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Der Architekt hat immer recht
Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte zeigt eine Ausstellung über das „Haus Tugendhat“

Irene Kalkofen versetzt sich gedanklich gerne in das lichtdurchflutete Haus mit seinem erlesenen Mobiliar zurück. Sie ist die einzige noch lebende Zeitzeugin, die berichten kann, wie es sich in dem Bau leben ließ: „Wenn wir nach längeren Aufenthalten in Luxushotels in den Schweizer Bergen nach Brünn zurückkehrten, dann war das wie eine Befreiung.“ Die 89 Jahre alte und äußerst fidele Dame stand bei Grete und Fritz Tugendhat als Kindermädchen in Dienst. Das vermögende jüdische Paar hatte 1927 Ludwig Mies van der Rohe den Auftrag erteilt, in privilegierter Brünner Hanglage ein Einfamilienhaus gemäß seiner avantgardistischen Gesinnung zu bauen: Kubisch, transparent, konstruktiv, offen in ihren Raumstrukturen und frei vom „verbrecherischen“ Ornament gab sich die die neue Architektur.

Das Haus Tugendhat ist just zu jener Zeit geplant worden, als Mies van der Rohe auch mit dem Deutschen Pavillon für die Weltausstellung befaßt war. Doch von dem Aussehen des zur Legende gewordenen Pavillons (1929) künden lediglich Photos. Er wurde ein paar Monate nach seiner Entstehung bereits wieder zerstört. Das Tugendhat-Haus in Mähren galt deshalb Architekturkennern lange als ein radikales Paradewerk des Neuen Bauens, in der die Gestaltungsnormen der Internationalen Moderne mit Mies' ureigener vergeistigter Raumästhetik eine Synthese eingingen.

Wulf Tegethoff, Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte und Mies-Spezialist, witterte die große Chance zu einer umfassenden Bestandsaufnahme, als er damit betraut wurde, ein Gutachten für das renovierungsbedürftige Haus Tugendhat zu verfassen. Unter dem Titel „Im Brennpunkt der Moderne“ finden sich in einer Ausstellung des Zentralinstituts nun Architekturpläne, bis dato unveröffentlichtes Photomaterial und Originalmöbelstücke zusammengetragen.

Neugierige Architekten gaben sich im Haus Tugendhat die Klinke in die Hand. Auch der Amerikaner Philip Johnson besichtigte das Meisterwerk und war angeblich voll des Lobs. Mithin hatte Mies als relatives Novum für ein Privathaus die Stahlskelettkonstruktion in Brünn eingeführt. Während sich das weiß verputzte Haus zur Straße hin vor voyeuristischen Blicken abschirmte, öffnete eine durchgehende Fensterfront im Erdgeschoß einen prospekthaften Ausblick zum Garten. Auch das bei Mies' Architektur vielbeschworene Fließende der Raumstrukturen trat im Haus Tugendhat besonders schön in Erscheinung. Freistehende Wände und Chromstützen rhythmisierten den offenen Wohnbereich. Und das sparsam arrangierte Mobiliar setzte im Haus Tugendhat eher skulpturale als „heimelige“ Akzente.

In der Zeitschrift Die Form wurde von dem Kritiker Justus Bier eine Kontroverse über Wohl und Wehe des modernen Wohnens angezettelt. „Kann man im Haus Tugendhat wohnen?“ warf Bier bewußt provokativ auf. Sie habe die Räume „nie als pathetisch empfunden“, konterte Grete Tugendhat, „wohl aber als streng und groß – jedoch in einem Sinn, der nicht erdrückt, sondern befreit.“ Die deutsche Besatzungszeit setzte dem Tugendhat'schen Traum vom „erhabenen Wohnen“ ein Ende. Fritz Tugendhat gelang es, einen Teil des Mobiliars in die Schweiz zu schleusen, wohin die Familie in weiser Voraussicht der nationalsozialistischen Bedrohung 1938 emigriert war.

Ein Rohling von einem Sessel
In der Ausstellung verschränkt sich die Lebensgeschichte einer großbürgerlichen, jüdischen Familie auf anschauliche Weise mit der architektonischen Physiognomie von Haus Tugendhat: Ein höchst lebendiges Porträt des Hauses samt seinem vornehm zurückhaltenden Inventar ersteht vor unseren Augen. Für Tugendhat entwarf Mies – wohl in enger Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Lilly Reich – die gesamte Ausstattung. Darunter auch den bis heute produzierten „Brno-Sessel“. Als besonderes Juwel wird der erst vor kurzem entdeckte Prototyp des zwar proportional stimmigeren, aber unbequemen „Barcelona-Sessels“ präsentiert: Wäre es ein Edelstein, würde man das polsterlose, mit Gurten versehene Gerippe wohl als Rohling bezeichnen, dem der letzte Schliff fehlt.

Was Mies van der Rohes Architektur jener Jahre auszeichnete, war die phänomenale Verbindung zwischen Innen- und Außenraum. Photos aus den mittleren dreißiger Jahren belegen, daß die Architektur quasi in den von Grete Roder angelegte Landschaftsgarten hineinwuchs. Einem frühen Plan zufolge war anfangs nicht einmal ein Zugang zum Garten vorgesehen. Die Natur sollte in Mies van der Rohes Idealvorstellung mit den Augen erfaßt, aber nicht zwangsläufig leibhaftig erwandert werden. In einem Haus, dessen glatte und noble Oberflächen weder für die Hängung von Bildern noch für die Plazierung gehäkelter Deckchen bestimmt waren, fungierte die durch Architekturelemente gerahmte Landschaft als eine Art Kunst.

Wie im Deutschen Pavillon hat Mies van der Rohe eine Onyxwand als mondänen und sündhaft teuren Raumteiler eingelassen. Für die Kosten von rund 60 000 Reichsmark hätte man sich seinerzeit locker ein durchaus gediegenes Einfamilienhaus erbauen lassen können. Was Wunder, daß in Zeiten der Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit die Kritik an einem „Einzelhaus für die gehobene persönliche Existenz“ laut wurde.

Bleibt die Frage, ob es sich zwischen coolen Onyx-, Milchglas- und Ebenholzwänden in der Tat vortrefflich hausen ließ. Zumal jeder nachträgliche dekorative Eingriff, ja jedes unachtsam hinterlassene persönliche Relikt, ein Sakrileg an der Raumharmonie bedeutet hätte. Auch wenn der überlieferte Enthusiasmus der Bewohner kaum Zweifel an den Wohnqualitäten zuläßt, als wandelndes Museumsstück muß man sich zuweilen doch gelangweilt haben. „Wir waren sehr kultivierte Menschen“, sagt Irene Kalkofen. Und Fingerfarben für fröhlich vandalierende Kinder gab es schließlich damals auch noch nicht. Sogar das ohne Wissen des Architekten aufgestellte alte Klavier hat den Bewohnern laut Irene Kalkofen Kopfzerbrechen bereitet. Erleichtert sei man deshalb gewesen, als Mies van der Rohe einen bereits angekündigten Besuch wieder absagte. Gerade heute, da sich das Wort „Lifestyle“ inflationärer Beliebtheit erfreut und selbst ausgesuchtem Müll angeheftet wird, wirft die Ausstellung zum Haus Tugendhat ein korrigierendes Licht auf wahrhaft bis zum Toilettengang durchgestaltete Lebenskultur.

(München, Meiserstraße 10. bis 29. November 1998. Katalog: 49 Mark.) BIRGIT SONNA

Dieser Beitrag wurde zur Verfügung gestellt von Herrn Gerhard Hanak (aus Damitz) 2000-10-11.

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Brünner Villa Tugendhat in UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen
Die von dem deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe entworfene Villa Tugendhat in der mährischen Hauptstadt Brno/Brünn ist in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden. Sie ist damit das elfte tschechische Bauobjekt, das von der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur zum Weltkulturerbe erklärt wurde.
Der Nachrichtenagentur CTK teilte dies am Freitag der Bevollmächtigte für kulturelle Angelegenheiten der UNESCO im tschechischen Kultusministerium, Michal Benes, mit.
mitgeteilt von Radio Prag 2001-12-16

*Und hier eine fachlich fundierte Dokumentation über das Haus Tugendhat. (2003-02-10)
Dieser Verweis wurde leider ziellos. In der Hoffnung, daß er eines Tages wireder zum Vorschein komme, lasse ich ihn trotzdem stehen. 2008-03-21
*http://de.wikipedia.org/wiki/Haus_Tugendhat
bietet weitere Informartionen. ML 2008-03-31.