Rokitnitz
"Als am 8. Mai 1945 einzelne Truppenteile und Formationen der deutschen Armee aus Schlesien unser Städtchen passierten, wußten wir, daß die Katastrophe nur eine Frage von wenigen Tagen sein konnte.
Alarmnachrichten jagten einander. Vor den Häusern standen die Bewohner, eine Flucht war unmöglich. Schon hielten tschechische Partisanen alle Straßen besetzt und entwaffneten unsere Soldaten. Wer nur die geringste Miene zum Widerstand machte wurde erschossen.
Tatsächlich folgten die Russen den deutschen Truppen auf dem Fuß und auf allen Straßen ergossen sich tausende von Geschützen, Panzern und motorisierte Truppen über den Kamm des Adlergebirges in unsere Heimat, füllten die Gebirgsdörfer und rasten, die deutschen Truppen überholend, gegen Prag.
Als aber die tschechischen Partisanen unsere Heimatstadt besetzten, mußten wir Augenzeugen von furchtbaren Untaten sein. Was nicht niet- und nagelfest war, wurde geraubt, und fast alle Männer ohne Rücksicht auf das Alter verhaftet und unter schweren Mißhandlungen ins Gefängnis geschleppt. Die Einmannzellen waren bald bis zum Bersten gefüllt.
Die weiteren Gefangenen wurden daher in die Kasernen geschleppt. Was sich in den Gefängnissen abgespielt hat, kann nicht geschildert werden. Viele Deutsche suchten durch Selbstmord den furchtbaren Mißhandlungen zu entgehen.
Ein besonders schwarzer Tag war der Pfingstsamstag, der 19. Mai 1945. Die Gefangenen, darunter auch ich wurden, schon halb verhungert, in die Kaserne zur Arbeit getrieben. So mußten wir z.B. je 2 Mann schwere Schränke die Treppen herunter über die großen Kasernenhöfe hinweg, in andere Gebäude, dort wieder einige Treppen hoch schleppen.
Überall standen die Partisanen und hieben mit Stecken, Eisenstangen, Gummiknüppeln, Fahrradschläuchen und Gewehrkolben auf die unglücklichen Menschen ein, ohne Rücksicht, wohin sie trafen. Mir selbst floß das Blut aus vielen Kopfwunden in die Augen und über den Nacken den Rücken hinab.
Viele brachen unter den Schlägen zusammen und wurden geprügelt und mit Füßen getreten. Ich selbst hatte einmal über 20 Beulen am Kopf und zwei tiefe Wunden am Arm. Da wir fast nichts zu essen erhielten, waren wir bald vollkommen entkräftet. Auch unser Stadtpfarrer wurde mehrmals verhaftet, schwer mißhandelt, der Gottesdienst verboten und die Kirche versiegelt. Zuletzt wurde er in das Staatsgefängnis nach Königgrätz eingeliefert.
Noch immer wurden weitere Menschen, darunter auch Frauen, aus den Dörfern eingeliefert. Die Verhöre der Gefangenen begannen unter steten Mißhandlungen. Baumeister Hermann wurde wenige Schritte vor mir von einem Partisanen niedergeschossen. Hitlerjungen von 10-14 Jahren, die sich unter den Verhafteten befanden und grün und blau geschlagen waren, mußten ihn hinter der Kaserne einscharren.
Ich selbst wurde zweimal hinter die Kaserne geführt und sollte dort erschossen werden. Da ich keinerlei Angst zeigte, trieb man mich unter fürchterlichen Hieben mit dem Knüppel zu den anderen Häftlingen zurück.
In der Kaserne war eine Zelle als Folterkammer eingerichtet worden. Abend für Abend wurden Häftlinge aus den Zellen geholt und in der grausamsten und brutalsten Weise zu Tode gemartert. Oft wurden ihnen bis zu 50 Stockschläge aufgezählt.
Furchtbar war das Schicksal des weit und breit bekannten Stadtarztes Dr. Rudolf Wanitschke, der hier nach mehreren vergeblichen Selbstmordversuchen buchstäblich zu Tode geprügelt wurde.
Die Bewußtlosen wurden regelmäßig mit einer Kanne kalten Wasser begossen, dann in die Zelle geworfen, wo sie infolge der Kälte wieder zum Bewußtsein kamen. Diese Martern wiederholten sich einige Tage, bis die Unglücklichen durch den Blutverlust starben oder den Gnadenschuß erhielten. In den Abendstunden wurden die Ermordeten in der Umgebung der Stadt verscharrt. Ihre Familien erhielten keine Verständigung über den Tod ihrer Angehörigen.
Von meinen Bekannten befinden sich unter den bestialisch Ermordeten, außer Dr. Wanitschke und Baumeister Hermann, Franz Gregor, Leiter der Städtischen Sparkasse, mein Bruder Wilhelm, Kubitschke Alois, Uhrmacher, Gottwald, Pächter vom Schwarzen Adler, Spanel und Leichter, beide Angestellte des Arbeitsamtes, Oberlehrer Jörka aus Groß-Stiebnitz, Lehrer Spanel aus Ober-Riebnei, Heinrich Letzel aus Himml.-Riebnei und viele andere.
Die Stadtbürger Kaufmann Finger, Fleischermeister Willi Pöter, Fritz Habenicht (Sägewerksbesitzer der ehemaligen Froschmühle) wurden nach Senftenberg verschleppt und nach grausamen Foltern erhängt.
Die Männer, welche dem Tode entgingen, wurden von den Tschechen in die rasch eingerichteten KZ-Lager, 51 an der Zahl, verschleppt, wo sie schwere Arbeit verrichten mußten, z. B. im Bergbau unter Tag, bei elender Verpflegung und ständiger Mißhandlung. Viele gingen in diesen Lagern zu Grunde oder erlitten Schäden an ihrer Gesundheit. Viele sind bei ihrer Rückkehr gestorben, so der Forstverwalter Scherz und der Schwiegersohn vom alten Kotisa, Herr Cernoch.
Das Elend der Zurückgebliebenen erreichte seinen Höhepunkt durch das schlagartige, unerwartete Einsetzen der Vertreibung aus der Heimat am 5. Juni 1945, da Rokitnitz die erste Stadt im Sudetengau war, wo die Bevölkerung vertrieben wurde.
Ahnungslos gingen die Ärmsten am Morgen dieses Tages ihren Geschäften nach, als die Partisanen in die Häuser drangen und sie zwangen, nur unter Mitnahme weniger Habseligkeiten, alles, was sie besaßen, zu verlassen.
Mühselig schleppten sich Alte und Kranke auf den Sammelplatz, angetrieben unter Flüchen und Brüllen der Partisanen. Auf dem Sammelplatze wurden alle der schärfsten Kontrolle unterzogen, d.h. alles was noch einigen Wert hatte, geraubt. Kleine Andenken, die geringe Barschaft, Kinderwäsche und Betten.
Gegen 3 Uhr Nachmittag bewegte sich der Elendszug über den Ringplatz, begleitet von höhnischen Zurufen der Tschechen, die lachend dem herzzerreißenden Schauspiel zusahen.
Viele Tschechen standen am Wege mit ihren Fotoapparaten, um dieses Ereignis im Lichtbilde festzuhalten. Bei Herrenfeld und Batzdorf wurden sie von den schwerbewaffneten Partisanen über die Grenzbrücke getrieben und ihrem Schicksal überlassen.
Am zweiten Tag erreichten sie die schlesische Stadt Habelschwerdt. Dort wurden sie vom Roten Kreuz übernommen und in Baracken untergebracht. Habelschwerdt sowie das ganze Glatzer Land war von Polen besetzt. Hier herrschten dieselben Zustände wie in den letzten Wochen in der Heimat. Im März 1946 wurden die Vertriebenen mit den Schlesiern gemeinsam von den Polen ausgetrieben."

Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Überlebende kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald