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Der Brünner Todesmarsch
Übersetzung aus der Zeitschrift
KVETY (Blumen) Nr.39/2000
[früher: KVETY CESKE]

kvety39.gif (100335 Byte)

"Diese Nation hat aufgehört, (...) für die Menschheit erträglich zu sein und offenbart sich uns (...) als eine menschliche Mißbildung... . (Dieses) Problem müssen wir in der Republik definitiv ausliquidieren." Diese Worte kommen nicht aus dem Munde Adolf Hitlers und handeln nicht von Juden, wie es einem erscheinen mag. So sprach der tschechoslowakische Präsident Eduard Benesch, und es betraf dreißig Prozent der Bürger der tschechoslowakischen Republik, die tschechischen Deutschen. Mit seinen Worten öffnete er die Hölle, die für immer die tschechische Geschichte beschmutzte.

Nach der März-Besetzung von Böhmen und Mähren kam es im industriellen Brünn zu keinerlei ausgeprägten Widerstandskundgebungen. Das ist nicht verwunderlich, versorgten doch die Brünner Maschinenfabriken Hitlers Militär mit Waffen, und den Arbeitern der Waffenwerke (Zbrojovka) und denen anderer Fabriken ging es während der Protektoratszeit wesentlich besser als der restlichen Bevölkerung. Die statistischen Zahlen sind klar: Bis in das Jahr 1940 meldeten sich wegen besserer Arbeitsbedingungen 120 000 tschechische Arbeiter zur Arbeit im Reichsgebiet.

Das Reisebüro kam gar nicht nach mit der Ausstellung der Dokumente für die Tschechen, die begeistert abfuhren, um an Hitlers Großmacht mitzubauen.

Erschrecken – bis zum Tode.
Nach der Niederlage der Nazisten und nach Beneschs Aufruf zur kollektiven Liquidierung der Deutschen vergaßen die Arbeiter allerdings schnell den Elan, mit dem sie Waffen für die Nazis erzeugt hatten. Mögen die Motive auch welche immer gewesen sein, bei dem legendären Brünner Todesmarsch glühte lang unterdrückter Haß auf; nicht nur gegen Nazis, die übrigens am Todesmarsch gar nicht teilnahmen, sondern vorzugsweise gegen deutsche Kinder, Frauen und alte Menschen. In Brünn entstanden einige Konzentrationslager, in die Deutsche, nur mit dem, was sie in der Hand tragen konnten, gejagt wurden. Dort wurden sie geschlagen, gefoltert und die Frauen vergewaltigt. Selbsternannte Aufseher sollen eine so unglaubliche Brutalität ausgeübt haben, daß häufig nicht nur Tschechen, sondern auch russische Soldaten zur Verteidigung der Deutschen eingriffen. Überlebende der vertriebenen Deutschen erinnern sich, daß sich die Russen zu den dezimierten deutschen Frauen, Greisen und Kindern wesentlich ordentlicher benahmen als tschechische Zivilisten (ihr Mitgefühl erstreckte sich leider Gottes nicht auf zwölfjährige Mädchen, die von den siegreichen Sowjets massenhaft vergewaltigt wurden).

Mit der deutschen Bevölkerung gingen die selbsternannten Rächer sehr ähnlich um wie die Serben mit den Kosovaren oder Kroaten und die Russen mit den Tschetschenen. Es ging nur um eines: Zu erreichen, daß das Entsetzen und das Grauen für die unerwünschte Bevölkerung so fürchterlich wird, daß ihr das Verjagen aus dem Land ihrer Herkunft – ohne Besitz, Geld und Ehre – wie ein Himmelsgeschenk vorkommen sollte. Und das gelang.

Sollten die Brünner Deutschen allerdings gemeint haben, daß der erzwungene Exodus, auf den sie sich am 30. Mai 1945 in Richtung österreichische Grenze begeben mußten, ihrem Leiden ein Ende bereiten würde, irrten sie. Das Schlimmste erwartete sie noch. In dem einige Kilometer langen Zug befanden sich keine Männer, die man hätte verdächtigen können, daß sie mit der Waffe in der Hand dem tschechischen Volk geschadet hätten. Die arbeitstauglichen Deutschen wurden ohnehin in den Lagern festgehalten und wurden erst später abgeschoben. An dem Todesmarsch nahmen in der Tat nur verelendete und zusammengedroschene Greise, Frauen und halb verhungerte Kinder teil, die bald begannen, erschöpft in den Graben zu fallen, wo "tapfere" Wächter, oft noch in der Pubertät, sie mit Pistolen erschlugen und ihren verzweifelten Müttern ins Genick schossen.

Bei dieser elementaren Vertreibung gelangten irrtümlich auch Tschechen in den Strom der Verjagten, weil sie einen deutschen Namen hatten. Sofern sie den Transport überlebten, kehrten sie kurz darauf nach Hause zurück; Juden allerdings, die nach der Rückkehr aus den Konzentrationslagern gerade erst ein paar Stunden in Brünn verbracht hatten und die sich erneut in einem Haufen fanden, der ihrer ersten Verschleppung glich, kehrten auch nicht in die Heimat zurück.

Kurzsichtige Gerechtigkeit
Damit wir nicht der Auffassung Beneschs von Kollektivschuld beitreten, müssen wir uns auch an die Menschen erinnern, aus denen die Gelegenheit keine Ungeheuer machte. Viele Einwohner Brünns versuchten, die in Ungnade gefallenen Mitbürger vor dem Bestehlen und den Quälereien zu schützen. Sie riskierten, daß sich die hysterische Menge der Rächer gegen sie kehrte, und häufig wurde ihnen ein Wort des Mitgefühls oder ein geschenkter Brotleib mit einem "blauen Auge" vergolten. Einige tschechische Jugendliche sollen ermüdete deutsche Kinder auf dem Rücken getragen haben; weiter als bis zur Stadtgrenze konnten sie ihnen allerdings nicht helfen.

Es ist auch nicht wahr, daß alle, die Greueltaten während der Vertreibung begingen, der Strafe dank des schandhaften Dekrets Nr. 115/45 (siehe Kalendarium) entgingen. In den Jahren 1946 bis 1949 kam es zu einer Reihe von Prozessen, in denen die Beklagten für Verbrechen, die sie an der deutschen Bevölkerung begangen hatten, verurteilt wurden. Der gerechten Strafe entging nicht einmal der frühere Häftling des Theresienstädter Konzentrationslagers, der an deutschen Zivilisten, die vor der Abschiebung in der "Kleinen Festung" interniert waren, solche Bestialitäten ausübte, daß ihn das Gericht im Jahre 1948 für 20 Jahre ins Gefängnis schickte.

Sicher ist allerdings, daß eine Reihe von Richtern den Amnestie-Erlaß zur Strafmilderung für die Schuldigen ausnützte, was nicht nur der Nachsicht der tschechoslowakischen Regierung entsprang, sondern auch einem tiefen und sicher gegründeten Nachkriegshaß gegen die Deutschen.

Zuzana Brhelová

Kalendarium:

1945
Im Mai wurde mit der Organisation und Durchführung des Brünner Todesmarsches der Kommandant der SNB für Mähren, Bedrich Pokorný beauftragt, ein ehemaliger Soldat und deutscher Kollaborant.

Im Juni erließ der Präsident ein Dekret zur Bestrafung nazistischer Verbrechen und Errichtung von Sondergerichten. Die dort ausgesprochenen Strafen wurden zwei Stunden nach Urteilsverkündung öffentlich vollstreckt.

In Potsdam endete die Konferenz der Siegermächte, die die Staaten mit deutscher Bevölkerung aufrief, Transfers unter humanitären Gesichtspunkten durchzuführen. Die wilden Vertreibungen endeten.

1946
Das Dekret Nr. 115 stellte fest, daß Handlungen (...) vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 (...) die der berechtigten Vergeltung für Taten der Okkupanten (...) dienten, nicht strafbar sind, auch wenn sie ansonsten (...) strafbar gewesen wären.

Zwei Bildunterschriften lauteten:
Soweit sie keine antifaschistische Gesinnung nachweisen konnten, wurden die Deutschen vor der Vertreibung in Lagern versammelt. Im Verlauf der organisierten Abschiebung (nach dem September 1945) wurden aus der Tschechoslowakei 1 222 628 Einwohner in die amerikanische Besatzungszone und 633 984 in den russischen Bereich ausgesiedelt.

Die wilde Vertreibung der Deutschen wurde mit Kriegsgreueln fortgesetzt. Diesmal rächten sich die "Sieger". Tschechoslowakische Bürger ermordeten in den ersten Monaten nach Kriegsende 25000 Deutsche oder jagten sie zu Tode; 6 000 Deutsche wurden direkt erschlagen, 5 500 Deutsche verübten Selbsttötung, und der Rest verendete als Folge unmenschlicher Leiden bei den wilden Vertreibungen.

Nachbemerkung:
Die Illustriertenseite wurde mir auf Umwegen von einer Zeitzeugin aus Brünn zur Verfügung gestellt. Für die Übersetzung danke ich meinem alten Brünner Freund "ep".
Die Richtigkeit der in den Bildunterschriften genannten Zahlen zweifle ich an. Dazu hat die Sudetendeutsche Landsmannschaft auf ihrer Netzseite www.sudeten.de wesentlich zuverlässigere Angaben veröffentlicht.
ML 2001-03-09