kouril01.jpg (43268 Byte) Jan Kouril
Am 21. Mai 1951 eröffnete das Karlsruher Schwurgericht die Hauptverhandlung gegen den neununddreißig Jahre alten tschechoslowakischen Staatsangehörigen Johann Kouril aus Lispitz. Die 29 Seiten umfassende Anklageschrift bezichtigt Kouril eines Mordes, mehrerer Totschläge, Körperverletzungen und Mißhandlungen an wehrlosen Sudetendeutschen. Der Angeklagte hat in den tschechischen Internierungslagern Kaunitz-Kolleg, Kleidovka und Julienfeld in der Zeit vom Mai 1945 bis Herbst 1946 diese Verbrechen begangen und war dort stellvertretender Lagerkommandant.

Kouril bestritt hartnäckig jede Schuld und leugnete alle von den 51 Zeugen vorgebrachten Anschuldigungen. Er sagte aus, daß sich die Heimatvertriebenen verschworen hätten, gemeinsam gegen ihn vorzugehen. Er behauptete auch, nicht genügend Deutsch zu verstehen, obzwar er jahrelang in deutschen Dienststellen gearbeitet hatte und verlangte einen Dolmetscher, der ihm auch bewilligt wurde.

Der Vorsitzende Dr. Ernst ermahnte alle Zeugen, sich nicht von den Gefühlen der Rache und Erbitterung leiten zu lassen, sondern einzig und allein die reine Wahrheit auszusagen.

Aus den Zeugenaussagen, die wir hier nicht alle wiedergeben können, kam nochmals die schreckliche Leidenszeit zum Ausdruck, die unsere Landsleute in den berüchtigten Lagern mitmachen mußten. So sei z. B. der Tagesdurchschnitt an Toten im Lager Kleidovka 17 gewesen, auch Fleckfieber und Typhus hatten viele Opfer gefordert.

So mußte unter anderen der ehemalige Beamte Bl. jede Nacht die Toten aus dem Kaunitzkolleg heraustragen und sagte aus, daß von 3 000 Insassen des Lagers über 1 300 Personen umgebracht wurden. Elektromeister Josef Z. sagte aus, wie ihm Kouril alle Zähne ausgeschlagen hatte. Einige Stunden nach dieser Mißhandlung wurde er auf einen Stuhl gebunden, um ihn wie eine Kugel die Treppe hinunter rollen zu lassen.

Die erschütterndsten Aussagen wohl des ganzen Prozesses wurden über den Tod von Landsmann Norbert Beinhauer gemacht, der im Lager Kleidovka von Kouril und den übrigen tschechischen Wachmannschaften so mißhandelt wurde, daß es an seinem Körper keine Stelle gab, die nicht blutunterlaufen gewesen wäre. Als eine Rote-Kreuz-Kommission zur Besichtigung des Lagers angemeldet war, wurde Beinhauer in einen alten Militärspind gesteckt und mußte trotz eines gebrochenen Beines dort ausharren, worauf er nach kurzer Zeit starb.

Kouril selbst stellte den Antrag, vor ein alliiertes Gericht gestellt zu werden, da er die deutschen Gesetze für sich als tschechoslowakischen Staatsbürger nicht anerkenne. Am 30. Mai dieses Jahres [1951] verkündete das Karlsruher Schwurgericht unter starkem Publikumsandrang das Urteil, das die zeitlich begrenzte höchste Strafe des deutschen Strafgesetzbuches bedeutete, nämlich 15 Jahre Zuchthaus. Wie die Verteidigung bekanntgab, will Kouril gegen das Urteil Revision vor dem Bundesgerichtshof einlegen.

Brünner Lagerkommandant kam nach Deutschland
Fast genau auf den Tag sechs Jahre nach der Deutschenaustreibung begann in Karlsruhe der Prozeß gegen den ehemaligen Lagerkommandanten Jan Kouril aus Brünn. Dieser kam nach dem Kommunisten-Putsch ins Bundesgebiet und konnte, als Hilfsarbeiter getarnt, lange Zeit hier untertauchen.

Es ist fast unbegreiflich, daß Kouril von Brünn gerade nach Westdeutschland geflohen war, wo er doch sehr bald von den ehemaligen Insassen der Lager Kaunitz-Kolleg, Kleidovka und Julienfeld erkannt werden mußte. Ob ihn poli­tische oder aber erotische Gründe zu einer Flucht veranlaßten, war auch aus der länger als eine Woche andauernden Gerichtsverhandlung nicht ganz zu ersehen. Jedenfalls war sein erster Weg zu seiner Geliebten, der Deutschen Emma Zamecznizek, die auch im Brünner Lager interniert war, aber dort eine Sonderstellung einnahm, und die auch nun in Deutschland eine neue Heimat gefunden hat. Sie bekam nur leichte Arbeiten im Lager-Magazin zugewiesen und erhielt außerdem auch noch andere Vergünstigungen und Zuwendungen materieller Art.
Als ihre deutschen Mitgefangenen davon erfahren hatten, bildete sich sofort eine unsichtbare Mauer, wenn sie die Unterkunftsräume betrat; es wurden auch keine Klagen gegen ihren Geliebten Kouril mehr laut.

Es ist aber auch möglich, daß politische Gründe Kouril dazu verleiteten, über die grüne Grenze zu gehen. Er gehörte dem „Sokol“ an, war überzeugter Beneš-Anhänger, dabei aber nie an irgendwelchen Sabotageunternehmen während der Protektoratszeit beteiligt gewesen. Im Gegenteil, er arbeitete seit 1940 abwechselnd in deutschen Magazinen, auf deutschen Flugplätzen und bei Wehrmachtsbetrieben, ohne sich etwas zuschulden kommen zu lassen. Nach seinen eigenen Aussagen konnte er sich nicht im geringsten über die Deutschen während dieser Zeit beklagen.
Um so schwerer wiegt damit aber seine Schuld. Es ist fast erwiesen, daß er – nur um einer Anklage wegen loyaler Zusammenarbeit mit den Deutschen zu entgehen – die Stelle eines Kommandanten in den Brünner Lagern für internierte Deutsche annahm. Als jahrelanger sogenannter „Kollaborateur“ beging er nun, um alles dies zu vertuschen, tagtäglich und oft auch nachts seine Grausamkeiten gegen die unschuldigen Deutschen. Er machte dabei keinerlei Unterschiede, ob es nun Mann, Frau oder Kind gewesen ist, ob derjenige bei irgendeiner Formation oder aber seit je ein deutscher Sozialdemokrat gewesen war. Ebenso haßte er Juden und hätte auch diese schwer mißhandelt, wenn sie zu seinem Wirkungsbereich gehört hätten.

Die Verhandlung gegen diesen Menschenschinder wurde ganz im Sinne einer demokratischen Justiz geführt; gegen zweihundert Zeugen, unabhängig voneinander, belasteten einwandfrei Jan Kouril. Er selbst benahm sich während der ganzen Verhandlungszeit zynisch und ungerührt. Er leugnete bis zur letzten Verhandlungsstunde. Wenn die deutschen Richter aus der elf Seiten umfassenden Anklageschrift nur die hundertprozentig nachgewiesenen fünf Mißhandlungen mit Todesfolge und 31 Fälle Grausamkeiten widerlichster Art behandelten, so war damit der Beweis erbracht, daß es sich bei diesem Prozeß, der übrigens auch über Westdeutschland hinaus bekannt wurde, nicht um Völkerhaß handelte und damit die ganze tschechische Nation angeklagt werden sollte, sondern daß im Sinne der von der demokratischen Welt gepredigten Menschenrechte gerichtet wurde.
Wenn auch Jan Kouril die Bezeichnung Mensch wohl nicht verdient, so muß man doch in Betracht ziehen, daß es nach den Mai­Umsturztagen Hunderte von solchen Kourils in der Tschechei gab und im ganzen Lande Legionen von Verbrechen an unschuldigen deutschen Menschen begangen worden sind. Die geistigen Urheber dieser Taten sind entweder bereits gestorben, oder nach dem „verhaßten Westen“ geflohen. Vielen gelang diese Flucht nicht ganz, und sie gedenken heute in tschechischen Arbeitslagern mit gemischten Gefühlen der vergangenen „goldenen Plünderungsära“. Deshalb müssen in erster Linie alle jene Tschechen beschuldigt werden, welche die tschechische Nation zu solchen Verbrechen aufgewiegelt hatten, die ewig ein Schandmal für die Tschechen bleiben werden. Unsichtbar standen neben Kouril alle die Benešs, Jan Masaryks, Rypkas, Zenkels, und wie sie noch heißen mögen, vor dem Richter. Dort gehören sie auch tatsächlich hin, soweit sie nicht schon einen höheren Richter gefunden haben; manche leben auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers in der Neuen Welt sogar sehr lustig weiter.

Der Prozeß in Karlsruhe war rein krimineller Art, im Gegensatz zu Nürnberg, aber was dahinter steckt, reicht tief in die Politik, wenn es auch nicht so dargestellt werden durfte. Kouril war nur der Anfang, und solange solche Verbrecher frei in der Welt herumlaufen, wird es um die Menschheit schlecht bestellt sein. Wir, als das Blatt der Brünner, wollen nur immer wieder in Erinnerung bringen, wie viele unserer engsten Landsleute in den Brünner Lagern umgekommen sind, wie viele zwischen Brünn und der österreichischen Grenze irgendwo am Straßenrand ihr Leben unter den Schlägen dieser Kourils lassen mußten ... ...

15 Jahre Zuchthaus sind für diese Bestie in Menschengestalt ein gerechtes Urteil, und es waren deutsche Richter, die zum ersten Male nach dem Kriege über einen Ausländer gerichtet hatten. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von Nichtdeutschen begangen wurden und noch werden, müssen nun in Zukunft endlich auch vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Deshalb ist dieser erste Prozeß gegen einen Ausländer vor deutschen Gerichten von größter Wichtigkeit. Auch die anderen noch auf freiem Fuß lebenden Kourils werden ihre Richter finden. Die Zeit arbeitet gegen sie, wenn sie auch vermeinten, daß nach einigen Jahren über diese Sachen Gras wachsen würde. Solche Schandtaten können nicht vergessen werden, und nur dann ist ein reibungsloses Zusammenleben aller Nationen im gesamteuropäischen Raum möglich, wenn Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht nur bei den Deutschen, sondern unterschiedslos auch bei allen anderen Völkern gesühnt werden.

Anton Döller: Brünner Heimatbote 1951 Seite 228 f.