SUDETENDEUTSCHE LANDSMANNSCHAFT Bundesverband e.V.
Hochstraße 8, 81669 München
An den Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Gerhard Schröder, MdB
Schloßplatz 1
10178 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
4. April 2003
in nächster Zukunft werden die zuständigen Gremien und Organe der Europäischen Union
und sodann die nationalen Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union über die Aufnahme der Tschechischen Republik in die Union beraten und beschließen.
Mit der Tschechischen Republik bewirbt sich ein Staat um die Aufnahme in die Recht,-
und Wertegemeinschaft freier europäischer Völker, in deren Rechtsordnung noch
Rechtsvorschriften verankert sind, die völker- und menschenrechtswidrige Handlungen und
Rechtsakte anordnen oder rechtfertigen. Es handelt sich hierbei um die Dekrete des Präsidenten der Tschechoslowakischen
Republik, Edvard Bene, aus den Jahren 1945 und 1946, in denen die Ausbürgerung
und Vertreibung der deutschen und ungarischen Volksgruppe aus der Tschechoslowakei sowie
die entschädigungslose Konfiskation der Vermögenswerte der Angehörigen dieser
Volksgruppen dekretiert wurde. Ebenso ist noch ein Gesetz
Bestandteil der Rechtsordnung der Tschechischen Republik, das Unrechtstaten und Verbrechen
bis hin zum Mord, begangen von Tschechen und Slowaken an Deutschen und Ungarn, generell
straffrei stellt.
Im Angesichte dessen erkläre ich hiermit als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe:
einer möglichen Aufnahme der Tschechischen Republik in die Europäische Union bleibt
festzuhalten:
*
daß der nach 1945 erfolgte Entzug der tschechischen Staatsbürgerschaft für Angehörige
der deutschen Volksgruppe, deren Vertreibung und der entschädigungslose Einzug derer
beweglichen und unbeweglichen Vermögenswerte völkerrechts- und menschenrechtswidrig war
und die bis heute reichenden Auswirkungen der Verweigerung des Rechts auf die Heimat und
der Entschädigung für konfiszierte Vermögenswerte gegen elementare Grundsätze der
Rechtstaatlichkeit verstoßen,
*
daß die Vertreibung, die von zahlreichen Gewalt- und Mordtaten begleitet wurde, den Zweck
hatte, die Identität der Sudetendeutschen als Volksgruppe zu zerstören und deshalb diese
Vertreibung im völkerrechtlichen Sinne als Genozid anzusehen ist,
*
daß die Tschechische Republik aufgefordert bleibt, mit den vertriebenen Angehörigen der
sudetendeutschen Volksgruppe sowie deren Nachkommen die aus der Vertreibung resultierenden
offenen Fragen zu klären, die in die Gegenwart und Zukunft reichenden Folgen der
Vertreibung zu lindern und mit einer durch die Vertreibungsdekrete unbelasteten
Rechtsordnung in die Europäischen Union einzutreten.
Die sudetendeutsche Volksgruppe wird auch in Zukunft alles daran setzen, die Rechte der
Vertriebenen und ihrer Nachkommen zu wahren und durchzusetzen. Ich rufe die bayerische
Staatsregierung als Schirmherrn der sudetendeutschen Volksgruppe, die deutsche und die
österreichische Bundesregierung, das Europäische Parlament, die Kommission der
Europäischen Union, die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union auf, uns in der
Durchsetzung unserer legitimen Ansprüche aktiv zu unterstützen.
Zur näheren Darlegung und Begründung der Rechtsauffassung der sudetendeutschen
Volkgruppe lege ich folgende Dokumente diesem Schreiben bei:
Gutachten Professor Dr. Felix Ermacora (Kurzfassung)
Gutachten Professor Dr. Dieter Blumenwitz
Mit vorzüglicher Hochachtung
Johann Böhm
Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe
Präsident des Bayerischen Landtags
Als Flugblatt von der SL verbreitet.
Rede des außenpolitischen Sprechers der CSU im Europaparlament Bernd
Posselt MdEP, zugleich Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, in der
Straßburger Debatte vom 9. April, die der Abstimmung über den EU-Beitritt
der Tschechischen Republik voranging:
Posselt (PPE-DE):
Herr Präsident!
Als Paneuropäer hatte ich das Glück, seit den 70er Jahren auf den heutigen Tag
hinarbeiten zu können, als Mitarbeiter von Otto von Habsburg mit dafür zu sorgen, daß
hier 1979 ein leerer Stuhl aufgestellt wurde aus Protest gegen den Ausschluß der Völker
Mittel- und Osteuropas von der europäischen Union und als Signal für die
Wiedervereinigung, die wir heute beginnen zu vollenden. Ich hatte das Glück, nicht nur
das erwähnte Paneuropa-Picknick mit vorzubereiten, sondern an den demokratischen
Revolutionen in fast allen Kandidatenländern teilzunehmen, an der
Unabhängigkeitserklärung von Estland und von Slowenien.
Deshalb möchte ich ganz klar sagen: wenn wir heute eine ganze Gruppe von Kollegen
und ich ein kritisches Votum zum Bericht Schröder abgeben, so ist dies kein Nein
zur Erweiterung, auch kein Nein zum tschechischen Volk es ist ein Protest wie
damals gegen Unrecht, gegen weiterhin bestehendes Unrecht, gegen eine schwerwiegende
Menschenrechtsverletzung und deren Konservierung durch fortdauernde, diskriminierende
Wirkung von Unrechtsdekreten!
Liebe Freunde, deshalb sagen wir ganz klar: Die Europäische Union muß den Weg zur
Rechtsgemeinschaft weitergehen. Wir als Rechtsgemeinschaft müssen dafür sorgen, daß
Unrechtsdekrete nicht in eine Rechtsgemeinschaft eingeschleppt werden wie Computerviren in
ein Datenverarbeitungssystem. Das gefährdet das ganze Datenverarbeitungssystem, und
deshalb müssen wir gemeinschaftlich mit den Staaten, die jetzt kommen, nach dem Beitritt
und nach dieser schwierigen Abstimmung heute dafür kämpfen, daß das, was noch an
Unrecht vorhanden ist, aufgearbeitet wird, daß Verbrechen Verbrechen genannt werden, daß
Unrecht Unrecht genannt wird, daß wir aber in partnerschaftlichem Geist zusammenarbeiten,
um ein Europa zu schaffen, ein Gesamteuropa, das auf Recht, auf Frieden und auf Freiheit
gegründet ist! (Beifall)
Verheugen, Kommission:
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur noch allen Damen
und Herren, die sich an dieser Debatte beteiligt haben, für das klare und überzeugende
Signal des Willkommens an unsere neuen Mitglieder herzlich danken. Ich glaube, es wurde
genug gesprochen. Nun ist es Zeit zum Handeln.
Lassen Sie mich einen letzten Versuch machen bei denjenigen Damen und Herren Abgeordneten,
die noch Zweifel haben, und ihnen einen einzigen Gedanken nahe bringen: In dreißig Jahren
wird keiner mehr wissen, worüber das Parlament und der Rat sich in den letzten zwei
Wochen gestritten haben. Lieber Herr Posselt, ich glaube, in dreißig Jahren wird auch
keiner mehr über die Benesch-Dekrete reden. (Beifall)
Aber in dreißig Jahren wird man immer noch wissen, was heute hier entschieden wird.
(Lebhafter, lang anhaltender Beifall)
Protokollabschrift vom April 2003 SL-Bundesverband/Pressestelle, als Flugblatt von der
SL verbreitet.
Beschluß der CSU-Europagruppe zur Abstimmung über den tschechischen
EU-Beitritt am 9. April 2003 in Straßburg, bei der die 10 CSU-Europaabgeordneten, unter
ihnen der SL-Bundesvorsitzende Bernd Posselt, geschlossen mit NEIN gestimmt haben.
Das Europäische Parlament hat heute dem Beitritt von zehn Staaten zur Europäischen Union
zugestimmt. Das ist ein historischer Tag für Europa. Die Europäische Union erweitert
sich nach Osten und Südosten. Die unselige Spaltung Europas wird endgültig überwunden,
Europa wird in Freiheit vereinigt. Wir, die Abgeordneten der CSU im Europäischen
Parlament, begrüßen diese Entwicklung. Seit vielen Jahren haben wir führend daran
mitgewirkt, diesen historischen Moment erleben zu dürfen. Bei aller Freude über diesen
Tag bleiben aber Zweifel betreffend die Tschechische Republik.
Bereits 1999 hat das Europäische Parlament auf Antrag deutscher CDU/CSU Mitglieder die
tschechische Regierung aufgefordert, fortbestehende Gesetze und Dekrete aus den
Jahren 1945 und 1946 aufzuheben, soweit sie sich auf die Vertreibung von einzelnen
Volksgruppen in der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen. Anlaß für diese
weiterhin aktuelle Aussage sind offene Fragen zu Dekreten des früheren
tschechoslowakischen Präsidenten Bene und insbesondere zum bis heute nicht
aufgehobenen so genannten Straffreistellungsgesetz (Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946). Mit diesem Gesetz werden schwerste
Straftaten und sogar Nachkriegsverbrechen pauschal legitimiert. Keine Norm des
Völkerrechts kann die erfolgte Vertreibung und die sie begleitenden Unrechtsakte
rechtfertigen. Europäischem verfassungsstaatlichen Denken ist es fremd, Unrecht mit
Unrecht aufzuwiegen. Allein das Europäische Parlament hat im Rahmen der
Beitrittsverhandlungen diesen Teil unbewältigter Vergangenheit aus der Rechtsordnung
Tschechiens an die europäische Öffentlichkeit gebracht und seit Jahren eine Klärung
verlangt. Weder der verantwortliche Kommissar Verheugen noch der Ministerrat, in dem die
deutsche Bundesregierung vertreten ist, haben die Initiativen des Europäischen Parlaments
aufgegriffen. Auch in den folgenden Jahren haben wir die tschechische Regierung an die
Überprüfung dieser Rechtsakte erinnert und das Erfordernis der Übereinstimmung mit dem
europäischen Recht und den Kopenhagener Kriterien wiederholt. Im Jahr 2002 wurden auf
unsere Anregung hin umfassende internationale Rechtsgutachten vorgelegt, die belegen, daß
das Gesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946 im Widerspruch zu den Menschenrechten und allen
grundlegenden Rechtsnormen steht.
Bis heute hat sich jede tschechische Regierung geweigert, klar gegen das fortgeltende
rechtstaatswidrige Straffreistellungsgesetz Stellung zu beziehen. Die Fortgeltung einer
pauschalen Straffreistellung für die an den vertriebenen Sudetendeutschen begangenen
Verbrechen ist ein schwerer Verstoß gegen die Grundwerte der Europäischen Union.
Vergeblich warteten wir auf eine politische Geste im Geiste der Versöhnung, in der wir
die Grundlage der europäischen Einigung sehen. Das Gegenteil war der Fall: Am 24. April
2002 hat das Tschechische Parlament einstimmig beschlossen, daß die rechtlichen Folgen
der Bene-Dekrete unanzweifelbar, unantastbar und unveränderlich sind.
Die Erklärung des Präsidenten der Tschechischen Republik VácIav Klaus vom 14. März
2003 ermutigt uns nur wenig, denn sie erklärt Vertreibung und Nachkriegsverbrechen an
Deutschen aus heutiger Sicht für unannehmbar. Beitrittsreife setzt mehr
voraus: Integrationsfeindliche politische Wertentscheidungen dürfen nicht
aufrechterhalten werden. Gesetze, die sich gegen das Miteinander verschiedener
Nationalitäten richten, stellen ein Integrationshindernis dar. Dieses Unrecht wurde von
der Tschechischen Republik bisher nicht anerkannt. Tschechien ist ein Kernland Europas und
gehört zu seinem Urgestein. Wir haben trotzdem gegen den Beitritt der Tschechischen
Republik gestimmt, weil wir ein Signal an die tschechische Politik senden wollen, daß
Wunden aus der Vergangenheit gegenüber den vertriebenen Deutschen noch offen sind, die
gemeinsam im gegenseitigen Dialog geheilt werden müssen.
Abschrift des SL-Bundesverbandes/Pressestelle
2003-04-09
Als Flugblatt von der SL verbreitet