schon nachempfinden, daß sie nie mehr hinter einem eisernen Vorhang leben wollen. Und man muß sie schon verstehen, daß sie allergisch reagieren auf Fremdbestimmung seinerzeit aus Wien. Zuletzt aus Moskau. Und das soll in Zukunft nicht aus Brüssel geschehen, sagt Vaclav Klaus, der nicht erst gestern zum EU-Skeptiker geworden ist, als er sich ins Knie schoß.
( von Friedrich Gruber )
Quelle: Oberösterreichische Nachrichten vom 25.04.2002
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Stellungnahme Weiß: „blankes Unrecht“ 
red.
– Der Rüsselsheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Gerald Weiß hat die Bestätigung der Beneš-Dekrete durch das Tschechische Parlament als eine „Schande und völlig inakzeptabel“ bezeichnet. Daß dies auch noch einstimmig und im Schulterschluß mit den „schwer schuldbeladenen Kommunisten“ geschehen sei, mache die Sache noch schlimmer. Die Dekrete des damaligen tschechoslowakischen Präsidenten Eduard Beneš (1884-1948) seien die Grundlage für die Vertreibung der Sudetendeutschen und der ungarischen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen und hätten diese beiden Volksgruppen völlig rechtlos gestellt und Verbrechen an Deutschen und Ungarn legalisiert. Sie seien „blankes Unrecht“ gewesen und ein klarer Bruch der Menschenrechte und des Völkerrechts. Tschechien müsse dieses Unrecht widerrufen. Er könne sich nicht vorstellen, so Weiß, daß der Aufnahmeantrag in die EU positiv beschieden werden könne, bevor die Unrechts-Dekrete nicht ausdrücklich zurückgenommen worden seien.
Quelle: Main-Spitze vom 26.04.2002
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Beneš-Dekrete im Bericht des EU-Parlaments zu Erweiterung
Der Bericht des deutschen EU-Abg. Elmar Brok (EVP) über die Erweiterung, der im Juni im EU-Parlament in Straßburg abgestimmt wird, befaßt sich laut FPÖ-EU-Abg. Daniela Raschhofer im Abschnitt über Tschechien auch mit den Beneš-Dekreten. Für Raschhofer stellt das tschechische Amnestiegesetz von 1946 „eine unüberwindbare Hürde“ für einen EU-Beitritt des Landes dar. Das Gesetz, welches Vergeltungsakte für die Taten von Okkupanten und ihren Helfern für rechtens erkläre, widerspreche dem Artikel 6 und den dort verankerten Kopenhagener Kriterien. Indes will Ungarn jede Entscheidung der EU zur Beneš-Frage respektieren. Es obliege der Union zu entscheiden, ob die umstrittenen Bestimmungen ein Hindernis für den Beitritt Tschechiens oder der Slowakei darstellen, sagte Laszlo Kovacs, Chef der Sozialistischen Partei (MSZP) und möglicher neuer Außenminister. Die Slowakei respektiert die tschechische Resolution zu den Beneš-Dekreten. Man wolle die Aufregung jedenfalls nicht steigern, sagte Außenminister Eduard Kukan.
Quelle: Wiener Zeitung vom 26.04.2002
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INTERVIEW:
VP-Klubobmann Andreas Khol erwartet trotz Beneš-Diskussion im kommenden Jahr keinen EU-feindlichen Wahlkampf
LINZ
. In der politischen Diskussion liebt es der Tiroler hart und direkt. VP-Klubchef Andreas Khol gilt nicht umsonst als der „kantige Kettenhund“ des Kanzlers. Im OÖN-Interview nahm er Stellung zu den Beneš-Dekreten, zur FP und zur politischen Kultur im Land. ...
OÖN: Antieuropäische Aussagen kamen auch wieder vom freiheitlichen Peter Westenthaler? In Verbindung mit den Beneš-Dekreten droht er Tschechien mit einem Beitritts-Veto.
Khol: Eine Verknüpfung Beneš mit Veto ist nicht unsere Politik. Aber es ist klar, daß die Frage der Beneš-Dekrete vor der Ratifikation des tschechischen EU-Beitritts geklärt werden muß. Wir haben schon eine Lösung vorgeschlagen: Tschechien soll die Beneš-Dekrete zu totem Unrecht erklären und eine Geste in Richtung eines Restitutionsfonds setzen.
OÖN: Der Beschluß des tschechischen Parlaments, wonach die Beneš-Dekrete unantastbar und unveränderlich seien, erleichtert die Situation nicht gerade.
Khol: Den Beschluß des tschechischen Parlaments sollte man noch genau analysieren, denn auch die Tschechen sind Meister der feinen Klinge, was die Formulierkunst betrifft. Fakt ist: Von den 147 Beneš-Dekreten stören uns jene zwei, die Vertreibung und Enteignung betreffen. Wir wollen, daß diese heute keine Rechtswirksamkeit mehr entfalten. Ich gebe für die innenpolitische Debatte zu bedenken, daß Tschechien vor Wahlen steht. Und vor der Wahl redet man in Tschechien anders, als hoffentlich nach der Wahl. ...
(von Wolfgang Braun und Heinz Steinbock)
Quelle: Oberösterreichische Nachrichten vom 26.04.2002
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Tschechien:   »Das ist unser Land, unsere Datsche«
Einmütigkeit zu Beneš-Dekreten im Parlament
Von Jaroslav Polivka, Prag
Unter tschechischen Politikern herrschte am Donnerstag spürbare Zufriedenheit. Die einmütige Verabschiedung einer Parlamentsresolution zu den Beneš-Dekreten am Vortag beeindruckte besonders die Volksvertreter selbst. 
Parteiübergreifend lobten sie, daß sie sich in einer für die Nation wichtigen Frage geschlossen präsentiert hatten. Die Medien sahen es erwartungsgemäß kritischer. Zwar sei es besser gewesen, sich zu dem heiklen Thema abzusprechen, als eine hitzige öffentliche Debatte zu führen, meinte etwa die konservative »Lidove noviny«. Doch zeige man solche außergewöhnliche Einigkeit nur gegen einen gemeinsamen Feind, der das Land bedrohe. Den gebe es aber nicht mehr. »Mlada fronta DNES« sah den einzigen Vorteil der Resolution darin, daß sie »die Ängstlichen beruhigt und wahrscheinlich niemandem schadet«. In Europa habe, »außer ein paar Extremisten«, niemand die Absicht, die Nachkriegsordnung zu verändern. So gesehen habe man sie auch nicht verteidigen müssen.
Die Resolution machte sogar den Bruch eines innenpolitischen Tabus möglich. Zum ersten Mal seit dem Herbst 1989 wurde die Kommunistische Partei KPCM ausdrücklich in einen parlamentarischen Konsens einbezogen. Und wie um zu zeigen, daß es in besonderen Fällen besonderer Einsichten bedarf, schloß sich selbst Vaclav Havel der Resolution an. Er habe »nicht die geringsten Vorbehalte gegen den Text«, ließ der Präsident wissen, der sich 1990 scharfe Kritik eingehandelt hatte, als er sich bei den Sudetendeutschen entschuldigte. Die Initiatoren dieser denkwürdigen Zusammenkunft des tschechischen Parlaments verweisen darauf, daß es ihnen insbesondere darum ging, den Bürgern ihres Landes ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu verschaffen. Abgeordnete der regierenden Sozialdemokraten und der bürgerlichen ODS hatten das demonstriert, indem sie zur Abstimmung ein T-Shirt mit der Aufschrift »Das ist unser Land – das ist unsere Datsche« trugen.
Tatsächlich geht es der Mehrheit nicht darum, die Beneš-Dekrete – auf deren Grundlage die deutsche und die ungarische Minderheit nach Kriegsende Eigentum und Staatsbürgerschaft verloren – bis auf den heutigen Tag zu verteidigen. Das damals zu Grunde liegende Prinzip der Kollektivschuld ist längst nicht mehr Teil des tschechischen Rechts. Weshalb die Resolution auch erklärt, daß die Dekrete zwar »unbestreitbar, unantastbar und unveränderbar« seien, doch auf »ihrer
Grundlage keine neuen Rechtsbeziehungen entstehen« können. Das heißt, niemand wird heute wegen seiner nationalen Zugehörigkeit enteignet oder vertrieben. Andererseits sollen Tschechen nicht fürchten müssen, aus ihren Häusern und von ihren Grundstücken verdrängt zu werden. Diese Furcht ist noch immer verbreitet, denn bislang haben die Sudetendeutschen Landsmannschaften nicht ausdrücklich auf das einstige Eigentum verzichtet. Die Resolution zu den Beneš-Dekreten, hieß es gestern in Prag, sei somit vor allem ein klares Signal an all jene, die immer noch von Rückgabe träumten.
Quelle: Neues Deutschland vom 26.04.2002
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Geröll auf dem Weg in die EU
Nach der Bekräftigung im Prager Parlament sind viele Fragen offen.
WIEN/PRAG. Der Donner ist gewaltig, aber er ist kalkuliert. Wenn das tschechische Parlament sich über alle Fraktionen hinweg einig zeigt, an der Nachkriegsordnung einschließlich des mit Recht umstrittenen Teils der sogenannten Beneš-Dekrete festzuhalten, dann ist dies in westlichen Augen ganz einfach ein unseliger Beschluß. Mit diesen Dekreten, die nach dem Willen des damaligen Präsidenten Eduard Beneš die Vertreibung, Enteignung und Tötung von Deutschen, Österreichern und Ungarn sanktionieren, ist eine Aufnahme in die Rechtsordnung der EU nicht möglich – jedenfalls nach Auffassung des Straßburger Parlaments.
Der Graben scheint unüberwindbar
Wenn eine Kulturnation wie die tschechische an einem Unrecht festhält, das zwar „erloschen“, aber nicht von Anfang an ungültig ist, dann scheint der Graben unüberwindbar. Noch schlimmer: Erstmals hat sich der Präsident, ein Mann von der moralischen Instanz eines Vaclav Havel, „ohne den kleinsten Einwand“ mit der Parlamentsmeinung einverstanden erklärt.
Mehr historisches Geröll hätte man im Vorfeld der Beitrittsverhandlungen nicht abkippen können. Das sehen die Tschechen, so weit sie überhaupt für ein geeintes Europa eintreten und so weit sie über das historische Unrecht von 1938 hinauszuschauen vermögen, diesmal anders. Die Gruppe der Unrechtsexperten, die sich inzwischen zusammengefunden hat, prüft den Text und den Stil und stellt erleichtert fest, daß er erstens kurz und zweitens einigermaßen sachlich ist. In der Tat, wer sich an den starken Tobak erinnert, den der Premierminister Miloš Zeman zum Abschied aus dem Amt zu rauchen pflegte, muß die Mäßigung im Ton anerkennen. Zudem sorgt die Einstimmigkeit bei nationalistischen Übertreibungen wenigstens für gleiche Wettbewerbschancen.
Wie nötig dies ist, zeigt sich an dem bürgerlichen Parteivorsitzenden Vaclav Klaus, der noch selbigen Tages von der EU verlangt, sie solle die Gültigkeit der Beneš-Dekrete am Ende sogar garantieren. Man sollte es nicht für möglich halten, daß derselbe Mann vor fünf Jahren zusammen mit Helmut Kohl die Unterschrift unter den deutsch-tschechischen Vertrag gesetzt hat. Damals muß auch er die Einschätzung geteilt haben, daß mit gegenseitiger Einsicht und mit der Verwaltung eines Kulturfonds die bösen Geister der Vergangenheit auf Distanz zu halten sind.
Bei der Mehrzahl der tschechischen Parlamentarier hat die gemeinsame Resolution wohl den Zweck, das unselige Thema bis zum Wahltag vom Feuer zu nehmen. Die Gefahr ist groß, daß die Scheintoten des Populismus aus den „erloschenen“ Bestimmungen auferstehen. Wer die „Achse Berlin-Wien-Budapest“ erfinden konnte, der wird auch das Gespenst des Revanchismus jederzeit erwecken können. So leicht, wie es sich der zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen vorstellt, der die Beneš-Dekrete einfach vom Verhandlungstisch fernhalten will, wird es nicht gehen.
Es muß möglich sein, eine Rechtskonstruktion zu finden, die Eigentums- und Persönlichkeitsrechte als Ausdruck europäischer Kultur wahrt, ohne neue Verweigerung auf alte Brutalität zu setzen. Dann muß sich erweisen, ob der innenpolitische Kunstgriff der Tschechen offen für vertragspolitische Phantasie ist. (NRZ)
25.04.2002    HANS-JOACHIM DECKERT 
Quelle: Neue Ruhr-Zeitung vom 26.04.2002
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Chance für Vertriebene
Schoß Prag ein juristisches Eigentor?
WIEN/PRAG (NZ). – So paradox es klingt: Die jüngste Resolution des tschechischen Abgeordnetenhauses, in der die nach der Vertreibung der Sudetendeutschen entstandenen Rechtsverhältnisse für unabänderlich erklärt werden, bietet den Vertriebenen juristisch gesehen eine Chance, die von Prag freilich nicht beabsichtigt ist.

Tatsächlich könnte es für die Sudetendeutschen lohnend sein, Prag beim Wort zu nehmen und eine tatsächliche Festschreibung bestehender Rechtsverhältnisse einzufordern. Eine juristische Analyse zeigt nämlich, daß die Enteignung formal in den meisten Fällen gar nicht stattgefunden hat. Den „Enteigneten“ wurde seinerzeit nämlich meist kein Konfiskationsbescheid zugestellt, in vielen Grundbüchern sind noch heute sudetendeutsche Eigentümer auf Grundstücken eingetragen, die sich lediglich im Besitz tschechischer Gemeinden befinden. Das bestätigte etwa kürzlich der Bürgermeister der Gemeinde Brodek: „Wenn heute jemand früher Sudetendeutschen gehörende, Grundstücke kaufen will, können wir sie gar nicht verkaufen, weil sie zwar in unserem Besitz sind, aber im Grundbuch noch die ursprünglichen deutschen Eigentümer eingetragen sind.
Genau an diesem Punkt hakt nun der Wiener Anwalt Johannes Eltz ein, der Sudetendeutsche in Restitutionsangelegenheiten vertritt: Formal sei es überhaupt nicht zur Enteignung gekommen, weil auch im tschechischen Verwaltungsrecht jeder Rechtsakt erst durch Zustellung eines rechtskräftigen Bescheides gültig werde.
Wer heute auf Herausgabe seines Eigentums in Tschechien klagt, bekommt den Enteignungsbescheid quasi nachgereicht. Das steht aber im Widerspruch zur jetzt in Prag verabschiedeten Erklärung, weil dadurch jene „neuen Rechtsverhältnisse“ geschaffen werden, die nach dem Beschluß unzulässig sind.
Den Prager Abgeordneten scheint nicht bewußt gewesen zu sein, welche Rechtsverhältnisse sie da gestern festgeschrieben haben: nämlich nicht den Zustand nach, sondern jenen vor der Vertreibung der Sudetendeutschen. Deren Eigentum ist lediglich an neue Besitzer übergegangen. Zum Besitzer wird allerdings auch jeder Dieb – ohne daß jemand auf die Idee kommen würde, ihn als Eigentümer der Beute zu betrachten.
Manfred Maurer
Quelle: Nürnberger Zeitung vom 26.04.2002
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Beneš-Dekrete  
Mythen und Realität
Prag, 26.4.2002, RADIO PRAG, deutsch / Markéta Maurová
Der Begriff „Beneš-Dekrete“ eroberte sich in der letzten Zeit eine sozusagen Symbolbedeutung. Doch die Vorstellungen vieler, die darüber diskutieren, was er genau bedeutet, sind manchmal vage.
Die Beneš-Dekrete sind Rechtsnormen, die von der international anerkannten Exilregierung und nach dem Kriegsende von der ersten tschechoslowakischen Regierung vorbereitet, behandelt und verabschiedet und nach dem Krieg von Präsident Beneš, dem Regierungsvorsitzenden und den Ministern unterzeichnet wurden, die sie umsetzten. So erklärt uns Doz. Jan Kuklík vom Institut für Rechtsgeschichte der Juristischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag diese Problematik. Er verweist auch auf verschiedene Mythen, die in diesem Zusammenhang vorkommen: die Anzweifelung der Legitimität der tschechoslowakischen Regierung, die Dämonisierung der Dekrete sowie des Präsidenten Edvard Beneš selbst, Worte über Unrecht und Genozide, Beurteilung der Kriegs- und Nachkriegsereignisse nach den heutigen juristischen, aber auch politischen oder moralischen Kriterien.
„Andererseits soll eingeräumt werden, daß es neben diesen Mythen, die verschiedene außenpolitische oder etwa auch Eigentumsziele haben können, auch Mythen einer unkritischen Verteidigung der Präsidialdekrete gibt. Diese wollen nicht zulassen, daß es 1945-48 z.B. zu individuellen Fällen des Mißbrauchs kommen konnte, daß die Dekrete ein Ergebnis großer politischer Kompromisse waren, daß sie mit der grundlegenden Veränderung der tschechoslowakischen Gesellschaft nach 1945 verknüpft waren.“
Die politischen und moralischen Urteile sollen nach Doz. Kuklík von der historisch-rechtlichen Beurteilung getrennt werden, die sich mit der konkreten Anwendung der Dekrete, deren Vergleich mit der Gesetzgebung anderer Staaten, der konkreten Einsetzung der Dekrete in die Situation des Zweiten Weltkrieges und der Zeit danach befassen sollen.
Eine bedeutende Frage stellt die eigentliche – nicht ganz einfache – Beziehung zwischen den Dekreten und der Vertreibung der deutschen und ungarischen Bevölkerung dar. Diese sei primär eine völkerrechtliche und international-politische Sache gewesen und müsse vor allem im Kontext der Alliierten-Politik gesehen werden. Sie hänge aber auch mit den Präsidialdekreten zusammen, die eine Voraussetzung für deren Durchführung hinsichtlich des tschechoslowakischen Rechts darstellten.
„Von entscheidender Bedeutung sind für mich jedoch nicht die Konfiszierungsdekrete. Diese waren eher eine Folge und müssen im Rahmen der Alliierten-Politik gegenüber dem Eigentum des Feindes gesehen werden. Das wichtigste Dekret ist das über die Staatsbürgerschaft. Es geht von der Notwendigkeit aus, auf die Tatsache reagieren zu müssen, daß ein Großteil der ursprünglichen Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik bereits nach dem Münchner Abkommen und nach dem 15. März 1939 Staatsbürger des feindlichen Staates geworden sind, mit dem die Tschechoslowakei den Krieg führte. Daraus wurden nach dem Krieg Konsequenzen gezogen und die Personen wurden der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft zu dem Datum für verlustig erklärt, als sie die deutsche Staatsbürgerschaft annahmen.“
Gleichzeitig wurde eingeräumt, es wäre möglich gewesen, bestimmten Gruppen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft weiterhin zu gewähren. Die Tatsache, daß diese Möglichkeit nicht vollständig genutzt wurde, sowie die Frage, ob der tschechoslowakische Staat gegenüber einzelnen Personen in allen Fällen rechtmäßig vorging, bietet Raum für weitere Forschung der Geschichtswissenschaft. (fp)

Quelle: Radio Prag vom 26.04.2002 (Übersetzung: Deutsche Welle)
==============Radio Prag 2002-04-26===========================================================
Polnischer Premier plädiert in Prag für erneute verstärkte Zusammenarbeit der Visegrader Staatengruppe in den EU-Beitrittsverhandlungen
IN Gesprächen mit führenden tschechischen Politikern hat sich der polnische Premier Leszek Miller am Freitag in Prag für eine erneute verstärkte Zusammenarbeit der sog. Visegrader Staatengruppe ausgesprochen. Polen habe ein ähnlich starkes Interesse wie Tschechien, daß beide Länder gemeinsam mit Ungarn und der Slowakei besonders bei den letzten Runden der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union „eine wirklich starke Vierergruppe“ bildeten, sagte der Vorsitzende des tschechischen Senats, Petr Pithart nach dem Treffen mit Miller. Aufgrund von Äußerungen des ungarischen Premiers Viktor Orban über die sog. Beneš-Dekrete war die Zusammenarbeit der vier Länder in letzter Zeit zum Erlahmen gekommen. Mit dem Vorsitzenden des tschechischen Abgeordnetenhauses, Vaclav Klaus, verhandelte der polnische Premier am Freitag vor allem über die Europäische Union und die ökonomische Situation in Polen. Im Gespräch mit Präsident Vaclav Havel äußerte Miller, daß der Prager NATO-Gipfel im Herbst historische Bedeutung haben werde.
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Polnischer Premier spricht sich in Prag gegen Verknüpfung von Beneš-Dekreten und EU-Beitritt aus
Der polnische Ministerpräsident Leszek Miller hat sich am Freitag in Prag dagegen ausgesprochen, die Verordnungen über die Enteignung und Ausbürgerung der Sudetendeutschen und Ungarn während der EU- Beitrittsverhandlungen zu thematisieren. „Die Beneš-Dekrete sind Teil der Vergangenheit“, sagte Miller nach einem Treffen mit seinem tschechischen Amtskollegen Miloš Zeman.
================Mitteilungen von Walter Mogk:=======================================
UMFRAGE ZU Beneš: Skepsis, daß Prag einlenkt
Wien. – Skeptisch und pessimistisch sind die Österreicher, geht es um die Frage, ob sich die Einstellung Prags zu den Beneš-Dekreten nach den tschechischen Wahlen im Juni ändern wird. 55 Prozent antworten mit einem klaren Nein, nur 18 Prozent meinen, daß es mit einem neuen Kabinett eine neue Haltung geben werde. 59 Prozent glauben nicht, daß es eine Entschuldigung geben wird, 73 Prozent meinen: es wird keine Entschädigung für die Vertriebenen geben. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft. Was die Umfrage auch zeigt: Junge Menschen und Akademiker sind optimistischer in diesen Fragen als die älteren Österreicher.
Quelle: Kleine Zeitung vom 29.04.2002
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Beneš-Dekrete sorgen auch in der Slowakei für Zündstoff
Ex-Vizepremier Hamzik will sich der umstrittenen Erklärung des tschechischen Parlaments anschließen.
Von unserem Korrespondenten CHRISTOPH THANEI
PRESSBURG. Noch ist in Deutschland und Österreich der Wirbel um die Erklärung der tschechischen Parlamentsparteien zu den sogenannten „Beneš-Dekreten“ nicht verstummt, da droht auch die Slowakei in den Strudel der emotionsgeladenen Diskussion zu geraten: Ex-Vizepremier Pavol Hamzik, der Parteichef der kleinen
Koalitionspartei „Partei der bürgerlichen Verständigung“ (SOP), forderte laut Tageszeitung „Sme“, auch die Slowakei solle sich der tschechischen Erklärung anschließen. Dieser Erklärung zufolge sind die in den Jahren 1940 bis 1945 vom tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš erlassenen Dekrete ein unantastbarer Bestandteil der Nachkriegsordnung. Einige der Dekrete waren Grundlage für die Vertreibung der deutschen und ungarischen Minderheit aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg.
Weil aber die anderen Regierungsparteien Hamziks Initiative großteils ablehnen, will dieser eine Einigung mit der Opposition anstreben. Hamziks linksliberale
SOP ist die kleinste slowakische Regierungspartei.
Das Preßburger Parlament hatte sich kurz nach der Wende 1991 in einer offiziellen Erklärung für die Vertreibung der deutschen Minderheit entschuldigt und jede Annahme einer Kollektivschuld verurteilt. In der Entschuldigung wurden die Beneš-Dekrete jedoch nicht ausdrücklich genannt.
Die offizielle slowakische Position deckt sich mit der der Tschechischen Republik, wonach die Beneš-Dekrete „erloschen“ seien, aber nicht formell aufgehoben werden können.
Skepsis in Österreich
WIEN (apa). Indessen zeigt eine neue Studie, daß die Österreicher mehrheitlich nicht glauben, mit einem Regierungswechsel in Tschechien nach den Wahlen im Juni könnte sich auch die Einstellung Prags zu den Beneš-Dekreten ändern. Die Umfrage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft im Auftrag der Gesellschaft für Europapolitik durchgeführt. Demnach glauben nur 25 Prozent der Befragten an eine Entschuldigung durch eine neue tschechische Regierung für die Vertreibung der Sudetendeutschen, 59 Prozent glauben aber nicht daran.
Quelle: Die Presse vom 29.04.2002
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Ferrero-Waldner von Tschechien „enttäuscht“  
– WIEN – Das Thema Beneš-Dekrete müsse noch vor einem EU-Beitritt Tschechiens fertig verhandelt sein, stellten Außenministerin Benita Ferrero-Waldner und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer unabhängig voneinander am Wochenende fest. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl setzte sich in Budweis für einen Versöhnungsakt ein. – – Vor dem Landesparteitag der oö. FPÖ in Bad Ischl sagte Riess-Passer, daß die Frage der Beneš-Dekrete vor einem EU-Beitritt Tschechiens gelöst werden müsse. „Menschenrechte sind keine Frage, wo man ein Auge zudrücken kann“, formulierte die FPÖ-Chefin. – Ferreror-Waldner wiederum zeigte sich in der ORF-Sendung „Im Journal zu Gast“ über den jüngsten Beschluß des tschechischen Parlaments enttäuscht und bedauerte das ausdrückliche Festhalten Tschechiens an den Beneš-Dekreten und an den Beschlüssen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Vertreibung von Deutschen und Ungarn aus den Gebieten des heutigen Tschechien und der Slowakei geführt hätten. Das Thema müsse noch vor dem EU-Beitritt fertig verhandelt sein. Eine besondere Enttäuschung war für sie, daß das tschechische Parlament nicht auf das Amnestiegesetz von 1946 über die Straffreiheit von Taten im Zuge der Vertreibung eingegangen sei. Dies werde ein Problem für die Europäische Kommission sein. Dieses liege schon lange auf dem Tisch und werde neu ausverhandelt werden müssen, so Ferrero-Waldner. – Über die Möglichkeit einer Art Versöhnungserklärung nach dem Vorbild Deutschlands und Tschechiens befragt, sagte Ferrero-Waldner, die Situation in Österreich und Deutschland sei nicht dieselbe. Denn Österreich sei nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches. Sie könne sich aber auch eine Erklärung des österreichischen Parlaments vorstellen, in der festgehalten werde, daß die Vertreibungen eine Folge des Zweiten Weltkrieges und der Naziherrschaft gewesen seien. – Leitl: Beide müssen aufeinander zukommen! – Für einen Versöhnungsakt sprach sich WK-Präsident Leitl am Wochenende vor dem Internationalen Kongreß „Zukunftsregion Südböhmen-Mitteleuropa“ an der südböhmischen Universität in Budweis aus. – Das neue Europa brauche eine neue Verantwortungs- und Gesinnungsethik. Dabei gelte es nicht, der Diskussion über die Vergangenheit auszuweichen, sondern sie im versöhnlichen Geist zu führen. Beide Seiten, so Leitl, „müssen aufeinander zukommen, aus der bitteren Geschichte lernen, um es in Zukunft besser zu machen, um neue Brücken im europäischen Geist aufzubauen“. Er schlage deshalb „dem deutsch-tschechischen Beipiel folgend vor, in einer gemeinsamen Erklärung Österreichs und Tschechiens den Versöhnungsgedanken in den Vordergrund zu stellen, damit die vielen Opfer, die insbesondere auch die Vertriebenen bringen mußten, nicht umsonst sind“. Nur im Geist von Frieden und Verständigung, so Leitl, sei eine gemeinsame Zukunft bewältigbar.
Quelle: Neues Volksblatt vom 29.04.2002
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Beneš-Dekrete: Zeman will Frage von EU-Gremien fernhalten
Veto-Drohung „Erpressung“
Prag – Tschechiens Ministerpräsident Milos Zeman und der konservative Vorsitzende des Prager Abgeordnetenhauses Vaclav Klaus haben in einer Debatte im tschechischen Fern-sehen prinzipielle Einigkeit zu den Beneš-Dekreten demonstriert. Differenzen bestehen lediglich in der Frage, wie die bestehenden Eigentumsverhältnisse im Hinblick auf den EU-Beitritt Tschechiens am effektivsten abzusichern seien.
Befragt nach den von ihm seit längerem geforderte Garantien der EU für die Unantastbarkeit der Beneš-Dekrete meinte ODS-Chef Klaus, er sehe hier eine „ganze Menge von Varianten“. Eine bloße öffentliche Erklärung von EU-Kommissar Günter Verheugen halte er aber nicht für ausreichend. Er könne sich jedoch vorstellen, daß die EU-Kommission oder das Europaparlament hier ein Urteil abgeben könnten.
Ministerpräsident Zeman konnte sich dieser Meinung nicht anschließen: Eine solche Garantie der EU sei nicht zielführend, da dies ein „Geschenk“ für die Sudetendeutschen und ihre Organisationen darstelle. „Gerade sie (die Sudetendeutschen, Anm.) wünschen sich, daß dies auf dem Boden des Europäischen Parlaments diskutiert wird“, so Zeman. Völlig ausreichend sei für ihn der Artikel 295 des europäischen Vertrages, der allen EU-Mitgliedsstaaten die Aufrechterhaltung ihrer Eigentums- und Besitzverhältnisse garantiere. Zu den Veto-Drohungen in Sachen EU-Beitritt Tschechiens sagte der Prager Premier, die Beitrittsverträge würden in den nationalen Parlamenten der bestehenden EU-Staaten als Paket verabschiedet werden. „Es ist nicht möglich, ein Land aus diesem Paket herauszunehmen. Diese Drohung sei daher „völlig unwirksam“, es handle sich „um eine Erpressung“, betonte Zeman, der in der Fernsehdebatte vom Sonntag die deutschen Christdemokraten und österreichische Volkspartei als Bestandteil der „klerikalen schwarzen Internationale“ bezeichnete.
Quelle: Wiener Zeitung vom 30.04.2002
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Tschechien: Altösterreicher verlangen Entschädigung
- PRAG — Die Einrichtung eines freiwilligen tschechischen Entschädigungsfonds für Sudetendeutsche, wie ihn die Bundesregierung angeregt hat, wird nach den Parlamentswahlen in Prag sicher ein Thema: Die altösterreichische Minderheit arbeitet schon an einem entsprechenden Forderungskatalog.
Von Manfred Maurer –
Die deutschsprachige Minderheit in Tschechien tritt momentan etwas leiser. Es gibt keinen lauten Ruf nach Aufhebung der Beneš-Dekrete — nicht, weil man sich damit abgefunden hätte, sondern wegen Aussichtslosigkeit. „Wenn der politische Wille nicht da ist, können wir nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen“, begründet Irene Kunz die Zurückhaltung. Kunz ist Präsidentin der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien. – Kommission erarbeitetListe von Forderungen – Nach den Parlamentswahlen im Juni wollen sich die Altösterreicher aber wieder deutlicher zu Wort melden. Zwar soll auch dann nicht die Aufhebung der Dekrete im Vordergrund stehen, vielmehr wird es um die Folgen dieser Unrechtsgesetze gehen. Die Landesversammlung habe, so Kunz zum VOLKSBLATT, bereits eine Kommission gebildet, die eine Petition mit konkreten Entschädigungsforderungen an das neue Parlament formulieren soll. Kunz sieht in den Beneš-Dekreten für die junge Generation „keine diskriminierende Wirkung“ mehr, sehr wohl aber für die Nachkriegsgeneration: „Die Entschädigung ist etwas, was unsere Leute sehr betrifft, weil sie durch diese Nachkriegsgesetze benachteiligt wurden.“ – Von den mehr als drei Millionen Sudetendeutschen waren die meisten nach dem Krieg vertrieben worden, nur ein kleiner Rest durfte bleiben. Aber auch diese Menschen fielen unter die Strafbestimmungen, die Präsident Edvard Beneš erlassen hatte: Ihr Vermögen wurde konfisziert, viele, auch Kinder, landeten in Arbeitslagern oder wurden mit Berufsverboten belegt. Wer davon verschont blieb, mußte jahrelang 20 Prozent seines Einkommens in einen Reparationsfonds abführen. – Drei Euro „Lohn“ proMonat Zwangsarbeit – Die Altösterreicher unternehmen bereits den zweiten Anlauf, um dieses Unrecht zumindest teilweise wieder gutzumachen. Im vergangenen November waren sie mit einer ersten derartigen Petition im Parlament abgeblitzt. Darin hatte die Landesversammlung unter anderem für jeden Monat Zwangsarbeit beziehungsweise Internierungslager 100 Kronen (knapp drei ¢) plus einen Pensionszuschlag von 15 Kronen gefordert. Für Bildungs- und Berufsverbote sowie die Aberkennung akademischer Grade wurde eine Pauschalsumme von 10.000 Kronen verlangt. Diese Forderungen werden nun nach den Wahlen im Juni in ähnlicher Form wieder auf den Tisch kommen. –
Quelle: Neues Volksblatt vom 30.04.2002
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Slowenien und Österreich: Nachbarschaft mit Nöten
Ivo Vajgl, Botschafter von Slowenien, wird Anfang Mai nach Berlin gehen. Im SN-Gespräch zieht er eine Bilanz über seine Amtszeit in Österreich.
HEDWIG KAINBERGER
INTERVIEW
...
Vajgl: Nach diesen Sternstunden in unserer Beziehung kamen die Fragen auf die Tagesordnung. Da haben wir festgestellt, daß es hinter jeder dieser Fragen eine große Last an Emotionen, an völkerrechtlich nicht definiertem Hintergrund gab.
SN: Welche Fragen sind das?
Vajgl:
Fragen über die Folgen des Zweiten Weltkrieges, Fragen der enteigneten österreichischen Staatsbürger oder Altösterreicher, Fragen über Vertreibung der deutschsprachigen Minderheit aus Jugoslawien und Slowenien. Und dann waren da Fragen der slowenischen Minderheit in Kärnten und der Steiermark. Dann gab es die Frage über Entschädigung für heute in Slowenien lebende einstige Zwangsarbeiter. Dann kamen neue Fragen hinzu, zum Beispiel jene nach dem Kernkraftwerk Krsko.
SN: Zu den Avnoj-Beschlüssen: Welcher Weg zeichnet sich da ab?
Vajgl:
Die Avnoj-Beschlüsse waren Bestandteil einer Gesetzgebung für den Staat Jugoslawien, der damals, als die Beschlüsse gemacht wurden, noch nicht existiert hat. Avnoj hatte sein Spiegelbild in dem, was davor geschehen war. Avnoj war durch den Nazi-Angriff auf das damalige Jugoslawien – damit auf Slowenien – bedingt. Es gab einen Schlag und einen Gegenschlag. Dies geschah in einem Kontext, der nach heutigen Maßstäben für Völkerrecht und Menschenrechte ein vormodernes Geschehen war. Das war eine Zeit, wo es noch primitive Eroberungskriege gab. Mit dieser Art von Kriegsführung hat Nazi-Deutschland angefangen.
Man kann sich aus der Geschichte nicht nur bestimmte Themen auswählen. Das ist kein Menü. Das ist ein Gesamtbild und eine Gesamtverantwortung. Zudem ist es eine Verantwortung von allen, nach vorne zu blicken und sich nicht allzu sehr mit der Vergangenheit zu belasten.
...
© SN.
Quelle: Salzburger Nachrichten vom 30.04.2002
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DATEN & FAKTEN
Avnoj-Beschlüsse.
Auf Grundlage dieser Beschlüsse des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ (AVNOJ) wurden rund 30.000 deutschsprachige Slowenen enteignet und vertrieben. Sie wurden 1944 als Vergeltung auf Taten der Nazideutschen Besatzer erlassen.

Kulturabkommen.
Mit dem österreichischslowenischen Abkommen verpflichten sich beide Staaten, Unterstützung für die jeweils andere ethnische Minderheit im eigenen Land zuzulassen, sei es durch Förderung von Kultur, Wissenschaft oder Bildung. Die slowenische Minderheit ist in Österreich längst anerkannt und durch den Staatsvertrag geschützt. Für Slowenien ist die Anerkennung der deutschsprachigen Minderheit hingegen ein Novum. Das Abkommen trat Mitte Februar in Kraft, nachdem es beide Parlamente ratifiziert hatten. Anläßlich der Unterzeichnung des Abkommens im April 2001 hatte Außenministerin Benita Ferrero-Waldner dieses als „historischen Meilenstein“ in den österreichischslowenischen Beziehungen bezeichnet.
Historikerkommission.
Bis Ende 2003 sollen 17 österreichische und zwölf slowenische Wissenschafter die gemeinsame Geschichte des 20. Jahrhunderts beleuchten. Das Ergebnis der von den beiden Außenministern Benita Ferrero-Waldner und Dimitrij Rupel unterstützten Arbeit soll in einem Abschlußdokument festgehalten werden.
Ivo Vajgl.
Sloweniens Botschafter hat sich während seiner Amtszeit mit mutigen und für österreichische Zuhörer oft provokanten Äußerungen profiliert. So erklärte der gebürtige Marburger etwa zum Thema EU-Erweiterung: „Österreich hat sich oft quer gelegt und die Verhandlungen für Slowenien nachteilig beeinflußt.“ Anläßlich des Ortstafelstreits zeigte er sich über die Äußerungen des Kärntner Landeshauptmanns bestürzt und daher um die gutnachbarlichen Beziehungen besorgt.
Vajgl wählte nicht nur klassische diplomatischen Methoden, um die, wie er einmal sagte, „zur Nachbarschaft Verurteilten“ einander näher zu bringen. Im SN-Interview bekräftigte er: „Ich war bemüht, mit einem positiven Zugang die gemeinsame Geschichte darzustellen und das gemeinsame Kulturerbe zu beleben. Nicht zufällig sprechen wir so oft über 37 Rektoren und Dekane der Wiener Universität, die Slowenen waren. Jahrhundertelang kamen alle slowenischen Intellektuellen nach Wien. Manche sind zurückgekehrt, manche blieben. Sie finden diese in allen Institutionen als Österreicher mit slowenischen Namen.“
© SN.
Quelle: Salzburger Nachrichten vom 30.04.2002
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wird fortgeführt!! Mai 2002