Polnische Politiker lernen Armut: das sollten sich auch mal deutsche Politiker zum Vorbild nehmen:
Politiker testen das wirkliche Leben
Im Rahmen eines Experimentes mußten Abgeordnete in Polen einen Monat lang mit 500
Zloty auskommen.
Warschau (dpa) Pawel Poncyljusz, Abgeordneter der polnischen
konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit ist um 1,5 Kilogramm leichter und
eine wichtige Lebenserfahrung reicher. Dieses Erlebnis reicht mir für viele
Jahre, zog der Warschauer Bilanz eines Sozialexperiments. Wie sein liberaler Kollege
Pawel Gras von der Bürgerplattform lebte er im Februar einen Monat lang von
500 Zloty (105 Euro), das ist das Existenzminimum in Polen.
Die Boulevardzeitung Super Express, die Politiker für das Projekt gesucht
hatte, brachte die Teilzeit-Armen mit Experten zusammen. Rentner, Arbeitslose
und Sozialhilfeempfänger gaben Ratschläge für das Leben mit knappem Budget. Trotzdem
mußten sich die Abgeordneten, die monatlich 7000 Zloty verdienen, gewaltig umstellen.
Das Auto bleibt in der Garage, beschloß Poncyljusz. Stattdessen stieg er auf öffentliche
Verkehrsmittel um. Akribisch studierte er die Sonderangebote von Supermärkten. Die
Krise kam nach zehn Tagen, als ich merkte, daß ich mich nur an zwei Orten aufhalten kann
zu Hause oder bei der Arbeit sagte Poncyljusz und fügte nachdenklich hinzu:
Wie ist das erst für die Leute, die keine Arbeit haben? Auch Gras fiel der
Verzicht auf das soziale Leben am schwersten. Kein Kino, keine Zeitungskäufe, kein Glas
Wein am Abend oder gesellschaftliche Aktivitäten den Alltag in Armut erlebte er
als Tristesse. Das war eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens, meinte
er. Ich blicke jetzt ganz anders auf das Problem von Armut und
Arbeitslosigkeit.
So mancher echte Arme betrachtet die Aktion mit Mißtrauen. Ich kann
nicht fassen, wie viel die für Essen ausgeben! ereiferte sich Danuta Guzinska, als
sie hörte, daß die Politiker 20 Zloty [4,20 uro] pro Tag für Lebensmittel
ausgaben. Vielleicht bringt dieses Experiment sie ja auf den Boden, meinte
sie.
Auch wenn Gras und Poncyljusz meinen, der Staat könne am Problem der Armut wenig ändern,
solange die Wirtschaftslage sich nicht bessere, hat der Monat am Existenzminimum ihren
Blick geschärft. Sie wollen sich für einen Gesetzentwurf einsetzen, der den Abgeordneten
das 13. Monatsgehalt streicht. Gras appellierte außerdem, jeder sollte nach eigenem
Gewissen Verzicht üben. Die Erfahrung eines Lebens, das für hunderttausende Polen Alltag
ist, brachte Poncyljusz die Erkenntnis: Ich möchte so nicht leben und ich
wünsche es niemand anderem.
EVA KRAFCZYK
Quelle: Ostseezeitung (2004-03-02)