Aus der "Mlada fronta Dnes" 2001-04-19
Gericht restituierte erstmals eine Nachkriegskonfiskation

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Brünn: Das Bezirksgericht in Mlada Boleslav entschied, daß Zdenka Urbanova eine Entschädigung für Eigentum zu bekommen hat, das aufgrund der Benes-Dekrete unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg konfisziert wurde.
Wenn die Entscheidung rechtskräftig würde, wäre Frau Urbanova im Inland seit dem Jahr 1990 offenkundig die erste Person, die für eine Enteignung auf diese Art entschädigt würde.
"Das ist eine bahnbrechende Entscheidung", betont Lubomir Müller, der Anwalt von Frau Urbanova.
Andere Fachleute sind jedoch vorsichtig. Das Urteil ist bis jetzt nicht rechtskräftig und wurde den Prozeßparteien weder mitgeteilt noch zugestellt. "Warten Sie auf die schriftliche Ausfertigung" führt Eva Szèpeova, Richterin in Mlada Boleslav, aus.
"Viele haben sich in Tschechien erfolglos damit für Entschädigung eingesetzt, daß Sie die Aufhebung der Benes-Dekrete gefordert haben. Ich habe den Fall im Sinn des Jesus-Wortes übernommen, ich bin nicht gekommen, das Gesetz (das Benes-Dekret) aufzuheben, sondern um es zu erfüllen", sagt Müller.
Fachleute sind jedoch überzeugt, daß das Urteil des Bezirksgerichts keinen Einfluß auf die Gültigkeit derartiger Dekrete hat.

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"Gemäß den Informationen, die ich zur Verfügung habe, beeinflußt es weder die Gültigkeit der Dekrete, noch stellt es sie in Zweifel, aber das ist eine seltsame Sache", sagt Ales Gerloch von der Juristischen Fakultät der Karlsuniversität. "Die Aufhebung der Benes-Dekrete fällt nicht in die Zuständigkeit eines normalen gerichtlichen Verfahrens", fügt der Richter des Verfassungsgerichts Antonin Prochazka hinzu.

Frau Urbanova ist Erbin einer Miteigentümerin eines Häuschens, das nach dem Krieg aufgrund des Dekrets konfisziert wurde als Eigentum von Verrätern, Kollaborateuren oder Personen deutscher Volkszugehörigkeit. Die Miteigentümerin gehörte jedoch in keine dieser Kategorien und deshalb sollte der Erbin eine Entschädigung für ein Viertel der Immobilie bezahlt werden. Sie hat jedoch niemals etwas bekommen; angeblich deshalb, weil die Regierung zu den Dekreten keine Durchführungsverordnung erlassen hat.
Frau Urbanova klagte daher gegen die Regierung, daß sie (nach einem halben Jahrhundert) eine Durchführungsverordnung erläßt.
Sie hatte keinen Erfolg. Die Regierung hat sie durch ihren Rechtsvertreter Frantisek Houska wissen lassen, daß sie keine Durchführungsverordnung zu diesem Dekret erlassen werde. Also klagte Frau Urbanova jetzt gegen die Regierung, aber das Gericht entschied, daß sie mit Aussicht auf Erfolg nur gegen die Tschechische Republik, vertreten durch das Bezirksamt in Mlada Boleslav, klagen kann.
Als sie das tat, entschied das Gericht, daß ihr das Bezirksamt in Mlada Boleslav als Entschädigung annähernd 2 000 Kronen zuzüglich der Zinsen, insgesamt 4700 Kronen auszuzahlen habe. "Allein ein Sachverständigengutachten über die Immobilie kostete 3600 Kronen", sagte Müller. Das Gericht ging von Bewertungsvorschriften aus dem Jahr 1963 aus, als der Bezirksnationalausschuß offiziell eine Entschädigung zugestand, aber nicht auszahlte. Frau Urbanova ist entschlossen, gegen das Urteil Berufung einzulegen, weil sie der Berechnung nicht zustimmt. Es ist hier höchstwahrscheinlich, daß der Fall bis in den höchsten Instanzen verhandelt werden wird.
Nur daß die Frage lautet: Sobald jemand heute aufgrund der Benes-Dekrete nachträglich eine Entschädigung für Konfiskationen erhalten könnte, kann er gemäß diesen Dekreten im Gegenzug nachträglich nicht (auch) um sein Eigentum gebracht werden? "Etwas derartiges droht bis jetzt nicht. Dafür ist es schon zu spät. Jedes Grundstück konnte schon mehrmals den Eigentümer wechseln und es sind neue Rechtsbeziehungen entstanden. Darin würde ich die Gefahr nicht sehen", sagt Richter Prohazka.
Das Verfassungsgericht entschied schon vor 6 Jahren, daß die Benes-Dekrete gelten, kam jedoch gleichzeitig zu der Ansicht, daß sie keine neuen Rechtsbeziehungen begründen. Vor zwei Jahren bezeichnete Premier Zeman die Dekrete als erloschen. Auf der anderen Seite kamen die Richter des Verfassungsgerichts in einigen Fällen zu dem Ergebnis, daß die Dekrete nach dem Jahr 1948 zur Schädigung dem Regime nicht genehmer Personen mißbraucht wurden. In nachweisbaren Fällen stellte sich das Gericht auf die Seite der Beschwerdeführer und öffnete ihnen den Weg zur Rückgabe des Eigentums oder zur Entschädigung.
Für die Benes-Dekrete ist eine Art von Rechtsnormen kennzeichnend, die Präsident Benes während des Krieges und knapp danach in einer Zeit erlassen hat, ehe das Parlament zu funktionieren begann. Es sind im ganzen 172 und sie betreffen die verschiedensten Bereiche. Vorbehalte werden jedoch nur gegen einige von ihnen erhoben. Das Dekret Nummer 108 (über die Konfiskation des feindlichen Eigentums, das in diesem Fall auch Frau Urbanova betrifft) gehört zu diesen kritisierten.
Die Aufhebung der strittigen Dekrete forderte von der Tschechischen Republik im Jahr 1999 eine Resolution des Europäischen Parlaments.
Ludek Navara

Der ganze Vorgang wurde mitgeteilt von Dr. jur. Helmut Matejka, München.
Herr Matejka verfolgt das Verfahren weiter und wird auch die Urteilsbegründung beschaffen, übersetzen und hier veröffentlichen.