Beispielhafte Erinnerungskultur
Wie die Polen ihrer Soldaten gedenken

Von den Medien völlig unbemerkt, setzten die Polen in diesen Tagen ein Zeichen beispielhafter Pietät: Sie widmeten ihren in sowjetischer Gefangenschaft 1940 ermordeten Offizieren eigene Ersttagsbriefe und -karten mit Motiven ihrer Todesstätten in Katyn und Kozielsk. Dazu geben sie noch Sondermarken heraus, welche die „Mutter Gottes von Katyn“ und die „Matka Boza Zwycieska Kozielska“ darstellen. Andachtsbilder versinnbildlichen den Opfergang und die Glaubenshoffnung der todgeweihten Männer und läßt sie zu nationalen Heiligtümern aufsteigen.

Sie besitzen gleichsam die höchste Weihe durch den Pontifex Maximus und sind sichtbarer Ausdruck frommen Patriotismus' aller Polen. Zeigen doch die Aufdrucke auf den Erinnerungskarten den polnischen Papst bei der Segnung und Verehrung der beiden Marienbilder. Sie werden ihm von einem geistlichen Landsmann vorgestellt, der als Überlebender von Katyn seine Rettung mit dem Entschluß zum priesterlichen Dienst dankte. Ein „Deo gratias de profundis“, das den Heiligen Vater sichtlich bewegte und in einer Verbundenheit bestärkte, in deren Nachfolge viele Hinterbliebene toter deutscher Soldaten ihre Landsleute sehen möchten.

Eine Erwartung, der eine selbstgerechte „Vergangenheitsbewältigung“ hierzulande gnadenlos Schuldsprüche entgegenschleudert. Darüber hinaus antwortet sie mit ehrenrührigen Wanderausstellungen.

Statt fürbittenden Gedenkens dominiert erbarmungsloses Verurteilen; in manchen Hirnen nachgeborener Zeitgenossen verkommnen die ehemaligen Angehörigen der Deutschen Wehrmacht gar zu „Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung“. Schauderhafte Höhepunkte vorwaltender Pietätlosigkeit dieser Zeit. Die Moral gleichermaßen wie die Vergangenheit willkürlich in verbindlich und gedenkwürdig aufteilend, verfallen die eigenen Landsleute zumeist dem posthumen Verdikt und ihr Lebensopfer dem kaltherzigenVergessen.

Um so nachsichtiger geht man mit eigenen Unzulänglichkeiten um und weiß für jede Schwäche eine wohlfeile Entschuldigung. Da wird Egoismus zu „Selbstverwirklichung“ und Abtreibung zu „Geburtenregelung“. Für Mitgefühl mit dem Schicksal der Kriegsgeneration bleibt kaum Platz, und die Toten auf den Soldätenfriedhöfen müssen sich mit dem Vergessenwerden abfinden. Ein trauriges Zeugnis deutscher Erinnerungskultur.

Wohl Folge eines Verlustes, vor dem Johannes Paul seine polnischen Landsleute bewahren wollte, als er ihnen kurz nach seiner Wahl zum Nachfolger Petri zu bedenken gab: „Die Vaterlandshebe einigt und muß uns einigen über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg. Sie hat nichts gemein mit einem engen Nationalismus oder Chauvinismus, sie geht aus dem Gesetz des menschlichen Herzens hervor. Sie ist das Maß für den Adel des Menschen.“

Worte, die man jenseits von Oder und Neiße verstand und denen der polnische Papst am Jahresgedächtnis der Blutzeugen von Katyn und Kozielsk persönliches Mitgefühl folgen ließ.

Als Oberhaupt einer Weltkirche in Solidarität mit allen Gläubigen, denen es an der von ihm beschworenen Vaterlandsliebe gebricht.

Alfred Schickel

Deutschland-Magazin 1999-09 September 1999 Seite 39