Lager Kladno und Marsch zur Grenze, Vergewaltigungen
Berichter: Dipl.-Ing. Eugen Scholz.  Bericht vom 28. 6. 1950
Nachdem ich mit meiner Familie am 21. April 1945 Brünn verlassen hatte, landeten wir nach 12-tägiger Bahnfahrt in der Gegend von Kladno. Unser inzwischen auf etwa 2000 Menschen angewachsener Flüchtlingszug wurde auf mehrere Dörfer verteilt, die zum großen Teil bereits schon mit schlesischen Flüchtlingen belegt waren. Wir selbst wurden in der Schule des Ortes Katschitz untergebracht.
Infolge einer schweren Lungenverletzung und einer Lungenentzündung mußte ich am zweiten Tage nach unserer Ankunft in Katschitz, am 4. Mai 1945, in das Bezirkskrankenhaus Kladno überführt werden.
Eines nachmittags wurden alle männlichen deutschen Insassen des Krankenhauses in unser Zimmer gebracht. Mehrere deutsche Wehrmachtsangehörige, die gleichfalls bisher als Kranke hier waren, wurden von uns getrennt und wir verblieben etwa 30 Menschen, in der Mehrzahl Kinder, einige Jugendliche, ein Greis und ich als einzige Erwachsene. In unserem Zimmer erschienen tschechische Partisanen, welche bisher im Krankenhaus versteckt gehalten worden waren. Diese schlugen mit viel Geschrei die nach ihren Eltern jammernden Kinder, ließen zwei größere Jungen nahe an die Wand herantreten und schlugen von rückwärts mit den Fäusten so kräftig auf deren Hinterköpfe ein, daß diese mit dem Gesicht immer wieder hart an die Wand aufschlagen mußten. Selbstverständlich wurden wir bei dieser Gelegenheit auch unsere Wertsachen los. Ich selbst hatte die Ehre, meine Sachen einem als Patient hier weilenden tschechischen "Kriminalinspektor" auszufolgen, der sogar mit einer Pistole in der Hand erschienen war, mit welcher er vor allem die Kinder zu beeindrucken versuchte. Auch nachtsüber ließ man uns nicht in Ruhe. Unter anderem wurde die ganze Nacht hindurch immer wieder in kurzen Zeitabständen das Licht ein- und ausgedreht, um uns auf diese Weise durch das grellaufleuchtende Licht der notwendigen Ruhe zu berauben.
Am nächsten Morgen wurden wir unter polizeilicher Aufsicht auf einen Lastwagen verladen und nach einem Sportplatz in Kladno gebracht. Unterwegs hielten wir noch vor einer tschechischen Klinik, vor welcher eine junge schlesische Flüchtlingsfrau mit ihrem Säugling und sechs weiteren Flüchtlingskindern im Alter von 2-7 Jahren, deren Eltern sich irgendwo in den umliegenden Ortschaften aufhielten, stand. Diese an Mittelohrentzündung erkrankten Kinder, deren Köpfchen noch die dicken Verbände trugen, hatte man nun auch aus der Klinik fortgejagt. Anstatt sie ihren Eltern zurückzuführen, überließ man sie einfach einem ungewissen Schicksal. Ihre Verbände waren schon am nächsten Tage von Eiter stark durchtränkt und wir hatten keine Möglichkeit, dieselben zu erneuern. Mit viel Mühe gelang es uns dann, einen gefangenen deutschen Militärarzt herbeizuholen, der aber auch nicht helfen konnte, da ihm keinerlei Hilfsmittel zur Verfügung standen. Durch sein energisches Einschreiten konnten die Kinder wenigstens einer Art Hilfsstelle auf dem Flugplatz Kladno zugeführt werden. Zuvor hatte ich noch jedem Kind ein Schildchen um den Hals gehängt, auf welches ich den Namen und sonstige Daten vermerkt hatte, soweit ich diese überhaupt von ihnen erfahren konnte. Eins dieser Schildchen konnte ich nur mit dem Vornamen des betreffenden Kindes versehen, da dasselbe noch kaum sprechen konnte.
Nachdem also diese Flüchtlingsfrau mit den Kindern zugestiegen waren, ging es weiter zu dem bereits erwähnten Sportplatz. Als unser Elendshäufchen dort ankam, bot sich uns folgender Anblick. Unter scharfer tschechischer Bewachung (Národní Výbor) hockten in der Mitte des Platzes etwa 150 zivile deutsche Männer, darunter auch Kriegsversehrte aus dem ersten Weltkrieg, die man in Kladno und der näheren Umgebung zusammengetrieben hatte. Einige von ihnen konnte ich während der nächsten Stunden kurz sprechen. Sie versicherten mir, daß sie nichts verbrochen hätten und nur ihre Pflicht als Angestellte in verschiedenen Ämtern oder sonstigen Stellen verrichtet hätten, da sie für Kriegsdienste untauglich waren.
Wir wurden hier von dem tschechischen Wachkommandanten empfangen, einem älteren Unteroffizier, dem ich unter besonderem Hinweis auf unseren Zustand über unsere Herkunft aufklärte. Um hier der Wahrheit gerecht zu werden, darf ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, daß dieser Tscheche eine Ausnahme unter seinen übrigen hier tätigen Genossen bildete. Er hatte wirkliches Mitleid mit uns und versicherte mir auch, daß er bei dem Gedanken an seine eigene Familie alles verabscheue, was hier mit den Unschuldigen geschehe. Als ehemaliger tschechischer Soldat hätte er sich jedoch hier zur Verfügung stellen müssen. Wenn dieser Mensch auch nicht viel helfen konnte, so konnten wir doch sein heimliches Wirken merken und ich selbst weiß, daß er dabei bis an die Grenze seiner eigenen Sicherheit gegangen war. Jedenfalls habe ich ihm mein Leben zu verdanken, da er mich bei den Frauen und Kindern beließ, wozu ihm wohl auch mein erbärmlicher Zustand bewogen haben mochte. Ich hätte diesen Schreckenstag nicht überlebt, wenn ich das Los meiner übrigen Landsmänner hier hätte teilen müssen. Man hieß uns, uns am Rande des Sportplatzes zu einer größeren Anzahl von Frauen und Kindern niederzulassen, welche schon vor uns nach hier gebracht worden waren. Daß man uns hier auch der letzten Wertgegenstände beraubte, braucht wohl nicht besonders erwähnt zu werden. Wie mir einige dieser Frauen glaubwürdig erzählten, hatte man sie auf dem Wege nach hier zunächst auf einen Kasernenhof gebracht, wo sie gezwungen wurden, zuzusehen, wie man junge Angehörige der Waffen-SS zu Tode schlug. Mit entblößtem Oberkörper und hochgezogenen Armen wurden diese festgebunden und zunächst bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen, dann mit Wasser übergossen und nachdem sie so das Bewußtsein wiedererlangt hatten, erneut geschlagen. Diese Prozedur wurde so oft wiederholt, bis die Unglücklichen ihr Leben ausgehaucht hatten.
Am Nachmittag dieses überaus heißen Tages erhielten wir und auch unsere Kameraden drüben auf dem Platze schwarzen Kaffee. Gelegentlich dieser Kaffeeausgabe kamen von letzteren einige näher an uns vorbei und da konnten wir an ihren blutbekrusteten Gesichtern erkennen, daß sie bereits Schweres mitgemacht haben mußten. Bei dieser einzigen Gelegenheit konnten wir mit ihnen auch einige Worte wechseln. Tagsüber herrschte einigermaßen Ruhe, welche nur durch das Erscheinen eines sich wild gebärdenden tschechischen Partisanen, der von seinen Kumpanen mit Ehrfurcht als "Iwan" bezeichnet wurde, gestört wurde. Am Spätnachmittag kam jedoch allmählich eine unheilvolle Unruhe auf. Hinter der den Sportplatz umfassenden Mauer fand sich allerhand tschechisches Volk ein. Man ließ die deutschen Männer in Dreierreihen antreten, auf den Bauch hinlegen und damit begann ein Schauspiel, das in seiner Art wohl einzig dastehen dürfte. Unter den fürchterlichsten Schlägen von etwa 20 Tschechen mußten die Bedauernswerten den ganzen Sportplatz einmal umkriechen. Hierbei wurde mit Gummiknüppeln, Holzknüppeln, Ochsenziemern und Gewehrkolben geschlagen. Wer das Kriechtempo nicht einhielt oder etwa durch Hochheben des Körpers Erleichterung suchte, wurde unbarmherzig geschlagen, wobei vor allem der Rücken und die Nierengegend zum Ziele genommen wurde. Es gab nur Wenige, die bei dieser Prozedur ohne Schläge davon kamen. Das hinter der Mauer immer ärger hetzende tschechische Volk versuchte immer wieder in das Innere des Sportplatzes zu gelangen, um sich selbst an diesen Grausamkeiten beteiligen zu können, was aber durch die Wachmannschaft verhindert wurde. Wer von den Geschlagenen entkräftet oder bewußtlos liegen blieb, wurde von zwei dazu bestimmten eigenen Landsleuten in eine Ecke des Sportplatzes gezerrt, wobei die Opfer nicht etwa behutsam angefaßt, sondern einfach an den Beinen erfaßt und über den Platz gezerrt werden mußten, wo sie dann mit den weiter anfallenden Opfern bis in die Nacht liegen gelassen wurden. Diese Prozedur dürfte etwa eine ganze Stunde gedauert haben und verlief in einer sich immer mehr steigenden Raserei.
Danach mußten sich die bereits vollständig Erschöpften nahe vor uns in einer Doppelreihe aufstellen und sich gegenseitig ohne jede Schonung, immer weit ausholend, mit den Fäusten ins Gesicht schlagen, links und rechts abwechselnd. Wer nicht kräftig genug auf sein Gegenüber einschlug, dem verabreichten zur Belehrung tschechische Wachposten Gesichtsschläge. Zudem liefen die Tschechen dauernd die Reihen ab und schlugen ununterbrochen von rückwärts auf die Opfer ein. Durch diese Methode wurde erzielt, daß keiner den anderen auch nur im Geringsten schonen konnte. Diese Menschen konnten sich noch kaum auf den Beinen halten, taumelten, fielen hin, wurden durch Fußtritte und Prügel zum Wiederaufstehen und erneutem Zuschlagen gezwungen und diejenigen, die sich nicht mehr erheben konnten, wurden auf die bereits erwähnte Weise abgeschleppt.
Ähnlich verlief auch der letzte Teil dieser Vorführungen, während welchem sich die Opfer etwa 15 Minuten lang gegenseitig in das Gesäß treten mußten.
Wir als Zuschauer durften während der ganzen Veranstaltung keinen Blick von diesen Darbietungen abwenden. Unter uns befanden sich auch Frauen und Kinder, deren Männer und Väter sich unter den so Gequälten befanden.
Danach wurden die Männer wieder in die Platzmitte getrieben, wo sie von Scheinwerfern beleuchtet, unter scharfer Bewachung die Nacht hindurch in Ruhe gelassen wurden. Wir anderen wurden in einen Raum gesperrt, welcher so klein war, daß die Mehrzahl von uns nur stehend und dicht aneinander gedrängt die Nacht verbringen konnten. Ich kam in der Nähe eines der beiden offenstehenden Fenster zu stehen, von wo wir einwandfrei feststellen konnten, daß die am Abend zu Tode oder bewußtlos geschlagenen Opfer nachtsüber in mehreren Fahrten mit einem Lastkraftwagen weggeschafft wurden.
Am nächsten Morgen erschien ein Personenkraftwagen mit mehreren russischen Offizieren. Wir sahen, daß sie sich mit unseren Landsmännern unterhielten und aus deren Gesten war deutlich zu erkennen, daß diese den Russen über das Vorgefallene Auskunft geben mußten. Daraufhin wurden die Tschechen von den Russen energisch zurechtgewiesen und ihnen die Durchführung weiterer Mißhandlungen untersagt. Die gestohlenen Wertgegenstände mußten, soweit sie noch vorhanden und inzwischen noch nicht fortgeschleppt waren, wieder zurückgegeben werden. Wie weit man sich aber an das Verbot weiterer Mißhandlungen gehalten hat, konnte ich nicht mehr erfahren, da wir Übrigen am gleichen Nachmittag den Sportplatz verließen und die deutschen Männer allein zurückblieben. Über ihr weiteres Schicksal ist mir nichts bekannt.
Wir anderen wurden am Nachmittag nach einem nahen Flugplatz getrieben, auf dem sich schon viele Flüchtlinge auf mehrere Gruppen aufgeteilt befanden. Hier sah ich eine deutsche Frau, welche angeblich beim Arbeitsamt Kladno beschäftigt gewesen sein soll und von den Tschechen derart verprügelt worden war, daß sie nicht mehr im Stande war, sich vom Boden zu erheben. Sie versuchte es mehrere Male, brachte es aber nicht weiter, als auf allen Vieren ein Stückchen zu kriechen, um dann stöhnend wieder zusammenzubrechen. Als erste Nahrung seit dem Verlassen des Krankenhauses erhielten wir hier etwas Brot. Hier wurde damals die Parole ausgegeben, daß jeder wieder dorthin zurück müßte, wo er im Jahre 1939 zuletzt gewohnt hätte. Da ich das Bestreben hatte, möglichst bald aus dieser Hölle herauszukommen, und außerdem auch annahm, daß meine Frau den gleichen Entschluß fassen würde, meldete ich mich zu einer Gruppe, die sich in das Altreich zurückgemeldet hatte.
In größeren Zeitabständen verließen die einzelnen Flüchtlingsgruppen unter Bewachung den Flugplatz. Unsere Gruppe mußte am Spätnachmittag aufbrechen und ging nach Karlsbad. Unser Haufen bestand aus 68 Menschen, meist Frauen und Kinder. Ein Troppauer Landsmann, der am nächsten Tage vor den Augen seiner Frau und seiner beiden Kinder auf Wunsch einer tschechischen Partisanin von Russen erschossen wurde, und ich waren die einzigen Männer dieser Gruppe. Mit Schlägen trieb man uns von Ort zu Ort. Des öfteren mußten wir auch lange Wegstrecken im Laufschritt zurücklegen. In den Ortschaften erwartete uns schon die tschechische Bevölkerung und veranstaltete mit uns ein wahres Spießrutenlaufen. Die uns treibenden Wachmannschaften lösten sich immer in jedem erreichten Ort ab. Unser Weg führte unter anderem auch nahe an dem Ort Lidice vorbei, wo man uns mit besonders großem Haß erwartete und entsprechend auch behandelte. Unterwegs lasen wir auch eine alte weißhaarige Frau auf, deren Kopf nur noch ein einziger Blutklumpen war. Ihr Gesicht zeigte sämtliche Farben und war vollkommen entstellt. Wir nahmen sie in unsere Mitte und versuchten sie mit uns zu nehmen. Da sie aber das uns aufgezwungene Tempo nicht lange mithalten konnte, mußten wir sie nach kurzer Zeit wieder zurücklassen. Da jeder Angst hatte, unterwegs liegen zu bleiben und dann umgebracht zu werden, wurde schon auf der ersten Wegstrecke ein Gepäckstück nach dem anderen weggeworfen, nur um sich selbst und die Kinder mit fortschleppen zu können. Später durften sogar die Sachen nicht mehr nach eigenem Ermessen liegen gelassen werden. Wollte sich jemand einer Bürde entledigen, dann wurde er gezwungen, diese noch bis in die nächstfolgende Ortschaft mitzuschleppen, wo es dann die schon darauf lauernde tschechische Bevölkerung mit dem Abtransport der Sachen leicht hatte. Und man trieb uns besonders am ersten Tage mit vollberechneter Absicht in einem solchen Tempo, daß es unter uns kaum einen gegeben hat, der dadurch nicht gezwungen wurde, schwere Gepäckstücke fortzuwerfen, nur um mitkommen zu können. Bekanntlich herrschte dieser Tage eine große Hitze, unter welcher wir stark zu leiden hatten, zumal wir an keiner Wasserstelle halten durften. So trieb man uns am ersten Tage fast ohne Unterbrechung, bis wir endlich gegen Mitternacht in einer Ortschaft halten und in einer Schule übernachten durften. Hier starb durch Hunger und Durst der erste Säugling unserer Gruppe, dem später noch weitere folgten. Irgend einem guten Menschen hatten wir hier unser erstes richtiges Essen zu verdanken, das aus einer russischen Feldküche herrührte.
Kaum daß der nächste Morgen angebrochen war, mußten wir schon wieder aufbrechen. Im allgemeinen verlief auch dieser Tag wie der vorherige. Es kam nur hiezu, daß unterwegs Frauen und Mädchen von russischen Soldaten aus unserer Reihe herausgeholt und in den Wald gezerrt wurden, wo sie oftmals bis zu 15-mal vergewaltigt wurden. Manchmal brachte man sie wieder auf einem Lastkraftwagen nach und wir konnten dann die Folgen dieser Behandlungen vor allem bei den Mädchen sehen. Ich traf unterwegs einen schlesischen Flüchtling, der mit Pferd und Wagen unterwegs war. Dessen 14-jährige Tochter war von Russen so schwer vergewaltigt worden, daß er sie sterbend in einem Krankenhaus zurücklassen mußte. Seine beiden älteren Töchter, etwa 18 bis 22 Jahre alt, hatten das Gleiche mitgemacht und verfielen jedesmal in Krämpfe, sobald sich Russen nur näherten. Diese Familie verbrachte mit uns die folgende Nacht in einer Scheune eines sudetendeutschen Ortes. Wir hatten nämlich an diesem Tage das sudetendeutsche Gebiet erreicht. Hier bekam es die uns bisher begleitende tschechische Begleitmannschaft mit der Angst zu tun und ließ uns endlich allein weiterziehen.
Um die Frauen und Mädchen vor weiteren Vergewaltigungen zu schützen, verbrachten wir die beiden folgenden Nächte im Freien, und am vierten Tage nach unserer Austreibung aus Kladno erreichten wir Karlsbad. Man ließ uns aber nicht mehr in diese Stadt hinein, da sie schon stark von Flüchtlingen überfüllt war. Hier löste sich unser inzwischen weiter stark angewachsene Haufen in kleinere Gruppen auf und ich selbst zog dann weiter mit einer solchen über Joachimsthal nach Sachsen, wo ich zunächst mehrere Wochen meine Familie suchte, um dann nach ergebnislosem Suchen nach Westen weiter zu ziehen.
Erst Weihnachten 1945 konnte ich wieder die erste Verbindung mit meiner Familie aufnehmen. Meine Frau war mit unserem 3½-jährigen Mädchen und 6-jährigen Sohn den gleichen Weg Kladno-Karlsbad gegangen. Es gelang ihr dann von Karlsbad mit der Bahn nach Brünn zu fahren. Die Benutzung der Bahn war damals den Deutschen strengstens verboten und meine Frau mußte während der Fahrt stets darauf bedacht sein, die beiden Kinder am Sprechen zu hindern, da sie sonst ihre deutsche Volkszugehörigkeit verraten hätten. Sie erreichte dies, indem sie den Kindern wiederholt androhte, sie aus dem fahrenden Zug zu werfen, falls sie auch nur ein Wort sprechen würden. Sie erreichten auch glücklich Brünn, mußten aber am gleichen Tage ihrer Ankunft die Stadt wieder verlassen und machten dann mit vielen anderen Leidensgenossen den bekannten Todesmarsch von Brünn mit, auf welchem ja so viele unserer Landsleute den Tod fanden.
(Bericht Nr. 183, Seite 307ff)

Bericht Nr. 184 Seite 313:
Verfolgung der Protektoratsdeutschen
Berichterin: Erika Grießmann. Bericht vom 29. 1. 1946 (Kladno)
Ich wurde am 4. Oktober 1927 in Maßhaupt [Kroc'ehlaw, Kroc'ehlavy am östlichen Stadtrand, später eingemeindet] geboren und lebte mit meinen Eltern seit dieser Zeit ununterbrochen in Kladno. Am 5. Mai 1945 brach in Kladno der Aufstand der tschechischen Untergrundbewegung aus. Bewaffnete Mitglieder der Národní Garda sperrten alle Straßen, räumten die Quartiere der Deutschen Wehrmacht und die Lazarette und warfen die Verwundeten auf die Straße. Ich sah, wie dieselben von der Menge gesteinigt wurden. Am 6. Mai 1945 begannen die sogenannten Hausdurchsuchungen, bei denen wahllos alle deutschen Wohnungen ausgeplündert wurden. Mein Vater, der Beamter bei der Poldihütte war, wurde am Abend desselben Tages verhaftet und blieb seitdem verschwunden. Ich selbst bekam bei der ersten Hausdurchsuchung von einem tschechischen Soldaten eine Ohrfeige, weil ich angeblich nicht angegeben hätte, wo wir unseren Schmuck vergraben hatten.
Am darauffolgenden Montag gingen die Wogen der Deutschen-Verfolgung besonders hoch. Wir sahen vom 1. Stock unseres Hauses aus zahllose deutsche Männer über die Felder laufen, die ihren Verfolgern entgehen wollten, die aber wie die Hasen mit Maschinengewehren abgeschossen wurden. Dieses Schicksal traf jeden Deutschen ohne Unterschied, ob er Zivilist oder Soldat, ob er Parteimitglied oder nicht war.
Am Mittwoch zogen die Russen in Kladno ein und zur selben Stunde wurden alle deutschen Siedlungen geräumt. Unsere tschechische Nachbarin hörte ich auf der Straße weinen. Sie sagte, jetzt kämen wir, die Grießmanns, auch bald daran und niemand könne uns helfen. Nach einer Viertelstunde kamen Angehörige der Revolucní garda in unser Haus. Der Anführer, ein großer, mit Blut besudelter Kerl, warf eine Handgranate durchs Fenster. Als er mich mit meiner Mutter und meinem 15-jährigen Bruder alleine im Hause antraf, warf er mich auf die Ottomane und sagte: „Vergewaltigen tue ich dich nicht, das werden schon die Russen besorgen!“ Während die Tschechen unter ständigen Bedrohungen unser Haus plünderten, entkam meine Mutter und mein Bruder durch das Haustor, während ich durch ein Fenster entfloh. Durch unsere eigene Straße, die Wras-Gasse, mußten wir Spießruten laufen. Die tschechische Menge stürzte sich auf uns und schlug uns mehrmals zusammen. Nur einen Teil unserer ehemaligen Nachbarn sah ich weinend aus den Fenstern schauen.
Ohne jede Habe, so wie wir aus unserem Hause geflüchtet sind, schlossen wir uns hierauf einem Flüchtlingshaufen an, der aus der Gegend von Unhozd [Unhost, 6 km südlich Kladno] kam. Die meisten von ihnen bluteten, denn die Tschechen warfen Handgranaten in den traurigen Zug. Auf einem Fabrikplatz mußten wir uns mit erhobenen Händen gegen eine Wand stellen. Zuerst wurde mein 15-jähriger Bruder mit Peitschen geschlagen. Dann fielen mehrere Tschechinnen über mich und meine Mutter her. Meine Mutter blutete am ganzen Kopfe. Mir selbst nahmen sie Ohrringe und Haarschleifen ab, dann wollten sie mir die Zöpfe abschneiden. Während dieses Treibens erschien ein Tscheche und rief laut über die Menge hinweg: „Die Schönsten kommen zu den russischen Offizieren!“ Wir wurden hierauf weitergetrieben und immer wieder geschlagen. Endlich erwischte mich einer und zog mich bei den Haaren in ein Auto. Ich wurde ohnmächtig. Als ich aufwachte, lag ich auf einem Sofa, am Kopf und an den Händen verbunden. Etwa fünf hohe russische Offiziere standen um mich herum. Einer fragte mich, ob ich Hunger hätte und wo ich hin wolle. Ich erklärte ihm, daß ich zu meiner Mutter möchte. Er ließ mich hierauf mit einem Auto auf den Fußballplatz fahren, wo ich meine Mutter mit dem Bruder gleich am Tore antraf. Als mich meine Mutter in diesem Zustande sah, fiel sie auf die Knie und schrie laut, man möchte uns doch nicht weiter quälen und endlich erschießen. Sie brach hierauf ohnmächtig zusammen. Das alles spielte sich am Vormittag des 9. Mai 1945 in Kladno ab.
Kurz nach Mittag wurden wir vor eine Grube getrieben und es hieß, da würden wir nun erschossen werden. Es erschien aber ein tschechischer Offizier und sagte, soweit sei es noch nicht. Wir wurden zusammen mit vielen anderen Deutschen in ein Lastauto verladen und auf den Marktplatz von Maßhaupt gebracht. Nachdem wir dort von der Menge bespien und mit Steinen beworfen worden waren, schaffte man uns wieder auf den Fußballplatz Kladno zurück. Viele deutsche Soldaten lagen mit Kopf- und Bauchschüssen auf dem Boden herum und keiner kümmerte sich um die Schwerverwundeten. Da brach meine Mutter neuerdings zusammen. Ein deutscher Arzt, den ich bat, ihr zu helfen, wurde von den tschechischen Wachen verprügelt. Wir mußten uns dann auf dem freien Platze bis auf das Hemd ausziehen und wurden von Tschechen durchsucht. Hierauf wurden wir wieder in Autos verladen und in die Kaserne von Kladno gebracht. Dort sah ich Furchtbares: Zivilisten und Soldaten lagen in ihren eigenen Blutlachen herum und niemand konnte ihnen helfen. Überaus groß war die Zahl der Selbstmörder, die auf diesem Wege den Qualen entkommen wollten. Ich sah eine Menge kleiner Kinder, denen ihre Eltern den Hals durchschnitten hatten, um sie durch den raschen Tod vor weiteren Folterungen zu bewahren. Ein tschechischer Arzt, der mit einer Krankenschwester erschienen war, legte einigen von ihnen Verbände an. Zu essen bekamen wir während der ganzen Zeit nichts.
Am Nachmittag des 10. Mai 1945 wurden die Schwerverwundeten in Krankenautos verladen. Die Leichtverletzten stellten sich zum Abmarsch bereit. Vor den Kasernentoren hatte sich mittlerweile eine johlende Menge angesammelt, die uns mit Steinen bewarf. Ein Tscheche verlas von einem großen Blatt Papier einen Aufruf, in dem er alle Deutschen als Verbrecher erklärte. Er schrie uns an, wir hätten dies alles jetzt, wenn wir die Kaserne verließen, zu büßen. Plötzlich flogen wieder Handgranaten in die Masse der deutschen Gefangenen, die ein großes Blutbad anrichteten. Ein tschechischer Priester erschien und teilte den Sterbenden die letzte Ölung aus. Viele Verwundete wiesen aber sein Anliegen zurück. Dem Betreiben meiner Mutter gelang es, uns mit in die Krankenwagen unterzubringen. Ich selbst erhielt von einer deutschen Krankenschwester eine DRK-Haube, wodurch ich mich einigermaßen schützen konnte. Auf der Fahrt aus Kladno wurden wir von russischen Posten angehalten. Ein Rotarmist öffnete unseren Sankawagen und forderte mich auf, mit ihm zu kommen, da ich gar keine Krankenschwester sei. Die Verwundeten nahmen aber für mich Stellung. Der Russe erklärte hierauf, sie sollen ihm entweder alle ihre Uhren geben, oder mich. Die schwerverwundeten deutschen Soldaten lieferten alle ihre Uhren und Ringe ab und kauften mich auf solche Weise frei.
Unsere Kolonne fuhr hierauf gegen den Westen Böhmens. Wir mußten bald die Sanitätswagen verlassen und schlossen uns großen Flüchtlingsströmen an, die sich gegen die amerikanische Besatzungszone zu bewegten. Zu essen bekamen wir während der ganzen Zeit nichts. Wir schliefen meist auf offenem Felde und wurden des öfteren zur Nachtzeit von tschechischen und russischen Soldaten bedrängt. Unter anderem wurden kurz vor Petschau mehrere der uns begleitenden DRK-Schwestern von russischen Posten vergewaltigt. Mit meiner Mutter und meinem Bruder gelangte ich schließlich zu meinen Großeltern nach Hermannshütte bei Mies, wo ich zunächst auf einem tschechischen Bauernhof Arbeit fand. Im November 1945 nahmen mich die Amerikaner bei ihrem Abzuge nach Bayern mit.

Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Überlebende kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald