http://www.german-foreign-policy.com/de/news/article/1065909676.php

Ostverschiebung
BYTOM/WARSZAWA (Eigener Bericht) – Der zunehmende Berliner Druck gegen Polen führt zu Versuchen, die Pressionen in Richtung Osten weiterzuleiten. Ein kürzlich in Bytom gegründeter Verband fordert die Annullierung internationaler Verträge aus dem Jahr 1945 über die Westverschiebung Polens und verlangt „Entschädigungen“ für ehemals polnisches Eigentum in den früheren polnischen Ostgebieten. Betroffen davon sind vor allem die Ukraine und Weißrußland.

Ein soeben in Warszawa erschienenes Rechtsgutachten nährt bestehende Befürchtungen, Berlin habe in den deutsch-polnischen Verträgen von 1990 und 1991 private Entschädigungsforderungen bewußt offengehalten.1) Während maßgebliche Kräfte in der polnischen Hauptstadt versuchen, solche Forderungen abzuwehren2), suchen revisionistische Kreise die befürchteten materiellen Verluste durch entsprechende Restitutionsleistungen der Ukraine und Weißrußlands zu kompensieren.

Entschädigung...
Zur Durchsetzung polnischer Entschädigungsforderungen ist jetzt in Bytom der „Verband der aus den ehemaligen Ostgebieten der Republik Polen Vertriebenen“ gegründet worden. Die Organisation verlangt „volle Wiedergutmachung“ für ehemals polnisches Eigentum in den Gebieten, die 1945 der Sowjetunion zugeschlagen worden waren. „Wir werden nach juristischen Wegen suchen“, so der Gründer des Verbandes, „um die internationalen Verträge von 1945 zu unterminieren, sie als ungültig und nicht erfüllbar anzuerkennen und über rechtliche Möglichkeiten von Entschädigungen durch die Staaten nachzudenken, die rechtswidrig unsere Gebiete und unser Eigentum erhalten haben“.3)

... im Südosten...
Expansionswillige Kreise in Warszawa, die den polnischen Einfluß nach Osten und Südosten ausdehnen wollten, wurden in den 1920er Jahren zeitweise vom Deutschen Reich unterstützt. Strategen des Auswärtigen Amts erwogen, Polen zum Ausgleich für eine deutsche Ostexpansion Territorialgewinne „bis zum Schwarzen Meer“ zuzugestehen. Sie stützten damit die alte polnische Expansionsstrategie der „Rzeczpospolita od morza do morza“ (Republik von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer).

... und im Osten
Vergleichbare Konzepte scheinen derzeit in Konzeptionen polnischer Wirtschaftsexpansion auf. Polen befinde sich im „Zentrum“ einer „Nord-Süd-Achse“ des neuen Europa, die „von den baltischen Staaten bis zum Schwarzen Meer“ reiche, erklärte ein hochrangiger polnischer Diplomat vor wenigen Wochen auf dem Wirtschaftsforum im polnischen Krynica, das als „osteuropäisches Davos“ gilt.4) Derlei Expansionsstreben findet Unterstützung in Deutschland. In wenigen Tagen wird ein polnischer Arbeitgeberverband in Kooperation mit der „Deutsch-Polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft“ eine Konferenz im früher polnischen und heute weißrussischen Grodno abhalten; die Tagung dient der Stärkung des gemeinsamen Wirtschaftseinflusses in Belarus.5)

1) „Den Weg zu Entschädigungen sperren“; Rzeczpospolita 08.10.2003
2) siehe dazu *„Zentrum des Gedenkens“ und *„Potsdam und Versailles“
3) „Der Völkermord und die Kriegsleiden dürfen nicht vergessen werden“. Einstige Bewohner der ehemaligen polnischen Ostgebiete gründen Vertriebenenverband; Deutsche Welle Monitor Ost-/Südosteuropa 10.10.2003
4) La Pologne affirme son rôle de puissance régionale; Le monde 08.09.2003
5) siehe dazu *„Über Polen nach Osten“

siehe auch *„Europa der Vertreibungen“