Auszüge aus
„Der Stacheldraht“, Für Freiheit, Recht und Demokratie.
Mitteilungsblatt der Verbände der Opfer stalinistischer und Kommunistischer Gewaltherrschaft.
Heft 2002-4 Ende Mai 2002


Seite 4
Gefährliche Akten
Zahlreiche Ministerien und Ämter der tschechischen Republik sind von ehemaligen kommunistischen Agenten durchsetzt

Wenig im Blickfeld steht in der tschechischen Republik jener Dunstkreis, in dem sich noch immer frühere Angehörige des kommunistischen Geheimdienstes StB bewegen. Viele von ihnen haben bereits wieder neue Machtpositionen eingenommen, benutzen ihre Kenntnisse aus den Verstrikkungen mancher heutiger tschechischer Politiker in das kommunistische Regime, um sie sich gefügig zu machen. Von einer wirklichen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit kann heute keine Rede sein.

Nach der sanften Revolution scheute man sich ganz offensichtlich, mit den ehemaligen Stützen der Diktatur unsanft zu verfahren. Gänzlich anders als hierzulande verlief die Entwicklung in der tschechischen Republik hinsichtlich der Handlanger des kommunistischen Staates. Es erfolgte zwar eine offizielle Auffösung des alten Geheimdienstes, doch schon dabei war zu erkennen, daß keineswegs die Absicht bestand, diese Staatsbüttel in irgendeiner Weise für Vergehen am Volk zur Verantwortung zu ziehen. Einen Sturm auf die Machtzentren des kommunistischen Geheimdienstes, wie er von Bürgerrechtlern in Ostdeutschland erfolgte, gab es in der damaligen CSSR nicht. Dadurch blieb es dann auch aus, daß der geheimdienstliche Aktenbestand unter entsprechende Kontrolle der Allgemeinheit genommen wurde. Als man schließlich recht zögerlich damit begann, waren die brisantesten Akten bereits „spurlos“ verschwunden. Auch der Umgang mit den Geheimdienstmitarbeitern gestaltete sich äußerst merkwürdig. Ein großer Teil der Offiziere bekam hohe Abfindungen ausgezahlt, andere wurden in den Vorruhestand versetzt, selbst wenn sie erst 40 Jahre alt waren. Schon nach kurzer Zeit holte man sie zurück, um sich ihres „Erfahrungsschatzes“ beim Aufbau neuer Geheimdienststrukturen zu bedienen.

So befanden sich schnell wieder viele ehemals hohe Offiziere des StB in Rang und Würden. Man kommt nicht umhin festzustellen, daß sich so mancher tschechische Bürgerrechtler gegen die restlose Aufklärung der politischen Vergangenheit seines Landes sperrte. Es wurde befürchtet, dies könne zu einer Zerreißprobe für die Gesellschaft werden. So breitete man über vieles den Mantel des Schweigens, was bis zum heutigen Tag auf die tschechische Republik seine Auswirkungen hat.

Der namhafte tschechische Dissident Bok berichtete unlängst [2002-04] in einer tschechischen Zeitung von der Begegnung mit jenem Offizier, der ihm seinerzeit ein Geständnis abzupressen versucht hatte. Dieser schritt hocherhobenen Hauptes auf ihn zu, brüstete sich mit dem Besitz einer florierenden Firma und bot dann seinem früheren Verhör-Opfer huldvoll eine Stellung in dem Unternehmen an.

Der tschechische Journalist Petr Cibulka, der während der kommunistischen Ära als Dissident ständigen Verfolgungen ausgesetzt war, gehört heute zu den wenigen Medienvertretern, die auszusprechen wagen, daß die Infiltration der tschechischen Republik (die immerhin Mitglied der NATO ist) mit früheren Geheimdienstleuten, die sämtlich im Geiste der Feindschaft gegenüber der westlichen Staatengemeinschaft erzogen wurden, bereits Formen angenommen hat, die schon fast auf ein planmäßiges Vorgehen schließen lassen.

Cibulka, der eine Zeitung namens „Necenzurované noviny“ herausgibt, veröffentlichte kürzlich in seinem Blatt eine Liste mit 15 000 Namen ehemaliger kommunistischer Geheimdienstmitabeiter. Die Brisanz dieser Veröffentlichung besteht darin, daß ein großer Teil von ihnen derzeit schon wieder einflußreiche Positionen im tschechischen Verteidigungsministerium, irn Generalstab der tschechischen Armee, in der Polizei, dem Auswärtigen Amt und anderen wichtigen Schaltstellen des Staates bekleidet. Besonders zahlreich mit „Ehemaligen“ besetzt sei das tschechische Innenministerium. Dazu muß man wissen, daß ausgerechnet in diesem Ministerium die noch vorhandenen Geheimdienstakten aufbwahrt werden.

Petr Cibulka war im Zeitraum von 1975 bis 1985 wegen antikommunistischer Betätigung insgesamt fünfmal inhaftiert. Er findet es höchst eigenartig, daß vor allem der tschechische Außenminister Kavan seine schützende Hand über viele frühere kommunistische Agenten hält. Kavan sieht sich inzwischen dem Verdacht ausgesetzt, Informant des kommunistischen Geheimdienstes gewesen zu sein. Er selbst weist derartige Beschuldigungen zurück, bezeichnet die Akte der tschechischen Staatssicherheit, aus der seine Mitarbeit hervorgeht, als Fälschung. Fest steht allerdings, daß der heutige Außenminister vom früheren kommunistischen Geheimdienst unter dem Decknamen „Kato“ geführt wurde. Kavan hat übrigens auch die Funktion eines Koordinators der neuen tschechischen Geheimdienste inne.

Was von dem früheren Archiv der tschechischen Staatssicherheit noch aufzufinden war, wurde 1996 im beschränkten Umfang zur Einsichtnahme für die Betroffenen geöffnet. Zahlreiche Akten jedoch, so die der Strafvollzugsorgane, der militärischen Spionageabwehr, der Auslandsspionage, blieben weiter unter Verschluß. Als Begründung hierfür diente das Argument ehemaliger kommunistischer Geheimdienstler, daß der Akteninhalt auch heute noch zu einer Gefährdung des tschechischen Staates führen könne.

Dies verstehe wer will, doch die Annahme liegt nahe, daß sich ehemalige Agenten, die zwischenzeitlich wieder aktiv geworden sind, der Gefahr einer Enttarnung ausgesetzt sehen.

Ein gewisser Druck in der tschechischen Öffentlichkeit hat dazu geführt, daß sich dieser Tage das Parlament mit einer Gesetzesnovelle befaßte, wonach das 1996 geltende Recht der Akteneinsichtnahme insofern erweitert werden soll, als Betroffenen künftig nicht nur die eigenen Akten, sondern auch Protokolle zugänglich gemacht werden, in denen in irgendeinem Zusammenhang ihr Name auftaucht. Schon werden jedoch Stimmen laut, die eine Hexenjagd auf kommunistische Geheimdienstmitarbeiter befürchten. Die von dem Sozialdemokraten Miloš Zeman geführte tschechische Regierung macht kein Hehl daraus, daß ihr die Gesetzesnovelle des Parlaments nicht besonders behagt. Es war sogar zu hören, daß in der tschechischen Republik doch wohl kein allzugroßes Interesse bestehen dürfte, in der Vergangenheit herumzustochern, wofür die Tatsache spreche, daß seit 1996 lediglich 31000 Tschechen den Wunsch nach einer Akteneinsicht geäußert hätten. Auch nach der inzwischen erfolgten Erweiterung der Akteneinsicht steht jedoch bereits fest, daß an die Öffnung einer Vielzahl früherer Akten auch in Zukunft nicht zu denken ist. Alles, was die Interessen des heutigen tschechischen Staates aus früherer kommunistischer Zeit gefährden könnte, unterliegt weiter der Geheimhaltung. So bleibt es der Spekulation überlassen, welche dunklen Machenschaften in der kommunistischen Ära noch heute das Tageslicht zu scheuen haben.
Werner H. Krause