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Rudi Pawelka Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien e.V.
Wie Polens Außenminister Wladyslaw Bartoszewski die Rechte von Vertriebenen und wie er
deutsch-polnische Geschichte sieht, darüber legte er in einem Interview in der Welt
am Sonntag am 26. August 2001 Zeugnis ab. Die Frage nach der Vorbereitung Polens auf
eventuelle Klagen deutscher Vertriebener auf Rückerstattung beantwortete er so:
Überhaupt nicht. Wenn man solche Ansprüche stellt, muß man erst mal die Grenze
festlegen. Warum nicht 1772 anfangen, beim Angriff Preußens auf Polen, Germanisierung der
polnischen Gebiete, Teilung der polnischen Gebiete, Teilung des polnischen Staates,
Vertreibung der Menschen nach Sibirien? Die Ansprüche sind nicht berechtigt. Die meisten
sind ohnehin keine Vertriebenen, sondern die Kinder und Enkel von Vertriebenen.
Es fällt schwer, auf so viel Ignoranz und Ungereimtheiten mit der gebotenen Sachlichkeit
zu entgegnen. Jeder weiß, daß Preußen Vergleichbares wie die Vertreibung der Deutschen
durch Polen nicht angelastet werden kann, auch konnte kein Deutscher Polen nach Sibirien
vertreiben. Selbst wenn die abenteuerlichen Aussagen des Außenministers als richtig
unterstellt würden, was sie ja nun wirklich nicht sind, wären derartige Geschehnisse
heute ohne Belang. Kein Deutscher, geschweige denn Deutschland, hält heute einen Polen
von seinem Besitz fern oder läßt ihn nicht in seine Heimat zurückkehren. Es gibt also
kein Problem polnischer Anspruchsberechtigter gegenüber Deutschland, denn die
bezeichneten Gebiete gehören seit langem zu Polen. Was soll der absurde Exkurs in die
Geschichte?
Bartoszewski hält aber auch die Ansprüche nicht für berechtigt. Das für einen
demokratischen Rechtsstaat selbstverständliche Erbrecht will er nicht kennen. Welches
Verständnis über Menschenrechte und welches Demokratieverständnis wird hier offenbart?
Auf dem Weg zu einer europäischen Wertegemeinschaft müssen bei diesem Außenminister
wohl noch einige Grundansichten verändert werden. Zu stark macht sich nationalistisches
Denken immer wieder bemerkbar. Bartoszewski, bei uns gern als Mann des Ausgleichs und der
ausgestreckten Hand gesehen, versetzt uns nicht zum ersten Mal in Erstaunen. Selbst in
seiner viel gelobten Rede vor dem Deutschen Bundestag am 28. April 1995 konnte er es nicht
unterlassen, die Grenze an Oder und Neiße als Existenzfrage für die Polen und ihren
Staat zu erklären. Lebensraumthese auf polnisch! Es ist eine der Merkwürdigkeiten der
heutigen Zeit, daß nationalistische Töne dieser Art bei uns gar nicht registriert
werden, wenn sie denn von einem Ausländer kommen. Noch warten wir auch auf eine
Entschuldigung Polens an die Adresse der deutschen Vertriebenen.
Wir beklagen das individuelle Schicksal und die Leiden von unschuldigen Deutschen,
die von den Kriegsfolgen betroffen wurden und ihre Heimatverloren haben, so
Bartoszewski in derselben Rede am 28. April 1995 vor dem Bundestag. Was von vielen als
Geste der Versöhnung und des Eingeständnisses der Vertreibungsverbrechen bejubelt wurde,
kann indes nicht zufriedenstellen. Man denke an den Aufschrei, der eingesetzt hätte, wenn
ein deutscher Politiker die Opfer der NS-Diktatur nur beklagt hätte, aber eine
Entschuldigung verweigern würde. Auch dieses Beispiel zeigt, wie schnell ausländische
Politiker bei uns schöngeredet werden, und uns noch ein langer Weg bevorsteht, ehe im
zusammenwachsenden Europa annähernd gleiche moralische Maßstäbe gelten und
nationalistische Denkweisen ausgeräumt sind.
Polens Außenminister sei angeraten, endlich einen Schritt auf die Vertriebenen zuzugehen
und ein Zeichen zu geben, daß Polen sich seinerVergangenheit stellt. Nur so werden
Probleme beiseitegeräumt, die unsere Zukunft belasten. Es wäre gut, wenn die
hoffnungsvollen Ansätze polnischer Intellektueller zurAufarbeitung der Vertreibung der
Deutschen auch Eingang fänden bei der polnischen Regierung.