Diese Dokumentation ist der Broschüre „Der 4. März 1919 in Sternberg - die Geschichte eines Massakers“ von Helmut Polaschek entnommen.

Die sozialdemokratische Wochenzeitung „Nordmährische Volkstribüne“, deren Redaktion ihren Sitz in Sternberg, Arbeiterheimgasse, hatte, brachte in ihrer Ausgabe Nr. 10 vom 7. März 1919 eine Meldung des tschechoslowakischen Pressebüros mit übersetzungsbedingten kleinen Abweichungen und dem Schlußsatz: „Der frühere Bezirkshauptmann wurde als Urheber der Unruhen verhaftet.“

Die nächste Ausgabe dieser Zeitung wurde von den tschechischen Behörden konfisziert, die 2. Auflage der Nr. 11 vom 14. März 1919 enthält die ausführlichsten Zeitungsdarstellungen zum Geschehen des 4. März 1919:

Der blutige Faschingsdienstag 1919
15 Tote, 23 Schwerverletzte
Gräßlich, noch nicht dagewesen in der Geschichte der Stadt, ist das, was sich am 4. März 1919 ereignete. Anläßlich der Eröffnung der Nationalversammlung Deutsch-Österreichs wurde, so wie in anderen Orten Deutschböhmens und des Sudetenlandes, auch in unserer Stadt eine 24-stündige Ruhe der Arbeit beschlossen. Ein Feiertag sollte es werden als Protest gegen die Verhinderung der Wahlen in die Nationalversammlung und zugleich auch ein Protest gegen die Notenabstempelung*). Versammlungen sollten abgehalten werden in allen Städten: einfache, friedliche Versammlungen sollten es werden.
Auch in Sternberg wurde eine solche Versammlung von allen Parteien beschlossen und bei der Behörde angezeigt. Diese Versammlung wurde aber nicht bewilligt. Es sollte eine Versammlung am Ringplatz unter freiem Himmel werden und gesprochen sollte werden über das Selbstbestimmungsrecht nach Wilsons Grundsätzen und die politische Lage. Während in anderen Städten diese Versammlungen abgehalten werden konnten, erfolgte bei uns ein Verbot.

Die Vorgänge am 4. März 1919
Die Arbeitsruhe war allgemein. Überall ruhte die Arbeit und es wäre alles ruhig verlaufen, wenn nicht von unverantwortlichen Elementen Dinge geschehen wären, die der würdigen Kundgebung einen so fürchterlichen Schluß gaben. Früh um 8 Uhr versammelten sich Leute am Bahnhofe und verlangten die Einstellung der Arbeit und es kam schon dort zu erregten Szenen. Von dort zog die Menge zur Bezirkshauptmannschaft und verlangte auch dort die Einstellung der Arbeit. Gegen besonders mißliebige Personen wurde demonstriert. Alle Beamten und auch der Leiter der Bezirkshauptmannschaft mußten das Amt verlassen und aus den Fenstern wurde eine schwarz-rot-goldene Fahne gehißt, während die Menge die „Wacht am Rhein“ sang. Ein Teil der Demonstranten zog zur Hauptwache und entwaffnete die Soldaten, während die übrigen zum Bezirksgericht und zum Steueramt zogen. Auch dort wurde die Wache entwaffnet und die Beamten zum Verlassen der Arbeit aufgefordert.

Die Vorgänge am Ringplatz und die Schießerei
Mittlerweile hatten sich am Ringplatz die Massen angesammelt, welche als Zuhörer zur Versammlung erschienen waren, und zwar Angehörige aller Schichten der Bevölkerung, zumeist selbstverständlich Arbeiter.

Die am Ring versammelten Leute hatten sich an den geschilderten Dingen nicht beteiligt. Sie waren als Zuhörer erschienen, und doch wurden sie die ersten Opfer der Schießerei.

Nach der Entwaffnung der Wache erschien eine Verstärkung der Besatzungstruppen aus den Baracken und marschierte auf den Ringplatz. Diese Verstärkung war bewaffnet mit den alten Werndlgewehren. Ohne weitere Aufforderung an die Menge zum Auseinandergehen wurde sofort geschossen, und die Wirkung war eine furchtbare. Tote und Verwundete lagen in ihrem Blute.

Nachdem das tschechoslowakische Preßbureau an alle Zeitungen berichtete, daß der erste Schuß von der Menge aus einem Revolver abgegeben worden war, ein Gefreiter getötet wurde und auf das hin erst die Soldaten mit der Schießerei begannen, hat sich der Genosse Schloßnikel, der während der Ereignisse sich in Brünn bei einer Sitzung der Landesparteileitung befand und daher völlig objektiv den ganzen Ereignissen gegenüberstand, bemüht, zu erforschen, ob diese Behauptung wahr ist, und wir veröffentlichen einen Brief, den er uns schrieb.

Brief des Genossen Schloßnikel
Die gräßlichen Ereignisse, welche den Tod von 15 Bewohnern der Stadt und von zwei Soldaten, überdies die schwere Verwundung von 25 Zivilpersonen und fünf Soldaten zur Folge hatten und weiter die gräßliche Beschuldigung, daß der erste Schuß aus der Menge erfolgte, haben mich veranlaßt, der Sache nachzugehen. Ich war am Montag, den 3. März in Brünn und am Vormittag des 4. März 1919 auf der Reise nach Sternberg. Als ich nach Hause kam und von der ungeheuren Beschuldigung erfuhr, habe ich Nachforschungen gepflogen und folgendes aus den Aussagen von Augenzeugen erfahren, die sich freiwillig als Zeugen beim Gericht zur Verfügung stellten. Die Verstärkung marschierte in Doppelreihen auf den Ringplatz, der getötete Gefreite Plachy als Letzter. Am Ringplatz angekommen, machten die Soldaten „Kehrt euch!“ und frontierten. Der Plachy war nun vor der Front und im Begriff, sich hinter die Truppe zu begeben. In diesem Momente trat nun ein Mann aus der Menge und schlug mit einem Stock einen Soldaten über den Kopf. Darauf wurde geschossen und es fiel tot zur Erde der Mann, der mit dem Stock schlug, aber auch der Gefreite Plachy, der sich vor der Front befand.

Als die Obduktion der beiden getöteten Soldaten vorgenommen wurde, erhielt ich die Einladung der Bezirkshauptmannschaft, als Vertreter der Bevölkerung an der Obduktion teilzunehmen. Später wurde auch eine der getöteten Zivilpersonen obduziert und auch hier war ich anwesend. Ich fand, daß die Schußwirkungen dieselben sind und daß daher von einem Revolverschuß, dem der getötete Gefreite angeblich zum Opfer fiel, nicht die Rede sein kann.

Alles, was sich bis jetzt ereignete, war eine Verkettung unglückseliger Umstände und es muß auch die gerichtliche Untersuchung ergeben, daß der erste Schuß, der den Soldaten tötete, kein aus der Menge abgegebener Revolverschuß war. Auch die Gemeinde will eine Kommission einsetzen, um dieses Ereignis, das als Ursache für alles folgende Fürchterliche genommen wurde, zu untersuchen und die Wahrheit zu erforschen. Es kann nicht anders sein, als daß die Soldaten, als sie nach dem Stockschlag von der Waffe Gebrauch machten, einfach übersahen, daß sich ihr Kamerad noch vor der Front befand, und daß er auch von einer 11-mm-Werndl-Gewehrkugel getroffen wurde, wie alle anderen Opfer des 4. März 1919. Die gräßliche Wirkung dieser großen Bleikugeln ohne Stahlmantel zeigte sich bei Plachy genau so wie bei den anderen Toten.

Volksgenossen!
Der 4. März hat manch inniges Familienband zerrissen. Wir waren Zeugen des Schmerzes und der Trauer, die dem hoffnungsvollen Sohne, der fürsorglichen, guten Gattin und Mutter, dem geliebten Gatten und Vater, dem greisen Großvater galten. Die unschuldigen Opfer einer wahnwitzigen Erregung, die nach langen Kriegsjahren in der sonst so friedvollen Heimat grausamen Geschossen erlagen oder auf ihrem Krankenbette in quälenden Schmerzen büßen, daß sie sich eins fühlten in dem Hochgedanken, der Millionen beseelt, sie hinterlassen in uns ein einig Volk von Brüdern in Not und in Gefahr.

Im Verbande solch brüderlicher Gemeinschaft erwächst uns die Pflicht, ihr Andenken in Ehren zu halten.

Auf, seid eingedenk dieser Pflicht, die am besten erfüllt wird durch Fürsorge für jene, die dem Herzen der so plötzlich Gefällten teuer waren! Es gilt Tränen zu trocknen, Sorge zu bannen, Lücken auszufüllen.

Die klaffende Wunde im Herzen können wir nicht heilen, aber dem Verwaistsein, dem Hungern und Darben können wir begegnen.

Bedenket: Jede Gabe, mag sie noch so reichlich sein, bleibt klein, gemessen an dem Leid, das jenen widerfahren ist!

Der Fürsorgeausschuß der Stadtgemeinde Sternberg.
Hauptsammelstelle: Städt. Meldeamt (Kaisergasse7).

Eine allgemeine Sammlung von Haus zu Haus wird jedem Gelegenheit geben, sich im Sinne des Aufrufes zu betätigen

*) Hier handelte es sich um die Überstempelung der österreichischen Banknoten durch die CSR, mit gleichzeitiger Abwertung, was zu den Protesten beitrug.

 

Wiedergegeben mit geringfügigen (grammatischen/typographischen Änderungen) nach der Mitteilung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich von 2003-02-19 ML 2003-02-23

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