Serbien:
Radikale klopfen an Tür der Macht
 
Von unserer Korrespondentin GERTRAUD ILLMEIER
(Die Presse, Wien) 2003-12-17
 
Die ultranationalistische Radikale Partei Serbiens hat gute Aussichten, bei den Wahlen am 28. Dezember stärkste Kraft zu werden.

BELGRAD. „Es war der größte Fehler, zurückzukommen“, sagt der serbische Journalist, der neun Jahre lang in Deutschland gelebt hatte. Zwei Wochen vor den serbischen Parlamentswahlen steht Zoran die Panik ins Gesicht geschrieben. Ein von den Radikalen dominiertes Serbien, so sagt er, das wäre sein größter Alptraum.  
Aber weil das demokratische Lager in mehrere Einzelparteien zersplittert ist, hat die ultranationalistische Radikale Partei Serbiens (SRS) recht gute Chancen, bei den Parlamentswahlen am 28. Dezember zur stärksten Partei zu werden.

Es sind die ersten Wahlen seit dem Sturz des jugoslawischen Machthabers Slobodan Milosevic im Herbst 2000.
Damals hatten die Radikalen 8,6 Prozent erreicht. Jetzt fühlen sie kräftigen Aufwind, nachdem Vizeparteichef Tomislav Nikolic bei mißlungenen Präsidentschaftswahlen im November mit 350.000 Stimmen noch vor dem Kandidaten des Regierungsbündnisses „Demokratische Opposition Serbien“, Dragoljub Micunovic, lag.
Das Potenzial der SRS wird auf etwa eine Million Wähler geschätzt. Obwohl Parteiführer Vojislav Seselj seit Februar wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gefängnis des UN-Tribunals in Den Haag sitzt, hat ihn die Partei als Listen-Ersten aufgestellt.
Den Erfolg seiner Radikalen erklärte Nikolic damit, daß „wir einfach wissen, was die Bürger Serbiens vermissen“. Angeblich vermissen sie: „Das Lachen auf den Straßen, Fabriken, in denen sie 30, 35 Jahre lang gearbeitet haben, Kosovo und Metohija, die Republik der Serbischen Krajina, die Republika Srpska, Vojislav Seselj und die anderen Gefangenen von Den Haag.“ So umreißt der 51jährige mit dem steinernen Gesichtsausdruck das Parteiprogramm.

Nach wie vor propagieren die Radikalen ein Großserbien, dessen Westgrenze über Slawonien, Karlovac und Ogulin bis zu Karlobag an der dalmatinischen Küste verlaufen würde, auch wenn Nikolic heute sagt, daß er „keinen Krieg möchte“. Anfang der 90er Jahre stellte Seselj noch serbische Freiwilligenverbände, die Tschetniks, zusammen, rüstete sie mit Waffen aus und schickte sie an die Fronten in Kroatien und Bosnien.
Die gegenwärtige Grenze mit Kroatien akzeptieren die Radikalen nicht. Bei einem Machtantritt wollen sie die diplomatischen Beziehungen zu Zagreb abbrechen, kündigte Nikolic an. Sie würden sich auch für die Rückkehr der serbischen Armee in die UN-verwaltete Albanerprovinz Kosovo stark machen. Für die Albaner hingegen wäre eine radikale Regierung in Belgrad ein willkommenes Argument für ihre Unabhängigkeitsforderungen.

Eine Regierungsbildung der SRS schließen politische Beobachter allerdings aus, da sich ihr nur marginale Parteien als Partner anbieten würden. Eine Minderheitenregierung hat die SRS ausgeschlossen. In diesem Fall würde sie als stärkste Oppositionspartei keine Gelegenheit auslassen, um eine neue Reformregierung unter Druck zu setzen.

Die Kooperation mit dem UN-Tribunal würden die Radikalen sofort einstellen. Ansonsten sei man bereit, „mit der ganzen Welt, mit Ost und West“ zu kooperieren. Auf einen alten Verbündeten können die Radikalen allerdings nicht mehr zählen, seit Saddam Hussein gefaßt wurde. Wie auch Milosevics Sozialisten unterhielt Seselj enge Beziehungen vorwiegend geschäftlicher Art zu dem irakischen Diktator.
Mit dem Versprechen, die Brotpreise von derzeit 20 auf drei Dinar (1 €uro = 66 Din) zu senken, Gesundheitswesen und Bildung wieder kostenlos anzubieten und die Privatisierung von Betrieben mit „vitaler Bedeutung“ zu stoppen, kommen die Radikalen bei den vielen Reformverlierern, Arbeitslosen und Armen gut an. Die Leitfigur Seselj hat sich zudem immer als strenger Ordnungshüter präsentiert, der Kriminalität und Korruption – wofür er DOS und den früheren serbischen Premier Zoran Djindjic verantwortlich machte – erbarmungslos verfolgen würde.
Liljana Bacevic stellt es die Haare auf, wenn sie über die ganze Politik der Radikalen nachdenkt: „Sie würden grausam Rache an uns, den Demokraten, nehmen“, befürchtet die Politologin.
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