Beitrag aus der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Nr. 99 PR/WR Seite 5 von 2000-04-28:

Das Herder-Institut in Marburg

Ein Mekka der Osteuropa-Forschung

Das Herder-Institut in Marburg wird am Sonntag 50 Jahre. Es gilt als einzigartiger Dienst für historische Ostmitteleuropa-Forschung.
Luftaufnahmen von zerbombten Städten, Zeitungen wie Trybuna Ludu und Polityka sowie wertvolle Dokumente aus dem Baltikum: Das Herder-Institut, Deutschlands einzigartiger Dienstleister für historische Ostmitteleuropa-Forschung, feiert am 30. April sein 50jähriges Bestehen.
Das prächtig gebundene "Brüderbuch der großen Gilde zu Riga" gehört zu den Schätzen des Instituts auf dem Marburger Schloßberg. Es handelt sich um ein wertvolles Unikat über die einstigen Großkaufleute der Ostseestadt, das 1940 bei der Umsiedlung von Deutschbalten mitgenommen wurde. Gleichzeitig waren etwa 800000 Mikroaufnahmen von Urkunden und Akten aus den Behörden und Institutionen Est-, Liv- und Kurlands angefertigt worden, die in der Nachkriegszeit nach Marburg gelangten. Heute bilden die Dokumente aus dem Baltikum einen Schwerpunkt im Herder-Institut, das erst kürzlich das wichtige "Kopienarchiv Reval" erhielt. Zu ihm gehören 140 Regalmeter mit Archivalien, die die Geschichte des Hanse- und Ostseeraumes belegen.
Seit seiner Gründung am 30. April 1950 hat sich das Institut stark verändert. Ins Leben gerufen von Historikern und Sozialwissenschaftlern aus den deutschen Ostgebieten, trug es während des Kalten Krieges dazu bei, den moralischen und rechtlichen Anspruch auf die verlorenen Gebiete zu legitimieren. Nach Einschätzung von Institutsdirektor Eduard Mühle begann die Einrichtung erst in den 60erjahren, sich "von den fortwirkenden Traditionen einer stark deutschtumsgeschichtlich verengten Deutung ostmitteleuropäischer Geschichte zu lösen". Inzwischen hat sie sich zu einer vom Wissenschaftsrat gelobten Service-Einrichtung für die Forschung entwickelt.
Seitdem steigen auch die Besucherzahlen. Studierende, Wissenschaftler und Privatleute auf der Suche nach ihren biografischen Wurzeln besuchen Bibliothek, Dokumentensammlung und Pressearchiv. Geografisch erstreckt sich das Arbeitsgebiet auf die heutigen Staaten Polen, Tschechien, Slowakei, Estland, Lettland und Litauen.

Mehr als 50 Menschen arbeiten in den beiden durch einen Neubau verbundenen Villen auf dem Marburger Schloßberg. Sie betreuen die wissenschaftliche Spezialbibliothek mit ihren 340 000 Bänden. Sie kümmern sich um das ungewöhnliche Pressearchiv, in dem seit 1952 regelmäßig rund 200 Tages-, Wochen-, Regional- und Fachzeitungen aus Ostmitteleuropa abonniert wurden. Eine halbe Million Fotos, Dias und Filme beherbergt das Bildarchiv, das Siedlungen, Landschaften und Menschen zeigt sowie den Denkmalbestand von Niederschlesien dokumentiert. Dazu kommen eine umfangreiche Postkartensammlung sowie 30 000 historische und aktuelle Atlanten.
Einmalige Zeugnisse sind die 6 300 Luftaufnahmen, die die deutsche Luftwaffe von 1942 bis 1945 zu militärischen Zwecken anfertigte, und die zum Jubiläum in einer Ausstellung zu sehen sind (bis 29. September: Montag bis Freitag von 8 bis 17.30 Uhr). Sie zeigen die Agrarstruktur vor der Kollektivierung, aber auch Kasernen, Kriegsgefangenenlager und Verteidigungslinien. Besonders eindringlich sind Fotos, die direkt vor und nach Bombardierungen aufgenommen wurden – mittelalterliche Stadtkerne, eben noch vollständig, plötzlich in rauchenden Trümmern. (zgc)

Tag der Offenen Tür am 6. Mai 2000

Postanschrift: Herder-Institut, Gisonenweg 5 – 7, D-35037 Marburg,

Ruf 06421-1840, Bild 06421-184-139

Adresse im Weltnetz: www.uni-marburg.de/herder-institut

e-Post: herder@mailer.uni-marburg.de