Weitere Stimmen zum Tschechisch-Deutschen Zwist im März 2002:

================== Radio Prag 2002-03-01 ==========================================
Verheugen und Kavan wollen Benes-Dekrete nicht auf EU-Ebene verhandeln
Die sogenannten Benes-Dekrete sind und werden nicht Gegenstand der Verhandlungen über die Bedingungen des EU-Beitritts der Tschechischen Republik sein; sie gehören der Vergangenheit an und die jetzige Welle der Erregung über die Dekrete gelte es zu beruhigen “ darauf haben sich am Freitag in Brüssel EU- Erweiterungskommissar Günter Verheugen und der tschechische Außenminister Jan Kavan geeinigt. „Es ist klar, daß jene Dekrete, die eine Enteignung ohne Entschädigung betreffen, sich heute überlebt haben,“ sagte Verheugen vor Journalisten nach seinem Treffen mit Kavan. „Sie haben keine Rechtskraft,“ ergänzte Verheugen und erinnerte daran, daß die Aussiedlung nicht Inhalt der Dekrete, sondern des Potsdamer Abkommens gewesen sei.
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Klaus begründet Schröder-Absage mit den Wahlen und Zemans Äußerungen
Der Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses, ODS-Chef Václav Klaus, sieht die Absage des Prag-Besuches von Bundeskanzler Gerhard Schröder durch zwei Faktoren begründet: in den im September in Deutschland stattfindenden Wahlen zum Bundestag und als Folge der Äußerungen von Premier Milos Zeman über die Sudetendeutschen. „Diese Dinge sind absolut unstrittig, darüber gibt es keinerlei Zweifel,“ sagte Klaus am Freitag während eines Besuches in Karlovy Vary/Karlsbad. Darüber hinaus lehnte er die ihm und seiner Partei vom deutschen CDU-Politiker Friedbert Pflügler vorgeworfene Ausweitung der Diskussion über die Benes-Dekrete auf die europäische Ebene ab. Klaus verwies vielmehr darauf, daß CDU/CSU zum wiederholten Male versuchen würden, eine gesamteuropäische Diskussion über die Benes-Dekrete zu entfesseln.
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Budapest lehnt Zemans Äußerungen zu politischer Vergangenheit ab
Das ungarische Außenministerium hat am Donnerstag verlauten lassen, daß es mit Tschechien nicht in den Medien diskutieren werde. Zugleich verwahrte es sich gegen die Ausdrucksweise des tschechischen Premiers Milos Zeman, der am Dienstag in einem Gespräch für den Tschechischen Rundfunk Politiker, die sich mit der Vergangenheit auseinander setzen, als – so wörtlich – „politisch impotent“ bezeichnet hatte. Diese Worte waren offenbar an den ungarischen Premier Viktor Orban adressiert, der mit seiner Kritik an den Benes-Dekreten vergangene Woche in Brüssel erhebliche Spannungen im tschechisch-ungarischen Verhältnis ausgelöst hatte. Zeman bezeichnete im Tschechischen Rundfunk Orbans Äußerungen über die Benes-Dekrete als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Tschechiens und der Slowakei und kritisierte im Gegenzug das ungarische Gesetz über die im Ausland lebenden Ungarn.
=============== Das war Radio Prag 2002-03-01 =====================
Und weiter 2002-03-02:
Steinbach: EU-Beitritt Tschechiens an Aufhebung der Benes-Dekrete knüpfen
Die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, hat Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgefordert, „den EU-Beitritt Tschechiens an die Aufhebung der Benes-Dekrete zu knüpfen". Gegenüber der „Welt am Sonntag“ sagte sie: „Die Tonart, die der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman neuerdings anschlägt, muß hellhörig und wachsam machen. Wer im Jahr 2002 außer Stande ist, sich von einem Ereignis politisch zu trennen, das allen Völkerrechtsnormen widerspricht, stellt die EU-Fähigkeit seines Landes in Frage.
Steinbach betonte, die „Eliminierung menschenrechtsfeindlicher Gesetze und die Aufarbeitung der Vertreibung im Sinne des Völkerrechts“ sei die Aufgabe, „die Polen, Tschechien und Slowenien vor dem EU-Beitritt noch zu leisten haben".
=========== Und weiter  2002-03-03: ===========================
Zeman: Ich meinte nicht alle Sudetendeutschen
Premierminister Milos Zeman beharrte in einem am Sonntag vom TV-Privatsender „Prima“ gesendeten Gespräch auf seinen Beschuldigungen an die Adresse der Sudetendeutschen. Zeman hatte jene unlängst als 5.Kolonne Hitlers bezeichnet.
Andererseits betonte der Regierungschef, er vertrete keine Kollektivschuldthese. Er sei aber für klare Argumente und es sei ein Fakt, daß 90% der Sudetendeutschen 1938 die Henlein-Partei gewählt hätten, erklärte der Premier. Demnach seien aber mindestens 10% der Sudetendeutschen gegen die Nationalsozialisten gewesen und er habe eine Kollektivschuld stets abgelehnt, so Zeman weiter.
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Tschechische Politiker gegen Schüssel-Vorschlag
Regierungssprecher Libor Roucek verwies am Sonntag in Prag auf das tschechisch-österreichische Abkommen von 1974, in dem sich Österreich verpflichtet hatte, keine Eigentumsansprüche geltend zu machen. Roucek bemerkte, daß sich jeder Regierungschef an die Abkommen seiner Amtsvorgänger halten sollte.
Mit diesen Worten reagierte Roucek auf die Aussage des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel, der der Tschechischen Republik empfohlen hatte, die Rechtsgültigkeit der Dekrete zu beenden und die vertriebenen Sudetendeutschen freiwillig zu entschädigen.
Auch der Vorsitzende des Außenausschusses des Abgeordnetenhauses, Lubomir Zaoralek lehnte am Sonntag eine solche Diskussion im Rahmen der tschechisch-österreichischen Beziehungen entschieden ab. Zuvor hatte bereits Außenminister Jan Kavan betont, es sei nur schwer vorstellbar, einen bestimmten Teil aus den Dekreten herauszulösen und aufzuheben.
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Private Zuschrift 2002-03-06

Stichwort Zeman beleidigt die Sudetendeutschen

Bezug: Pressemitteilung der SL vom 19.02.2002

Sehr geehrte Leser, liebe Landsleute.

Mit dem Rat an Israel: „Die Palästinenser ebenso zu vertreiben, wie die Sudetendeutschen seinerzeit durch die Tschechen", hat MP Zeman die Katze aus dem Sack gelassen.

Die Juden berufen sich auf das Alte Testament der Bibel mit dem Hinweis, daß sie auf das Land Palästina die älteren Rechte haben. Das ist ein Argument, welches ich nicht näher kommentieren will.

Fakt ist, daß die Juden und ihr Staat den Palästinensern 1948 aufgezwungen wurden.

Hier nun versucht MP Zeman Parallelen herzustellen, indem er den Anspruch der Tschechen auf die Sudetengebiete, gern über 1918 zurück bis in biblische Zeiten, konstruieren möchte.

Sowohl die Tschechen als auch die Juden seien somit im Recht, wenn sie der anderen ungeliebten Volksgruppe die Heimat streitig machten und machen.

Am 08. Mai 1945 glaubte eine große Mehrheit der Tschechen, allen voran ihr Exilpräsident Benesch, daß sie zu den Siegermächten des 2. Weltkrieges gehören. Schon bald zeigte sich, daß sie einem Irrglauben erlegen waren, denn mit der Besatzung durch die Russen und spätere Integration in den kommunistischen Block zeigte sich, daß sie einwandfrei zu den Verlierern gehörten. Dies sehen wir nur zu deutlich, wenn wir unsere alte Heimat bereisen, obwohl sich seit der Wende vieles verändert hat. Die Marktplätze in Kaaden, in Saaz oder Reichenberg und in vielen anderen Städten, zeugen wieder von der alten Schönheit. Aber schon in der zweiten Reihe sieht es ganz anders aus und erst recht in den Dörfern.

Jetzt versucht man mit aller Macht in die EU zu kommen, um mit diesem Beitritt und deren Zahlungen den Standard Deutschlands und anderer europäischer Länder zu erreichen, damit in einigen Jahren keine häßlichen Narben im Grenzland, wie die Sudetengebiete im Sprachgebrauch verschämt genannt werden, an die Vergangenheit erinnern.

Nun zurück zu 1945 und danach. Daß in den ersten Wochen nach dem Kriege russisches Militär plündernd durch das Land zog und nach Frauen Ausschau hielt, um sie zu vergewaltigen, war verwerflich und ist nicht zu entschuldigen, da es gegen Kriegsrecht verstößt, denn Deutschland hatte die Waffen niedergelegt. (Daß aber Herr Kouhut im Anschluß an den Fernsehbericht über die Vertreibung in der Diskussion sagt, da Deutschland bedingungslos kapituliert hatte, konnte man mit den Überlebenden machen was man wollte, zeigt sehr deutlich wie er zu den Benesch-Dekreten steht. Noch schlimmer fand ich, daß dies von der Diskussionsrunde einfach hingenommen wurde).

Mit der zweiten Welle bekamen die niederen Elemente des tschechischen Volkes die Oberhand und hier nun spielten sich alle jene Gräueltaten ab, die heute gern heruntergespielt werden. Der Gipfel an Dreistigkeit wurde mit dem Ausspruch: „Die Sudetendeutschen sollen froh sein, daß man sie nur vertrieben hat, denn hätten wir sie alle totgeschlagen, wäre heute Ruhe“ erreicht.

Inzwischen ist der größte Teil der damaligen Opfer und Täter verstorben, so haben sich auch die Peiniger von damals vor einer höheren Instanz verantworten müssen, egal ob sie nun an Gott glauben oder nicht.

Für die Generation unserer Eltern und Großeltern war dies alles eine schreckliche Erfahrung, indem sie entrechtet von Haus und Hof vertrieben wurden. Mein Großvater wurde am 11. Juli 1945 vom Felde geholt und anschließend im Lager Lerchenfeld erschlagen. Ein Onkel wurde in das gleiche Lager gebracht; nur dem Umstand, daß er einen der Wärter gut kannte und er früher mit ihm befreundet war, hatte er es zu verdanken, daß man ihn schonender behandelte und er nach wenigen Monaten wieder entlassen wurde. Meine Großmutter wurde mit zwei gerade erwachsenen Kindern zu zwei Bauern in die Nähe von Prag gebracht, von denen sie menschenwürdig behandelt wurden und die keinerlei Rachegelüste zeigten, im Gegenteil, auch sie bedauerten die Entwicklung. Meine Mutter und ich wurden von einem tschechischen Bauern aufgenommen, als wir im September 1945 vor die Tür gesetzt wurden.

Es gab also, wie in jedem Volke, solche und solche und nicht alle Tschechen waren Pöbel, denn der Pöbel war es, der gewütet hat und mörderische Gelüste auslebte. Als Beispiel nenne ich nur das Massaker vom 31. Juli 1945 in Aussig.

Wenn aber die heutige tschechische Regierung und einige wenige Intellektuelle, weiter an den Benesch-Dekreten festhalten und diese sogar verteidigen, so stellen sie sich genau mit jenen, die ohne Urteile willkürliche Siegerjustiz übten, auf eine Stufe, oder will man dem Volk nur weismachen, daß man doch zu den Siegermächten gehört hat und damit von der eigenen Wirklichkeit ablenken.

Ich selbst bin Jahrgang 1936 und wir Kinder konnten die Tragweite der Geschehnisse noch nicht überblicken und beurteilen, jedenfalls war es für mich eine Zeit voller Abenteuer, die heutige Kinder zum Glück nur als Film erleben müssen, so sie solches gerne sehen.

Mir ist natürlich bewußt, daß nicht alle Bürger der heutigen Tschechischen Republik die gleiche Meinung vertreten wie einige Führungspersönlichkeiten ihres Volkes. Es bleibt zu hoffen, daß die Menschen guten Willens irgendwann doch die Mehrheitsfraktion stellen werden.

Ich hätte noch manches hinzuzufügen, deshalb verweise ich auf www.mitteleuropa.de/comenius01.htm: Mein Beitrag: „Was hat uns Jan Amos Comenius heute zu sagen?".

Mit freundlichen Grüßen:  Emil Focke

============== Radio Prag 2002-02-06 =====================================
Tschechische und österreichische Katholiken verurteilen Äußerungen Zemans und Haiders
Vertreter führender katholischer Organisationen aus der Tschechischen Republik und Österreich haben am Dienstag im Rahmen eines internationalen Katholikentreffens in Berlin eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der sie zur Verbesserung der – so wörtlich – „in letzter Zeit belasteten“ Beziehungen aufrufen. Der Presseagentur APA zufolge heißt es in der Deklaration wörtlich: „Wir distanzieren uns von den Äußerungen und Haltungen, mit denen die Herren Haider und Zeman die Atmosphäre in den Beziehungen zwischen unseren Völkern beschädigt haben". Weiter wird in dem Text bedauert, daß dieser politische Stil „die europäische Integration beeinflusse“.

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Führende Vertreter der Sudetendeutschen sind zufrieden mit tschechischer Debatte um Benes-Dekrete
Die in Tschechien neu entflammte Debatte über die sog. Benes-Dekrete ist nach Meinung des höchsten Vertreters der Sudetendeutschen, Johann Böhm, sowie des Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landmannschaft, Bernd Posselt, sehr nützlich und sachlicher als früher. Das tschechische Volk habe verstanden, daß das Schweigen über dieses Thema ungesund war und daß Diskussion befreie, zitiert die Nachrichtenagentur CTK am Dienstag den Vorsitzenden der Landsmannschaft. Sowohl Posselt als Böhm erwarten im Fall einer Aufhebung der sog. Benes-Dekrete eine Debatte über eine für beide Seiten annehmbare Lösung der Vermögensfragen. Eine „vernünftige Lösung“ würde Posselt zufolge in einer Verurteilung der Dekrete und einer Vereinbarung über praktische Folgen ihrer Aufhebung bestehen, so daß kein Automatismus entstehe, der der Tschechischen Republik schade.

============== So weit Radio Prag 2002-03-06

Und so 2002-03-07:

Europa-Parlamentarier:  Dekrete könnten Prager EU-Beitritt verzögern
Der deutsche Europa-Parlamentarier Jürgen Schröder (CDU) hält eine Verzögerung des tschechischen EU-Beitritts auf Grund strittiger Regelungen in den fast 60 Jahre alten Benes-Dekreten für möglich. Sollten es tschechische Politiker ablehnen, möglicherweise noch gültige ungerechte Dekrete für ungültig zu erklären, könne sich der für 2004 geplante EU-Beitritt des Landes verzögern, sagte der für Tschechien zuständige Beobachter des Europaparlaments der deutschsprachigen „Prager Zeitung“ in einem Gespräch, das am Donnerstag veröffentlicht wurde. Wegen ihrer jüngsten Äußerungen über Sudetendeutsche und über die Dekrete kritisierte Schröder den tschechischen Premier Milos Zeman und Oppositionsführer Václav Klaus.
Sollten „diese Leute“ Tschechiens Politik weiter wesentlich bestimmen, könnte Tschechien 2004 „vor den EU-Türen stehen bleiben", warnte Schröder in der „Prager Zeitung".
=========== so weit Radio Prag 2002-03-07

„Der schwierige Umgang mit dem Münchner Abkommen oder den Benesch-Dekreten hat seinen Grund letztlich darin, daß es weder nach 1945 noch nach 1989 einen Friedensvertrag gegeben hat, der solche Frage gegenseitiger Ansprüche abschließend klärt. Das lag übrigens ausdrücklich in deutschem Interesse.“

Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin (B'90/Grüne) in der „Welt“ vom08.03.2002
(mitgeteilt von Walter Mogk 2002-03-09)

==========Radio Prag 2002-03-08==================
Gesprächsforum sieht Tschechiens EU-Beitritt als oberstes Ziel
Die Aufnahme Tschechiens in die EU muß aus Sicht des tschechisch-deutschen Gesprächsforums das oberste Ziel der bilateralen Zusammenarbeit sein. Das wurde bei einer Tagung des Gremiums am Freitag in Berlin bekräftigt. Die etwa 80 Teilnehmer beider Länder zogen eine Bilanz dessen, was seit Unterzeichnung der tschechisch-deutschen Versöhnungserklärung vor fünf Jahren erreicht wurde. Zugleich gaben sie Anstöße für die künftige Gestaltung des Verhältnisses zwischen beiden Ländern. „Auf Grund verschiedener Kommentare von Politikern sind die Beziehungen nicht so gut, wie noch vor wenigen Wochen", sagte der tschechische Leiter des Gesprächsforums, Otto Pick. Der deutsche Forums-Leiter Christoph Zöpel sagte, Berlin wolle sich aber nicht der EU-Aufnahme Tschechiens entgegenstellen. „Die Vergangenheit ist kein Hindernis für den EU-Beitritt Tschechiens.“
Die beiden  Co-Vorsitzenden des Tschechisch-Deutschen Diskussionsforums, Otto Pick und Christoph Zöpel, sprachen sich des weiteren für die beschleunigte Erarbeitung der geplanten Studien, die die Rechtsnormen verschiedener europäischer Länder über die Aussiedlung und Enteignung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen sollen. Gleichzeitig unterstützten sie ein intensiveres Interesse beider Seiten für das Leben der sorbischen Minderheit in Deutschland und der deutschen Minderheit in Tschechien.
=========Radio Prag 2002-03-13=======================
EU-Kommissar Verheugens erwähnt Benes-Dekrete und Restitutionsgesetz in einem Zusammenhang
• Dementi der tschechischen Regierung
Außenminister Jan Kavan hat am Mittwoch bekräftigt, daß die sog. Benes-Dekrete aus dem Jahr 1945 Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung blieben, auch wenn sie heute bereits erloschen und nicht anwendbar seien. Kavan reagierte damit auf Äußerungen von EU- Erweiterungskommissar Günter Verheugen vor dem Europaparlament, in denen dieser in einem Atemzug über die Benes-Dekrete und über die Bereitschaft der tschechischen Regierung gesprochen hatte, eine Änderung des Restitutionsgesetzes von 1991 in Erwägung zu ziehen. Dadurch hatte er den Eindruck erweckt, die Tschechische Republik sei bereit, die so genannten Benes-Dekrete zu ändern. Diese Interpretation dementierte am Mittwoch sowohl Premier Milos Zeman als auch der tschechische Chef-Unterhändler für den EU-Beitritt, Pavel Telicka, daß die tschechische Regierung möglicherweise eine Gesetzesänderung bezüglich der Benes-Dekrete vorschlagen werde. Der Sprecher der Europäischen Kommission, Jean-Christophe Filori, rückte am Mittwochnachmittag die Äußerungen Verheugens gerade und betonte der Nachrichtenagentur CTK gegenüber, daß für die Europäische Kommission die Dekrete der Vergangenheit angehörten. Sie seien zwar nicht mit dem heutigen Recht vereinbar, aber dies ließe sich über viele Gesetze oder Verträge der damaligen Zeit sagen, so Filori.
========Radio Prag 2002-03-13=======================
Senat ändert Bedingungen für die Entschädigung von Zwangsarbeitern in der UdSSR
Tschechische Bürger, die in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts aus der Tschechoslowakei in sowjetische Internierungslager verschleppt worden waren, können bis Ende des Jahres 2003 um Entschädigung ersuchen. Über diese Verlängerung der Frist entschied am Mittwoch der Senat und setzte sich damit über einen entsprechenden Gesetzesentwurf des Abgeordnetenhauses hinweg. Gleichzeitig beschlossen die Senatoren, die monatliche Entschädigungssumme von 12.000 Kronen auf 3.500 Kronen (umgerechnet ca. 110 Euro) zu senken. Grund dafür ist die Bemühung, das Gesetz in Einklang mit den übrigen Entschädigungsnormen zu bringen. Das Abgeordnetenhaus muß sich jetzt erneut mit dem Gesetz befassen.
============Radio Prag 2002-03-14=================
Ostböhmischer Ort plant Gedenkstätte für ermordete Sudetendeutsche
Etwa 57 Jahre nach einem Massaker an 23 deutschen Bewohnern plant der ostböhmische Ort Teplice nad Metuji/Wekelsdorf eine Gedenkstätte für die Ermordeten. Am 30. Juni 1945 hatten tschechische Soldaten die vorwiegend alten Menschen, Frauen und Kinder in einem Wald erschossen und verscharrt. Das Massaker wurde nie juristisch geahndet. „Dieser Tod ehemaliger Mitbewohner nach Kriegsende war brutales Unrecht", sagte Bürgermeisterin Vera Vitová am Donnerstag. Der Ort will im September am Tatort eine Gedenkstätte einweihen, zu deren Entstehen auch ehemalige deutsche Bewohner der Region beitragen.
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Sudetendeutscher Pressedienst:   Wien, 15. März 2002/GE

Verheugens Tohuwabohu
Resitutionsgesetz von 1991/92 diskriminierend

Das vom Brüsseler EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen zuletzt nach seiner Rede im EU-Parlament zur Thematik der Beneš-Dekrete veranstaltete Durcheinander zeigt, daß die Tschechen 1991/92 mit ihrem Eigentumsrückstellungsgesetz gegenüber den Angehörigen ihrer deutschen und madjarischen Minderheiten diskriminierend vorgegangen sind, weil sich die Rückgabe nur auf das von den Kommunisten nach ihrer Machtübernahme von 1948 enteignete Vermögen bezieht. Durch den im tschechischen Restitutionsgesetz festgelegten Stichtag Februar 1948 wurden tschechische Staatsbürger deutscher und madjarischer Nationalität um das bereits 1945/46 enteignete Vermögen geprellt, weil die Vermögenskonfiskationen, die auf Grundlage der Beneš–Dekrete durchgeführt worden waren, im tschechischen Restitutionsprogramm nicht berücksichtigt sind.

Aber auch die 1945/46 Vertriebenen sind durch das tschechische Restitutionsprogramm bis heute diskriminiert, und es ist daher richtig, wenn die tschechische Resitutionsgesetzgebung von der EU im Zuge der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien endlich einmal kritisch unter die Lupe genommen wird.

"Mit einer Ausweitung des tschechischen Restitutionsgesetzes auf das Jahr 1945 würde das Unrecht an den Sudetendeutschen und Madjaren gemildert werden,“ schloß der Bundesobmann der SLÖ, Gerhard Zeihsel, gegenüber dem Sudetendeutschen Pressedienst (SdP).

Will Tschechien nach Europa?
Gastkommentar
Von Arnold Vaatz

Dem Freiheitswillen der Tschechen haben wir viel an Hoffnung und Ermutigung zu verdanken. Die Solidarität mit den Prager Reformern und der Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968 in Prag war für viele Ostdeutsche der Anfang einer persönlichen Opposition gegen die Diktatur im eigenen Land. Es war deshalb von 1990 an jedem ostdeutschen Demokraten ein Bedürfnis, alles dafür zu tun, daß unseren Leidensgenossen aus sozialistischen Zeiten, denen nicht durch eine Wiedervereinigung mit einem reichen Westteil geholfen werden konnte, dennoch eine Perspektive erwachsen kann.

Die Quittung dafür war ein Schlag mit der Faust ins Gesicht. Der tschechische Sozialdemokrat Milos Zeman, Ministerpräsident seines Landes, hat die Auffassung vertreten, die Sudetendeutschen seien Hitlers fünfte Kolonne gewesen, ihre Vertreibung und der Raub ihres Eigentums sei daher rechtens. Zur Bekräftigung empfahl er das tschechische Vertreibungsverfahren gar als Exportartikel zur Lösung des Nahostkonfliktes. Václav Klaus, Chef der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), legte nach: Er forderte, daß jene Dekrete, auf deren Grundlage die Vertreibung der Sudentendeutschen vonstatten ging, Bestandteil des EU-Beitrittsvertrages werden müßten.

Die Deutsche Politik forderte im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung nie eine Restitution des Eigentums der Vertriebenen. Aber es kann auch nicht ihre Aufgabe sein, so zu tun, als habe man, was Zeman und Klaus sagten, nicht gehört. In Deutschland gibt es – von einer winzigen Minderheit abgesehen – keinerlei Zweifel daran, das Hitlers Weltkrieg und sein Vorgehen gegen ihm mißliebige Menschengruppen Verbrechen waren; aber auch diese Verbrechen legitimierten keine Vertreibung.

Die Vertreibung zwang die deutsche Nachkriegsgesellschaft – in Ost und West – zu einer in der Geschichte ziemlich einzigartigen Integrationsleistung. Diese müßte als fehlgeschlagen angesehen werden, wenn die deutsche Politik einen Zweifel daran ließe, daß Angriffe auf unsere vertriebenen Mitbürger Angriffe auf unsere gesamte Gesellschaft sind. Das Denken in den Kategorien ethnischer Säuberungen als Mittel der Vergeltung oder gar der Rechtspflege ist der europäischen Wertegemeinschaft fremd und muß ihr fremd bleiben.

Es ist unklar, ob Zeman und Klaus in dieser Sache für die Mehrheit des tschechischen Volkes sprechen. Die Befürchtung, dies könne zutreffen, sollten die politischen Kräfte Tschechiens bald auf überzeugende Weise ausräumen. Sollte sie sich nämlich bestätigen, so dürfte es einen Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union nicht geben; denn eine solche Denkweise verletzt die Kriterien von Kopenhagen.

Es mag zwar manchmal so scheinen, daß deutsche Politiker den Beitritt der tschechischen Republik zur Europäischen Union nachdrücklicher wünschen und beflissener verfolgen, als dies die Bürger Tschechiens selbst tun. Dies wäre eine unsinnige Haltung. Die Angst vor der Rolle der verschmähten Braut kann nicht unsere Außenpolitik bestimmen. Wir haben uneitel zu handeln: Nicht aus imperialer Versuchung und nicht befangen in einem Helfersyndrom. Jeder ist seines Glückes Schmied: Sollte die tschechische Regierung den Beitrittswunsch aufgegeben haben, so wäre dies aus Sympathie zu unseren Nachbarn zwar zu bedauern, aber gleichwohl zu respektieren als eine souveräne Entscheidung eines unabhängigen Staates. Eine Kränkung oder Infragestellung der europäischen Idee, nach der das Leben nicht mehr weiterginge, wäre es indessen nicht.

Der frühere DDR-Dissident Arnold Vaatz wechselte 1990 vom Neuen Forum zur CDU, war von 1992 bis 1998 Umweltminister in Sachsen und ist jetzt Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bundespräsidiums der CDU.

DIE WELT 15.03.2002

==========Radio Prag 2002-03-15==================
Analysen der Benes-Dekrete werden 2 Jahre dauern
Mindestens zwei Jahre sollte die Ausarbeitung von vergleichenden Analysen zu den Nachkriegsdekreten des ehemaligen
tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes und zu ähnlichen in dieser Zeit beschlossenen Gesetzen über die Regreßpflicht der Deutschen in anderen europäischen Ländern dauern. Darüber informierte der Leiter des tschechischen Projektteils, Jiri Pesek vom Prager Institut für internationale Studien, am Freitag die Nachrichtenagentur CTK in Berlin.
Ziel des vom Tschechisch-deutschen Zukunftsfonds beantragten Projektes sei es, die damaligen tschechoslowakischen Gesetze im europäischen Kontext einzuordnen und zu vergleichen.
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Die Beneš-Dekrete sind auch in Europa angekommen

Mehrere Gutachten sollen die Verträglichkeit der Präsidentenerlasse mit europäischen Rechtsnormen prüfen
Von Gerd Lemke
Mehrere Rechtsgutachten werden die Beneš-Dekrete bewerten. Der Außenpolitische Ausschuß des Europa-Parlaments hat ein solches in Auftrag gegeben, ebenfalls das tschechische Außenministerium. In diesen Gutachten soll festgestellt werden, ob die Dekrete des Präsidenten Edvard Beneš, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Rechtsordnung der Tschechoslowakei wieder herstellten und auf deren Grundlage Sudetendeutsche und Ungarn enteignet worden sind, heute noch in der aktuellen Rechtssprechung Tschechiens Anwendung finden. Die Europäische Kommission bereitet eine Stellungnahme zu den Dekreten vor. Das tschechische Justizministerium erstellt eine Vergleichsstudie mit ähnlichen Dekreten im Ausland. Schließlich hat auch der Deutsch-tschechische Zukunftsfonds eine Analyse der Institute für Zeitgeschichte in München und Prag als Grundlage seiner weiteren Arbeit in Auftrag gegeben.
Damit hat das Thema, daß bis Ende vergangenen Jahres nur in Vertriebenenverbänden wie der Sudetendeutschen Landsmannschaft oder unter einschlägig informierten Kreisen diskutiert wurde,wieder die Ebene der Europäischen Union erreicht. Schon im April 1999 hatte das Europa-Parlament den Beitrittskandidaten Tschechien aufgefordert, über die Beneš-Dekrete nachzudenken. In Prag wurde das geflissentlich überhört. Die Formel lautete „erloschen“, damit war auch die deutsche Bundesregierung zufrieden. Statt mit politischer Weitsicht über mögliche Formeln nachzudenken, mit denen die Dekrete hätten tatsächlich ad acta gelegt werden können, holen die tschechischen Politiker diese wieder aus der Schublade hervor und rufen: „Die Dekrete sind unantastbar!“. Das erzeugt Gegenreaktionen. Im ungarischen Esztergom forderten Anfang der Woche der ungarische Premierminister Viktor Orbán, der österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel und der Staatssekretär von Bayern, Erwin Huber, anläßlich des kleinen Donaugipfels eine Diskussion über die Dekrete im europäischen Kontext.

Schüssel war bereits am Wochenende auf der Versammlung der Sudetendeutschen Österreichs aufgetreten und hatte seine Forderung wiederholt, das Problem der Dekrete solle noch vor EU-Beitritt gelöst werden. Eine scharfe Rede hielt Vizekanzlerin Susanne Rieß-Passer von der rechtslastigen FPÖ.
Die österreichische Bevölkerung ist jedoch gegenüber dem Nachbarn weniger streng eingestellt, fand die Gesellschaft für europäische Politik per Meinungsumfrage heraus. Nur 29 Prozent der Bevölkerung seien dafür, einen EU-Beitritt Tschechiens mit einer Entschädigung für die Sudetendeutschen zu verknüpfen. Weniger als ein Drittel der Bevölkerung würde einen Beitritt mit einer Abschaffung der Beneš-Dekrete verbunden sehen wollen. Allerdings sind drei Viertel überzeugt, daß politische Kreise mit der Diskussion über die Dekrete Stimmen gewinnen wollen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird sich mit den Beneš-Dekreten befassen müssen. Die Erben des 1945 in Kamenice pod Lipou enteigneten Richard Geymüller haben sich an Straßburg gewandt und auf Restitution geklagt. Geymüller war Schweizer, wurde aber rechtlich wie ein Sudetendeutscher behandelt. 1992 hatte das Kreisgericht in Ceské Budejovice diese Klage abgelehnt.
Prager Zeitung, Nr. 11 vom 14.3.2002

===========Radio Prag 2002-03-16=================
Zeman: Benes-Dekrete gefährden nicht den EU-Beitritt Tschechiens
Der EU-Beitritt der Tschechischen Republik wird keinesfalls mit den sog.
Benes-Dekreten zusammenhängen. Dies sagte am Freitag in Barcelona der tschechische Premier Milos Zeman nach einem Treffen am Rande des EU-Gipfels mit dem EU-Kommissar für Erweiterungsfragen Günter Verheugen. Verheugen bezeichnete die Aufregung, die seine Aussagen über Benes-Dekrete am Mittwoch im Europäischen Parlament hervorgerufen haben, als absichtliches, durch gewisse Personen ausgelöstes Mißverständnis. Dies wolle Verheugen noch bei seinem Besuch in Prag Anfang April wiederholen. Mit der Teilnahme am EU-Gipfel, der am Samstag in Barcelona zu Ende ging und bei dem die Kandidatenländer zum ersten mal zum Verhandlungstisch eingeladen wurden, äußerte sich der tschechische Premier zufrieden. Tschechien habe, so Zeman, zwei konkrete Initiativen vorgelegt.
=========Radio Prag 2002-03-17=====================
Historikerkommission warnt vor Mißbrauch von historischen Argumenten
Beunruhigung über den Mißbrauch von historischen Argumenten in den
aktuellen politischen Debatten, die sog. Benes-Dekrete miteingeschlossen, hat am Samstag in Berlin die Tschechisch-deutsche Historikerkommission geäußert. Die Kommission forderte zu einer vorsichtigen Verwendung von Worten auf, die in der Politik bei der Verhandlung von diffizilen Themen – wie es auch die tschechisch „deutsche Beziehungen seien, verwendet werden.
=========Radio Prag 2002-03-18===================
ODS kritisiert Premier Zeman bezüglich der Benes-Dekrete
Der Exekutivrat der Demokratischen Bürgerpartei(ODS) ist nicht zufrieden mit der Erklärung von Premier Milos Zeman auf dem EU-Gipfel in Barcelona bezüglich der Benes-Dekrete. Zeman habe nicht auf die Frage geantwortet, ob nach dem EU-Beitritt die Eigentumsrechte der tschechischen Bürger nicht gefährdet sein könnten. Dies sagte der ODS-Vorsitzende und Chef des Abgeordnetenhauses Vaclav Klaus vor Journalisten nach der Sitzung des Exekutivrates seiner Partei, die am Montag im nordmährischen Kurort Karlova Studanka stattfand.
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Analyse der Benes-Dekrete
Die im Auftrag des tschechischen Außenministeriums ausgearbeiteten Analysen der sog. Benes-Dekrete deuten an, daß diese Rechtsdokumente nicht im Widerspruch zum gültigen Recht der Europäischen Union stehen und auch nicht stehen könnten. Dies sagte am Montag der tschechische Chefunterhändler für den EU-Beitritt, Pavel Telicka, vor Journalisten. Aufgrund dieser Analysen bereite das Außenministerium laut Telicka bestimmte Maßnahmen vor, über die er aber nichts näheres sagen wollte mit dem Hinweis, sie müßten zunächst von Außenminister Jan Kavan gebilligt werden. Dieser sei jedoch zur Zeit außer Landes, sagte Telicka.
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Sudetendeutscher Pressedienst Wien, 19. März 2002/GE

Masaryk-Orden für Edvard Beneš
Die oppositionelle ODS kämpft mit allen Mitteln im tschechischen Wahlkampf
Die Sudetendeutschen fordern die Rückgabe der Masaryk-Orden  

Die bürgerliche ODS unter Führung von Vaclav Klaus hatte am Wochenende damit aufhorchen lassen, den Vertreibungspräsidenten Edvard Beneš posthum den Masaryk-Orden zu verleihen. Damit würden, so in einer ersten Reaktion die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich (SLÖ), die 241.000 sudetendeutschen Opfer verhöhnt und deren Angehörige beleidigt werden.

Der Bundesobmann der SLÖ, Gerhard Zeihsel, zeigte sich tief gekränkt und erklärte gegenüber dem Sudetendeutschen Pressedienst (SdP): „Nachdem uns der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman mit der Todesstrafe konfrontiert hatte und die israelische Regierung zu einem Völkermord gegen die Palästinenser ermutigt hatte, soll jetzt jener Präsident, der die menschen- und völkerrechtswidrige Vertreibung und Enteignung von 3 Millionen Sudetendeutschen zu verantworten hatte, mit dem höchsten Orden der tschechischen Republik geehrt werden. Sollte Edvard Beneš posthum den Masaryk-Orden erhalten, fordert die SLÖ alle österreichischen Staatsbürger, die den Masaryk-Orden bereits erhalten hatten, im Sinne der politischen Anständigkeit und aus Solidarität gegenüber den sudetendeutschen Opfern auf, diesen der tschechischen Republik zurückzugeben.“

Erst im Herbst 2001 hatte die österreichische ORF-Journalistin Coudenhove Kalergi den Masaryk-Orden erhalten.

==========Radio Prag 2002-03-20==================
Patrick Cox will über Benes-Dekrete reden
Die verschiedenen Meinungen und Erklärungen der tschechischen Politiker zu den Benes-Dekreten will sich EU-Parlamentspräsident, Patrick Cox, während seines Prag-Besuchs am Donnerstag und Freitag anhören. Im EU-Parlament sei dies nämlich ein heikles, wenn nicht gar gefährliches Thema, erklärte Cox am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur CTK. Lange sei es ihm so vorgekommen als sei die Frage der Dekrete gelöst, nun habe sich aber gezeigt, daß dem nicht so sei und sie könnten zu einem ernsten Problem werden, führte der EU-Parlamentspräsident aus. Cox wird sich in Prag u.a. mit Präsident Vaclav Havel, Premier Milos Zeman und anderen tschechischen Spitzenpolitikern treffen.
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Walter Mogk teilt mit:
Im Schlußabschnitt des folgenden Artikels der „Berliner Zeitung“ schlägt der Autor tatsächlich vor, daß „die zweifelsohne bedauerliche Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa [..] endlich akzeptiert werden sollte", da sie „ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs [war] und es [..] wohl höchste Zeit [ist], mit dessen Ergebnissen vorbehaltlos, d.h. ohne irgendwelche revisionistische Hintergedanken seinen Frieden zu machen.“ Seinen Frieden machen mit der völkerrechtswidrigen Vertreibung und Enteignung von 15 Millionen Menschen aus ihrer jahrhundertelang angestammten Heimat (mit über 2,5 Millionen Toten) ? Himmelschreiendes Unrecht, das zumeist nicht mal im Ansatz einer „Heilung“ (wie es Frau Steinbach ausdrückt) zugeführt wurde, akzeptieren und zur Tagsordnung übergehen? Rassistische Dekrete, die noch heute Bestandteil der tschechischen, slowakischen, polnischen und slowenischen Rechtsordnung sind und Deutsche (sowie teilweise Ungarn) als Menschen zweiter Klasse einstufen sowie Verbrechen an diesen straffrei stellen, hinnehmen und „akzeptieren“ ? Das kann ja wohl nicht wahr sein ! Gruß, Walter

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Frieden machen mit den Folgen des Krieges
Edvard Benes und seine Dekrete – ein (sudeten-)deutsches Problem
Eva Hahn und Hans Henning Hahn
Ich fand Benes kaum verändert. Empfangen hat er uns in jenem Raum auf dem Hradschin, wo ich schon 1937 mit ihm gesprochen hatte... Verlassen habe ich ihn nach einer Stunde anregenden Gesprächs, genau so voll von Respekt und Bewunderung wie nach unserer ersten Begegnung. Sein realistischer Elan verbindet sich mit einer guten Portion politischer Schlauheit und Realismus. Er besitzt beides, Glauben und Flexibilitaät.“ So beschrieb der deutsche Schriftsteller Klaus Mann am 4. August 1945 in „The Nation“ seine erste Begegnung mit dem tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Erinnerungen Klaus Manns sind heutzutage in der Bundesrepublik nicht populär: „Die Tschechoslowakei Masaryks und Benes hätte verdient, daß man um ihretwillen das Äußerste riskierte. Es war ein gutes Land, eine gute Demokratie, die Tschechoslowakei Masaryks und Benes’. ... Von allen europäischen Völkern waren es die Tschechen, die damals am mutigsten und am klarsten eben die Ideale und Überlieferungen repräsentierten, die in Deutschland mit Füßen getreten wurden..."!

Andere Deutsche haben ein anderes Bild: „Benes hat absolut vergessen, daß er nur Präsident einer kleinen Nation war, ein trockener, gefühlloser Zwerg der Weltgeschichte". Dieses Bild stammt aus dem neuesten Lieblingsbuch der Sudetendeutschen Zeitung „Edvard Benes – der Liquidator von Böhmen. Dämon des Genozids an den Sudetendeutschen und Totengräber der tschechoslowakischen Demokratie“ von Sidonia Dedina, die 1966 aus der Tschecheslowakei emigrierte. Schon die im Titel benützten Sprachmittel eignen sich wohl kaum zu einem versöhnungsorientierten deutsch-tschechischen Sprechen über die Vergangenheit. Sind es nicht auch jene „Verschwörungs- und Dämonisierungskategorien", deren Verwendung Antje Vollmer neuerdings an der tschechischen Seite kritisierte?
Über die tschechoslowakische Demokratie der Zwischenkriegszeit wissen sudetendeutsche Politiker bis heute nicht viel Gutes zu berichten. Sie halten sie für einen „Völkerkerker", und das Münchner Abkommen von 1938, das weltweit als Symbol für die Feigheit demokratischer Politiker angesichts der NS-Diktatur gilt, ist für sie „die Bankrotterklärung der gegen den Willen dieser Völker errichteten Tschechoslowakei", wie es der langjährige Sprecher der Sudetendeutschen Franz Neubauer in einer weit verbreiteten Broschüre formulierte. Diese völkische antitschechoslowakische Propaganda und ihr Anti-Versailles-Revisionismus aus der Zwischenkriegszeit werden von sudetendeutschen Organisationen in der Bundesrepublik bis heute gepflegt. Die Figur von Edvard Benes spielt dabei nach wie vor die Rolle der ‚bête noire‘. Mit dem Schlagwort ‚Benes-Dekrete’ fand sie ihre neueste Variante.
Dieses Schlagwort tauchte in der Öffentlichkeit erst in den neunziger Jahren auf. Als in den achtziger Jahren tschechische Dissidenten und Emigranten über die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei lebhaft diskutierten, wurden sie für ihre kritischen Einsichten allerorts, ja sogar unter den Sudetendeutschen gelobt. Von einer ‚Aufhebung der Benes-Dekrete‘ sprach damals niemand. Und so fragen sich viele Tschechen, ob denn nun heute in Deutschland das Schlagwort von den ‚Benes-Dekreten‘ für Ähnliches steht wie die nationalsozialistische Anti-Benes-Kampagne der dreißiger Jahren?
Auch ohne das Schlagwort von den ‚Benes-Dekreten‘ war immer bekannt, daß 1945 in der Tschechoslowakei revolutionäre Veränderungen stattfanden, die man lange – und zu recht – als ‚Mai-Revolution‘ bezeichnete. Die aus dem Exil zurückkehrenden politischen Eliten stützten sich dabei auf das in der Kriegs- und Exilsituation entstandene Gesetzgebungsrecht des Staatspräsidenten, der bis zum 28. Oktober 1945 die Gesetzgebung auf Vorschlag der Regierung in Form von Dekreten ausübte. Das gesamte öffentliche Leben wurde gegenüber dem politischen System der Vorkriegszeit umgestaltet. Durch ein Verfassungsdekret der Provisorischen Nationalversammlung vom 29. März 1946 wurden alle diese Dekrete nachträglich parlamentarisch legitimiert. Neben der Entrechtung und Aussiedlung der damaligen tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher und magjarischer Nationalität gehörten dazu weit reichende Verstaatlichungen und die Einschränkung der politischen und bürgerlichen Freiheiten. Das ist schon damals in der Tschechoslowakei vielfach kritisiert worden. Die Legitimität der Dekrete aber zog niemand in Zweifel, weder im Lande selbst noch im Ausland.
Revolutionär, nicht rechtens
Schon immer wußte man auch, daß es in der Tschechoslowakei unmittelbar nach dem Krieg nicht immer rechtens zuging. Unzählige auch tschechische und slowakische Erinnerungen erzählen von Unrechtstaten aus der Nachkriegszeit. Die tschechischen und slowakischen Kommunisten wie ihre Gegner waren sich einig, daß es in der Nachkriegstschechoslowakei ‚revolutionär‘ und keineswegs ‚rechtens‘ zuging. Von den (Sudeten-)Deutschen allerdings wollte sich niemand darüber belehren lassen, was Recht und was Unrecht war.
Die umfassende gesetzliche Neuregelung des gesamten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Lebens betraf in einigen Dekreten auch die etwa drei Millionen deutschsprachigen Staatsbürger der Vorkriegstschechoslowakei. Dabei handelte es sich keineswegs um ihre Aussiedlung. Diese erfolgte ohne innerstaatliche gesetzliche Grundlage, jedoch mit Billigung und Unterstützung der alliierten Siegermächte. Letzere verpflichteten sich während der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945, organisatorisch an der Aussiedlung mitzuwirken, und das taten sie auch. „Nicht die geplante Umsiedlung, sondern ausschließlich deren Ausmaß stand gegen Kriegsende noch zur Debatte", schreibt die Historikerin Sylvia Schraut und weist darauf hin, daß die britisch-amerikanische European Advisory Commission in der Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa eine „positiv bewertete Politik der Befriedigung Osteuropas“ sah. In der tschechischen Gesellschaft berufen sich daher viele auf den spezifischen historischen Kontext, in dem die Vertreibung stattgefunden habe.
Als rechtliche Grundlage der Aussiedlung der Deutschen betrachtete man den Beschluß der Potsdamer Konferenz und den Plan des Alliierten Kontrollrats vom 20. November 1945 über den Transfer der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und Österreich. Darüber hinaus galten drei Präsidialdekrete als ergänzende Normen: Dekret Nr. 33 über die Staatsbürgerschaft, Nr. 12 über die „Konfiskation des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Magyaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen Volkes“ und schließlich Nr. 108 über die „Konfiskation des feindlichen Vermögens". Wenn in Deutschland und Österreich heute die ‚Aufhebung der Benes-Dekrete‘ gefordert wird, dürften wohl nur diese drei der 143 Präsidialdekrete gemeint sein. Aber so genau drücken sich die sudetendeutschen, deutschen und österreichischen Politiker nicht aus. Geht es ihnen um das Rückkehrrecht einzelner Vertriebener, um eine Zuerkennung der tschechischen Staatsbürgerschaft für alle Vertriebenen (und ihre Nachkommen) oder um die Restitution des vor mehr als fünfzig Jahren konfiszierten Vermögens?
Viele wohlwohlende Deutsche meinen, daß der Ruf nach einer Aufhebung der ‘Benes-Dekrete’ nur ein tschechisches Eingeständnis zum Ziel habe, daß die ehemaligen tschechoslowakischer Staatsbürger deutscher Nationalitat in der Nachkriegszeit nicht rechtens behandelt worden seien. Aber damit unter-liegen sie einem Irrtum. In der Satzung der Sudetendeutschen Landsmannschaft steht seit mehr als einem halben Jahrhundert ein viel weit reichenderes Ziel festgeschrieben: „... den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen". Daneben klingt die zweite selbstauferlegte Aufgabe der Landsmannschaft, „den Anspruch der Volksgruppe auf Rückerstattung des konfiszierten Vermögens im Rahmen einer gerechten Entschädigung zu vertreten", wie eine bloße Kleinigkeit. Die Forderung nach „Heimat- und Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe“ kommt nämlich dem Anspruch der Landsmannschaft gleich, eigenständig über jene Gebiete zu entscheiden, die sie als ihre ‚Heimat‘ betrachtet, d.h. über jene Gebiete, die durch das Münchener Abkommen 1938 von der Tschechoslowakei abgetrennt und dem Deutschen Reich zugeschlagen wurden. Ist es verwunderlich, daß man in Tschechien über die Stimmen der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der bayerischen CSU und der Wiener Regierungskoalition ÖVP/FPÖ verwirrt ist und daß tschechische Politiker jeden Dialog über die ‚Benes-Dekrete‘ verweigern?
Das Schlüsseldokument zur Vertreibung der Deutschen aus Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, das Potsdamer Abkommen, wird sogar innerhalb der viel beschworenen ‚Rechts- und Wertegemeinschaft der EU‘ unterschiedlich beurteilt. Von seinen Unterzeichnern als bindend angesehen, wurde es von einigen deutschen Juristen stets als ein Regierungsabkommen betrachtet, das für die Bundesrepublik Deutschland keine Bindungswirkung entfalten könne. Dabei ging es vor allem darum, daß die Endgültigkeit der Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa nicht anerkannt werden sollte. Daher wurde schon in den fünfziger Jahren auch in der Präambel des Lastenausgleichsgesetzes und in der Begründung zum Vertriebenenzuwendungsgesetz festgeschrieben, daß die Gewährung und Annahme von Leistungen keinen Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückgabe des von Vertriebenen zurückgelassenen Vermögens bedeuten.
Der Beharrlichkeit der Vertriebenenpolitiker widmete die deutsche Öffentlichkeit bisher kaum Aufmerksamkeit, etwa wenn der Bund der Vertriebenen im Jahre 1997 erklärte: „Der Beitritt der Tschechischen Republik zur EU darf nicht bedingungslos erfolgen. Gesetze und Dekrete, wie z.B. die ‚Benes-Dekrete’, mit denen den Sudetendeutschen kollektiv jede Lebensgrundlage entzogen wurde, stehen dem europäischen Rechts- und Werteverständnis entgegen.“ Und plötzlich scheint es, als hätte sich nun in Deutschland und Österreich das gesamte politische Spektrum diese Haltung zu Eigen gemacht.
In Tschechien verbreitet sich der Eindruck, als würden die sudetendeutschen völkischen Organisationen abermals zur entscheidenden politische Kraft in den deutsch-tschechischen Beziehungen heranwachsen. Wer kümmert sich eigentlich in der deutschen Öffentlichkeit darum, was die deutschen Politiker von den Tschechen fordern? Das von vielen Deutschen stets gegenüber den Tschechen vorgebrachte Argument, in Deutschland interessiere sich kaum jemand für die Parolen der Vertriebenenfunktionäre, klingt heute hohl. Wäre es nicht für die Deutschen an der Zeit, sich endlich doch dafür zu interessieren, wie und mit welchen Zielen in ihren Namen Druck auf ihren Nachbarstaat ausgeübt wird?
Viele Deutsche hegen den Verdacht, hinter den tschechischen Reaktionen und unglückseligen Politiker-Ausspüchen verbärgen sich antideutsche Ressentiments, und wehren sich gegen die Zuschreibungen einer Kollektivschuld. Dieser Vorwurf stößt in Tschechien auf weitgehendes Unverständnis. Dort erinnert man sich daran, daß etwa Heinrich und Thomas Mann, als sie sich 1936 in der Tschechoslowakei um politisches Asyl und die Staatsbürgerschaft bemühten, von sudetendeutschen Politikern in Reichenberg das Heimatrecht verweigert wurde, während sich gleich mehrere tschechische Städte um sie bewarben. So konnte auch bei dem für die Vertreibung der Deutschen mitverantwortlichen Benes sein deutscher Besucher Klaus Mann nicht einmal im Jahr 1945 antideutsche Ressentiments feststellen.

Keine kollektive Schuldzuweisung
Die meisten Tschechen sind der Überzeugung, hinter all den unglückseligen Entwicklungen in der Nachkriegstschechoslowakei stünden die politischen Erfahrungen mit Hitlerdeutschland und dessen sudetendeutschen Sympathisanten, und keineswegs eine kollektive antideutsche Schuldzuweisung. Daß die damalige Behandlung der Deutschen kein Ruhmesblatt in den Annalen der tschechischen Geschichte darstellt, darüber wird seit spätestens 1990 viel intensiver diskutiert, als man in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik die NS-Vergangenheit zu bewältigen versuchte. Aber Urteile über Recht und Unrecht in der eigenen Geschichte will man sich in Tschechien weder von Deutschen, die in der Traditionen des Anti-Versailles-Revisionismus oder Anti-Potsdam-Revisionismus stehen, noch von sudetendeutschen Organisationen vorschreiben lassen.

An die Vertreibung kann und soll zwar erinnert werden, aber sie ist kein Thema, mit dem man Politik machen und die man materiell rückgängig machen kann. Sollte man sich nicht überlegen, wo denn nun die ‚Heimat‘ des ‚vierten Stammes Bayerns‘, der sudetendeutschen Volksgruppe, heute liegt? Sollte man sich nicht überlegen, wer eigentlich für die Entschädigung der Vertriebenen (falls diese wirklich noch eine benötigen sollten) zuständig ist, ob die ‚Vertreiberstaaten‘ oder die Bundesrepublik Deutschland, die schon so viel für ihre Eingliederung und die Pflege des ‚sudetendeutschen Kulturguts‘ ausgegeben hat? Sollte man sich nicht in Deutschland endlich überlegen, ob die zweifelsohne bedauerliche Aussiedlung der Deutschen aus Osteuropa nicht endlich akzeptiert werden sollte?
Die Vertreibung war ein Ergebnis des Zweiten Weltkriegs, und es ist wohl höchste Zeit, mit dessen Ergebnissen vorbehaltlos, d.h. ohne irgendwelche revisionistische Hintergedanken seinen Frieden zu machen. Solange dieses Kapitel nicht in Deutschland abgeschlossen wird, werden sich immer wieder Anlässe finden, die die deutsch-tschechische und auch die deutsch-polnische Nachbarschaft nicht wird zur Ruhe kommen lassen.
Quelle: Berliner Zeitung, 20.03.2002
http://www.berlinonline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/127849.html

==============Radio Prag 2002-03-21=================
Cox: Über die Benes-Dekrete sollte erst nach den Wahlen diskutiert werden
Die internationale Diskussion über die umstrittenen Benes-Dekrete sollte nach Ansicht des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pat Cox, erst im Herbst fortgesetzt werden. Dann seien die Parlamentswahlen in Deutschland, Tschechien, der Slowakei und Ungarn vorbei und die Voraussetzungen für einen Meinungsaustausch besser, sagte Cox am Donnerstag in Prag nach seinem Treffen mit dem tschechischen Senatsvorsitzenden Petr Pithart. Zwar müsse über die tschechoslowakischen Nachkriegsordnungen gesprochen werden, „aber in ruhigerer Atmosphäre als jetzt". Cox wollte nicht ausschließen, daß die von Prag nie für ungültig erklärten Dekrete den für das Jahr 2004 geplanten EU- Beitritt Tschechiens komplizieren könnten. Der EU-Parlamentspräsident will sich während seines zweitägigen Prag-Aufenthalts die verschiedenen Meinungen und Erklärungen der tschechischen Politiker zu den Benes-Dekreten anhören und wird dabei u.a. auch mit Präsident Vaclav Havel und Premier Milos Zeman zusammentreffen.
=============Padio Prag 2002-03-22==============
Cox geht von einem gemeinsamen Beitrittsvertrag für alle EU-Kandidatenländer aus
Der Präsident des Europäischen Parlamentes, Pat Cox, geht davon aus, daß es hinsichtlich der Erweiterung der Europäischen Union einen Beitrittsvertrag für alle Kandidatenländer geben wird, die in der ersten Erweiterungswelle der Union beitreten. Dies sagte Cox am Freitag in Prag nach Verhandlungen mit dem tschechischen EU-Chefunterhändler Pavel Telicka. Er fügte jedoch hinzu, daß dieses Vorgehen noch nicht endgültig bestätigt sei. Telicka zufolge hat die Arbeit an dem Vertragsentwurf über den Beitritt bereits begonnen. Es handele sich dabei wie in den vorangegangenen Erweiterungswellen um ein einheitliches Dokument, das jedoch unterschiedliche nationale Beilagen und Protokolle enthielte, so der tschechische EU-Chefunterhändler. Der Vertrag soll kommendes Jahr von der Europäischen Union sowie allen vorbereiteten Beitrittskandidaten unterzeichnet werden. Cox sprach während seines zweitägigen Prag-Besuches auch über die Benes-Dekrete und erhielt hier von Telicka die Zusage, daß ihm kommende Woche die Übersetzung der Rechtsanalyse vorliege, die die tschechische Regierung hatte ausarbeiten lassen.
===========Radio Prag 2002-03-23=====================
Posselt:  Bei Widerspruch zum EU-Recht sind Benes-Dekrete aufzuheben
Falls in der Tschechischen Republik ein Recht existiere, das im Widerspruch zu den Rechtsnormen der Europäischen Union steht, dann sollte die Union darauf bestehen, daß dieser Widerspruch beseitigt werde. Diese Aussage traf der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Abgeordnete des Europäischen Parlaments Bernd Posselt am Samstag auf der deutsch-tschechischen Konferenz in Jihlava/Iglau, als er von der Nachrichtenagentur CTK zu den sogenannten Benes-Dekreten befragt wurde. „Falls die Dekrete den Normen der Europäischen Union widersprechen, dann müssen sie aufgehoben werden,“ ergänzte Posselt.
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Kundera:  Debatte um das tschechisch-deutsche Verhältnis ist aufgebauscht
Der tschechische Dichter, Dramatiker und Übersetzer Ludvik Kundera, der auf der Leipziger Buchmesse den mit 5000 Euro dotierten Anerkennungspreis für sein Lebenswerk erhält, beklagte die derzeit aufgebauschte Diskussion um das tschechisch-deutsche Verhältnis. „Die 3. Generation nach uns versteht fast nichts davon, wenn es um eine Angelegenheit von 1945 geht", sagte der 80-Jährige. Das seien mehr oder weniger archäologische Sachen, die auf einmal hochgezogen werden. Dabei sei das Verhältnis der Tschechen zur deutschen Kultur traditionell sehr eng. „Die tschechische Dichtung und die Musik sind bis heute unsere beste kulturelle Exportware", sagte Kundera.
=============Radio Prag 2002-03-24==================
Tschechiens Bild in deutschen Medien:
      Dekrete, Temelín und Prostitution
Auf der dreitägigen deutsch-tschechischen Konferenz, die am Sonntag in Jihlava/Iglau zu Ende ging, haben tschechische und deutsche Journalisten darüber diskutiert, welches Erscheinungsbild das Nachbarland in den Medien des jeweils anderen Landes derzeit abgibt. Dabei wurde festgestellt, daß die Hauptthemen aus der Tschechischen Republik in den deutschen Medien vornehmlich die Benes-Dekrete, das Atomkraftwerk Temelín und die Prostitution im Grenzgebiet sind. Aus der Reihe tschechischer Persönlichkeiten kennt der Durchschnittsdeutsche am ehesten Staatspräsident Václav Havel und Sänger Karel Gott, war die nahezu einhellige Auffassung der Medienvertreter auf der Konferenz in Jihlava.
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Umfrage: 
Mehrheit der Tschechen gegen Aufhebung der Benes-Dekrete
Die Mehrheit der Tschechen ist der Überzeugung, daß die so genannten Benes-Dekrete nicht aufgehoben werden sollten. Das geht aus den Ergebnissen einer öffentlichen Umfrage hervor, die im Auftrag der Nachrichtenagentur CTK dieser Tage von der Gesellschaft TNS Factum vorgenommen wurde. Mehr als 57 Prozent der Befragten erklärten, daß die Tschechische Republik keinen Grund dafür habe, überhaupt zur Frage der Benes-Dekrete zurückzukehren. Nahezu 12 Prozent der Befragten vertraten die Ansicht, daß der Staat die Dekrete zwar nicht aufheben, andererseits aber anerkennen sollte, daß sie einen undemokratischen Charakter hätten. Gegen die Dekrete hatte sich zuletzt am Samstag auf der deutsch-tschechischen Konferenz in Jihlava/Iglau der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt ausgesprochen.
=============Radio Prag 2002-03-25===================
Berichtsentwurf des Europarlaments legt Nachdruck auf Benes-Dekrete
Ungewöhnlichen Nachdruck auf die so genannten Benes-Dekrete legt der Entwurf zum „Bericht über den Stand der Erweiterungsverhandlungen", den der Außenpolitische Ausschuß des Europäischen Parlaments am Montag behandelt. Insbesondere wird darin über den diskriminierenden Charakter der Dekrete, die Notwendigkeit ihrer Aufhebung sowie über deren rechtliche, aber auch politischen und moralischen Folgen spekuliert. Unterdessen betonte der slowakische Außenminister Eduard Kukan in einer Grundsatzerklärung gegenüber dem Außenausschuß des EU-Parlaments, die Slowakei betrachte die Benes-Dekrete als ungültig und lehne es daher ab, diese Frage neu zu diskutieren.
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Posselt bezeichnet Benes-Dekrete als rassistisch
Der Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, hat die tschechische Bevölkerung um Verzeihung für die Verbrechen gebeten, die von Sudetendeutschen im Zweiten Weltkrieg an Tschechen begangen worden waren. An den „Schandtaten des verbrecherischen (NS-)Regimes“ hätten sich Sudetendeutsche beteiligt, zitierten Prager Tageszeitungen am Montag aus einem Interview des tschechischen TV-Senders CT mit Posselt. Im Fall von Rückgabeforderungen an Prag könne er nicht für alle Sudetendeutschen sprechen, unterstrich Posselt. Sein Verband betone aber ein „Recht auf Heimat", nicht ein „Recht auf Eigentum", sagte der Funktionär. Die umstrittenen Benes-Dekrete nannte Posselt „rassistisch", da die tschechoslowakischen Nachkriegsgesetze von der Kollektivschuld der Deutschen und Ungarn ausgingen. Vizepremier Vladimir Spidla reagierte am Montag mit den Worten, Posselts Entschuldigung könne nichts an der tschechischen Haltung zu den Benes-Dekreten ändern. Einer Forderung nach Entschädigung, die Spidla hinter Posselts weiteren Formulierungen vermutet, erteilte der Vizepremier eine deutliche Absage.
=================Radio Prag 2002-03-25=========================
Schwarzenberg:  Problemfrage „Benes-Dekrete“ hat langjährige Tradition
Die Frage der so genannten Benes-Dekrete als Problem zwischen Tschechen und Slowaken auf der einen sowie den Deutschen auf der anderen Seite, hat seine langjährige Tradition, die weder im Jahre 1989 noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begann. Dies erklärte der ehemalige Berater des tschechischen Präsidenten Václav Havel, Karl Schwarzenberg, in einem Gespräch für die slowakische Tageszeitung „Sme". „Dies hat tiefere Wurzeln. Um diese finden zu können, müssen wir ins 19. Jahrhundert schauen, wie sich hier die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen entwickelt haben,“ urteilt Schwarzenberg. Seiner Ansicht nach seien die Dekrete damit „erloschen", daß noch in der Verfassung des gemeinsamen tschechoslowakischen Staates die Urkunde der Grundrechte und Freiheiten aufgenommen wurde. Allerdings hätten sie ihre Geltung im Zeitraum zwischen den Jahren 1945 bis 1947 nicht verloren gehabt, ergänzte Schwarzenberg.
=================Radio Prag 2002-03-28=========================
Gemeinsame Erklärung zu den Benes-Dekreten
Tschechische Politiker wollen sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zur Problematik der sog. Benes-Dekrete einigen. Vertreter aus dem bürgerlichen Lager riefen dazu am Mittwoch und am Donnerstag vier der im Parlament vertretenen Parteien auf – nämlich die Bürgerdemokraten (ODS), die Sozialdemokraten (CSSD), die Christdemokraten (KDU-CSL) und das Bündnis Freiheitsunion-Demokratische Union. Die ganze Angelegenheit wurde auf eine gemeinsame Initiative von Premier Milos Zeman und Abgeordnetenchef Vaclav Klaus hin ins rollen gebracht. Präsident Vaclav Havel bezeichnete die derzeitige Situation um die Dekrete als hysterisch.
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Sudetendeutscher Pressedienst Wien 2002-03-28
Tatsachen über die Beneš-Dekrete

Von Konrad Badenheuer (11. März 2002)

Die Debatte über die Beneš-Dekrete hat seit Januar 2002 eine neue Breite und Intensität gewonnen. Zuletzt hieß es, daß im Rahmen des EU-Beitritts der Tschechischen Republik gleich drei Rechtsgutachten über diese Gesetze und Dekrete angefertigt werden sollen: Eines von den Juristen des Europäischen Parlaments, eines von der Tschechischen Republik und ein drittes soll offenbar von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben werden.

Die Materie der Dekrete ist gleichzeitig einfach und kompliziert. Sie ist einfach, weil die Vertreibung von über drei Millionen und die entschädigungslose Enteignung von sogar über vier Millionen Deutschen und Ungarn ein sonnenklarer Rechtsbruch ist. Sie ist kompliziert, weil in der Debatte um die Dekrete viele Begriffe und Stellungnahmen unklar oder mehrdeutig sind.

Zu Recht hat nun der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) eine Versachlichung der Diskussion angemahnt. Der nachfolgende Artikel soll zu dieser Versachlichung und Begriffserklärung beitragen.

Zwischen 21. August  1940 und dem 28. 1Oktober 1945 wurden von Edvard Beneš, der das Amt des tschechoslowakischen (Exil-) Präsidenten beanspruchte, insgesamt 143 so genannte Beneš-Dekrete erlassen. Etwa fünfzehn von ihnen haben die Entrechtung und Enteignung der Deutschen und Magyaren in der Tschechoslowakei zum Gegenstand und sind völkerrechtswidrig. Dasselbe gilt für manche Ausführungs-bestimmungen zu den Dekreten und für eine geringere Zahl von (nach dem Oktober 1945) erlassenen Gesetzen. Die Sudetendeutschen – ebenso wie Ungarn – verlangen die Aufhebung dieser Dekrete und Gesetze.

Die Dekrete wurden am 28. März 1946 von der tschechoslowakischen Provisorischen Nationalversammlung rückwirkend gebilligt und haben seitdem in der Tschechoslowakei und heute in der Tschechischen Republik Gesetzeskraft. Die Absurdität besteht darin, daß diese Nationalversammlung nicht gewählt, sondern aufgrund eines Beneš-Dekrets einberufen worden war. Bereits die rein formale Legitimität der Dekrete wird außerdem dadurch in Frage gestellt, daß Edvard Beneš seit seinem Rücktritt vom Amt des tschechoslowakischen Staatspräsidenten am 5. Oktober 1938 – auch nach Überzeugung des Völkerbundes – eine Privatperson war: Im März 1939 lehnte der Völkerbundrat die Bearbeitung einer Eingabe Beneš's mit der klaren Begründung ab, daß er eine „Privatperson“ sei.

Tatsachen über die Beneš-Dekrete – Teil 2 (SL-Pressedienst 2002-03-29)
Von Konrad Badenheuer (11. März 2002)

Zu den wichtigsten der Dekrete gehören:

Tatsachen über die Beneš-Dekrete (SL-Pressedienst Wien, 2. April 2002/GE)
Von Konrad Badenheuer (11. März 2002)

Völkerrechtlich geboten ist die Aufhebung dieser Gesetze und Dekrete ex tunc, also die Feststellung der Ungültigkeit von Anfang an (Nichtigkeit), denn die Dekrete verstießen gegen bereits damals verbindlich geltendes Völkerrecht. Die Aufhebung ex tunc bedeutet aber nicht, daß etwa mit der Aufhebung der Enteignungsdekrete der frühere eigentumsrechtliche Zustand wieder hergestellt würde oder daß die Sudetendeutsche Landsmannschaft auch nur dessen volle Wiederherstellung fordern würde. Angestrebt werden allerdings Verhandlungen darüber, inwieweit auch in diesem Bereich noch eine Wiedergutmachung möglich ist.

Die SL hat hierzu sehr konkrete Vorschläge vorgelegt.

Die Aufhebung der anderen Dekrete ex tunc sollte eigentlich kein Problem sein. Nicht ausreichend – wenn auch als erster Schritt willkommen – wäre eine bloße Distanzierung von den Dekreten oder ihre Aufhebung ex nunc, also nur mit Wirkung für die Zukunft.

Diese Dekrete sind nicht nur ihrem Inhalt nach grob Völkerrechtswidrig. Bei ihrer Anwendung gab und gibt es viele zusätzliche Diskriminierungen und Rechtsbrüche:

  1. Dem Wortlaut der Dekrete zufolge hätten sudetendeutsche NS-Gegner nicht enteignet und ausgebürgert (also auch nicht vertrieben) werden dürfen. Tatsächlich geschah dies aber.
  2. Dem Wortlaut der Dekrete nach wurde die Unschuldsvermutung gegen die Deutschen aufgehoben. Sie mußten stattdessen ihre Unschuld beweisen; sehr viele hätten das leicht gekonnt, faktisch aber bekam niemand die Möglichkeit dazu.
  3. Laut Dekret Nr. 108 (7) hätten tschechoslowakische – also auch jüdische – NS-Opfer aus dem enteigneten sudetendeutschen Vermögen entschädigt werden müssen. Das ist aber nicht geschehen; möglich wäre es nach wie vor, weil noch viel sudetendeutsches Eigentum in tschechischem Staatsbesitz ist.
  4. Beneš-Dekret Nr. 5 vom 19. Mai 1946 erklärte alle NS-Enteignungen als nichtig. Faktisch geht es hier um die Enteignung der ca. 120.000 Juden und der ca. 7.000 Sinti und Roma (Stand 1938), weil es in der NS-Zeit fast keine Enteignungen von ethnischen Tschechen gab. Die entsprechende Wiedergutmachung geschah und geschieht aber höchst selektiv. Viele überlebende Juden erhielten nach 1945 ihr Eigentum nicht zurück. Stattdessen gab es sogar eine Reihe von Fällen, in denen ermordete Juden posthum unter Anwendung der Dekrete Nr. 12 oder 108 als „Deutsche“ enteignet wurden.
  5. Auch andere Enteignungsexzesse waren häufig. Mir den Dekreten wurden beispielsweise auch das Vermögen des neutralen Fürsten von und zu Liechtenstein sowie das Eigentum von einigen italienischen Bürgern deutscher Volkszugehörigkeit (Südtirolern) und von Angehörigen der polnischen und kroatischen Volksgruppe in der CSR enteignet. – Der tschechisch-liechtensteinische Eigentumskonflikt ist noch offen.
  6. Alle führenden tschechischen Politiker und Parteien und alle Verfassungsorgane halten praktisch geschlossen an der Fortgeltung der Dekrete fest. Ein gemäßigter tschechischer Politiker empfahl den Deutschen in der Tschechischen Republik im September 1996 allen Ernstes, vor Gericht den Beweis zu erbringen, daß sie keine Verräter seien, dann könnten sie auch „in Übereinstimmung mit den Dekreten“ ihr Eigentum zurückerhalten. Dies belegt sehr klar die Fortgeltung der Dekrete, die in Restitutionsverfahren von tschechischen Gerichten bis heute laufend angewendet werden.
  7. Die Dekrete haben bis heute diskriminierende Wirkungen, nämlich insbesondere in Form des Ausschlusses der heimatverbliebenen Deutschen von der Eigentumsrückgabe und beim Umgang mit sogenannten „liegenden Hinterlassenschaften“ aus der Zeit vor dem 25. Februar 1948. Hier können Bürger der Tschechischen Republik dann heute „nachträglich erben", wenn der verstorbene Erblasser tschechischer Volkszugehöriger war, nicht aber, wenn er Deutscher war. In dem speziellen Bereich der „liegenden Hinterlassenschaften“ werden bis zum heutigen Tag durch die Beneš-Dekrete Eigentumsrechte neu konstituiert. Ein einschlägig spezialisierter Wiener Rechtsanwalt spricht in diesem Zusammenhang von „ethnischen Nachsäuberungen".
  8. Ein weiterer Beleg für die aktuelle Anwendung der Dekrete ist die Tatsache, daß das Beneš-Dekret Nr. 50 vom 11. August 1945 über die Verstaatlichung der Kinematographie in den neunziger Jahren eigens geändert wurde, bevor die Filmwirtschaft privatisiert wurde. Verschiedenen Berichten zufolge war einer der Begünstigten dieser Privatisierung Präsident Václav Havel persönlich: Er erhielt im Zuge von Restitutionen unter anderem Filmstudios in Prag zurück, es fehlt aber bisher der Nachweis, daß diese aufgrund dieses Dekretes enteignet worden sind.
  9. Die Gültigkeit der Dekrete wurde vom tschechischen Verfassungsgericht in dem – in Widerspruch zu den Grundprinzipien abendländischer Rechtsordnungen stehenden – Grundsatzurteil vom 8. März 1995 ausdrücklich bestätigt (deutscher Wortlaut liegt vor). Dieses Urteil basiert – auch nach Ansicht der amerikanischen Fachzeitschrift „Foreign Policy“ – eindeutig auf der Vorstellung der Kollektivschuld der über 3,2 Millionen Sudetendeutschen, 160.000 Karpatendeutschen und 720.000 Ungarn in der Slowakei (1938). Das tschechische Verfassungsgericht betrachtet die Aufhebung der Unschuldsvermutung gegenüber diesen 4,1 Millionen Menschen als rechtens und ihre entschädigungslose Enteignung als „notwendige Sanktion". Anlaß dieses Urteils war der Antrag des im nord-böhmischen Reichenberg lebenden tschechischen Bürgers deutscher Volkszugehörigkeit Rudolf Dreithaler auf (anteilige) Rückgabe seines Elternhauses, der abgelehnt wurde. Diese Entscheidung belegt zugleich die anhaltende Diskriminierungswirkung der Dekrete.
  10. Auch der UNO-Menschenrechtsausschuß in Genf hat in den Jahren 1996 bis 2002 in mittlerweile sechs Entscheidungen aktuelle Diskriminierung im tschechischen Restitutionsrecht festgestellt. Die meisten dieser Diskriminierungen gehen letztlich auf die Beneš-Dekrete zurück. Der Menschenrechtsausschuß fordert von der Tschechischen Republik unter anderem, das Kriterium der tschechischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Eigentumsrestitution zu streichen, soweit diese Staatsbürgerschaft nicht freiwillig aufgegeben wurde. Die genannten sechs Entscheidungen betreffen übrigens nicht Fälle von Sudetendeutschen, sondern von im Exil lebenden Tschechen, von böhmischen Adligen und von jüdischen Bürgern der Tschechischen Republik.
  11. Der tschechische Botschafter Frantisek Cerny räumte am 10. Juni 1998 in einer vielbeachteten Erklärung in Berlin ein, daß „jene drei“ der Dekrete, die der Vertreibung als Grundlage dienen, „von einer Kollektivschuld“ ausgingen. Dadurch, daß die Tschechische Republik die Menschenrechtskonventionen in ihrem Rechtssystem verankert habe, seien alle völkerrechtswidrigen Dekrete automatisch abgeschafft worden, meinte er. Diese Einschätzung ist freilich unzutreffend, wie aus dem Vorgenannten klar wird. Man kann vielmehr sagen, daß in der Tschechischen Republik ein Verfassungskonflikt besteht, weil Gesetze und Gerichtsurteile – bis hin zu Urteilen des Verfassungsgerichtes – der Verfassung des Landes widersprechen.

Tatsachen über die Beneš-Dekrete (SL-Pressedienst Wien, 3. April 2002/GE)
Von Konrad Badenheuer (2002-03-11)

Ein immer wieder zu hörendes tschechisches Argument ist, daß auch eine Reihe weiterer Länder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ähnliche Dekrete erlassen hätten. Dies trifft aber nur für Jugoslawien wirklich zu (sog. AVNOJ-Dekrete), wo 1945 ebenfalls ein Völkermord an der deutschen Minderheit des Landes verübt wurde. Mit Einschränkungen lassen sich auch die polnischen Enteignungsdekrete von 1946 mit den tschechischen Enteignungsdekreten vergleichen. Dagegen ist es eine unwahre Behauptung, daß in Ländern wie Frankreich, Italien oder Österreich 1945 irgendwie vergleichbare Rechtsakte erlassen worden seien, die dennoch immer wieder von tschechischer Seite vorgebracht wird.

Manchmal werden die Beneš-Dekrete mit den sog. Nürnberger Rassegesetzen verglichen, manchmal sogar mit dem Wannsee-Protokoll vom Januar 1942. Ein Vergleich der Texte führt zu einem eindeutigen Befund: Die Dekrete verstießen weitaus stärker gegen das Völkerrecht als die Nürnberger Gesetze, aber weit weniger stark als das Wannsee-Protokoll.

Interessant ist schließlich ein Vergleich der Dekrete mit dem Münchener Abkommen (MA) vom 30. September 1938, mit dem das Sudetenland Deutschland angegliedert wurde. Es trifft zu, daß Deutschland nie dazu bereit war, das MA rückwirkend für null und nichtig zu erklären (= Ungültigkeit von Anfang an bzw. Aufhebung ex tunc). Deutschland hat dieses Abkommen vielmehr stets nur ex nunc für ungültig erklärt, ohne sich auf einen Zeitpunkt festzulegen. Infolge der Urteile des Nürnberger Internationalen Militärgerichtshofs („Nürnberger Kriegsverbrechertribunal“) steht aber fest, daß das MA am 15. März 1939 noch gegolten haben muß, denn das Gericht bewertete die Errichtung des Protektorats an diesem Tage als Verstoß gegen das MA.

Nun wird teilweise argumentiert: So, wie Deutschland das Münchener Abkommen nicht für ungültig von Anfang an erklären kann (sondern nur seine später eingetretene Ungültigkeit akzeptieren kann), so könne auch die Tschechische Republik auch im Falle der Dekrete nur die Ungültigkeit ab irgendeinem Zeitpunkt  „x“ für die Zukunft konzedieren.

Dieses Argument ist aus zwei Gründen unhaltbar: Zum einen war das Münchener Abkommen seinem Inhalt nach völkerrechtskonform (deutschsprachige Gebiete kamen willensgemäß zu Deutschland), während die Beneš-Dekrete ihrem Inhalt nach gegen zwingendes Völkerrecht verstießen (Aufhebung der Unschuldsvermutung, Ausbürgerung und entschädigungslose Enteignung von insgesamt 4,2 Millionen Menschen ohne Feststellung einer individuellen Schuld, Lagerhaft und Zwangsarbeit für Hunderttausende). Von daher konnte das MA Rechtskraft erlangen, während die Dekrete zwar faktische Geltung, aber nie eigentliche Rechtskraft erlangen konnten.

Zum anderen – und das ist noch gravierender – wurde das MA im Gegensatz zu den Dekreten inhaltlich rückgängig gemacht: Das Sudetenland kam wieder zum tschechoslowakischen, dann tschechischen Staat, obwohl das Abkommen „nur“ ex nunc aufgehoben wurde. Dagegen zielt die gesamte tschechische Argumentation, daß die Dekrete – wenn überhaupt – nur ex nunc aufgehoben werden könnten, gerade darauf ab, eine inhaltliche Rückgängigmachung, also eine Wiedergutmachung für die Sudetendeutschen, Karpatendeutschen und Ungarn, vollständig und im Ansatz zu verhindern.

Außerdem ist die tschechische Argumentation zur Geltung der Dekrete zutiefst widersprüchlich. Einmal wird behauptet, die Dekrete seien „erloschen“ (so Ministerpräsident Milos Zeman am 8. März 1999 in Bonn), dann wird gesagt, sie seien ein unverzichtbarer Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung. Und Ende Februar 2002 forderte der tschechische Parlamentspräsident Václav Klaus sogar ihre Verankerung im EU-Vertrag. Dies würde aber sämtlichen Prinzipien der EU als Rechts- und Wertegemeinschaft und nicht zuletzt den Kopenhagener Beitrittskriterien von 1993 vollständig widersprechen.

Das Europäische Parlament hatte deswegen allen Grund, die Tschechische Republik in den Jahren 2000 und 2001 zur Überprüfung und Aufhebung dieser Gesetze und Dekrete aufzufordern. Dieser Aufforderung haben sich unter anderem das österreichische Parlament, mehrere österreichische Landtage, das ungarische Parlament und der Bayerische und Südtiroler Landtag angeschlossen.

Ende

Dank an Herrn Konrad Badenheuer für diese fundierte Zusammenstellung der wichtigsten Argumente!  ML 2002-04-03

Hinweis: alle diese Dekrete sind im vollen Wortlaut in einer quasi-amtlichen Übersetzung hier in www.mitteleuropa.de/benesch-d01.htm enhalten:

Fortsetzung der Sammlung:
Stimmen zum Tschechisch-Deutschen Zwist im April 2002: