Berichter: Dr. med. Carl Grimm
Das tschechische Konzentrationslager 28 bei Maltheuern wurde Anfang Juni 1945 durch
zwei Transporte mit fünfhundert Brüxern von der Razzia am 2. 6., durch zwei Transporte
mit achthundert Saazern von der Razzia am 3. 6. und durch einen Transport mit zweihundert
Komotauern von der Razzia am 9. 6. eröffnet, während das Gros der Komotauer in das
gegenüberliegende Lager 27 kam. In den Monaten August bis Oktober gingen davon vier
Invalidentransporte mit zusammen vierhundert Mann ab, welche mit Autobussen über die
sächsische Grenze nach Deutschland evakuiert wurden. Dafür kamen in den Monaten August
und September siebzig Brüxer von der Verhaftungswelle am 1. 8., siebzig Aussiger aus dem
Lager Lerchenfeld, zweihundert Karlsbader und zweihundert volksdeutsche SS-Männer aus
Ungarn dazu. Durch diese Zu- und Abgänge hielt sich der Stand die ganze Zeit zwischen
fünfhundert und dreizehnhundert Mann. Es war ein großes Barackenlager, das ringsum von
einem hohen Stacheldrahtzaun umschlossen wurde und in zwei symmetrische Hälften mit je
einer zentralen Wasch- und Abortanlage unterteilt war, welche wir das obere und das untere
Dorf nannten. Jedes Dorf bestand aus der gleichen Anzahl Holzbaracken, jede Baracke
enthielt zahlreiche Stuben und jede Stube war mit zweistöckigen Holzpritschen
vollgestopft, durchschnittlich faßte jede Stube über dreißig Mann. In der ersten Zeit
gab es im unteren Dorf noch ein riesiges Plachenzelt, welches über zweihundert Mann
faßte und in seiner Anlage einem Zirkus ähnlich sah, später aber abgetragen wurde.
Grauenhaft waren die Untaten der tschechischen Machthaber an den deutschen Gefangenen. Im
Monat Juli wurden fünfzehn Kranke mit Lungentuberkulose, welche zu einem
Invalidentransport zusammengestellt waren, von einem russischen Militärkordon unter dem
Befehl eines Offiziers erschossen, wofür als Begründung Verhütung einer Epidemie
angegeben wurde. Im Monat August wurde vor der angetretenen Belegschaft des ganzen Lagers
ein Sträfling von einem tschechischen Militärkordon erschossen, weil er im Hydrierwerk
angeblich aus einem Treibriemen ein Stück herausgeschnitten hatte, um sich daraus
Schuhsohlen zu machen, was als Sabotage ausgelegt wurde. Kadle Vlasak schoß seinem
Hofnarren in den Kopf, als er ihm zum Spaß den Zylinderhut vom Kopf schießen wollte und
als der Erschossene bereits im Sarg lag, gab er ihm noch zwei Schüsse in das Herz, weil
er nicht ganz tot war.
Am furchtbarsten und demütigendsten waren die ständigen Prügel. Die Prügel fingen
schon bei der Einlieferung ins Lager an. Es wurde den Eingelieferten zuerst alles
abgenommen, darauf wurden sie glatt rasiert, geschoren und geprügelt und dann mußten sie
stundenlang in der prallen Sonnenglut an einer gegenüberliegenden Mauerwand stramm
stehen, welche wir deshalb die Klagemauer nannten. Prügel gab es mit der Faust, der
Peitsche und mit dem Gummikabel. Prügel gab es bei Tag und bei Nacht, keine Nacht war
Ruhe, jede Nacht kam es zu Prügel, Geschrei, Peitschen- und Schüsseknallen. Nachts
drangen Tschechen von auswärts in das Lager ein, die Gefangenen wurden von ihren
Pritschen geholt und bis zur Bewußtlosigkeit geprügelt. Dann wurde den Bewußtlosen
Salzwasser in die Augen geschüttet und die Schnurrbarthaare und Augenwimpern mit
brennenden Streichhölzern angezündet, bis sie wieder zu sich kamen, und dann wurden sie
weiter geprügelt, bis die Peiniger vor Erschöpfung nicht mehr konnten oder die
Gequälten mit dem letzten Stöhner verendeten. Die Prügelorgien bestanden aus einem
raffinierten Foltersystem. Die Gefangenen wurden zuerst mit Ohrfeigen, Faustschlägen und
Gummikabel in das Gesicht, auf den Kopf und den Körper geschlagen und mit Fußtritten und
Kniestößen in den Bauch, den Hoden und gegen die Schienbeine getreten, bis sie
zusarnmenbrachen, dann stiegen die entmenschten Tschechen auf die liegenden Körper und
traten und sprangen mit den Stiefeln darauf herum. Ein besonderer Sport bestand darin,
daß die Männer den Kopf in die Hundehütte stecken mußten und von rückwärts auf das
nackte Gesäß geprügelt wurden. Unvergeßlich bleibt mir die Szene, wie halbnackte
Menschen im Staube kriechen und Gras raufen mußten, indessen der tschechische
Sklavenhalter in ihrer Mitte mit der Peitsche über die nackten Leiber knallte. Zu den
Prügeln kam der Hunger und die schwere Arbeit. In der ersten Zeit hatten die Gefangenen
nicht einmal Wasser und Brot, sondern Wassersuppe und schwarzen Kaffee, also buchstäblich
nur warmes Wasser. Im Lager gab es drei Mahlzeiten, früh vor dem Ausrücken schwarzen
Kaffee, abends nach dem Einrücken Wassersuppe und vor dem Schlafengehen noch einmal
schwarzen Kaffee. Später erhielten die Gefangenen, welche im Hydrierwerk arbeiteten, dort
zu Mittag eine Kartoffelsuppe und ein Stück Brot und dieses Mittagessen erschien den
verhungerten Sträflingen so begehrenswert, daß sie sich trotz der Erschöpfung allgemein
zu der Arbeit im Werk drängten. Die Gefangenen standen in den Stalinwerken (Hydrierwerk)
in Arbeit. Sie hatten ein Tagewerk von achtzehn Stunden und sechs Stunden Schlaf; früh um
4 Uhr Tagwache, dann erfolgte der Abmarsch in zwei Partien um fünf und sechs Uhr, die
Arbeitszeit betrug zwölf Stunden, zwei Stunden erforderte der An- und Abmarsch, die
Rückkehr erfolgte wieder in zwei Partien um sieben und acht Uhr. Täglich wälzte sich
die Marschkolonne der fünftausend 27- und 28er nach Maltheuern und zurück, voraus die
28er, glatt geschoren und glatt rasiert, elende ausgemergelte Gesichter und Gestalten, mit
klappernden Holzlatschen und Fetzen am Leib, Sommer wie Winter ohne Mantel und Mütze, auf
der Brust die Sträflingsnummer, auf dem Rücken ein großes weißes Hakenkreuz und KT 28.
Aber mit dem Einrücken war das Tagewerk nicht erledigt, dann mußten die Gefangenen noch
im unteren Dorf antreten, exerzieren, in Marschkolonne marschieren und dazu deutsche
Lieder singen: Freier Wildbretschütz, Westerwald, Blaue Husaren. An der Spitze der
Kolonne marschierte der Hofnarr mit einem alten Zylinderhut und ein anderer mit einer
alten preußischen Pickelhaube auf dem Kopf. Der Tygr kommandierte, Antreten, Abtreten,
Marsch, Halt, Schub-Schub, plötzlich fing er an zu brüllen und knallte Revolverschüsse
unter die Füße und über die Köpfe, daß die Masse Menschen mit den klappernden
Holzlatschen irr hin- und herhetzte. So kamen die Gefangenen um zehn Uhr nachts zum
Schlafen, ihr Leben bestand aus Prügel, Hunger und Arbeit, Arbeit, Hunger und Prügel.
Kadle Vlasak war der velitel (Lagerkommandant). Der Vorname Karel wird im tschechischen
Dialekt Kadle gesprochen, nach seinem Lieblingswort hieß er auch Schub-Schub, er selbst
nannte sich mit Vorliebe Tygr (Tiger), bei den Sträflingen hieß er die Bestie von 28. Es
war ein schauerlicher Anblick, wenn er mit dem Revolver in der einen und der
neunschwänzigen Nagaika in der anderen Hand durch das Lager tobte. Sein Lieblingssport
war es, jeden Sträfling mit einer Ohrfeige umzulegen. Dazu hatte er eine besondere
Technik, indem er nach der Ohrfeige mit dem ganzen Arm nachschob, sodaß der
strammstehende Häftling die schmale Standfläche verlor und stürzte. Wer das erfaßt
hatte, kam mit einer Ohrfeige davon, aber wer das mißverstand, sich zusammenriß und
Haltung bewahren wollte, dem ging es schlecht. Dann wurde der Tygr bös und trat dem
Sträfling mit dem Knie und Stiefelabsatz in den Bauch und die Hoden, bis er am Boden lag.
Und dann fühlte er sich stolz wie ein Boxer im Ring und die herumstehenden Tschechen
johlten und klatschten ihm Beifall. Das war Kadle, die Bestie von 28.
Anfang Oktober wurde das Militär von der Lagerwache abgelöst und durch Gendarmerie (SNB)
ersetzt. Die jungen Gendarmen waren anständiger und die Prügel im Lager ließen nach.
Kadle Vlasak wurde verhaftet und in das Kreisgericht nach Brüx eingeliefert, aber nicht
wegen seiner Untaten an den deutschen Gefangenen, sondern wegen Veruntreuung von Geld und
Wertgegenständen, welche er den Gefangenen abgenommen, aber nicht abgeliefert hatte. Es
kam ein neuer Lagerkommandant, namens Rezac, welcher nur nach außen den wilden Mann
markierte, im Grunde aber anständig war. Leider waren seine Helfershelfer nicht
anständig, der Schleicher Rames und der Schlächter Kulisek. Der Stacheldrahtzaun um das
Lager wurde verdoppelt und in einem aufgelassenen Luftschutzkeller wurde ein
unterirdischer Bunker eingerichtet, in welchem die Sträflinge wegen jeder Kleinigkeit
eingesperrt wurden, wobei sie tagsüber im Hydrierwerk arbeiten und die Nacht bei jeder
Kälte und ohne jedes Essen in dem unterirdischen Bunker zubringen mußten. Oft drangen
Wachmannschaften in den Betonkeller ein, vollführten unter den Gefangenen Prügelorgien
und schossen in den engen Kellerräumen herum. Im Januar 1946 wurde der Sträfling Kramár
erfroren darin aufgefunden, nachdem er die Nacht in Ketten geschlossen dort zugebracht
hatte. Die Arbeitszeit blieb die gleiche, zwölf Stunden Arbeit und zwei Stunden An- und
Abmarsch, aber wenigstens hörte das Exerzieren auf und die Gefangenen bekamen ihre
Nachtruhe.
Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen, Überlebende
kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher
Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald