Auszug aus dem „Nordböhmischen Heimatbrief Trei da Hejmt“, der, in schöner Fraktur gesetzt, die Verbindung unter den Heimatvertriebenen festigte.

12. Jahrgang Folge 8 und 9, 1959-04-20ff
Offizielles Mitteilungsblatt des Heimatkreises Tetschen-Bodenbach,
Verlagspostamt Nördlingen,
gedruckt im Kasseler Druck- und Verlagshaus, Kassel-W.

Die „Machtergreifung 1945“ in Steinschönau
Aus einem Erlebnisbericht / Von Karl Lorenz sen.
Nachstehende Feststellungen schrieb ich nach meiner Entlassung aus Kartaus und der Ausweisung Ende 1946 nieder.
Heute, nach über 13 Jahren des Geschehens, würde ich diese Tatsache nicht mehr niederschreiben können, weil vieles kaum noch vorstellbar und auch nur unvollständig in der Erinnerung geblieben ist. Ich lasse meine Aufzeichnungen, die ich im Dezember 1946 niederschrieb, folgen:

Es war der 8. Mai 1945, der Tag des Waffenstillstandes im zweiten Weltkrieg. In meinem Wohn- und Geschäftshaus am Marktplatz Nr. 261 wohnte ich mit meiner Frau, der Schwiegertochter, zwei Enkelkindern und einer Vertriebenen-Familie aus Schlesien, bestehend aus zwei Frauen und drei Kindern. Gerüchte ließen es ratsam erscheinen, sich in der Nacht zum 9. Mai im Keller aufzuhalten. Er war als Luftschutzraum mit Liege- und Sitzgelegenheiten eingerichtet. Die Nacht verlief ruhig.

Am 8. Mai, nachmittags, hatte der Russe den Ortsteil von Ober-Steinschünau in der Richtung Turngarten-Steigerhaus mit Bomben- und Bordwaffen beschossen. Mehrere Häuser wurden beschädigt und das Gasthaus Hantich brannte dabei nieder. Dieser Angriff sollte deswegen erfolgt sein, weil Steinschönau keine weißen Fahnen gehißt hatte.

Der 9. Mai brachte die Machtübernahme, die sich zunächst wie folgt vollzog: Tagsüber erschien ein Aufruf an die gesamte Bevölkerung, auch vom deutschen Bügermeister Hermann Grohmann unterschrieben, daß gegen Abend auf dem Marktplatz eine öffentliche Kundgebung stattfinde und die Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik erfolge.

Es konnte gegen 17 oder 18 Uhr gewesen sein, der Marktplatz war übervoll mit Menschen, als die Tschechen, mit Musik aus dem Niederort kommend, aus der Richtung des Hotels „Mercantile“ auf den Marktplatz marschierten. Mehrere aus dem KZ entlassene, zumeist deutsche Kommunisten in KZ-Zwillichkleidung, marschierten mit dem Zuge.

Die Ausrufung der Republik durch die Tschechen erfolgte durch Verlesung eines Telegrammes, in tschechischer Sprache allerdings, an die Prager Regierung. Am Schluß der Verlesung dieses Telegramms rief der soeben aus dem KZ entlassene Kommunist Polzer: „Es lebe die Demokratie auf breitester Grundlage!“
Der deutsche Bürgermeister Grohmann erklärte, es werde ernste Probleme geben, die jetzt an die Gemeinde herantreten. Er sei bereit, wenn es gewünscht werde, mitzuarbeiten.

Daraufhin zogen die Tschechen mit Musik ab, es schien sich in Ruhe wie 1918 zu vollziehen. Die kurze Kundgebung ließ nichts Böses ahnen.

Am 10. Mai kam die KG-Frauenschaft und holte bei den deutschen Bewohnern die vor wenigen Tagen verteilten Wehrmachtsbestände zurück, die aus marineblauen Stoffen, Wäsche, Zwirn bestanden hatten. Am 11. Mai verteilten tschechische Frauen in den Kaufläden pro Kopf der Bevölkerung je drei Fleischkonserven. Am gleichen Tage kam die Aufforderung, jedwede Waffen und Munition abzuliefern.

An diesem Tage hatte ich die erste Hausdurchsuchung durch zwei mir wohl vom Sehen bekannte, aber den Namen nach unbekannte Tschechen, die das Volkssturm-Eigentum verlangten. Ich war Verwalter vom Volkssturm, hatte also nur im Magazin zu beweisen, was in meinem Hause vorhanden war. Ich wurde angehalten, dieses Lager persönlich in der Glasfachschule abzuliefern. Am gleichen Tage kam ein mir ebenfalls bekannter junger Tscheche und ersuchte in höflichem Ton, ich möchte dem Gendarmerieposten „einstweilen“ mein Radio überlassen, bis ein eigenes beschafft sei, selbstverständlich gegen Bestätigung! Eine solche habe ich nie bekommen!

Die Tage verliefen, wie es schien, ruhig, die Ablieferung der Waffen usw. erfolgte störungslos.

Am Sonntag, dem 13. Mai 1945, hatten die Tschechen in der katholischen Kirche einen Dank-Gottesdienst.

Es kam die Pfingstwoche. Die Straßen waren tagsüber fast leer, man sah nur ab und zu Tschechen auf den Straßen, nachts war Ausgehverbot.

Dienstag zogen ehemalige russische Gefangene durch die Stadt. Lange Zeit lagerten sie in der Allee längs meines Gartens auf dem Gehsteig.
Ein Bild voll Hangen und Bangen: Was werden die kommenden Stunden bringen?
Nichts ereignete sich, die Russen zogen nach einer Rast müde in Richtung Haida ab.

Jedweder Verkehr mit Freunden und Verwandten hatte aufgehört, wir waren einsam und verlassen, Gefangene im eigenen Haus und nur mit den Flüchtlingen aus Schlesien allein.

In der Nacht auf Mittwoch kamen russische Panzer, die auf dem Marktplatz und in meiner Hofeinfahrt Stellung nahmen, aber beim Morgengrauen in Richtung Meistersdorf und Sonneberg-Böhmisch Leipa abfuhren. In der Nacht vom Mittwoch begannen die in Steinschönau arbeitenden polnischen Knechte mit Plünderungen, begleitet von bewaffneten Tschechen aus Steinschönau.
Man konnte es doch erfahren, wo sie geplündert hatten:
Bei Stelzig & Kittel, bei Franz Stingl und im Großwohnhaus hatten sie angefangen. Tagsüber hatten die polnischen Knechte im Gasthaus Klinger ihr Hauptquartier, wo sie den herzkranken Gastwirt aller Vorräte an Eß- und Trinkwaren beraubten und mit den polnischen Dienstmädchen aus Steinschönau und Umgebung Orgien feierten. Nachts gingen die Polen plündern. Sie statteten die begleitenden Tschechen mit allem aus, was sie in den Wäsche- und Kleiderschränken fanden. Als am Dienstag, dem 22. Mai 1945 einige Lastautos auf dem Marktplatz vorgefahren waren, konnte ich durch meine Fensterläden beobachten, daß auf diese Autos eine Anzahl Polenmädchen mit schweren Pelzen und guter Kleidung, Schuhen und Schmuck, sowie mit Koffern, von den „polnischen Offizieren“ begleitet, in Richtung Haida jubelnd abgefahren wurden.

Unmittelbar nach dieser Abfahrt kamen zwei Tschechen schwer bewaffnet zu mir ins Haus und ersuchten mich zu gestehen, ob ich Wein oder Schnaps habe. Ich möchte diesen abgeben, denn wenn solcher in die Hände der Polen oder Russen komme, sei es nicht gut, denn die wüßten im besoffenen Zustand nicht, was sie tun. Sie möchten Unbesonnenheiten verhindern. Nach einer Kellerdurchsuchung, die ergebnislos verlief, gingen sie weg.

Aber in dieser Nacht, es mochte gegen 2 Uhr gewesen sein, läutete die Glocke ohne Ende. Ich ging ans Fenster im oberen Stockwerk, öffnete es und man schrie „aufmachen“!

Meine Frau und die Schwiegertochter hatten, das kommende ahnend, sich angezogen. Ich ging benommen hinunter und öffnete die Haustür. Eine große Anzahl bewaffneter Männer – Polen und Tschechen – stürmten ins Haus, in die Wohnungen, wo die Frauen waren, und in die vielen Geschäftsräume, wo mir der Tscheche Pavlasek drohend sagte: „Finden wir Waffen oder Munition, werden Sie erschossen!“ Ich mußte alle Geschäftsräume öffnen und beleuchten, die Frauen im oberen Stockwerk die Wohnräume. Alles wurde durchsucht, die Möbel umgedreht, nach Schmuck und Kleidung gesucht, der Pole „Iwan“ genannt, den die Tschechen als „Offizier“ bezeichneten, kleidete die Tschechen ein, verteilte Anzüge, Mäntel, Stiefel, Wäsche, kurz was vorhanden war. Der „junge Waldhauser“, ein Tscheche, der eine Deutsche zur Frau hatte, fragte mich: „Wo ist ihr Sohn, auf den warten wir, der hat Auszeichnungen!“ Auf einen Pfiff verließen dann nach einer Stunde zirka 20 Mann mein Geschäfts- und Wohnhaus.

Nachdem ich die unteren Geschäftsräume finster gemacht und die Haustür verschlossen hatte, ging ich in die Wohnung, die oberen Räume. Meine Frau und die Schwiegertochter erzählten mir, wie der „Iwan“, der Polenknecht, sich als der „Oberste“ benommen hat. Nachdem er eine Stunde lang verteilt, sich selbst eingekleidet, die Stiefel von meinem Sohn angezogen und dessen Aktentasche mit allerlei Dingen gefüllt hatte, die ihm wertvoll erschienen, setze er sich auf einen Stuhl und sagte: „Also so wohnen Kapitalisten.“ Mit dem Blick zu dem Bilde an der Wand, das meinen Sohn als Offizier zeigte, fragte er meine Schwiegertochte, ob „der in Rußland war“ und setzte dann fort: „Wenn er kommt, den mache ich zu Gulasch!“

Als die Gäste abgezogen waren, dachten wir, das Schlimmste sei vorüber, aber es kam ganz anders!

Als der gefürchtete „Raubbesuch“ vorüber war, glaubten wir das Schlimmste hinter uns zu haben. An diesem Tage hatte der Doktor verfügt, meinen Enkel Karlhans wegen Scharlach ins Spital zu bringen. Das Vegetarierheim war inzwischen Spital geworden. Das Sanitätsauto holte meinen Enkel ab, ich fuhr mit, um ihn zu übergeben. Ich tröstete den Dreijährigen unterwegs und versprach ihm, wenn er gesund sein würde, hole ich ihn wieder ab. Immer wenn er Besuch kam, selbst nach sechs Wochen noch, hat er meine Nichte Gretl Tischer gefragt: „Wo ist der Opa mit dem Auto?“

Freunde und Verwandte besahen sich die Verwüstung in unseren Wohn- und Geschäftsräumen. Wir kamen nicht dazu, Ordnung zu machen. Die Aufregungen lähmten uns, Gleichgültigkeit und bange Sorgen hatten sich unserer Gemüter bemächtigt. Wir waren wie benommen und hatten das Gefühl, als ob uns der Hals zugeschnürt worden wäre.

Am 24. Mai 1945 wollten wir abends uns der Ruhe hingeben. Da auf einmal gegen 19 Uhr kamen gegen zwanzig schwerbewaffnete Tschechen mit einem Gendarmeriekapitän vors Haus, läuteten und verlangten Einlaß. Als ich die Haustür öffnete, schrie mich der Tscheche Pavlasek an: „Wo und wann war die geheime Sitzung? Wir durchsuchen jetzt das ganze Haus. Finden wir Waffen, werden sie auf der Stelle erschossen!“ Meine Antwort war kurz. Ich erklärte, ich habe nie im Lebene ine Waffe besessen noch eine gekauft, daher könnten sie keinen Waffen bei mir finden. Nach dieser Antwort stürmten die Tschechen in alle Wohn- und Geschäftsräume und abermals ging das Rauben und Plündern los. Als der Tscheche Pavlasek und der Gendarmeriekapitän mit mir die obere Wohnung betraten und die umgestürzten Möbel, die offenen Kästen, kurz das Durcheinander sahen, schrie Pavlasek mich empört an: „Was geht hier vorbei, sie wollen wohl verstecken und verpacken?“ Meine Frau und die Schwiegertochter erklärten, daß diese Unordnung von gestern nacht herrühre und der Iwan mit vielen Leuten hier diese Unordnung geschaffen habe. Der Gendarmeriekapitän ging ans Fenster und drehte uns den Rücken zu. Ich hatte das Gefühl, es war ihm etwas unangenehm. Sofort schrie mich Pavlasek nochmals an, ich solle gestehen, wann und wo die geheime Sitzung war. Ich antwortete ihm, daß ich nichts von einer geheimen Sitzung wisse.

Inzwischen hatten die vielen bewaffneten Tschechen in allen Räumen geplündert und gestohlen. Was, werde ich wohl nie erfahren, weil ja dann letzten Endes alles verloren war. – Einige Tage vorher war der Befehl gekommen, Lebensmittel auf die für drei Monate gültigen Karten einzukaufen. Wir waren mit dem Dienstmädchen, der Schwiegertochter und den zwei Kindern sechs Personen. Das eingekaufte Mehl und den Zucker nahmen die Plünderer mit.

Als ich mit dem Gendarmeriekapitän in mein Privatbüro kam, durchsuchte er die Bürotische, entnahm eine Auftragsbestägtigungskarte mit dem gedruckten Gruß „Heil Hitler“ und sagte zu mir „Warum das getan? War nicht klug als Kaufmann.“ Meine Antwort war kurz. Er werde dies auch in tschechischen Glashütten feststellen. Das war Vorschrift

(Was inzwischen in den Wohnräumen bei den Frauen geschehen ist, ich weiß es zur Zeit nicht, da ich diese Niederschrift im Dezember/Jänner 1946/47 nach meiner Entlassung aus dem Gefängnis niederschreibe, und zwar in Hohenstrauß/Bayern, während meine Leute in der Altmark leben. Über 21 Monate war ich von ihnen getrennt.)

Der Kommandant führte mich ins erste Stockwerk. Auf einmal sagte der Tscheche Huber: „Fertig machen!“ Ich war erschrocken über diese Aufforderung und auf meine Frage „wie fertig machen?“, gab er zur Antwort: „Anziehen, mitkommen!“ In der Küchentür standen meine Frau und die Schwiegertochter mit der Enkelin am Arm. Sie hatten die Aufforderung gehört. Ich war jedenfalls leichenblaß und brachte kein Wort über die Lippen. Die Meute stand schadenfroh um mich im geräumigen Stiegenhaus. Meine Frau reichte mir einen Mantel, den Invalidenstock und einen Hut. Ein rascher Abschiedskuß – und ohne ein Wort oder Tränen verließ ich mit dem Tschechen Huber, der mit einer MP bewaffnet war, mein Haus für immer. Man brachte mich aufs Gendarmerie-Postenkommando.

Dort saß bereits A., bewacht vom deutschen Kommunisten Keller. Auf meine Frage, wieso A. hier sei, antwortete er mir, ihm sei am Bürgermeisteramt gesagt worden, er solle aufs Postenkommando kommen. Keiner von uns ahnte, daß dieser Raum in den folgenden Stunden mit Angst- und Klageschreien erfüllt sein würde. Von langer Hand vorbereitet, vollführten zwei junge Glasarbeiter von der Better-Glasfabrik, mit Boxhandschuhen ausgerüstet, unter Aufsicht des Narodni Vibor auf Befehl hussitische Grausamkeiten unmenschlicher Art.

Nachdem im Vorraum immer mehr Männerstimmen hörbar wurden, nahm ich an, daß weitere Verhaftungen vorgenommen worden seien. Auf einmal, nach langem Warten, mußten A. und ich in den Vorraum gehen. Zu gleicher Zeit betraten eine Anzahl Tschechen mit dem Gendarm unseren Raum. Erschrocken sah ich, daß B. blutig und blau im Gesicht war. Neben ihm befanden sich noch sechs andere Steinschönauer in dem Raume (C., D., E., F., G. und H.). Wortlos sahen wir uns an, jeder mit Gedanken beschäftigt, die unergründlich waren.

Da ging die Tür auf und Pavlasek schrie wie ein Wilder: „G. soll kommen!“ Wir horchten in banger Sorge und vernahmen ein Fragen und Antworten. Nach geraumer Zeit ging die Tür auf und G. kam zurück, während Pavlasek den Namen E. schrie. Kaum hatte E. den Raum betreten, hörte man Schläge und Schreie und Weinen. Darauf brüllte Pavlasek: „So E., das war meine persönliche Abrechnung für Ihr Benehmen mir gegenüber in Tetschen!“ Daraufhin horchten wir angsterfüllt auf die Fragen und Antworten, hörten dann wieder Schreie, ein Stöhnen und ein Krachen an die Tür. Kurz darauf kam E. heraus, blutend aus Nase und Mund, blau, gelb und grün im Gesicht. Nun schrie man nach D. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugemacht, höreten wir Angstschreie, Stöhnen und ganz entsetzliche Wehrufe. Man hörte Füße an die Tür prasseln oder Körperteile anschlagen. Wir vernahmen die Worte: „Volksverräter, Schuft!“ – und als die Tür aufging, kam D. heraus, sich den Leib halten, gekrümmt, weinend, blutüberstroömt und blutend aus Nase und Mund. Er setze sich aufs Bett, hielt sich den Magen mit beiden Armen und weinte fürchterlich.

Plötzlich wurde ich gerufen. Ich schritt, mit dem Invalidenstock in der Hand, Hut und Augengläser tragend, im Mantel in das Zimmer des Schreckens. Die Tschechen, die neben den Schreibtischen saßen, blickten ruhig und ernst auf mich. Ich selbst hatte das Gefühl, diese Unmenschen haben eine Art Minderwertigkeitsgefühl. Auf einmal fragte mich Pavlasek, abermals laut schreiend: „Wo und wann war die geheime Sitzung?“ Als ich darauf geantwortet hatte, „nie in meinem Leben habe ich einer geheimen Sitzung beigewohnt“, da gab es ein lautes Lachen und Oho-Rufen von den anwesenden Narodni-Vibor-Tschechen. Auf die Frage von Pavlasek, ob ich der SdB angehört habe, was ich bejahte, stellte man die Frage: Seit wann? Ich antwortete: Seit Sommer 1934. Darauf kam die Frage: Was ich bei der SdB gewesen sei? Auf die Antwort „Nichts“ fragte Rovotny, was ich bei der SA war? Sie waren doch Offizier, warf er ein, worauf ich antwortete, ich war Gefreiter und Fürsorgewart. Darauf Revotny: „Aha, da hat Ihre Frau in Fürsorge etwas gelernt und hat Mehl und Zucker gehamstert“, worauf ich schlagartig antwortete, „Wir mußten auf Befehl dieser Tage Mehl und Zucker für drei Monate fassen, das sind bei sechs Personen je eineinhalb Kilo, zusammen neun Kilo und wenn Sie dies gefunden haben und wegnahmen, dann nehmen Sie meiner Familie das, was Sie befohlen haben, einzukaufen. Mehr werden Sie nicht vorgefunden haben.“ Auf einmal schrie Novotny mich an: „Sie lügen, Sie waren bei der SdB Stadtvertreter, ich weiß dies genau!“ Als ich sofort auf die Kandidatenliste der Parteien, die an der Wand hing, aufmerksam machte und sagte, man möge doch nachschauen, ob mein Name daraufsteht, nahm Novotny die eingerahmte Liste von der Wand. Alle schwiegen. N. las, gab seine Antwort und hängte wortlos, nachdem er meinen Namen nicht vorgefunden hatte, die Kandidatenliste wieder an die Wand.
Eiligst rettete Pavlasek, der anscheinend in diesen Tagen Obermacher der Gendarmerie war, die Situation und stellte mir die Frage: „Welchen Betrag haben Sie gespendet nach dem Attentag auf den Führer?“ Als meine Antwort kam, daß ich nie etwas gehört habe von einer Sammlung nach dem Attentat und daß übrigens alle Spenden einzusehen seien auf meinem Konto bei der RdD, verlangten die beiden jungen Tschechen links und rechts von mir, mit Fausthandschuhen ausgerüstet und zum Schlagen bereit, ich solle die Augengläser wegnehmen. Ich nahm gelassen die Augengläser, steckte sie in die linke obere Rocktasche, legte meinen Hut und Invalidenstock auf den leerstehenden Stuhl. Ich hatte in diesem Moment nicht das Gefühl, daß ich geschlagen werde. Ich kam mir vor, als ob ich Herr der Lage wäre, als plötzlich Pavlasek, der neben Novotny wie ein Ankläger über meinem Papier gegenüber dem Gendarmeriekapitän saß, mich anschrie: „Was haben Sie sonst für den Führer getan? Wir wissen alles, sagen Sie es nur jetzt. Sie waren bei der SS, beim Geheimdienst. Ja, ja, lieber Herr Lorenz, alles wissen wir!“ In meiner Antwort erklärte ich, daß ich seit 1922 nicht mehr politisch tätig war, weder SdB-Amtswalter noch Stadtvertreter, sondern daß ich Obmann vom Bund der Deutschen war und Bezirksleiter. Amtswaltern des BdD ist es verboten gewesen, sich politisch zu betätigen. Und ich sagte noch: „Wenn Sie alles wissen, ist Ihnen das sicher bekannt.“ Darauf Novotny höhnisch: „Sie haben den Führer am Marktplatz begrüßt und ihm die Hand gegeben. Wir werden Ihnen dies im Bild beweisen.“ Ich antwortete sofort: „Sehen Sie meine Herren, wieder eine Unwahrheit, denn ich kann beweisen, daß ich in jener Stunde einen Kilometer weiter oben in der Allee als einfacher Turner gestanden bin.“ Darauf ein betretenes Schweigen. Danach einige tschechische Worte, die ich nicht verstand, mit dem Kapitän, der auf tschechisch sagte: Das genügt! Ich konnte sodann ungeprügelt, Hut und Stock in der Hand, das Marterlokal verlassen.

Nachher wurde B. gerufen, den man schon in seiner Wohnung bei der Verhaftung vor Frau und Tochter arg zugerichtet hatte. Sofort beim Eintreten wurde er abermals fürchterlich mißhandelt. Wir Verhafteten mußten das im Vorraum mit anhören. Was dieser Riese von einem Mann in dieser Nacht ausgehalten und überstanden hat, ist kaum zu glauben. Als man ihn mit Fußtritten aus dem Marterraum harauswarf, kamen zwei alte Tschechen heraus, sie trockneten sich den Schweiß von der Stirn und tranken aus der Wasserleitung einige Gläser Wasser.

Schließlich führten uns zwei schwer bewaffnete Tschechen in einen oberen Raum des gleichen Hauses.

 

Wer die Fortsetzung kennt, möge sie beibringen! ML 2004-03-06