Der fast vergessene Krieg
Internationaler Gerichtshof berät über Klage Jugoslawiens gegen Nato-Angriffe von 1999

Von Uli Hagemeier

DEN HAAG. Der Krieg gegen den Terror ist in den Schlagzeilen. Nachrichten aus dem Irak gibt es täglich, manchmal ist auch Neues aus Afghanistan zu hören. Der Krieg gegen denVölkermord scheint dagegen kaum noch jemanden zu interessieren. Dabei finden die Luftangriffe der Nato während des Kovoso-Krieges im Frühjahr 1999 gerade ein juristisches Nachspiel: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag berät, ob gegen acht Staaten ein Verfahren wegen der Angriffe eröffnet wird. Dann säße auch Deutschland auf der Anklagebank.

Die jugoslawische Regierung hatte schon 1999 Belgien, Italien, Frankreich, Kanada, Portugal, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland vorgeworfen, gegen die Verpflichtung zur gewaltfreien Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Staaten verstoßen zu haben. Auch Bombenabwürfe auf zivile Ziele und der Einsatz von geächteten Waffen wie Streubomben verstießen gegen die Charta der Vereinten Nationen, heißt es in der Klageschrift.

Die Nato hatte nach eigener Darstellung ihre Bomber geschickt, um den Völkermord serbischer Soldaten an Albanern zu unterbinden – Völkermord wirft allerdings auch die Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro, Nachfolger der Bundesrepublik Jugoslawien, der Nato angesichts vieler ziviler Opfer vor.

Die ersten vier Verhandlungstage des Prozesses im April wurden wenig beachtet. Die Frage, ob die Nato ohne Mandat der Vereinten Nationen Jugoslawien angreifen durfte, werden die Richter in Den Haag wohl ebenso wenig klären wie die Vorwürfe aus Serbien-Montenegro.

Gestritten wird nämlich zunächst über die Zuständigkeit des Gerichts. Denn die Jugoslawen hatten ihre Klage 1999 auf die Genfer Völkermordkonvention gestützt, wollen diesen Vertrag aber nicht angewendet wissen, wenn es um eigene Verbrechen geht. Schließlich habe Jugoslawien die Konvention nie unterzeichnet. Außerdem hat sich das Land erst nach Beginn der Kämpfe und nur für die Zukunft der Rechtsprechung des Gerichtshofes unterworfen. Mit diesen Argumenten plädierten auch die Vertreter der angeklagten Staaten in einer Anhörung für eine Einstellung des Verfahrens.

Deshalb wird der Prozess wohl enden, bevor er richtig begonnen hat. Auch Serbien-Montenegro käme eine Einstellung nicht ganz ungelegen: Die Staatengemeinschaft will sich der Europäischen Union annähern – und da ist es nicht klug, wichtige Mitgliedsstaaten des Völkermords zu beschuldigen.

Keine Rechtfertigung für die Luftangriffe
Über die Rechtfertigung der Nato-Angriffe von März bis Juni 1999 spricht kaum noch jemand. Dabei gilt der „Hufeisenplan“, wie der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping die systematische Vertreibung der Albaner durch die serbische Armee nannte, heute als Desinformation des bulgarischen Geheimdienstes. Auch Massaker an Albanern, etwa in Racak, haben nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nicht stattgefunden. Heinz Loquai, ehemaliger General und OSZE-Mitarbeiter, sagte sogar: „Eine humanitäre Katastrophe, die einen Krieg rechtfertigte, lag vor Beginn der Nato-Luftangriffe keineswegs vor.“

Die Nato hatte für die Angriffe kein Mandat der Vereinten Nationen. Dies sei überflüssig, weil die Sicherung von Menschenrechten Vorrang vor der Souveränität von Staaten habe, war die Rechtfertigung. Völkerrechtler nennen diese Argumentation unzulässig und gefährlich, weil sie Angriffskriegen Tür und Tor öffne.

Quelle:
Hessische Niedersächsische Allgemeine Sonntagszeit (HNA) Nr. 18 Seite PO4 2004-05-09