Festrede des Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt in Schwäbisch Gmünd am 25. Mai 2003
anläßlich der Feier zum 50jährigen Jubiläums der Patenschaft der Stadt über die Brünner Deutschen.

Exzellenz, hochwürdigster Herr Bischoff,
hohe Geistlichkeit,
Herr Oberbürgermeister,
lieber Langsmann Ziegler,
liebe Landsleute, liebe Gäste!

Es ist mir eine große Freude, bereits zum zweiten Mal an einem ihrer Bundestreffen teilzunehmen als Festredner.
Auch das letzte Mal war Bischof Cikrle zugegen, und es ist mir eine große Ehre und Freude, die Festrede zu halten gerade bei einem Bundestreffen, bei dem Sie das fünfzigste Jubiläum der Patenschaft begehen und feiern, liebe Landsleute.

Feiern, Gedenkfeiern eines Vertriebenenverbandes haben immer zwei Seiten: eine schmerzhafte Seite und eine Seite, die voller Freude ist.
Schmerzhaft ist ohne Zweifel die Entstehungsgeschichte, denn ein Vertriebenenverband, eine Landesmannschaft wäre nicht entstanden, hätte nicht entstehen müssen, wenn es nicht nach einer vielhundertjährigen blühenden europäischen Geschichte unserer Volksgruppe die brutale Zäsur der völkerrechtswidrigen Vertreibung aus der Heimat gegeben hätte. Und gerade die Stadt Brünn steht in besonderer Weise für das Schicksal unserer sudetendeutschen Volksgruppe durch den Brünner Todesmarsch, der durch seine besondere Grausamkeit quasi exemplarisch ist für das, was mehr als drei Millionen Sudetendeutsche nach dem zweiten Weltkrieg erleiden mußten.

Auf der anderen Seite ist aber ein solches Jubiläum auch immer Grund zur Freude und zur Dankbarkeit. Grund zur Freude und zur Dankbarkeit, weil man sich wieder gefangen hat, weil man sich wieder gefunden hat, weil man wieder die Gemeinschaft belebt hat. Und es ist Grund zur Dankbarkeit, daß man eine Partnerstadt wie Schwäbisch Gmünd gefunden hat und daß man in Jahrzehnten diese Partnerschaft nicht nur erhalten, sondern auch weiterentwickelt hat. Und, liebe Landsleute, zu diesem möchte ich gratulieren, zu dieser großartigen Leistung, fast sechs Jahrzehnte nach der Vertreibung noch eine solche blühende Gemeinschaft wie die Ihre am Leben zu halten. Und ich bin in diesen Monaten jedes Wochenende irgendwo in Mitteleuropa unterwegs und darf an einem solchen Treffen einer Dorfgemeinschaft, einer Stadtgemeinschaft unserer Sudetendeutschen Volksgruppe teilnehmen, und in vierzehn Tagen werden wir ja auch wieder zu Zehntausenden in Augsburg zusammenkommen beim 54. Sudetendeutschen Tag, auch der ein Zeichen des Lebenswillens, der Kraft und des Zusammenhalts unserer Volksgruppe.

Und die Leistung, über die Jahrzehnte der Vertreibung hinweg diese Gemeinschaft aufrechterhalten zu haben, diese Leistung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, und ich danke Ihnen für diese Leistung. Gerade als der erste Bundesvorsitzende unserer Landsmannschaft, der der nach der Vertreibung geborenen Generation angehört, weiß ich zu schätzen, was Sie da an Fundamenten geschaffen haben.
Denn daß wir, die wir der jüngeren Generation angehören – und in meiner Familie ist es schon die nächste Generation, die in der Landsmannschaft in den Kinder- und Jugendgruppen aktiv wird – daß wir uns in dieser Landsmannschaft wohlfühlen können, daß wir uns als Sudetendeutsche in den Prozeß der Neuordnung Europas einbringen können, als nachgeborene Generation, als Kinder und als Enkel und als Urenkelgeneration. das verdanken wir jenen, die in den vergangenen Jahrzehnten diese Volksgruppe am Leben erhalten haben und vor allem ihr reiches kulturelles Erbe nicht nur museal bewahrt haben, sondern auch lebendig gehalten und weiterentwickelt haben.

Jahr für Jahr verleiht unsere Landsmannschaft Förderpreise an junge Menschen sudetendeutscher Herkunft, die in allen kulturellen Sparten Spitzenleistungen erbringen. Am nächsten, übernächsten Wochenende wird der 54. Sudetendeutsche Tag mit der Verleihung von Kulturpreisen deutlich machen, daß dies nicht nur für die junge Generation, sondern für alle Generationen gilt. Am nächsten Wochenende, das zwischen heute und dem Sudetendeutschen Tag liegt, werden wir in Neugablonz (Kaufbeuren) – auch das betrifft Schwäbisch Gmünd, denn hier leben ja auch viele Isergebirgler, ich selbst entstamme einer Isergebirglerfamilie – das große Regionalmuseum für Nordböhmen, das Isergebirgsmuseum einweihen. was in Jahrzehnten ehrenamtlicher Arbeit vorangetrieben wurde und nunmehr neben dem Egerlandmuseum als großes Sudetendeutsches Regionalmuseum neu geschaffen wird als ein wesentlicher Bestandteil der deutschen und europäischen Museumslandschaft. Dies alles zeigt die Lebendigkeit unserer Volksgruppe auch Jahrzehnte nach der Vertreibung.

Und, liebe Landsleute, wenn ich auf dieses kulturelle Erbe so viel Wert lege und auf die kulturelle Seite unserer Arbeit, dann werde ich immer wieder gefragt, warum tun Sie das als Politiker? Ist das nicht eine Entpolitisierung der Landsmannschaft?

Liebe Landsleute, das ist keine Entpolitisierung der Landsmannschaft. Es gibt nur dann eine Interessenvertretung der Sudetendeutschen, wenn es auch Sudetendeutsche gibt, die auf dem Boden ihres kulturellen Erbes stehen und dieses kulturelle Erbe nutzbar machen für künftige Generationen. Und deshalb glaube ich, daß gerade Heimatverbände und Heimatgemeinschaften wie die Ihre von ungeheurer Bedeutung sind, denn wir erleben es, daß gerade jüngere Menschen zunehmend diesen Weg gehen, diesen Weg suchen, jüngere Menschen, die uns noch in vielen Gliederungen fehlen, die aber zunehmend sich rühren und Interesse bekunden. Es ist recht eindrucksvoll, als ich vor drei Jahren diese Funktion des Vorsitzenden der Landsmannschaft übernommen habe – wie gesagt als erster Vertreter der nach dem Krieg geborenen Generation – da hat es eine Reihe von andern Landsleuten meiner und der noch jüngeren Generation gegeben, die das als Signal gesehen haben und in die Verantwortung eingetreten sind. Wir sind derzeit in einem rasanten Prozeß des Umbaus, den ich nicht Generationswechsel, sondern Generationsergänzung nennen möchte, denn wir brauchen unsere Erlebnisgeneration dringend, und ich möchte an sie appellieren: solange sie können und wollen, selbstverständlich massiv ihren Beitrag zu dieser Volksgruppenorganisation zu leisten.

Aber wir befinden uns in einem Prozeß des Generationsumbaus, und es ist für mich faszinierend, wie oft jetzt jüngere Menschen, Menschen der jüngeren und mittleren Generation, zu uns kommen und sagen: als meine Eltern und Großeltern noch gelebt haben, da habe ich mich für die Sache nicht so interessiert, jetzt würde ich sie so gerne fragen – jetzt sind sie aber nicht mehr da. Und diese Menschen kommen verstärkt zur Landsmannschaft, sie kommen verstärkt zu unseren Heimatgliederungen und Heimatverbänden. Sie suchen ihre Wurzeln, sie wollen mit uns gemeinsam auch den Brückenschlag wieder in die Heimat ihrer Vorfahren suchen. Das ist eine ganz wichtige Quelle der Erneuerung für uns – und liebe Landsleute: gerade da bieten, wie gesagt, die Heimatkreise und Heimatverbände einen ganz entscheidenden Beitrag für diese Menschen, die ihre Wurzeln suchen.

Ich kann ihnen nur ein kleines Beispiel nennen. Wir verleihen seit zwei Jahren den Sudetendeutschen Menschenrechtspreis, um unsere Problematik in eine größere Menschenrechtsdimension zu stellen. Den ersten Menschenrechtspreis bekam Emile Schindler, die Witwe von Oskar Schindler. Auch sie eine Sudetendeutsche wie Oskar Schindler, auch sie jemand, der tausende Juden persönlich gerettet hat. Und kurz vor ihrem Ableben konnten wir ihr noch den Sudetendeutschen Menschenrechtspreis verleihen. Und den zweiten Menschenrechtspreis bekam ein Mann, ebenfalls in Mähren gebürtig, nämlich Tillmann Zülch, der Präsident der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, ein Mann, der eher auf der Linken des politischen Spektrums angesiedelt ist. Und es war interessant, er kam zur Preisverleihung ins Sudetendeutsche Haus, aber vorher hatte er eine Veranstaltung an der Münchner Uni. Von da hatte er eine ganze Gruppe von Studenten mitgebracht, und einer dieser Studenten kam auf mich zu und sagte: Hören sie zu, meine Eltern sind verstorben und ich habe im Nachlaß einen Heimatschein gefunden, einen Heimatschein für einen Ort, können sie mir sagen, wo dieser Ort genau liegt? Und ich habe mir diesen Heimatschein geben lassen, er hatte ihn dabei, sagte es liegt da und da. Ja wie kann ich da Kontakt aufnehmen? Sag ich: gehen sie einfach einen Stock höher, da sitzt die Frau Königsberger, die ist bei uns zuständig für die Heimatgliederungen und Heimatverbände, und lassen sie sich die Kontaktadressen geben. Es war jemand, der in seinem Leben nie was mit Landsmannschaft zu tun hatte – und eine Stunde später treffe ich die Frau Königsberger und die sagte, der ist soeben beigetreten. Ich erwähne dies nur als Beispiel, um deutlich zu machen, wie diese Suche nach Wurzeln, wie die jetzt einsetzt. Und deshalb sage ich ihnen und appeliere an Sie: halten sie ihre kulturelle Arbeit aufrecht und vor allem wenn sie in ihren Familien das Gefühl haben, das Interesse ist nicht so groß, wie sie sich das wünschen, resignieren sie nicht, die Saat kann später aufgehen. Und vor allem eines: Sie wissen sehr viel, Sie wissen vieles, was nicht verloren gehen darf. Schreiben sie auf, was Sie erlebt haben, hinterlassen Sie das ihren Kindern und Kindeskindern, die werden ihnen eines Tages dafür dankbar sein. Und deshalb wie gesagt halte ich es für ganz entscheidend, daß unsere Heimatgemeinschaften wie die BRUNA am Leben bleiben.

Eine weitere wichtige Aufgabe haben unsere Heimatgemeinschaften und Heimatkreise. Liebe Landsleute, es kommt ja nicht nur darauf an, unser kulturelles Erbe hier und in der Heimat zu bewahren und weiterzuentwickeln, es kommt ja auch darauf an, die Wunden zu heilen, die die Geschichte geschlagen hat und es kommt darauf an, in diesem Europa eine gerechte Ordnung zu errichten, eine gerechte Ordnung der Völker und Volksgruppen, Staaten und Regionen, die ohne unsere Sudetendeutsche Volksgruppe und ohne unsere Böhmisch-Mährisch-Schlesische Heimat und ohne Sudetendeutsche und Tschechen unendlich viel ärmer wäre.

Und man muß sich mal im klaren sein, dieses Europa kann nur auf der Basis des Rechts errichtet werden. Es wird immer wieder kritisiert, wer auf dauernd vom Recht spricht, sei ein Rechthaber, es wird immer wieder Recht im Sinne von Rechthaberei mißdeutet, liebe Landsleute.

Recht hat mit Rechthaberei gar nichts zu tun – und gerade Menschen, die Unrecht erlitten haben, wissen in besonderer Weise den Wert des Rechts zu schätzen. Unser Erdteil hat grauenhaftes Unrecht hervorgebracht, grauenhaftes Unrecht in der Geschichte. Nationalismus, Nationalsozialismus, Kommunismus, Vertreibung, gerade das 20. Jahrhundert war voll von grausamstem Unrecht, aber wenn ich mir die historischen Gebäude der Stadt Brünn anschaue oder auch dieses Parlermünster hier in Schwäbisch-Gmünd, wo wir heute morgen zur heiligen Messe versammelt waren, dann werden wir erinnert ans Heilige Römische Reich, das trotz vieler Mängel etwas war, was wir heute wieder in Europa anstreben, nämlich eine völkerüberwölbende Rechtsgemeinschaft. Das Recht ist die eigentliche Errungenschaft unserer abendländischen Zivilisation. Der Gedanke des völkerüberwölbenden Rechts, das für alle gleichermaßen gilt, und ich sage immer wieder, Recht ist die sozialste Errungenschaft, die es gibt. Der Starke braucht kein Recht, der Starke hat seine Ellbogen, der Starke kann Gewalt anwenden, Der starke kann sich einfach gewaltsam durchsetzen, aber, liebe Landsleute, das ist irgendwo eine Täuschung, darüber muß man sich im klaren sein, denn jeder ist im Verlauf der Geschichte mal der Starke und mal der Schwache. Und was für die Völker gilt, das gilt auch für den Einzelnen. Und was für den Einzelnen gilt, gilt für die Völker, jeder ist mal oben und mal unten und da gibt es zwei Möglichkeiten, entweder der Starke unterdrückt den Schwachen solange, bis der Schwache stark genug ist, um sich gewaltsam wieder sozusagen an die Spitze zu setzen, das ist der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, oder man durchbricht es durch ein Recht, das für den Starken und den Schwachen gleichermaßen gilt und auch den Schwachen stark macht. Und deshalb ist die Bedeutung des Recht so elementar und deshalb ist unser Kampf für das Recht, für das Völkerrecht, das Europarecht, das Menschenrecht, unser Kampf gegen Unrechtsdekrete eben kein egoistischer Kampf für uns, es ist ein Einsatz für alle Völker, denn je stärker das Recht ist, desto stärker ist der Schwache und desto gerechter ist eine Ordnung und desto friedlicher und desto dauerhafter.
Und, liebe Landsleute, hier hat gerade die Stadt Brünn eine ungeheure Symbolwirkung für ganz Europa und für die ganze Welt, denn Brünn kannte nicht nur das grauenhafte Unrecht des Brünner Todesmarsches. Nein, Brünn kannte auch ein Ereignis, dessen Jubiläum wir in zwei Jahren feiern werden. Und ich habe fest vor, den Sudetendeutschen Tag in zwei Jahren unter dieses Thema zu stellen: Nämlich in zwei Jahren werden wir den hundertsten Jahrestag des Mährischen Ausgleiches von 1905 begehen, bis heute das beste Modell zur Lösung von Nationalitätenkonflikten, das es in der Geschichte jemals gegeben hat und das ein Ruhmesblatt der Brünner ist und das für Europa und für die Weltordnung, die wir anstreben, nach wie vor ein unerreicht leuchtendes Beispiel ist. Und wir haben die Aufgabe, diese Tradition in die künftige Völkerordnung einzubringen.

Und da, liebe Landsleute, kommt wieder die Bedeutung der Heimatgemeinschaften und Heimatverbände zum Tragen, denn ich sage immer wieder, man kann die Wirklichkeit nicht verändern, wenn man nicht das Denken verändert. Das Denken aber kann man nicht per Vertrag, nicht per Druck, nicht per Knopfdruck ändern, das Denken kann man nur von unten her verändern, zwischen den Menschen.

Liebe Landsleute, ich habe gestern in München an eine hochbrisanten Diskussion und Veranstaltung teilgenommen zwischen vertriebenen Armeniern beziehungsweise deren Nachkommen, vertriebenen Schwarzmeergriechen beziehungsweise deren Nachkommen und vertriebenen europäischen Türken, beziehungsweise deren Nachkommen, allesamt Erben von Menschen, die vor 1919 im Osmanischen Reich Opfer des Völkermordes und der Vertreibung waren. Da ist wirklich kein einziger mehr von der Erlebnisgeneration da und trotzdem ist dieses Thema auf brisante Weise präsent und wir haben gestern mit mehreren Hunderten Mmenschen von beiden oder allen drei Seiten in München über dieses historische Erbe diskutiert, teils sehr zukunftsweisend, teils aber auch sehr, sehr emotional. Und dieses Beispiel zeigt mir und hat mir gestern abend wieder sehr deutlich gezeigt: das zynische Kalkül gewisser Kreise, man muß ein Unrecht nur aussitzen und dann kommt die sogenannte Biologische Lösung. Es ist nicht nur unmenschlich, es ist eine Illusion, liebe Landsleute! Und deshalb haben wir eine ganz, ganz große Verpflichtung, die Probleme nicht unterdrücken und gären zu lassen, bis sie eines Tages im falschestmöglichen Moment in den falschestmöglichen Formen, wie wir das gerade auch an vielen Orten der Welt erleben unter der Decke hervorkommen, sondern den Geist des Mährischen Ausgleiches, den Geist der Charta der Heimatvertriebenen des Wiesbadener Abkommens zwischen Exiltschechen und Sudetendeutschen, den Geist des Ausgleiches, den auch ein Mann gerade wie Bischof Cikrle verkörpert, diesen Geist des Ausgleichs jetzt fruchtbar zu machen und in einem mühsamen zähen Prozeß einfach ganz konkret von unten daran zu arbeiten

Veranstaltungen bei Diskussionen an Universitäten und Schulen. Das ist das positive daran ist, daß an den Universitäten und an den Schulen es die jungen Menschen sind, die aufstehen und beginnen, den Großeltern und Eltern unbequeme Fragen zum Thema Vertreibung zu stellen. Das ist ein positiver Prozeß. Und ich war jetzt an x tschechischen Schulen als Redner, wo die Schüler darauf bestanden haben, mich einzuladen für eine Diskussionsveranstaltung, obwohl der Direktor das nicht wollte, obwohl die Lehrer das nicht wollten, vielleicht auch weil der Direktor oder die Lehrer das nicht wollten. Man will junge Leute da irgendwo fernhalten und da reagieren sie erst recht rebellisch – das kennen wir ja auch. Das heißt, hier ist eine neue Diskussion im Gange, und ich freue mich, das wissen sie selbst, daß gerade in Brünn durch eine Initiative der Interkulturellen Jugend und in Prag durch entsprechende Studentenorganisationen hier vieles in Bewegung gekommen ist, was sich vielleicht in der Politik noch nicht niederschlägt, aber was ohne Zweifel zeigt, wir befinden uns auf einem richtigen Weg. Aber, liebe Landsleute, wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, wir erleben dies, letzte Woche war der tschechische Premierminister Spidla in Frankfurt und hat dort erklärt, die Beneschdekrete sind in Kraft und sie bleiben in Kraft, das ist das Negative. Das war eine Ohrfeige für jene Leute wie Herrn Verheugen, die per Persilschein gemeint haben, sie können diese Dinge einfach wegwischen. Auf der anderen Seite gibt es – und auch das muß man sehen – einen Vizepremier wie Herrn Mareš in der tschechischen Regierung, der mit großem Mut vorgestern angekündigt hat, seinen – und hinter den Kulissen wird seit Monaten daran gearbeitet – Bericht über die Lage der Deutschen Minderheits-Volksgruppe in der Tschechischen Republik und er will Vorschläge zur Verbesserung ihrer Lage vorlegen, die vielen in der tschechischen Politik nicht passen, aber mit großem Mut und großer Konsequenz geht er diesen Weg. Und ich habe ihn ja wiederholt getroffen, werde ihn demnächst auch wieder bei einem wichtigen sudetendeutschen Ereignis als Gast haben, das heißt, da entwickelt sich etwas.

Aber, wie gesagt, Licht und Schatten, liebe Landsleute!
Und wir haben eine Situation, in der die Dinge sich ausdifferenzieren. Am deutlichsten wird dies mit dem Mahnmal, das wir im letzten Jahr in Wekelsdorf im Braunauer Ländchen – davon haben sie sicher gehört – errichtet haben, und zwar war da eine Gruppe junger Menschen, ausschließlich Tschechen, die ausschließlich mit Tschechischen Geldern in Wekelsdorf bei Braunau über einem Sudetendeutschen Massengrab, wo 23 Vertreibungsopfer liegen, ein Kreuz der Versöhnung errichtet haben: das erinnert an die Sühnekreuze des Mittelalters. Dieses Kreuz der Versöhnung wurde eingeweiht mit einer Messe, einer Messe zum Thema Vertreibung, die ein junger Tscheche komponiert hatte mit Texten, Liedtexten, wo immer ein Satz auf deutsch, ein Satz auf tschechisch war, moderne Musik, fantastische Messe, fantastischer Text, und einer politischen Veranstaltung anschließend, wo immerhin der Parlamentspräsident [Lubomir] Zaoralek, der Senatspräsident [Petr] Pithart und ich als Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft gemeinsam dieses Mahnmal eröffnet haben. Das sind positive Zeichen. Auf der anderen Seite wissen sie, dieses Mahnmal wurde nicht nur schon zweimal geschändet, das sind Dinge, die leider auch bei uns vorkommen, sondern vorgesten hat man versucht, einen Sprengstoffanschlag auf dieses Mahnmal zu verüben, das zeigt einfach sehr deutlich, nach wie vor Licht und Schatten, das zeigt nach wie vor, wie sehr diese Dinge die Menschen und die Emotionen berühren. Und da, liebe Landsleute, bleibt uns einfach nur ein Weg, nämlich gedulgig die Menschen, die offen sind, die verständnisvoll sind, als Partner zu stärken, mit ihnen zu sprechen, mit ihnen den Dialog zu suchen und mit den andern auch eine sachliche Auseinandersetzung zu beginnen, soweit dies möglich ist. Aus diesem Grunde haben wir als Sudetendeutsche Landsmannschaft vor einigen Monaten den Schritt gewagt, und haben – wie sie wissen – im Prager Regierungsviertel auf der Kleinen Seite eine Art Sudetendeutsche Botschaft, ein Sudetendeutsches Kontaktbüro eröffnet: ein kleines Büro mit zwei Räumen, aber immerhin auf der einen Seite der eine Nachbar ist der Senat, der andere ist das Parlament. Wir sind also ziemlich zentral gelegen und wir erleben eine faszinierende Entwicklung: viele Menschen, die ganz offen dieses Büro besuchen, das Büro ist überlaufen jeden Tag, bei der Eröffnung waren 180 Ehrengäste, darunter Vertreter aller Religionsgemeinschaften, katholische Bischofskonferenz, die evangelisch-lutherische Kirche, die böhmischen Brüder, die hussitische tschechoslowakische Nationalkirche, die Jüdische Gemeinde, alle Religionsgemeinschaften waren vertreten. Es war ein einzelner Sozialdemokrat da, Herr [František] Mezihorak aus Olmütz, der wurde allerdings in seiner Partei dann so fertiggemacht, daß er große Schwierigkeiten jetzt hat, aber er ist diesen Weg sehr mutig gegangen. Es war da der Vorsitzende der Christdemokraten von Prag Herr [Vladimir] Riha, es war da der Vizepräsident des Senats, Herr [Jan] Ruml, für die Freiheitsunion, es waren viele viele viele Kräfte da. Die Grünen waren da, die Tschechischen Grünen, also es war eine sehr prall angelegte Palette von Persönlichkeiten und das ist das Positive. Auf der anderen Seite haben wir erlebt, daß Herr Zahradil, Vizepräsident der ODS, also der Partei von Herrn Klaus, er ist ein Mann, der fünf Jahre jünger ist als ich und sich für einen ganz modernen Mann hält, übrigens auch großer ein Feind der Katholischen Kirche, der letzte Woche durchgesetzt hat, daß das tschechische Parlament das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abgelehnt hat – die Tschechische Republik ist das einzige ehemalige Ostblockland, das noch keinen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl hat – aber unabhängig davon: dieser Mann Zaradil von der rechtsliberalen Partei ODS von Herrn Klaus meldet sich zu Wort und sagt, man müsse dieses Büro verbieten, denn es könnte sein, daß dort historische Ansichten geäußert werden, die nicht der offiziellen historischen Ansicht des tschechischen Staates entsprechen.

Liebe Landsleute, dieses Beispiel zeigt, wie weit auch leider für manche jüngere Menschen, der geistige Weg nach Europa noch ist, in ein Europa der Freiheit, in dem eben jeder seine eigene Ansicht nach bestem Wissen und Gewissen vertritt. Licht und Schatten, pro und contra, das ist die Situation, in der wir uns befinden. Wir sind nicht mehr in einer Situation wie vor 1989, wir versammeln uns hier, und drüben ist ein monolithischer Block des Kommunismus und des Nationalismus. Wir erleben eine Ausdifferenzierung, und das erfordert von uns viel Arbeit, viel Einfühlungsvermögen, viel Verständnis und die Bereitschaft, mit Sachkenntnissen, mit Landeskenntnissen, mit Geschichtskentnissen den Dialog aufzunehmen, und das, liebe Landsleute, können nicht Einzelne, das können wirklich nur wir in unserer großen Zahl als Volksgruppe. Ich weiß, es gibt Landsleute, die sagen: aufgrund dessen, was ich erlebt habe, kann ich diesen Schritt nicht tun. Und, liebe Landsleute, ich habe dafür volles Verständnis, wenn das jemand nicht kann. Das gibt es auch, ganz klar. Aber ich bin beeindruckt von den vielen – darunter sind gerade oft diejenigen, die besonders viel erlitten haben, Teilnehmer des Todesmarsches zum Beispiel, die sagen: Nein ich tue diesen Schritt und ich suche das Gespräch gerade mit den jungen Menschen, weil die nur so erfahren werden, was uns widerfahren ist, und nur so werden wir das Denken ändern. Und, liebe Landsleute, dies ist zwar ein mühsamer Weg, aber ein Weg ohne jede Alternative.

Wir waren immer Nachbarn in diesem Europa und wir werden immer Nachbarn in diesem Europa bleiben. Und deswegen bleibt kein anderer Weg, als zäh und geduldig auf der Basis von Wahrheit und Recht dieses Gespräch und diesen Ausgleich zu suchen und da – wie gesagt, liebe landsleute, ich sage es noch einmal – sind die heimatbezogenen Gemeinschaften von unschätzbarer Bedeutung, von unschätzbarer Wichtigkeit, weil sie eben die wesentliche Ebene erreichen, nämlich die kommunale Ebene. Das Fundament der Politik, Herr Oberbürgermeister, das wissen Sie besser als wir alle, ist die Kommunalpolitik. Für mich ist Europa nur denkbar als ein Europa der Gemeinden und Regionen. Und nur die Gemeinden und Regionen, nur die Völker und Volksgruppen können aus diesem Europa etwas machen. Wenn man Europa den Zentralisten und einigen wenigen Spitzenpolitikern überläßt, dann wird es scheitern. Und wenn wir dieses Europa als Rechtsgemeinschaft ausgestalten wollen und wenn wir auf der Basis der geschichtlichen Wahrheit aufrechten Ganges den Weg zueinander suchen wollen, dann, liebe Landsleute, gibt es nur eine Basis und diese Basis ist heute in eindrucksvoller Weise zum Ausdruck gekommen, das ist die Basis des Glaubens und der Liebe. Und deshalb glaube ich, und das möchte ich auch ganz stark hier hervorheben, daß Menschen wie Bischof Cikrle einen ganz bedeutenden Beitrag zum Zusammenwachsen dieses Europas leisten.

Letztes Jahr, erinnern Sie sich, beim Sudetendeutschen Tag oder vor dem Sudetendeutschen Tag haben Spitzenpolitiker auf tschechischer Seite die Vertreibung als Quelle des Friedens bezeichnet und haben sie im Nahen Osten zur Nachahmung empfohlen und es war der Metropolit von Mähren, nämlich der Erzbischof Graupner von Olmütz als Vorsitzender der tschechischen Bischofskonferenz, der demonstrativ zum Sudetendeutschen Tag gekommen ist und ein Zeichen des Brückenschlages gesetzt hat. Er ist wüst beschimpft worden und es hat der damals noch amtierende Ministerpräsident Zeman gesagt, wenn der Bischof Graupner zum Sudetendeutschen Tag kommt, kann er gleich die Hexenverbrennungen einführen – nur daß sie sehen, auf welchem Niveau solche Auseinandersetzungen stattfinden – Bischof Graupner hat das mit großem Mut getan.
Bischof Cikrle ist heute bei uns, und, liebe Landsleute, ich glaube, das ist der Weg, der in die Zukunft führt, es ist ein steiniger Weg, es ist ein Weg, der von uns größte Leistung erfordert, es ist ein Weg, der immer wieder mit Rückschlägen begleitet ist, das ist so in allem menschlichen Bemühen, aber es ist ein Weg, der allein in eine Zukunft führen kann, in der sich das nicht wiederholt, was unserer älteren Generation geschehen ist, was vielen von ihnen geschehen ist, was meinen Vorfahren, Eltern und Großeltern geschehen ist, und deshalb ist diese heutige Veranstaltung nicht nur eine Gedenkveranstaltung und sind wir nicht nur eine Nachhut einer großen historischen Vergangenheit Böhmens, Mährens und Schlesiens und der Landeshauptstadt Brünn der Markgrafschaft Mähren, sondern ist dies auch ein Signal am Beginn des 21. Jahrunderts für eine bessere Zukunft, deren Pioniere zu sein uns die Geschichte aufgetragen hat. Dafür danke ich Ihnen.