Baukunst und Funktion – das große Zeughaus in Danzig

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Zeichnung: Markwart Lindenthal: Zeichnungen zur Baugeschichte. Handzeichnungen aus dem Architekturstudium in Braunschweig 1965 bis 1867. Über 370 Skizzen und Zeichnungen. Im Eigenverlag, 2 Hefte, zusammen ca 64 Seiten A4. 20 DM einschll. Versand.

Buchbesprechung:
Arnold Bartetzky:

Das große Zeughaus in Danzig.
Baugeschichte, Architekturgeschichtliche Stellung, Repräsentative Funktion
(Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 9),
2 Bände, Franz-Steiner-Verlag, Stuttgart im Jahre 2000.
290 Seiten, 329 teils farbige Abbildungen, Hardcover, 188 DM.

Ein Zeughaus, Aufbewahrungsort von Waffen und militärischer Ausrüstung der Landesherrschaft oder der Stadt, ist ein Nutzbau, der normalerweise als eher unscheinbares, jedoch zweckmäßiges Gebäude seine Funktion zu erfüllen, jedoch nicht weiter hervorzutreten hat. Ungewöhnlich ist es, wenn ein solcher Zweckbau gleichzeitig zur öffentlichen Repräsentation dient, wie das Danziger Zeughaus, erbaut in den Jahren 1600 bis 1612. Der große Danziger Historiograph und bedeutende deutsche Stadthistoriker Erich Keyser sah in ihm den „glänzendsten Prachtbau norddeutschen Städtetums“; in dieser Wertschätzung als Architekturdenkmal ist sich die Literatur seit dem 17. Jahrhundert einig, unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit der Autoren.

Allerdings fehlte bislang eine umfangreiche monographische Untersuchung, die über die Frage nach dem Architekten hinausging und das Bauwerk in seinen stadt- und sozialgeschichtlichen Zusammenhang, nicht zuletzt mit seiner Repräsentationsaufgabe, in den europäischen Kontext stellte. Es entstand eine Dissertation, die einen guten Spiegel moderner kunsthistorischer Arbeitsweise bietet und sowohl Baugeschichte, Architektenfrage, bautypologische Position, Architekturentwicklung in ihrer Zeit als auch die Repräsentationsfunktion von Außenbau und Innenräumen im Rahmen der Danziger Stadtentwicklung als Bau des Rates der Stadt berücksichtigt, dabei weit über Danzig hinausgreifend.

Die detaillierte Baubeschreibung nimmt den größten Raum ein, quantitativ gefolgt von der Baugeschichte und der Darstellung des Zeughauses als Ort städtischer Repäsentation. Der jeweilige Erhaltungszustand des Baus und die laufenden Veränderungen sowie die Frage nach der Funktion bilden also deutliche Schwerpunkte. Dazu wurden nicht zuletzt die Schriftquellen der Kämmerei ausgewertet, was in dieser Form bisher noch nie geschehen ist. In der Zusammenschau ergeben sich vielfältige neue Hinweise hinsichtlich der Planung seit 1593 und der Bauausführung ab 1600, einschließlich der Planänderungen und der Eingriffe des Rates in „seinen“ Bau. Der Vergleich mit Parallelbauten zeigt die funktionalen Bedingtheiten auch in Danzig, vor allem aber die Sonderrolle des Danziger Zeughauses in Dekor und Prachtentfaltung, die eindeutig das Repräsentationsbedürfnis und das damit verbundene Selbstverständnis des Rates sichtbar werden läßt.

Besonders interessant ist der Nachweis, wie stark die druckgraphischen Vorlagen des 16. Jahrhunderts Einfluß auf die Bauausführung hatten, nicht unter dem Gesichtspunkt des Abbilds, sondern als gedankliche Anregung zur eigenständigen Weiterverarbeitung. Niederländische und dänische Einflüsse mischen sich zu einer eigenen Art des im Ostseeraum vorkommenden konservativen Spätmanierisrnus. Dabei wurde die Entwurfsautorschaft des Antonis van Obberghen abgelehnt, vielmehr der Bau als „Ergebnis eines komplexen Entscheidungsprozesses, bei dem der Stadtrat als übergeordnete Instanz mit einem oder auch mehreren Baumeistern zusammenwirkte“, charakterisiert.

Das leitet über zu dem besonders wichtigen Kapitel der repräsentativen und politischen Funktion des Baues, der die privilegierte Stellung Danzigs im Königlichen Preußen und das zähe Ringen um diese Privilegien – nicht zuletzt die Wehrhoheit – gegen die Krone sichtbar darstellte. Dabei ging es um die weise Handhabung dieser Wehrhoheit, am Außenbau verkörpert durch die Statue der Minerva. Und während normalerweise ein Zeughaus ein verschlossenes Arsenal darstellt, war jenes in Danzig zum Teil eine öffentliche Kunst- und Wunderkarnmer mit militärischen Erinnerungsstücken, Inszenierung der politischen Position Danzigs und Vorläufer eines städtischen Museums gleichermaßen.

Ein ausführlicher Anhang enthält u.a. 34 Druckseiten Auszüge aus den Kämmereibüchern Danzigs zum Bau des Zeughauses, mit denen der Autor die Bedeutung dieser Quellengattung für seine Fragestellung nochmals verdeutlicht. Er zeigt damit ebenfalls, wie sehr seine Arbeit über ältere kunsthistorische Ansätze hinausgreift, wie sehr sie ein Teil gesamthistorischer Sicht für die Entwicklung Danzigs darstellt. Darin liegt auch ihr ganz besonderer Wert nicht nur für den Kunsthistoriker und ihr Anregungsfaktor weit über den Ostseeraum hinaus. Kunstgeschichte dieser Art wird erfreulicherweise immer mehr zur historischen Sozialwissenschaft, wozu der Autor einen gewichtigen Beitrag geleistet hat. Daß für ihn nationale Fragestellungen älterer Art keine Rolle mehr spielen, ist eigentlich selbstverständlich, darf aber ruhig noch einmal betont werden.

Die Aufmachung der Freiburger Dissertation ist ausgesprochen aufwendig. Die über 300 Abbildungen in einem eigens dafür reservierten zweiten Band zeigen nicht nur Zeughausabbildungen und -details aus vier Jahrhunderten, sondern auch ein vielfältiges Vergleichsmaterial an druckgraphischen Vorbildern und Bauten, damit auch den weiteren Horizont des Verfassers verdeutlichend. Insgesamt ist die Arbeit ein gewichtiger kunsthistorischer und historischer Beitrag nicht nur für Danzig, sondern für eine Vielzahl von mit dem städtischen Profanbau des 17. Jahrhunderts in Verbindung stehenden Fragen des gesamten Hanseraumes. Nicht umsonst ist sie in die engere Wahl für den Wissenschaftspreis des Ostdeutschen Kulturrates einbezogen worden.

Udo Arnold, KK 1119 vom 20. September 2000, Seite 13 ff