Quelle: Bernatzik, Edmund: Die österreichischen Verfassungsgesetze mit Erläuterungen. 2. Auflage. Wien 1911.
Zitiert nach Horst Glassel: „Nationale Autonomie im Vielvölkerstaat. Der Mährische Ausgleich" München 1977.

Mährisches Landesgesetz vom 27. November 1905, LGBI. Nr. 3 von 1906, wirksam für die Markgrafschaft Mähren und die mährischen Enklaven in Schlesien, betreffend die Regelung des Gebrauches beider Landessprachen bei den autonomen Behörden.

Mit Zustimmung des Landtages Meiner Markgrafenschaft Mähren finde Ich anzuordnen wie folgt:

§ 1. Der Gemeindevertetung bleibt es vorbehalten, ihre Amts- oder Geschäftssprache für alle Angelegenheiten des selbständigen und übertragenen Wirkungskreises zu bestimmen. Dieselbe bestimmt sonach mit Vorbehalt der in den §§ 2, 3 und 4 dieses Gesetzes enthaltenen Anordnungen, ob die der Gemeinde zustehenden Geschäftsführungen bloß in einer Landessprache durchgeführt oder aber ob und in welchem Maße hiebei die zweite Landessprache angewendet werden soll.

§ 2. Schriftliche, an die Gemeinden einlangende Eingaben sind auch dann anzunehmen und in Verhandlung zu nehmen, wenn dieselben in jener Landessprache abgefaßt sind, welche nicht die Amts- oder Geschäftssprache der Gemeinde ist. Die Gemeinde ist berechtigt, ausgenommen die im § 3, Absatz 2, angeführten Fälle, solche Eingaben an den Landesausschuß zur kostenfreien Übersetzung einzusenden.

§ 3. Der Gemeinde steht es in der Regel frei, alle an dieselbe einlangenden Eingaben in ihrer Amts- oder Geschäftssprache zu erledigen.

In Städten, welche ein eigenes Statut haben, sind die Gemeindeorgane verpflichtet, die an dieselben als politische Behörden erster Instanz in Angelegenheiten der Parteien einlangenden schriftlichen und mündlichen Eingaben in jener Landessprache zu erledigen, in welcher dieselben eingelangt sind. In anderen Gemeinden und auch in Gemeinden mit eigenem Statute in Betreff des selbständigen sowie übertragenen Wirkungskreises tritt diese Verpflichtung nur dann ein, wenn wenigstens ein Fünftel der Einwohnerzahl jene Landessprache gebraucht, welche nicht die Amts- oder Geschäftssprache dieser Gemeinde ist. Ausgenommen sind jene Anstalten und Gemeindeangelegenheiten, weiche ausschließlich nur eine Nationalität betreffen.

§ 4. Den einzelnen Mitgliedern der Gemeindevertretung steht es frei, in ihren Sitzungen die eine oder die andere Landessprache zu gebrauchen.
Die Leitung der Verhandlung, die Protokollierung der Verhandlung, der gestellten Anträge und gefaßten Beschlüsse (§ 47 Gemeindeordnung) erfolgt jedoch in der Amts- oder Geschäftssprache der Gemeinde.

§ 5. Dem Straßenausschusse bleibt es vorbehalten, seine Amts- oder Geschäftssprache zu bestimmen.
Er bestimmt daher unter Vorbehalt der Bestimmungen der §§ 6, 7 und 8 dieses Gesetzes, ob nur eine der beiden Landessprachen als seine Amts- oder Geschäftssprache zu dienen oder ob und in welchem Maße bei Behandlung seiner Geschäfte auch die andere Landessprache in Verwendung zu kommen habe oder endlich, ob beide Landessprachen als Amts- oder Geschäftssprache des Straßenausschusses zu dienen haben.

§ 6. Schriftliche Eingaben, welche an den Straßenausschuß von wem immer einlangen, sind auch dann anzunehmen und in Verhandlung zu ziehen, wenn dieselben in jener Landessprache abgefaßt sind, weiche nicht als Amts- oder Geschäftssprache des Straßenausschusses dient. Der Straßenausschuß ist berechtigt, solche Eingaben an den Landesausschuß zur kostenfreien Übersetzung einzusenden.

§ 7. Es steht dem Straßenausschusse in der Regel frei, alle an ihn gelangenden Eingaben in seiner Amts- oder Geschäftssprache zu erledigen. Er hat jedoch mit den Gemeinden seines Bezirkes in ihrer Amts- oder Geschäftssprache zu verkehren und ist demnach, wenn die Amts- oder Geschäftssprache wenigstens einer Gemeinde seines Bezirkes eine andere ist als die Amts- oder Geschäftssprache des Straßenausschusses, verpflichtet, alle an ihn aus den anderssprachigen Gemeinden seines Bezirkes einlangenden Eingaben in jener Landessprache zu erledigen, in welcher dieselben abgefaßt sind. Der Straßenausschuß ist berechtigt, solche Eingaben an den Landesausschuß zur kostenfreien Übersetzung einzusenden.

§ 8. Den einzelnen Mitgliedern des Straßenausschusses steht es frei, sich in den Sitzungen der einen oder anderen Landessprache zu bedienen. Die Leitung der Verhandlung, die Protokollierung der Verhandlung, der gestellten Anträge und gefaßten Beschlüsse erfolgt jedoch in der Amts- oder Geschäftssprache des Straßenausschusses.

§ 9. In Städten, welche ein eigenes Statut haben, haben sämtliche Kundmachungen derselben als politische Behörden erster Instanz ausnahmslos, dagegen in allen sprachlich gemischten Gemeinden, wenn bei denselben die Bedingungen des § 3 zutreffen, im selbständigen sowie übertragenen Wirkungskreise in beiden Landessprachen zu geschehen. Ausgenommen sind jene Anstalten und Angelegenheiten, welche aus schließlich nur eine Nationalität betreffen.

§ 10. Der Landesausschuß gebraucht beide Landessprachen als Amts- und Verhandlungssprachen. Er verkehrt in der Regel mit den Gemeindevertretungen und den Straßenausschüssen in ihrer Amts- oder Geschäftssprache. Von dieser Regel werden Ausnahmen bei Erledigung von Angelegenheiten der Parteien dann zugelassen, wenn die Eingabe der Partei nicht in jener Landessprache abgefaßt ist, welche die Amts- oder Geschäftssprache der niederen autonomen Instanz ist. Die Erledigungen des Landesausschusses in Parteiangelegenheiten sind an die Gemeinde in deren Amts- oder Geschäftssprache, an die Partei, von welcher die Eingabe ausgegangen ist, in der Sprache der Eingabe an den Landesausschuß, an die übrigen Interessenten in deren bekannter oder vermuteter Sprache zuzustellen. Der unmittelbare Verkehr des Landesausschusses mit den einzelnen Parteien geschieht in jener Landessprache, in welcher ihre Eingabe abgefaßt ist.

§ 11. Die Gemeinden und Straßenausschüsse bedienen sich in ihrem Verkehre mit den Staatsbehörden ihrer Amts- oder Geschäftssprache.

§ 12. Mein Minister des Innern ist mit der Durchführung dieses Gesetzes beauftragt.