Gedenken und Ahndung
Schmerzliche Arbeit an der historischen Erinnerung in Polen.

Zunächst war Staatspräsident Kwasniewski gegen die Arbeit des Instituts für Nationales Gedenken, das 1998 nach langer Verzögerung und gegen den Widerstand von seiten der Postkommunisten, aber auch der Politiker anderer Parteien, eingerichtet wurde. Sein Präsident Professor Leon Kieres (Warschau) berichtete im Polnischen Institut in Düsseldorf über die Tätigkeit, die sowohl in der wissenschaftlichen Dokumentation als auch in der gerichtlichen Verfolgung von Tätern besteht, die Verbrechen in der NS-Zeit wie in der kommunistischen Zeit in Polen an Polen, Juden, Deutschen, Roma und Ukrainern begangen haben.

Dafür hat das Institut 1200 Mitarbeiter, u.a. 440 Archivare und 95 Staatsanwälte. Zur Zeit liegen über 12 000 Anträge vor, 1300 Verfahren wurden inzwischen durchgeführt und 32 Täter wegen Verbrechen in der Zeit des Stalinismus verurteilt, allerdings meist zu Bewährungsstrafen. Leon Kieres nannte außerdem 6000 Verfahren wegen NS-Verbrechen und bezifferte die Zahl der kommunistischen Justizmorde auf rund 5000, wobei vor allem Mitglieder der antikommunistischen Heimatarmee (Armija Krajowa AK) verfolgt wurden. Von den daran beteiligten „Juristen“ ist bisher keiner verurteilt worden.

Der Referent übte zugleich scharfe Kritik an den Versuchen in Polen, die Arbeit des IPN-Instituts einzuschränken oder in manchen Bereichen sogar zu beenden. So gab es z. B., wie der Moderator Thomas Urban von der Süddeutschen Zeitung ausführte, den Versuch, die staatsanwaltliche Abteilung unter dubiosen Vorwänden aufzulösen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 22. Januar 2003 darüber. Treibende Kraft ist dabei der postkommunistische Linksbund (SLD), der derzeit mit der Bauernpartei die Regierung stellt. Kieres warf darüber hinaus dem Staatsarchiv vor, die Übergabe von wichtigen Dokumenten bewußt zu verzögern und zu verhindern. Offensichtlich spielt auch die rechtstaatlich bedenkliche Tatsache eine Rolle, daß in Polen der Justizminister zugleich der Generalstaatsanwalt ist, was ihn abhängig von der jeweiligen Regierung macht.

In der Diskussion erfuhren die überwiegend polnischen Teilnehmer, daß jeder Bürger Anfragen an das IPN stellen kann. Im Vergleich zur Arbeit der deutschen Gauck-Behörde in Berlin konnten allerdings bisher viel weniger Anfragen beantwortet werden. Kieres verneinte die vorgebrachte Behauptung, es hätte ein Warschauer Konzentrationslager gegeben, bestätigte jedoch die polnische Täter- bzw. Mittäterschaft an dem durch den amerikanischen Historiker Gross bekannt gewordenen Massaker an der jüdischen Bevölkerung in Jedwabne sowie in den polnischen Lagern für Deutsche in Lamsdorf und Schwientochlowitz. Der Prozeß gegen den Lamsdorfer Kommandanten Geborski kommt wegen ständiger Krankmeldungen des Angeklagten nicht weiter, im Falle des Leiters des Lagers Schwientochlowitz, Samuel Morel, dem zahlreiche Verbrechen zur Last gelegt werden, blockiert Israel die Auslieferung. Er lebt unbehelligt in Jerusalem.

Mehrfach betonte Leon Kieres, daß Verbrechen und Schuld aufgearbeitet werden müssen, um die Menschenrechte zu sichern. Damit diese Arbeit zukünftig auch in Polen weitergeführt wird, rief die Direktorin des Polnischen Instituts, Malgorzata Grudzinska, alle Anwesenden zu entsprechenden Eingaben an das Polnische Parlament auf. Offensichtlich ist vor allem bei den Postkommunisten und den Nationalisten in Polen die Einsicht des Präsidenten Kwasniewski noch nicht allgemein akzeptiert, der erklärte: „Der Vergangenheit kann man nicht entkommen.“


Rüdiger Goldmann (KK)
KK 1163 · 2002-02-20 S. 13

(Hervorhebung in der Textmitte durch ML 2003-11-16)