KK1201
2005-04-20
INHALT
Markus Bauer: Iglauer Symposium Können wir erinnern?
Christian-Erdmann Schott: Tagung zu Vertreibung und Ankunft in kirchlicher Sicht
Peter Mast: Jiri Grusa über die Einstellung der Tschechen
Dieter Göllner: Gedenkstunde zur Vertreibung in Düsseldorf
Präsentation Königsbergs in der Patenstadt Duisburg
Glaskunst aus Gablonz und Neugablonz in München
Bücher und Medien
Literatur und Kunst
Jörg Bernhard Bilke: Von der Leipziger Buchmesse
Ingmar Brantsch: Deutsche Literatur aus Rumänien in Berlin vorgestellt
Günther Ott: Zum Tod Horst Hähles
Ausstellung mit Gemälden Ivo Hauptmanns in Düsseldorf
KK-Notizbuch
Sauerteig, den wir brauchen, um voranzukommen
Beim Iglauer Symposium fragen Ackermann-Gemeinde und Bernard Bolzano Gesellschaft
gemeinsam: Können wir erinnern?
Beim 14. Iglauer Symposium der Ackermann-Gemeinde und der tschechischen Bernard Bolzano
Gesellschaft mit 180 Teilnehmern aus Deutschland, Tschechien, Österreich und der Slowakei
stand die Frage im Mittelpunkt: Können wir erinnern? Das kollektive Gedächtnis und
seine politische Umsetzung. Eindeutig waren die Absage an das Vergessen und die
Aufforderung an die Politiker, Erinnerung als Signal zu sehen.
In seinem Grußwort betonte der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Michael
Libal, das Verständnis und den Respekt für die Erinnerungen der damaligen Gegenseite.
Für Clemens Mantl, Botschaftsrat der österreichischen Botschaft, ist die Basis der
Konfliktlösung, den individuellen Erinnerungen Gehör zu schenken und zu
verschaffen. Möglichkeiten zur Diskussion der offenen Fragen forderte Milan Coupek
vom tschechischen Außenministerium. Wir sollen uns für die Unterschiede
interessieren und sie verstehen lernen, meinte Dr. Petr Pithart, Vorsitzender der
Bernard Bolzano Gesellschaft. Erinnerung schaffe im deutsch-tschechischen Zusammenleben
Identität und Engagement, formulierte Adolf Ullmann, der Bundesvorsitzende der
Ackermann-Gemeinde. Man kann nicht sagen, daß wir keine Schuld haben,
bekannte der tschechische Parlamentspräsident Lubomir Zaorálek. Wir brauchen eine
Gedächtnis- und Erinnerungskultur, die für die Not und das Leid der anderen Empathie
empfindet, eine moralische innere Ordnung und gesellschaftsprägende Werte in
Europa, forderte er.
Es gibt kein kollektives Gedächtnis, war die plakative Aussage von Professor
Dr. Alfred Grosser aus Paris zum Thema Das kollektive Gedächtnis und seine Wirkung
in die Gesellschaft. Es gebe keine Kollektivschuld, jedoch eine Haftung. Die
Mitverantwortung für die anderen ist wesentlich für die Schaffung Europas,
konkretisierte der 80jährige. Das Wort Versöhnung sei mit Vorsicht zu
verwenden. Es ist etwas kompliziert, aber bei den Beziehungen zwischen Menschen
wichtig, betonte er. Als Grundwerte für Europa sah er den Begriff des Nächsten,
die Würde des Menschen, das Verständnis für das Leid der anderen und letztlich
als Basis unserer gemeinsamen Ethik Gott.
Mit dem geplanten Zentrum gegen Vertreibungen setzte sich Herbert Werner, der Vorsitzende
der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenverbände, auseinander. Er stellte die
Pläne Deutschlands, Polens, Ungarns und der Slowakei vor, ein Europäisches
Netzwerk Erinnerung und Solidarität zur Analyse und Dokumentation von Flucht und
Vertreibung im 20. Jahrhundert zu gründen. Eine umfassende moralische
Grundsatzdiskussion lehnt man in den meisten Gesellschaften der östlichen Nachbarn
Deutschlands noch immer ab, bedauerte Werner. Er schlug vor, das
Geschichtsverständnis und die Erfahrungen der Nachbarn zu berücksichtigen und
Kooperation im Bemühen um Wahrhaftigkeit anzustreben.
Ein solches Zentrum dürfe nicht den Eindruck einer national begrenzten und
polarisierenden Ausrichtung erwecken, die Vertreibung der Deutschen solle einen
angemessenen Stellenwert einnehmen allerdings im Kontext der zuvor auch von
Deutschen begangenen Unrechtstaten. Träger soll eine öffentlich-rechtliche Stiftung
sein. Aus tschechischer Sicht nahm der Prager Publizist Václav Zak Stellung. An einem
Zentrum gegen Vertreibungen habe es in Tschechien bislang kein größeres Interesse
gegeben. Junge Leute seien aber unvoreingenommener.
Dr. Petr Pithart und der Journalist Michael Frank diskutierten ihre Erfahrungen und
Eindrücke des Verhältnisses von Bayern und Tschechen. Pithart schilderte seine Besuche
in Bayern bei Veranstaltungen der Ackermann-Gemeinde und als tschechischer
Ministerpräsident. Seit dieser Zeit suche ich nach Verständigung, Aussöhnung,
Überwindung der Vergangenheit. Zu Hause habe ich aber dadurch keine Popularität
erreicht, meinte Pithart und bekräftigte seine Entscheidung, im Frühjahr 2004 den
Bayerischen Europapreis wegen der Ablehnung des EU-Beitritts Tschechiens durch die
CSU-Europaparlamentarier abzulehnen.
In Bayern haben Tschechen eher einen Sympathiebonus. Die bayerisch-tschechischen
Unstimmigkeiten sind wesentlich politischer Natur, stellte Frank fest. Dem stimmte
auch Pithart zu mit seiner Bemerkung, daß außerhalb der Politik überall gute
Beziehungen vorherrschten. Bayern ist unser bester Wirtschaftspartner. Wir haben
gute grenzüberschreitende Projekte, konstatierte der frühere Ministerpräsident.
Unverständlich für ihn ist, daß Ministerpräsident Stoiber die Tschechische Republik
nicht besucht. Michael Frank sah darin einen Kunstkonflikt, da die Bayerische
Staatsregierung ihre Aufgabe als Sachwalter der Vertriebenen ausübe.
Es war erforderlich, ein Museum der deutsch-tschechischen Beziehungen zu gründen.
Wir möchten keinen Teil dieser Geschichte verschweigen, betonte Petr Gandalovic,
Oberbürgermeister von Außig, beim Forum Identitätssuche in den Regionen als ein
konkreter Beitrag zur Erinnerungskultur. Neben der Funktion als Museum sollten auch
die Aspekte Forschung und Bildung integriert werden. Die deutsch-tschechische Ausrichtung
soll in vier Ebenen (lokale Ebene vor Ort; Region des westlichen Teils des Sudetenlandes;
Deutsche in allen böhmisch-mährischen Ländern; Beziehungen zwischen Böhmen und
Deutschland) dargestellt werden, wozu Sonderausstellungen konzipiert werden. Kooperationen
auch mit Schulen und Hochschulen sind beabsichtigt. Mehrjährige Erfahrungen aus dem
Bereich der Museumsarbeit konnte Dr. Kornelia Lobmeier vom Zeitgeschichtlichen Forum in
Leipzig in die Diskussion einbringen. Schwerpunkt ist hier die Geschichte der sowjetischen
Besatzungszone und der DDR, die Geschichte von Widerstand, Opposition und Zivilcourage.
Petr Anderle von der Bürgervereinigung Vlasenecký poutnik in Bärn hat vor etwa 15
Jahren im Grenzgebiet des Altvatergebirges einen Bürgerverein gegründet, um die
Geschichte und Geschichten in Erinnerung zu rufen. Ein Monatsblatt für die
schlesisch-mährische Region wurde begründet, Flurdenkmäler und Kapellen renoviert,
Straßen umbenannt. Im Jahre 2000 wurde die Edition Das Altvatergebirge in alten
Landkarten des 12. Jahrhunderts begründet. Gedenktafeln zieren einen Weg, der immer
wieder verlängert wird. Auch ist an die Herausgabe einer mährisch-böhmischen Zeitung
gedacht.
Eine Podiumsdiskussion zum Thema Von der nationalen zur europäischen Erinnerung.
Kann man 60 Jahre nach Kriegsende von einem Ausgleich mit der Vergangenheit
sprechen? schloß das Symposium ab. Es geht um Leid und Schuld auf
tschechischer wie auf deutscher Seite. Keine dritte Person kann darüber
entscheiden, betonte der Prager Philosoph Professor Dr. Jan Sokol und verwies auf
die christliche Sichtweise gegenseitiger Schuldvergebung. Eine kollektive Schuld gibt es
für ihn zumindest im rechtlichen Sinne nicht. Von den Christen erwartet er,
daß sie gegen den Strom schwimmen als Menschen, die ihre eigene Schuld und die der
eigenen Gruppe sehen. Für Dr. Eberhard Sinner, den Bayerischen
Staatsminister für Europaangelegenheiten, ist ein rückhaltsloser gegenseitiger Austausch
wichtig. Das gemeinsame Europa ist Aufgabe für die Zukunft, mit Europa ist ein Raum
des Friedens, der Freiheit und des Rechts geschaffen. Als notwendig sieht er die schnelle
Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages sowie die für alle Staaten verbindliche Charta
der Grundrechte. Bayern sei freundschaftlich mit Tschechien verbunden. Mit den
Gegenstimmen der CSU-Europaabgeordneten sei dem tschechischen Staat ein Signal gesetzt
worden, die noch offenen Fragen aufzuarbeiten. Das Iglauer Forum ist ein Sauerteig,
den wir brauchen, um in dieser Entwicklung weiterzukommen. Milan Horácek, Prager
Europaabgeordneter der Grünen, setzte sich dafür ein, das Projekt in Außig sowie das
Zentrum gegen Vertreibungen zu realisieren. In Tschechien fehlt für den
Europaabgeordneten aber beispielsweise ein Denkmal für Hunderte Roma, die zur Zeit der
Okkupation, jedoch unter tschechischer Verwaltung, in einem ehemaligen Konzentrationslager
umgekommen sind. Heute ist auf diesem Gelände eine Schweinezucht. Martin Bútora,
Botschafter a. D. und Leiter eines Instituts für öffentliche Fragen in Preßburg, sprach
angesichts mehrerer Regime in der Slowakei im 20. Jahrhundert von Tabuisierungen.
Der nationale slowakische Aufstand kommt immer wieder hoch, er ist wichtig für die
moralische Verfassung der Nation, machte er deutlich, wies in diesem Zusammenhang
aber auch auf die Unrechtstaten gegen Ungarn, Deutsche, Juden und Roma hin.
Am Samstag zelebrierte Monsignore Dominik Duka, der Bischof von Königgrätz, einen
Gottesdienst, auch zum Gedenken an den ein Jahr zuvor verstorbenen langjährigen
Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Josef Stingl. Die Tschechischen Madrigalisten
aus Prag sorgten für die musikalische Umrahmung. Angesichts der Passionsgeschichte Jesu
erinnerte der Bischof an das Leiden im 20. Jahrhundert und die Ursachen dafür, die
menschlichen Sünden und Fehler: In diesem Sinne können wir auch glauben, daß
Versöhnung und Leben in wirklicher Freundschaft möglich ist.
Markus Bauer (KK)
Immer noch nicht ganz angekommen
Einmal vertrieben, immer vertrieben? Eine Tagung im Kloster Loccum war dieser Frage
gewidmet
Vertreibung und Ankunft in Niedersachsen. Ein Kapitel Kirchengeschichte als
Thema einer Tagung im März 2005 in Kloster Loccum klang zunächst eher nach Resümee und
Schlußstrich unter ein Kapitel Nachkriegsgeschichte. Tatsächlich kam eine Zwischenbilanz
heraus, die zeigte, daß die Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen aus dem
Osten auch nach 60 Jahren noch nicht abgeschlossen ist.
Die Eingliederung war auf der einen Seite eine außerordentliche Leistung. Wie sie im
Bereich von Wirtschaft und Siedlungspolitik verlaufen ist, schilderten der Historiker
Rainer Schulze von der University of Essex, Colchester, und Bernhard Parisius, Direktor
des Niedersächsischen Staatsarchivs in Aurich, flankiert von Jochen Oltmer, Historiker in
Osnabrück, der das Thema in die weiten Perspektiven der vergleichenden
Migrationsforschung hineinstellte, und von Dagmar Kleineke, Kreisheimatpflegerin des
Landkreises Göttingen, die über das Grenzdurchgangslager Friedland sprach. Die
katholische Kirche war durch den Historiker an der Universität Vechta, Michael
Hirschfeld, Weihbischof Hans-Jochen Jaschke aus Hamburg und Schulleiter a. D. Erhard
Steiner vom Bund Neudeutschland vertreten, während die evangelische Kirche durch
Altbischof Martin Kruse, Berlin, den Historiker Hartmut Rudolph von der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Potsdam, den Direktor des
Landeskirchlichen Archivs in Hannover, Hans Otte, und den Vorsitzenden der Gemeinschaft
evangelischer Schlesier, Christian-Erdmann Schott, repräsentiert wurde. Dazu kamen Rita
Scheller und Adalhild Karp vom Konvent evangelischer Pommern, mit denen Jens Murken,
Historiker am Landeskirchlichen Archiv Bielefeld, ein Zeitzeugengespräch führte. Für
den Bereich der Erinnerungsarbeit im weiteren Sinne waren Michael Beer vom Institut für
donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen, Micha Brumlik, Direktor des
Fritz-Bauer-Institutes der Universität Frankfurt/M., und die Journalistinnen und
Autorinnen Helga Hirsch und Petra Reski gewonnen worden. Vorbereitung und Moderation der
Tagung lagen in den Händen von Ellen Ueberschär, Studienleiterin und Pfarrerin, die es
verstand, den zum Teil sehr engagierten Diskussionen souverän eine Linie zu geben.
Auch wenn die großen menschlichen, mentalen und konfessionellen Schwierigkeiten der
Eingliederung in den Anfangsjahren deutlich benannt wurden, war doch insgesamt
positiv zu sehen, daß Niedersachsen durch die Vertriebenen viel gewonnen hat: Ansiedlung
von Gewerbebetrieben, Durchmischung der Bevölkerung, Öffnung der Kirchen für die
Ökumene, Durchsetzung des Hochdeutschen alles Effekte, die das Land moderner,
offener, zukunftsfähiger gemacht haben.
Auf der anderen Seite wurde deutlich, daß die Vertriebenen auch heute noch nicht ganz
angekommen sind. Es sind nicht allein die Erinnerungen an die Vertreibung selbst, die
weiterhin belastend in den Familien präsent sind. Es sind auch die Erinnerungen an die
alte Heimat wie an die manchmal sehr niederdrückenden Erfahrungen in der neuen Heimat, wo
diese oft auch in ihren eigenen Augen Deklassierten unter zum
Teil tief demütigenden Umständen anfangen mußten, die traumatisch nachwirken. Dazu
kommt die Unfähigkeit der neuen Wohngemeinden, Herkunft, Geschichte, Traditionen der
Neubürger aufzunehmen und als Teil der eigenen Geschichte anzusehen. Das partielle
Schweigen der Vertriebenen und das gleichzeitige Ausgrenzen, Verdächtigen oder auch
Instrumentalisieren ihrer Erinnerungen, auch im politisch-nationalen Rahmen, zeigen, daß
die Integration noch lange nicht abgeschlossen ist und eine bleibende Aufgabe für die
Zukunft darstellt.
Für mich hat sich als Ergebnis dieser Tagung eine Perspektive ergeben, die mir im
Augenblick noch fast wie eine Utopie erscheint, die aber langfristig wahrscheinlich die
einzige Möglichkeit ist, damit wir in Deutschland und Europa zu einer befriedeten
Erinnerung kommen: Erst wenn auch die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen ihre
Erinnerungen einbringen dürfen und sicher sein können, daß sie gehört werden, erst
wenn niemand mehr befürchtet, daß damit die Leiden und Opfer des Holocaust, der Sinti
und Roma, der anderen Völker, der gefallenen Soldaten, der Bombengeschädigten, der
Verschleppten, Verwundeten, der vergewaltigten Frauen, der vaterlosen Kinder, aber auch
der Widerstandskämpfer, der Kommunisten, der Toten an der Mauer und vieler, vieler
anderer beschädigt, verdrängt, vermindert werden, erst wenn Leid bekannt und benannt
werden kann, ohne auf irgendeiner Seite Angst auszulösen, erst dann sind wir wirklich
integriert.
Christian-Erdmann Schott (KK)
Erstmalig seit dem Zusammenschluß ihrer Landeskirchen laden der Verein für Schlesische Kirchengeschichte e.V. und die Arbeitsgemeinschaft für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte zu einer gemeinsamen Tagung vom 20. bis zum 22. Mai 2005 ins Theologische Konvikt, Borsigstraße 5, 10115 Berlin, ein. In vier Referaten werden die beiderseitigen Traditionen, aber auch Perspektiven für die kirchengeschichtliche Arbeit in der Zukunft vorgestellt. Gäste sind willkommen. Auskünfte erteilt Dr. Christian-Erdmann Schott, Elsa-Brändström-Str. 21, 55124 Mainz. Tel. 0 61 31-69 04 88.
Auf den Heiligenhof in Bad Kissingen (Autobahnabfahrt Obertulba) lädt der Pädagogische Arbeitskreis Mittel- und Osteuropa (PAMO) vom 16. bis zum 19. Mai zu einer Studientagung über Deutsche und Tschechen nach dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik ein. Gleich das erste Referat wird Gerolf Fritsche halten: Zeitzeugenberichte der letzten Generation Begründung, Anfertigung, Einsatz. Auch tschechische Referenten sind eingeladen. Renata Michlova berichtet über eigene Untersuchungen zur Vertreibung der Sudetendeutschen aus Braunau. Harald Henn wird mit seinem Film Wir haben nichts gewußt junge Tschechen vorstellen, die auch auf der Suche sind. Jiri Knedlik referiert über die deutsch-tschechischen Beziehungen auf der kommunalen Ebene. Ob die anderen Beziehungen auch so gut sind, legt Dr. Rudolf Pueschel in seinem Referat über die deutsch-tschechischen Beziehungen im Aufbau dar. Schon dieser Ausschnitt zeigt, daß es ein äußerst informatives Seminar wird. Weitere Referate halten Dr. Werner Nowak, Adolf Wolf und Dr. Rudolf Tempsch. Die Veranstaltung findet in Verbindung mit dem Internationalen Willi-Wanka-Kreis statt. Informationen und Anmeldungen unter Telefon 0 69 / 85 39 94, Fax 0 69 / 98 53 52 23. Dort ist auch das ausführliche Programm abrufbar. (KK)
Das Gute sollte tschechisch sein
Der Schriftsteller und Diplomat Jiri Grusa hinterfragt die Einstellung der Tschechen aus
europäischer Sicht
Humanismus und Demokratie einerseits und das Selbstbestimmungsrecht der Völker
andererseits miteinander in Einklang zu bringen, erscheint in der Zwischenkriegszeit
insbesondere in der jungen Tschechoslowakischen Republik als Problem. Dabei war gerade
diese der einzige unter den nach dem Ersten Weltkrieg neugeschaffenen
ostmitteleuropäischen Staaten, in dem sich die demokratische Regierungsform bewährte.
Das politische Leben des Staatsgründers und ersten Staatspräsidenten Thomas Masaryk
sowie das seines Mitarbeiters und Nachfolgers Eduard Benesch wurde dadurch tief geprägt.
Zu einem Vortrag mit dem Thema Benes und die Folgen hatte jüngst in München
die Gesellschaft für Außenpolitik zusammen mit der Österreichisch-bayerischen
Gesellschaft eingeladen. Es sprach Jiri Grusa, Dichter, Schriftsteller und tschechischer
Bürgerrechtler, als solcher 1980 aus der Tschechoslowakei ausgewiesen, zwischen 1990 und
1997 Botschafter seines Landes in Bonn, sodann Volksbildungsminister in Prag und
tschechischer Botschafter in Wien, seit November 2003 Präsident des Internationalen
PEN-Clubs sowie neuerdings Präsident der Diplomatischen Akademie in Wien.
Wie schon Franz Palacky waren Masaryk und Benesch, so Grusa, austroskeptisch
gestimmt, d. h. sie hegten als Kinder des Völkerfrühlings des 19. Jahrhunderts die
Vorstellung, daß der Vielvölkerstaat Österreich, seit 1867 Österreich-Ungarn, eine
Fehlkonstruktion sei. Spätestens im Ersten Weltkrieg, als sich die Möglichkeit eines
Zerfalls bzw. einer Zerschlagung des österreich-ungarischen Staates abzeichnete, wurden
sie zu Vertretern einer tschechischen Eigenstaatlichkeit. Benesch war noch in seiner
Dijoner Doktorarbeit Das österreichische Problem und die tschechische Frage,
als Buch erschienen 1908, zu der Ansicht gelangt, daß die Demokratisierung Österreichs,
insbesondere Böhmens, den Boden für eine nationale Verständigung bereiten werde. Am
Zentralbegriff Demokratie, wie Grusa sagte, und zwar liberalen Zuschnitts, hielten Masaryk
und Benesch auch über die Umwälzung der Jahre 1918/19 hinweg fest. Doch gab es nun
nach dem Pittsburgher Vertrag von 1918 zwischen tschechischen und slowakischen
Emigranten die neue Nation der Tschechoslowaken, die, da sie nach
französischem Vorbild als eine unteilbare Nation aufgefaßt wurde, für nationale Rechte
der Deutschen und der Ungarn in der neuen Republik keinen Raum ließ.
Benesch, geboren 1884, war von der Staatsgründung 1918 bis 1935 Außenminister (1921/22
zugleich Ministerpräsident). Nach dem Rücktritt Masaryks 1935 folgte er diesem als
Staatspräsident. Grusa meint, daß für ihn die Demokratie zu einem bloßen Instrument im
Dienste der Nation geworden sei, die sozialistisch wie individualistisch geprägt, im
rechten Verständnis nationalsozialistisch sein sollte. Es sei eine
Demokratie nach den Verdiensten und nicht nach den Rechten, also nicht für Deutsche
und Ungarn gewesen. Das Gute sollte aufsteigen und tschechisch sein.
Die Republik galt es gegen revisionistische Bestrebungen vor allem Ungarns zu schützen.
Daher begründete Benesch zusammen mit den wie die Tschechoslowakei durch die alliierte
Nachkriegsordnung der Pariser Vorortfriedensschlüsse auf Kosten Ungarns erst entstandenen
bzw. vergrößerten Staaten Jugoslawien und Rumänien 1921/22 die sogenannte Kleine
Entente. Doch die machtpolitische Ausbreitung des nationalsozialistischen Deutschlands
entzog diesem von Frankreich garantierten System die Grundlage. Als Konsequenz des so
möglich gewordenen Münchner Abkommens und der Abtretung der Sudetengebiete an das
Deutsche Reich trat Benesch Anfang Oktober 1938 von seinem Präsidentenamt zurück und
begab sich in die Emigration. Jiri Grusa sieht darin eine Art Fahnenflucht; Beneschs
Glaube an die Demokratie sei damals zusammengebrochen. Er spricht von einem
Rückgratbruch für Generationen.
Von hier aus führte Beneschs Weg nach Moskau, wo er als Präsident der Londoner
tschechoslowakischen Exilregierung im Dezember 1943 mit Stalin einen Bündnisvertrag
abschloß. Bezeichnenderweise, so Grusa, sei er nicht über Pilsen, sondern über Kaschau
(wo ein erstes kommunistisch inspiriertes Regierungsprogramm verkündet worden war) von
London nach Prag zurückgekehrt. Abermals Staatspräsident, leitete er die Entrechtung und
Vertreibung der im Lande beheimateten Deutschen und Ungarn in die Wege, im Namen der
nationalen Einheit, des Nationalstaates des tschechischen Fleißes, wie Grusa
ihn zitierte. Wir haben diese Gerechtigkeit bis heute sehr gerne, fügte er
sarkastisch hinzu.
Doch genehmigte Benesch zugleich die Abtretung der Karpato-Ukraine an die Sowjetunion. Im
Zuge der fortschreitenden Sowjetisierung der Tschechoslowakei erkannte er zu spät, daß
es mit dem Kommunismus Stalins keine Koexistenz geben konnte. Nach dem kommunistischen
Staatsstreich vom Februar 1948 legte er das Amt des Staatspräsidenten nieder. Er habe
dafür, wie Grusa bemerkte, gesundheitliche Gründe geltend gemacht und eine mutigere
Erklärung schießlich dem Papierkorb überantwortet.
Nach zwei Kapitulationen solle sich Benesch um das Vaterland verdient gemacht
haben? fragte Grusa am Ende seines perspektivenreichen, pointierten und nicht zuletzt
durch polemisches Temperament sich auszeichnenden Vortrages mit Bezug auf die bekannte
Entscheidung des tschechischen Parlaments in jüngster Zeit. Zu den Eigenschaften, die
Benesch fehlten, rechnet Grusa Mut und goodwill, eben das, was nach der Inschrift des
Prager Churchill-Denkmals den englischen Staatsmann ausgezeichnet habe.
Doch bleibt die Frage, ob die Fehlentwicklungen und Katastrophen der tschechischen
Geschichte in einem so hohen Maße von Eduard Benesch zu verantworten sind, wie es Grusa
nahelegt, ob nicht der zweite Präsident der Tschechoslowakischen Republik häufiger vor
Zwangslagen stand, als man aus heutiger Sicht zu erkennen vermag.
Peter Mast (KK)
Akademien als Träger kultureller Identität ist das Thema eines gemeinsamen Forschungsprojektes der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und des Archivs der Akademie der Wissenschaften Prag in Zusammenarbeit mit dem Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf und der Karlsuniversität Prag, zu dem am 14. und 15. April im Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf und am 30. und 31. Mai an der Prager Akademie Ausstellungen gezeigt und Kolloquien abgehalten werden. (KK)
Ohne Zweifel, ich wiederhole, ohne Zweifel
Alfred de Zayas in der Gedenkstunde des BdV NRW über die Vertreibung als
völkerrechtswidriges Verbrechen gegen die Menschheit
Lassen Sie mich etwas ganz am Anfang dieses Vortrages sagen, und zwar als
Nicht-Deutscher und in meiner Eigenschaft als Historiker und Völkerrechtler. Erlauben Sie
mir, daß ich die Vertreibung von der Warte meiner 22jährigen Tätigkeit im Zentrum für
Menschenrechte der Vereinten Nationen beurteile, als ehemaliger Sekretär des
UNO-Menschenrechtsausschusses und als ehemaliger Chef der Petitionsabteilung im Büro des
Hochkommissars für Menschenrechte: Ohne Zweifel, ich wiederhole, ohne Zweifel war die
Vertreibung der Deutschen völkerrechtswidrig. Darüber hinaus war sie ein Verbrechen
gegen die Menschheit. Mit diesen Worten wandte sich Professor Dr. Alfred M. de Zayas
an die zahlreichen Zuhörer, die am 19. März zu einer Gedenkstunde ins Düsseldorfer
Gerhart-Hauptmann-Haus gekommen waren.
Der Bund der Vertriebenen, Landesverband Nordrhein-Westfalen, hatte eine feierliche
Gedenkstunde unter dem Motto 60 Jahre Flucht und Vertreibung veranstaltet und
den weltweit geschätzten Historiker und Völkerrechtler als Gastredner eingeladen.
In seiner Eröffnungsrede begrüßte Hans-Günther Parplies, BdV-Vizepräsident und
Vorsitzender des Landesverbandes der Vertriebenen in Nordrhein-Westfalen, die anwesenden
Persönlichkeiten des politischen und kulturellen Lebens, darunter den Landesvorsitzenden
und Ministerpräsidentenkandidaten der Christlich Demokratischen Union in
Nordrhein-Westfalen, Bundesminister a. D. Dr. Jürgen Rüttgers, den stellvertretenden
Landesvorsitzenden der CDU in NRW und Landesvorsitzenden der Ost- und Mitteldeutschen
Vereinigung, den Bundestagsabgeordneten Dr. Peter Paziorek, den Bürgermeister der
Landeshauptstadt Düsseldorf, Heinz Winterwerber, und den Landeshistoriker Professor Dr.
Kurt Düwell von der Heinrich-Heine-Universität.
Große Aufmerksamkeit schenkten die Teilnehmer der Begrüßungsrede von Dr. Jürgen
Rüttgers, der sich u. a. auf ein aktuelles Positionspapier zum § 96 des
Bundesvertriebenengesetzes bezog. Die CDU Nordrhein-Westfalen habe ein 7-Punkte-Programm
erarbeitet, das die finanzielle Förderung der Kultur der Vertriebenen neu gestalten soll,
betonte Dr. Rüttgers. Die Förderung soll vom Sozialministerium in das für Kultur
zuständige Ministerium verlagert und personell gestärkt werden. Das Thema Flucht und
Vertreibung soll im europäischen Kontext an allen öffentlichen Schulen und auch in den
Institutionen der Erwachsenenbildung stärker vermittelt werden. Intensive Förderung wird
auch der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Flucht und Vertreibung
zugesagt. Die Kulturförderung nach § 96 BVFG muß ihre Brückenfunktion nach
Ostmittel- und Osteuropa erfüllen, sie muß zur Vertiefung der europäischen Integration
beitragen, heißt es im letzten Punkt des Positionspapieres.
Als Höhepunkt der Veranstaltung galt zweifelsohne der Vortrag von Professor Dr. Alfred M.
de Zayas, der das Thema Flucht und Vertreibung aus der Sicht eines nicht-deutschen
Historikers beleuchtete: Heute gedenken wir Millionen unschuldiger Menschen, die ihr
Leben auf der Flucht und bei der Vertreibung verloren haben, wir gedenken auch der
Menschen, die ihre Heimat und ihre Seele zurückließen. Denn es geht auch um die
menschliche Tragödie der gewaltsamen Trennung von der angestammten Heimat. Als
Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der einschlägig tätigen Stiftung verwies der
Völkerrechtler auch auf das Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin, das die Aufgabe habe,
sich für die weltweite Ächtung von Vertreibungen und für die Anerkennung des Rechtes
auf Heimat einzusetzen.
Im Foyer des Eichendorff-Saales hatte der BdV-Buchdienst eine Auswahl von
Veröffentlichungen zum Thema Flucht und Vertreibung, Landkarten und Bildbände aus
ehemaligen deutschen Landstrichen sowie einige Titel von Professor de Zayas angeboten.
Besonderes Interesse weckten die vom Autor signierten Werke, darunter Heimatrecht
ist Menschenrecht. Der mühsame Weg zu Anerkennung und Verwirklichung (2001),
Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle. Dokumentation alliierter Kriegsverbrechen
im Zweiten Weltkrieg (1987), Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der
Deutschen (1999) sowie Larenopfer von Rainer Maria Rilke, übersetzt von
Alfred de Zayas .
Dieter Göllner (KK)
Metropole in Moll
Präsentation Königsbergs in der Patenstadt Duisburg
Das Museum Stadt Königsberg in Duisburg, das auf die Übernahme der Patenschaft der
Stadt Duisburg für die Stadt Königsberg im Jahre 1951 zurückgeht, beherbergt seit dem
9. April eine neue Ausstellung. Nach der erfolgreichen Kant-Präsentation im Jahr 2004
wurde die Jubiläumsausstellung 750 Jahre Königsberg Geschichte und Kultur
einer europäischen Metropole eingerichtet.
Die offizielle Eröffnung fand im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in der Salvator-Kirche
in Duisburg statt, bei der Professor Dr. Jürgen Manthey einen Vortrag über die geistes-
und kulturgeschichtliche Bedeutung Königsbergs, vornehmlich im 18. Jahrhundert, hielt.
In der Ausstellung wird anhand von Originalkarten und Plänen die Entwicklung der Stadt
die aus den drei selbständigen Gemeinwesen Altstadt, Löbenicht und Kneiphof
entstanden war bis zum Jahre 1939 dargestellt. Eingegangen wird sowohl auf die
NS-Zeit als auch auf die Zerstörung der Stadt im August 1944 und schließlich auf
Kapitulation, Flucht und Vertreibung. Gestreift wird ferner die jüngere Geschichte der
Stadt, die seit 1946 Kaliningrad heißt.
Historische Bildnisse, Dokumente, Modelle und Gegenstände zeigen Gesamtansichten und
heben auch einzelne Gebäude hervor, darunter das Schloß, den Dom und die Universität.
Der Königsberger Dom ist übrigens auch heute eines der Wahrzeichen der Stadt. Er ist im
Stil der Backsteingotik errichtet und gilt als einziges bedeutendes Bauwerk, das noch vom
früheren Königsberg erhalten ist.
Die Ausstellung vermittelt umfangreiche Informationen zur Gründung der Stadt durch den
Deutschen Ritterorden 1255 und zur Umwandlung des Ordensstaates in ein Herzogtum mit der
gleichzeitigen Einführung der Reformation unter Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach
1525. Die Selbstkrönung Friedrichs I. zum ersten König in Preußen 1701 und Wilhelms I.
zum König von Preußen 1861 sind weitere Schwerpunkte der Präsentation.
Hervorgehoben werden auch geistes- und kulturgeschichtliche Leistungen bedeutender
Persönlichkeiten wie Immanuel Kant, Johann Gottfried Herder, Johann Christoph Gottsched,
E. T. A. Hoffmann, Käthe Kollwitz, Otto Nicolai, Agnes Miegel und Ernst Wiechert.
Lorenz Grimoni, der Leiter des Museums Stadt Königsberg, erklärt: Der Bereich
Kunst ist in dieser Ausstellung nur mit wenigen Bildern und Plastiken vertreten. Der Grund
dafür ist ein doppelter: Dank der Bereitschaft vieler Königsberger, dem Museum ihre
Exponate zu schenken, bzw. dank der Tatsache, daß die Stadtgemeinschaft Königsberg,
Träger des Museums, manches Exponat erwerben konnte, reicht der große Museumsraum nicht
mehr aus, alle Bereiche der 750jährigen Stadtgeschichte in gewünschter Form zu
präsentieren. Darum habe sich die Stadtgemeinschaft entschlossen, viele Exponate
der Lehrer und Studenten der Königsberger Kunstakademie für einige Monate nach
Königsberg (heute Kaliningrad) auszuleihen. Die russischen Partnereinrichtungen werden
somit im Jubiläumsjahr den Bürgern der Stadt, aber auch den vielen Touristen, Werke von
Dettmann, Kollwitz, Stumpp und Wolff zeigen können.
(KK)
Deutsches Polen-Institut feiert 25jähriges Bestehen
Am 11. März 1980 öffnete das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt seine Pforten. Seit
25 Jahren leistet es seine Arbeit im Dienste der deutsch-polnischen Verständigung.
Es versteht sich als ein Forschungs-, Analyse-, Informations- und Veranstaltungszentrum
für polnische Kultur, Geschichte, Politik, Gesellschaft und hat die Aufgabe, durch seine
Arbeit zur Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse des kulturellen, geistigen und
gesellschaftlichen Lebens von Polen und Deutschen beizutragen.
Das Jubiläum des verdienstvollen Instituts wird mit einer festlichen Veranstaltung am 22.
Juni 2005 im Staatstheater Darmstadt gefeiert.
Es ist für das Institut eine besondere Ehre, daß Bundespräsident Horst Köhler und
Präsident Aleksander Kwasniewski an der Feier teilnehmen werden.
Informationen über die aktuelle Arbeit des Instituts erhalten Sie unter: www.deutsches-polen-institut.de.
(KK)
Glas ist unpolitisch, denn es ist transparent
Gläserne Kunst zweier Schulen des gestaltenden Handwerks aus Gablonz an
der Neiße/Jablonec und Neugablonz in München
Unter großer Beteiligung von Schülern und Ehemaligen feierten die Berufsfachschulen
für Glas und Schmuck aus Kaufbeuren-Neugablonz und Gablonz an der Neiße/Jablonec nad
Nisou gemeinsam ihr 125jähriges Schuljubiläum. Anlaß war die Eröffnung der Ausstellung
Zwei Schulen des gestaltenden Handwerks im europäischen Raum im Haus des
Deutschen Ostens in München.
Dr. Ortfried Kotzian, der Direktor des Hauses, konnte als Ehrengäste den
Schuldirektor Jiri Dostal und den Pädagogen und Künstler Ivan Kolman von der
Strední umeleckoprùmyslová skola a vyssi odborna skola v Jablonci nad Nisou
aus Gablonz/Jablonec in der Tschechischen Republik und den Direktor der Staatlichen
Berufsfachschule für Glas und Schmuck Kaufbeuren-Neugablonz, Klaus Hlawatsch, mit
der stellvertretenden Schulleiterin Bettina Sauerbruch-Meese willkommen heißen.
Das Generalkonsulat der Tschechischen Republik in München vertrat der Leiter der Handels-
und Wirtschaftsabteilung, Konsul Antonin Nadvornik.
Dr. Kotzian führte in seiner Begrüßungsansprache aus: Gablonz gibt es zweimal,
einmal in Böhmen an der Neiße und einmal in Bayern als Stadtteil von Kaufbeuren an der
Wertach. Wenn es zwei Städte mit dem Namen Gablonz gibt, so liegt es nahe, daß es zwei
Schulen in den jeweiligen Orten geben muß. Es handelt sich um es kurz zu sagen
um die Fachschulen für Glas und Schmuck, die aus einer Wurzel stammen, der vor 125
Jahren in Gablonz an der Neiße als Zweigstelle der Reichenberger Gewerbeschule
gegründeten ,Gewerblichen Zeichen-, Modellier- und Ziselierschule.
Die Ausstellung der heutigen Schulen ist ein Beispiel dafür, wie in einem friedlichen und
demokratischen Europa zwei Einrichtungen kooperieren können, obwohl die Geschichte den
Menschen beidseitig tiefe Wunden geschlagen hat. Auch die Schulgeschichte der Gablonzer
Schule widerspiegelt die Schrecken der europäischen Politik im 19. und 20. Jahrhundert.
Gegründet in der österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn,
wurde sie 1919 eine Staatsfachschule in der ersten Tschechoslowakischen Republik, 1938 mit
dem gesamten Sudetenland an das Deutsche Reich angeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt
hatte die Schule ihren Standort nicht verändert, jedoch drei verschiedenen Staaten
angehört. 1945/46 mußte die gesamte deutsche Bevölkerung die wiederentstandene zweite
Tschechoslowakische Republik verlassen. Auch die Lehrer der Gablonzer Glasfachschule, die
während der Kriegszeit zeitweise für Rüstungszwecke hatte herhalten müssen, waren
Opfer der Vertreibung, der Ausweisung, des Abschubs (Odsun), wie der Vorgang vor 60 Jahren
von den verschiedensten Seiten bezeichnet wurde und heute noch wird.
Die sudetendeutschen Glas- und Schmuckwarenhersteller fanden großteils eine neue Heimat
in der Nähe von Kaufbeuren. Hier entstand ein neues Gablonz: Neugablonz als Stadtteil von
Kaufbeuren in Bayerisch-Schwaben. Von nun an entwickelten sich beide Schulen unabhängig
voneinander. Die zwischenzeitlich tschechisch gewordene Schule in Gablonz an der Neiße
suchte ihren eigenen Weg zu finden, hatte sie doch mit den Problemen eines sozialistisch
geprägten Schulsystems zu tun. In der bayerischen Schule waren es die bayerischen
Schulreformen der Nachkriegszeit, die diesen Import aus Böhmen erst im wahrsten Sinne des
Wortes be-greifen, erfassen mußten.
Die samtene Revolution von 1989 in der Tschechoslowakei öffnete nicht nur Grenzen,
sondern brachte auch das wieder zusammen, was einmal zusammengehört hatte. Die Schulen
nahmen Kontakt zueinander auf und entwickelten im Sinne einer gemeinsamen Kulturtradition
im europäischen Sinne institutionelle und menschliche Bindungen. Die Ergebnisse der
gegenseitigen künstlerischen Befruchtung möchte die Ausstellung deutlich machen.
Geschichte einer Schule in zwei Ländern in ihrem künstlerischen Ausdruck, das ist es,
was die Ausstellung vermitteln will. Daneben geht es um eine Reise in die Vergangenheit,
die durch die Aufgliederung der Räume deutlich gemacht wird. Der Rundgang führt in die
Gegenwart des gemeinsamen Schaffens von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften, wie
Direktor Hlawatsch bei seiner Einführungsrede betonte. Außerdem geht es ganz nebenbei
auch um die Freude an jenen Exponaten, die seit Urzeiten einen Teil menschlicher Eitelkeit
darstellten die Präsentation von Schmuck und sonstigen Verschönerungsobjekten
(vor allem für Frauen).
hdo (KK)
Der Autor, Übersetzer, Herausgeber der Zeitschrift Sudetenland, Vorsitzende der Künstlergilde und unermüdliche Brückenbauer und nichts davon ehemalig Franz Peter Künzel ist am 31. März 80 geworden. (KK)
Bücher und Medien
Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik
Konrad Adenauer: Briefe 1959-1961. Bearbeitet von Hans Peter Mensing.
Konrad Adenauer: Rhöndorfer Ausgabe.
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderbom 2004. 598 S., 46,90 Euro
Auf der Rückseite des Buchumschlags, den ein Bild von Konrad Adenauer ziert, steht es
knapp ausgedrückt: Mit 300 Schlüsseldokumenten aus den privaten und politischen
Papieren Konrad Adenauers umfaßt der fünfzehnte Band der ,Rhöndorfer Ausgabe den
Zeitraum September 1959 bis September 1961 einen der dramatischsten Abschnitte der
Ära Adenauer überhaupt. Außen- und innenpolitische Herausforderungen wie selten
kennzeichnen diese Jahre. Dabei hat es in Adenauers Amtszeit nie, in keinem
Abschnitt, an Aufregungen, parteipolitischen Kämpfen, innenpolitischen
Schwierigkeiten, außenpolitischen Krisen gefehlt. Aber der Bundeskanzler hat sie
gemeistert. Mit der absoluten Mehrheit aus dem Jahre 1957 konnte in diesen beiden Jahren
regiert werden, aber da gab es auch das sogenannte Adenauer-Fernsehen, das vor
dem Bundesverfassungsgericht nicht bestehen konnte, die ständige Bemühung, die
westlichen Alliierten bei der Fahne, das heißt bei einer freiheitlichen Behandlung der
offenen deutschen Frage zu halten, da scheiterte in Paris eine Gipfelkonferenz, da setzte
ein Flüchtlingsstrom aus der Sowjetzone ein, da sollte die nächste Bundestagswahl am 17.
September 1961 gegen die SPD mit Willy Brandt als regierendem Bürgermeister in Berlin und
Kanzlerkandidat bestanden werden, da gab es schließlich die Errichtung der Mauer mitten
durch Berlin.
Der Bundeskanzler konnte am 5. Januar 1961 seinen 85. Geburtstag feiern. Aber nirgendwo,
dies beweist die vorliegende Korrespondenz, ist irgendein Symptom nachlassender Kräfte
oder gar einer Bereitschaft zur Aufgabe des Amts zu registrieren. Auffallend sind die
vielen Urlaubs- und Ferienaufenthalte im oberitalienischen Cadenabbia am Comer See, fünf
meist auf mehrere Wochen Abwesenheit von der Bundeshauptstadt Bonn angelegt. Um den
Herausgeber Hans Peter Mensing aus seiner klugen und kurzen Einführung zu zitieren:
Refugium, Werkstatt, Schaltstelle, Begegnungsstätte und Konferenzort in
einem, das war für Adenauer dieses Cadenabbia. Adenauer als Boccia-Spieler mag noch
manchem in Erinnerung sein, aber das waren nicht mehr als Foto-Termine, denn das
Selbstverständnis Adenauers hielt sich an das Gebot im Grundgesetz: Der
Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik.
Aus den 292 Briefen, zu denen ergänzende Schriftstücke hinzukommen, geht deutlich
hervor, mit welch starker Hand regiert, oft sogar reglementiert worden ist. Wenn man diese
Anordnungen, Kritiken an den Kabinettsmitgliedern, Anweisungen an den Staatssekretär im
Bundeskanzleramt, Hans Globke, und Vorgaben an Heinrich Krone, den Vorsitzenden der
gemeinsamen Bundestagsfraktion von CDU und CSU, liest, wirken im Kontrast dazu die
heutigen Verhältnisse um so bedrückender, da immer wieder Dementis ein ministerielles Ja
oder Nein korrigieren müssen.
Die feine Art des Umgangs innerhalb der Bundesregierung pflegte Adenauer nicht. Franz
Josef Strauß wird übermittelt, was er nächstens zu unterlassen und welche Reise ins
Ausland doch besser zu unterbleiben habe, Ernst Lernmer soll den Inhalt einer Meldung
über seine Rede bestätigen oder korrigieren, Felix von Eckhardt als Staatssekretär des
Bundespresseamts wird wegen einer schlechten Vorlage gerüffelt, Ludwig Erhardt sollte
zurückhaltender in seinen öffentlichen Äußerungen sein und für sich nicht gefällige
Reklame machen. Dem Bundesaußenminister Heinrich von Brentano wird die Zustimmung zu
seiner Interpretation einer Rede Kennedys verweigert und geraten, vor der bevorstehenden
internationalen Konferenz erst noch nach Cadenabbia zu kommen. Außenpolitik war ein
hochgeschätzter und von Adenauer lustvoll betriebener Teil seines Arbeitspensums.
Es sind die Jahre, in denen Dwight Eisenhowers Amtszeit als Präsident der USA auslief,
Charles de Gaulle der starke Mann in Frankreich war und Harold Macmillan Premierminister
in England. Die Anrede in den vielen Briefen, die abgedruckt worden sind, ist stets
persönlich und herzlich, sogar freundschaftlich gestimmt. Trotzdem meinte Adenauer, sich
gegenüber dem nicht mehr amtierenden Bundespräsidenten Theodor Heuss rechtfertigen zu
müssen, weil ihm zugetragen worden sei, er, Adenauer, hege aufgrund unguter persönliche
Erfahrungen anti-englische Gefühle. Nicht zu vergessen, in jenen Jahren des Briefwechsels
herrschte in Moskau der in seinem Temperament und seinen politischen Angriffen nicht zu
bezwingende Nikita Chrutschow. In der DDR war Walter Ulbricht der starke Mann.
Auch diese Briefedition ist zur Auflockerung mit einigen privaten Briefen durchsetzt. Ein
Brief an den Ortspfarrer von Rhöndorf, Adenauers Wohnort, kann an kritischer Deutlichkeit
nicht übertroffen werden. Aber es gibt auch Briefe, die sich um Gemälde und deren
Restaurierung drehen, Briefe an Freunde in Deutschland und in den USA, Briefe an die
Kinder, allerdings in auffälliger Minderzahl.
Der Einführung in die Edition ist ein Satz Adenauers aus seiner Rede auf dem
Deutschlandtreffen der Schlesier am 11. Juni 1961 in Hannover vorangestellt, der den
Kämpfer für ein Europa in Freiheit zeigt: Unser Ziel ist, dafür zu arbeiten, daß
die Gegensätze der Nationalstaaten in Europa im Laufe der Zeit verschwinden. Das gilt
auch für die europäischen Länder, die jetzt dem Ostblock angehören, unser Ziel ist,
daß Europa einmal ein großes gemeinsames Haus für alle Europäer wird, ein Haus der
Freiheit.
Den über 300 Seiten mit den Briefen folgen fast 200 Seiten mit Anmerkungen. Zu manchem
Brief gibt es deren 20 und mehr gewissenhaft erarbeitete Informationen zu Personen und zu
zeitgeschichtlichen Zusammenhängen. Bisweilen, man wagt es kaum auszusprechen, ist der
wissenschaftliche Apparat gewichtiger als der eine oder andere Brief. Nur eine kleine
Korrektur sei angebracht: Richard Nixon war nicht bis 1972, sondern zwei Jahre länger
amerikanischer Präsident.
Nicht nur oberflächlich neugierig auf die Handschrift des ersten deutschen Bundeskanzlers
sollte man in diesen ausgewählten Briefen blättern, man sollte sie gründlich lesen,
denn so wurde Deutschland regiert, und es wurde sehr gut regiert, wie heute das allgemeine
Urteil lautet.
Herbert Hupka (KK)
Lenaus freie Dichtungen in stringenter Form präsentiert
Nikolaus Lenau: Werke und Briefe. Band 4. Hg. Helmut Brandt und Gerhard Kosellek.
Deuticke und Klett-Cotta, Wien 2004. 634 S.
Der vorliegende vierte Band schließt die historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke
und Briefe Lenaus ab, die im Auftrag der Internationalen Lenau Gesellschaft herausgegeben
wird. Sie umfaßt insgesamt sieben Bände in neun Teilbänden, die seit 1989 erscheinen.
Der vierte Band enthält historische Werke Lenaus: die epischen Dichtungen
Savonarola und Die Albigenser sowie die Szenenfolge Don
Juan und die szenischen Verse des Fragments Helena.
Während das Epos Savonarola und Die Albigenser Lenau
bezeichnet dieses Werk als freie Dichtungen auf den Erstdrucken der
jeweiligen Buchausgaben beruhen, mußte der Text des Don Juan wie der des
Fragments Helena aus den Handschriften des Nachlasses gewonnen werden. Damit
werden sie zum ersten Mal in der Originalform zugänglich, nachdem Don Juan
bisher gedruckt nur mit den eigenmächtigen Umstellungen der Schlußszenen vorlag, die
Anastasius Grün vorgenommen hatte, und Helena noch gar nicht herausgegeben
worden war.
Die Herausgeber Helmut Brandt und Gerhard Kosellek haben sich mit dieser Ausgabe der
historischen Dichtungen Lenaus beachtliche wissenschaftliche Verdienste erworben. Die
Texte und der zugehörige historisch-kritische Apparat mit Lesarten, Quellennachweisen,
Angaben zur Überlieferung und Erläuterungen etc. sind exakt und zuverlässig gearbeitet.
Dem an Lenau allgemein Interessierten eröffnen namentlich die Beschreibungen der
geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, in denen die Texte stehen, und die Erläuterungen
zu einzelnen Textstellen den Zugang zu den nicht ganz leicht sich erschließenden Werken.
Sind doch Savonarola und Albigenser in einer eigenwilligen Form
abgefaßt, wobei einzelne Gedichte Situationen beschreiben und Betrachtungen aus
unterschiedlichen Perspektiven vermitteln, woraus sich dann die Gesamthandlung
zusammensetzt bzw. erkennen läßt.
Insgesamt darf festgestellt werden, daß die Vollendung der Lenau-Gesamtausgabe einen
überaus wichtigen Beitrag zur Bewahrung des deutschen Kulturgutes des osteuropäischen
Raumes darstellt.
Roswitha Wisniewski (KK)
Mutter Ostpreußen ein Mensch aus Fleisch und
Blut
Ulf Diederichs: Agnes Miegel, Lulu von Strauß und Torney und das Haus Diederichs.
Agnes-Miegel-Gesellschaft, Agnes-Miegel-Platz 3, 31542 Bad Nenndorf, Tel. 0 57 23 / 91 73
17. www.agnes-miegel-gesellschaft.de,
buecher@agnes-miegel-gesellschaft.de
Wer hätte das gedacht Agnes Miegel, von der bisher ein eher hehres
Bild gezeichnet wurde, war ein Mensch aus Fleisch und Blut, lebensfroh trotz vieler Sorgen
und materieller Not, eine Frau, die litt und liebte, eine Persönlichkeit mit einer ganz
besonderen Begabung zwar, aber eben ein erdgebundener Mensch. Dieses neue Lebensbild
stellt der Verleger Ulf Diederichs in einer bemerkenswerten Publikation der
Agnes-Miegel-Gesellschaft vor.
Kaum eine deutsche Dichterin des 20. Jahrhunderts wurde so sehr zwischen Schlagworten wie
Mutter Ostpreußen und Braune Bardin zerrieben wie Agnes Miegel.
Wenige Dichterinnen und Dichter reizten zu so konträren Stellungnahmen wie pauschaler
Ablehnung und glühender Verehrung. Der Mensch Agnes Miegel aber, die Dichterin in ihrer
Zeit, blieb bei allem seltsam schwer faßbar und auf wenige Bereiche ihres Lebens
reduziert. Einen ersten großen Schritt in Richtung eines umfassenden Lebensbildes liefert
Ulf Diederichs mit dieser Publikation, die als Jahresband 2005 bei der
Agnes-Miegel-Gesellschaft verlegt worden ist. Der Band ist eine mit vielen Abbildungen
versehene Weiterführung eines Vortrags, den Diederichs 2004 anläßlich des 125.
Geburtstages von Agnes Miegel in Bad Nenndorf gehalten hat.
Ulf Diederichs, der Enkel des Miegel-Verlegers Eugen Diederichs, konnte für seine
Publikation auf das Familien- und Verlagsarchiv zurückgreifen. Vor allem die umfangreiche
Korrespondenz zwischen Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney, der zweiten Ehefrau
von Eugen Diederichs, erwies sich als ergiebige Quelle. Es handelt sich hierbei um die
Briefe Agnes Miegels an Lulu von Strauß und Torney, die Briefe an Agnes Miegel allerdings
sind verlorengegangen.
Der Briefwechsel der vertrauten Freundinnen berührte alle Lebensbereiche, vom banalen
Alltag mit seinen großen und kleinen Sorgen bis zum gemeinsamen Dichterberuf. Man
tauschte sich über Freud und Leid, die Liebe und gemeinsame Freunde aus.
Lebensmenschen nennt Ulf Diederichs diese Freundschaften, die in Agnes Miegels
Leben wesentlich waren. Neben Lulu von Strauß und Torney waren das für Agnes Miegel auch
Ina Seidel und Börries von Münchhausen. Letzterer spielte eine besondere Rolle.
Münchhausen bereitete als Mentor der jungen Schwesternschülerin den Weg zur ersten
Veröffentlichung, er war ihr Geliebter und später lebenslanger Freund.
Nach einer ersten Zeit respektvollen Abstandes wurde auch Eugen Diederichs einer der
Lebensmenschen Agnes Miegels. Der gute Leu, wie sie ihn mit einer Anspielung
auf das Verlagssignet nannte, wurde ihr nicht nur zum Freund, er war ihr auch stets ein
kluger Ratgeber.
Ulf Diederichs der Patensohn Agnes Miegels zeigt in vielen Textausschnitten
die Wortgewalt und Formulierungskraft der ostpreußischen Dichterin sowie ihre Fähigkeit,
sich in ganz verschiedenen Sprachebenen auszudrücken und auch mal ein loses
Mundwerk zu führen. Donnerwetter kannst Du dichten, schrieb sie an ihre
Freundin Lulu. Erstaunliche Selbstmitteilungen wie Ich bin selbst in der
illegitimsten Liebe Spießbürger und werde nie moralische Betrachtungen los und die
preußische Selbstironie, treten da zutage sowie ein ausgeprägter Sinn für die
kleinen komischen Aspekte des Lebens, der selbst in den dunklen Tagen der Pflege der
Eltern, eigener Krankheit und den schweren Zeiten chronischen Geldmangels nie ganz
versiegte. Auch Agnes Miegels umstrittene Jahre während des Dritten Reiches
blendet Diederichs nicht aus und berichtet, soweit es der beschränkte Umfang der
Publikation zuläßt, wie Verlag und Dichterin in die braune Vereinnahmung gerieten.
Ulf Diederichs gelingt es in dem überaus lesenswerten Jahresband der
Agnes-Miegel-Gesellschaft, der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Seiten der
ostpreußischen Dichterin zu zeigen. Er regt dadurch zu einer eingehenden Beschäftigung
mit ihren Briefen an und bereitet den Weg zu einer neuen Sicht auf den zeitgebundenen
Menschen Agnes Miegel.
Brigitte Jäger-Dabek (KK)
Wo Natur und Literatur aufs eindringlichste zusammenfinden
Peter Becher: Adalbert Stifter. Sehnsucht nach Harmonie. Eine Biografie.
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2005. 296 S., zahlreiche Abbildungen, 26,90 Euro
Nach Jahrzehnten erscheint rechtzeitig zum 200. Geburtstag eine
neue, reich illustrierte Stifter-Biographie.
Sie zeichnet einfühlsam und doch objektiv kritisch Stifters Leben, sein Denken und
Handeln sowie die historische Situation und die Gesellschaft, in der er lebte. Gut lesbar
und auf unterhaltsame Weise werden Zugänge zu Stifters Erzählungen und Romanen und zu
seinen literarischen Figuren vermittelt.
Mit ihrem Bilderreichtum, ihren Natur- und Landschaftsschilderungen und ihrem hohen
ethischen Anspruch sind Stifters Werke kostbare Schätze der deutschsprachigen Literatur.
Der Autor, der neben seinem Amt als Geschäftsführer des Adalbert Stifter Vereins in
München vielfältig kulturhistorisch tätig ist, reinigt das Bild des Dichters von
Klischees und Vorurteilen.
(KK)
Literatur und Kunst
Notizen von der diesjährigen Leipziger Buchmesse
Die Leipziger Buchmesse stand 2005 im Zeichen des 60. Jahrestags des
Kriegsendes 1945. So erwartete denn auch die Besucher in den fünf Messehallen von
Leipzig-Wiederitzsch eine kaum noch überschaubare Flut von Literatur zum Thema, und
darunter fand man dann auch immer Bücher über Flucht und Vertreibung aus dem
historischen Ostdeutschland und über die reiche Kulturtradition Schlesiens oder
Ostpreußens.
Wollte man eine Bewertungsskala anwenden, so nimmt Jürgen Mantheys Buch
Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik (Carl Hanser Verlag)
zweifellos den höchsten Rang ein, während Micha Brumliks Streitschrift Wer Sturm
sät. Die Vertreibung der Deutschen (Aufbau-Verlag) den Tiefpunkt markiert.
Der 1932 im westpreußischen Elbing geborene Jürgen Manthey hat es unternommen, was nach
Fritz Gauses dreibändiger Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen
(Neuauflage 1996) gewiß ein Wagnis war, die Geschichte der Hauptstadt Preußens von der
Gründung durch den Deutschen Orden 1255 bis zur Austreibung der Einwohner 1945 in 47
Kapiteln darzustellen. Es bereitet ein großes Vergnügen, in diesem Buch zu lesen, zumal
mehrere Kapitel in Königsberg wirkenden Schriftstellern wie Simon Dach, Johann Georg
Hamann, Johann Gottfried Herder, Theodor Gottlieb von Hippel, Fanny Lewald, Ernst
Wiechert, Agnes Miegel, Rudolf Borchardt gewidmet sind, deren Werke noch heute vom
Kulturreichtum der 1945 untergegangenen Stadt am Pregel zeugen. Wobei anzumerken ist, daß
der frühere Rowohlt-Lektor Jürgen Manthey bis zur Pensionierung als entschiedener Linker
aufgetreten ist und nun, im Alter von 73 Jahren, seine biographischen Ursprünge in
Ostpreußen entdeckt. Das Buch Micha Brumliks wiederum ist eine kaum ernstzunehmende
Publikation, in der es, bei gewaltigem Aufwand an wissenschaftlichem Vokabular, weniger um
Flucht und Vertreibung der Deutschen als um Kritik am in Berlin geplanten Zentrum gegen
Vertreibungen geht.
Auch bei anderen Verlagen ist die frühere Abstinenz, die weit über das Jahr 1989/90
anhielt, kaum noch zu spüren. Was ein halbes Jahrhundert hindurch als
revanchistisch galt, wird nun anerkannt und, bei neuer Akzentsetzung, gepflegt
und verbreitet, als hätte es in den Jahren bis 1989 nie eine ostdeutsche Kulturarbeit
gegeben.
So gibt es im Rowohlt Verlag von der 1929 in Bauerwitz/Schlesien geborenen Lehrerin und
Theologin Katharina Elliger die autobiographische Geschichte einer Vertreibung aus
Schlesien (Untertitel) mit der schönen Überschrift Und tief in der Seele das
Ferne. Im Aufbau-Verlag sind nicht nur die Erinnerungen der 1926 in Breslau
geborenen und auf dem Gut ihrer Eltern im Kreis Namslau aufgewachsenen Maria Frisé,
Meine schlesische Familie und ich, erschienen, sondern auch als Taschenbuch
die Rundbriefe einer Mädchenklasse 1944-2000 unter dem Titel Ein Teil
Heimat seid Ihr für mich. Und hier hat schließlich auch die 1937 in Falkenhain,
Schlesien, geborene Erzählerin Helga Schütz ihren neuen Roman Knietief im
Paradies erscheinen lassen, dessen Heldin den Bombenangriff vom 13. Februar 1945 auf
das mit Flüchtlingen aus Schlesien überfüllte Dresden miterlebt.
Und noch ein Schlesier ist zu nennen: der am 4. Februar 1906 in Breslau geborene Theologe
und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, der am 9. April 1945 im Konzentrationslager
Flossenbürg, Franken, gehängt wurde. Das Gütersloher Verlagshaus, das sein
theologisches Werk in 16 Bänden betreut, hat einen reichhaltigen Sonderprospekt
veröffentlicht, der auch die Sekundärliteratur verzeichnet.
Einen Erfolg besonderer Art kann die Bonner Stiftung Ostdeutscher Kulturrat verbuchen: Die
von Wilfried Schlau betreute zwölfbändige Studienbuchreihe Vertreibungsgebiete und
vertriebene Deutsche, 1992 im Münchner Verlag Langen Müller mit Fritz Peter Habels
Band Die Sudetendeutschen eröffnet, konnte nun mit dem letzten Band, Ortfried
Kotzians Die Umsiedler, abgeschlossen werden. Damit liegt, nach der
zehnbändigen Reihe Deutsche Geschichte im Osten Europas aus dem Berliner
Siedler Verlag, eine zweite Gesamtdarstellung der ostdeutschen Provinzen und der deutschen
Siedlungsgebiete außerhalb der Reichsgrenzen vor, die bis in die Gegenwart reicht und auf
lange Zeit unentbehrlich sein dürfte.
Zu danken ist auch dem Deutschen Taschenbuch-Verlag in München, der die 1984 erschienene
Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa in acht
Bänden, erarbeitet 1953/60 von einer Historikergruppe unter Theodor Schieder und von
Erika Steinbach als Meilenstein der wissenschaftlichen Aufarbeitung
bezeichnet, noch einmal aufgelegt hat, weil offensichtlich die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs noch längst nicht abgeschlossen
ist. Das zeigte auch die einstündige Podiumsdiskussion Die Wiederentdeckung des
deutschen Kulturerbes des Ostens, die, veranstaltet von der Bonner Kulturstiftung
der deutschen Vertriebenen und geleitet von Frank-Lothar Kroll aus Chemnitz, mit Jens
Baumann, Dresden, Jörg Bernhard Bilke, Coburg, Carola L. Gottzmann, Leipzig, und Andreas
Thüsing, Leipzig, während der Messe in der Reihe Leipzig liest stattfand.
Entdeckungen konnte man auch bei kleineren Verlagen machen: So gibt es neuerdings eine in
Polen gedruckte Zeitschrift Silesia nova mit ausschließlich deutschsprachigen
Beiträgen, beispielsweise über das literarische Werk Leonie Ossowskis von Hubert
Orlowski aus Posen oder über Angelus Silesius zum 380. Geburtstag von Michael
Ferber; im Göttinger Steidl Verlag, der seit Jahren das Werk des Danzigers Günter
Grass betreut, erschien Eleonora Hummels Roman Die Fische von Berlin über
eine rußlanddeutsche Familie aus Kasachstan; im Westkreuz-Verlag, Bad Münstereifel, kann
man die Lebenserinnerungen des 1929 in Böhmen geborenen Anton Drabek, Meine Jugend
in Kutscherau und Brünn (Untertitel), finden und im Rowohlt Verlag die des
PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky, der aus Hinterpommern vertrieben wurde, So viele
Träume; im Rostocker Hinstorff Verlag gibt es eine Geschichte Pommerns,
verfaßt von zwei deutschen und einem polnischen Historiker, und im Husum Verlag erschien
der spannend erzählte Lebensbericht einer 1893 geborenen Pfarrerstochter aus Schlesien,
erarbeitet aus Briefen der Charlotte F. aus den Jahren 1915 bis 1926 von Ursula Lange.
Der Berliner Trafo-Verlag veröffentlicht in wenigen Wochen das Buch des in Stadtroda,
Thüringen, lebenden Ostpreußen Bernhard Fisch über den Anteil der Kommunisten an
der Oder-Neiße-Grenze und der Vertreibung (Untertitel), im Sammelband
Deutsche Erinnerungsorte im Münchner Verlag C. H. Beck steht auch ein Kapitel
über Flucht und Vertreibung, und beim Kölner Deutschlandfunk gibt es noch immer die
CD-Dokumentation Flucht und Vertreibung. Zeitzeugen berichten.
Schließlich soll noch zweier schlesischer Autoren gedacht werden, die verstorben sind:
Edeltraud Eckerts (1930-1955) und Siegfried Pitschmanns (1930-2002). Die in Hindenburg,
Oberschlesien, geborene Studentin Edeltraud Eckert war 1950 wegen des Verteilens von
Flugblättern zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt worden und nach einem Arbeitsunfall im
Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf gestorben. In seiner 2000 erschienenen Biographie
Vom Leben trennt dich Schloß und Riegel. Das Schicksal der Schriftstellerin
Edeltraud Eckert veröffentlichte Jürgen Blunck auch eine Reihe unbekannter
Gedichte. Nun hat Joachim Walther seine auf 20 Bände veranschlagte Verschwiegene
Bibliothek (Büchergilde Gutenberg), die einst verbotenen DDR-Texten gewidmet ist,
mit dem Sammelband Jahr ohne Frühling eröffnet, worin 38 Gedichte und einige
Briefe Edeltraud Eckerts gedruckt sind. Der im schlesischen Grünberg geborene Siegfried
Pitschmann lebte zuletzt in Suhl, Thüringen, und wurde in Mühlhausen beigesetzt. Die
Weimarer Pfarrerin Marie-Elisabeth Lüdde hat mit ihm, der zu DDR-Zeiten immer im Schatten
seiner Frau und Kollegin Brigitte Reimann (1933-1973) stand, im Oktober 2001 ein Interview
von 15 Stunden gemacht, das unter dem Titel Verlustanzeige (2004) im
Wartburg-Verlag erschienen ist. Ein Schlesier in Thüringen, der schrieb und an der
DDR-Wirklichkeit zerbrach.
Jörg Bernhard Bilke (KK)
Habseligkeiten haben mit Seligkeit nichts zu tun
Und doch: Eine deutschsprachige Literatur in Rumänien besteht
Zum ersten Mal nach dem Sturz Ceausescus und dem darauf folgenden Massenexodus
der Rumäniendeutschen, der ihre einstmals stolze Zahl von immerhin 400 000 nach dem
Zweiten Weltkrieg auf 60 000 reduzierte, fand in den Räumen der Rumänischen Botschaft in
Berlin eine Lesung mit Vertretern der aktuellen rumäniendeutschen Literaturszene statt.
Diese Begegnung, die das Deutsch-Rumänische Forum Berlin unter tatkräftiger Mitarbeit
von Harald Berwanger sowie das Berliner Rumänische Kulturinstitut Titu
Maiorescu unter Leitung seiner Direktorin Dr. Adriana Popescu organisiert hatten,
war ein hoffnungsvolles Signal für die Vitalität der rumäniendeutschen Literatur.
Die Grußworte zu diesem literarischen Symposium sprachen Susanne Kastner MdB und der
rumänische Botschafter Adrian Vierita, letzterer übrigens in tadellosem Deutsch. Gemäß
dem Einladungsmotto Multikulturelle Lebensräume: Brücken, Passagen,
Verflechtungen, Übergänge unterstrich der Botschafter, daß er bemüht sei, im
Interesse beider Länder die Bandbreite der Beziehungen neben der Politik und der
Wirtschaft auch auf den Bereich der Kultur und ihre europäischen Werte zu vergrößern.
Nach der Begrüßung durch die Präsidentin des Deutsch-Rumänischen Forums Susanne
Kastner, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, und den rumänischen Botschafter
Adrian Vierita stellte Dr. Peter Motzan vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte
Südosteuropas in München die vier Autoren des Abends vor.
Zunächst lasen die drei in Rumänien lebenden Jungschriftsteller Petra Curescu (geboren
1983 in Temeswar/Timisoara), Michael Astner (geboren 1961 in Großpold/Apoldul de Sus) und
Lucian Manuel Varsandan (geboren 1975 in Arad). Alle drei schreiben in deutscher Sprache,
wobei auch die beiden von Haus aus rumänischen Muttersprachler Petra Curescu und Lucian
Manuel Varsandan von Kindesbeinen an über deutsche Kindergärten und Schulen bis zum
deutschsprachigen Abitur mit dieser vertraut sind.
Peter Motzan, einer der besten Kenner der rumäniendeutschen Nachkriegslyrik, Verfasser
des Standardwerkes Die rumäniendeutsche Lyrik nach 1944 Problemaufriß und
historischer Überblick, Klausenburg/Cluj 1980, hat durch diese drei jungen Autoren
ein erfreulich lebendiges Bild der neuesten Generation der rumäniendeutschen Literatur
entdeckt. Er wies besonders auf die neuen Aspekte ihres Selbstverständnisses hin: Im
heutigen zusammenwachsenden Europa sehen sie sich nicht mehr hauptsächlich veranlaßt,
als Sprecher einer kleinen Minderheit aufzutreten, die mehr verklären als kritisieren.
Sie haben das Ich, seine Befindlichkeit zu ihrem Thema gemacht und gleichen darin ihren
Altersgenossen europaweit.
Petra Curescu bietet ein erstaunliches Beispiel einer kultur- und
mentalitätsüberschreitenden Schreibweise. Sie ist seit zehn Jahren Mitglied der
deutschsprachigen Literaturgruppe Stafette in Temeswar, in der die
Deutschlehrerin und Kustodin Annemarie Podlipny-Hehn eine Reihe junger deutschschreibender
Talente gefördert hat. Ihre vertrackte Verspieltheit kam bei den mehr als hundert
Zuhörern gut an: Eine Abstraktion selber / ist die / Sprache / in der ich jetzt /
spreche / und die / Buchstaben / mit denen ich jetzt / schreibe. Wer / das / schon
versteht, / sollte nicht erwarten / sich selber / zu gut / zu verstehen.
Auch Lucian Manuel Varsandan hat mehr als nur einen neuen Farbtupfer in die neueste
rumäniendeutsche Lyrik gebracht. In seinem Lyrikband Als das Wort zu Ende war
schreibt er über Ausländer Richtung Frankfurt: Wir sind ein tolerantes
Mehrvölkerabteil / auf rumänisch, türkisch und arabisch / fordern wir / das
Recht auf einen mehrsprachigen Schaffner.
Michael Astner hatte dann, wenn er akustisch durchdrang er sprach leider viel zu
leise ins Mikrophon mit seinem verqueren Humor, der die Schwierigkeiten vor und in
der Übergangszeit Rumäniens auf die Schippe nahm, spontan Erfolg. Aufmerksamkeit
erweckte ein Gedicht von ihm in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, das der Autor gleich
ins Hochdeutsche übertrug.
Im zweiten Teil der Veranstaltung las dann der bekannte nach Berlin ausgesiedelte
rumäniendeutsche Autor aus dem Banat Richard Wagner aus seinem vor kurzem im Aufbau
Verlag Berlin erschienenen Roman Habseligkeiten, seinem 27. Buch, wie Peter
Motzan eingangs erwähnte, um dann noch hinzuzufügen, er besitze selber 26 davon, die er
auch alle gelesen habe. Eine Moderationsvorbereitung, wie man sie sonst wohl selbst
in den größten Literaturen kaum noch finden dürfte.
Ingmar Brantsch (KK)
Die 2001 gegründete Kulturzeitschrift des Goethe-Instituts mit dem sinnigen
Namen Kafka, die in vier Sprachen erschien und sprachliche wie kulturelle
Grenzen zu überschreiten als Programm hatte, wird ihr Erscheinen einstellen, da, wie der
Herausgeber bekanntgab, die finanziellen Mittel für den Ausbau des Internet-Angebots
benötigt werden. Allerdings soll die Online-Präsenz an die junge und doch so fruchtbare
Tradition der Zeitschrift anknüpfen.
(KK)
Meister des schönen Durchscheins
Der Glaskünstler Horst Hähle ist gestorben
Im Leben von Horst Hähles Familie spielte der Werkstoff Glas eine wichtige
Rolle. Sein Großvater und sein Vater unterhielten eine Werkstatt für Glasmalerei, und er
selbst (geboren 1923 in Heringsdorf) begann seine Laufbahn als Lehrling in dieser Branche
bereits als 15jähriger. Sein Studium an der Werkschule Stettin mußte er nach einem Jahr
wegen der Einberufung abbrechen. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft
gründete er im Seebad Bansin eine Galerie. 1948 legte er seine Meisterprüfung ab und
setzte dann seine kunsthandwerkliche Ausbildung in Luxemburg fort. Nachdem er in
Düsseldorf und Wiesbaden Werkstätten für Glasmalerei geleitet hatte, begann er eine
Karriere als freier Künstler in Köln.
Hähles Schaffen konzentrierte sich auf das mobile, nicht in die Architektur integrierte
Glasbild, das an der Wand hängt, allerdings vor einer Glaswand, durch die das Tageslicht
scheint, um so besser zur Geltung kommt. Die Bleiruten, mit denen die farbigen Glasteile
gefaßt sind, unterstreichen die linearen Bewegungen. Stilistisch ist der Bogen in Hähles
Ouvre weit gespannt: von geometrisch konstruktiven Kompositionen bis zu lebendig bewegten
Formen, bisweilen beide Gestaltungselemente vereint. So blickt man durch das Rechteck des
geöffneten Fensters auf wellenförmige Felder, Wiesen und Berge. Ferner gibt es an
Stilleben oder an surrealistische Kompositionen gemahnende Bilder.
Seine Glasbilder, Zink- und Linolschnitte konnten in vielen Ausstellungen bewundert werden
und wurden von zahlreichen Museen erworben. Trotz seiner internationalen Erfolge hat Horst
Hähle seine pommersche Heimat nicht vergessen, in der er das gediegene Handwerk gelernt
hat und wo seine beiläufig preußische Tugenden beschwörende kompositorische Prägnanz
gereift ist. Dem Landesmuseum Greifswald stiftete er großzügig 43 Glasbilder und
zahlreiche Grafiken. Die Errichtung der musealen Abteilung Horst Hähle hat er allerdings
nicht erlebt. Seine Urne liegt nun in rheinischer Erde, fernab von seiner alten Heimat,
die er in diesem Sommer noch einmal hatte besuchen wollen.
Horst Hähle war ein tiefgläubiger Mensch. Sein Christentum half ihm, die vielen
Schicksalsschläge, die ihn und seine Familie heimsuchten, zu bewältigen. Biblische
Themen und christliche Motive gibt es in seinem Schaffen jedoch nicht. Lediglich in
manchen Landschaften werden die Blicke über weite Ebenen in die Ferne in einen
unendlichen Himmel geführt. Der Künstler sprach von Meditationen in Licht und
Glas. Auf seinen Wunsch stehen in seiner Todesanzeige die Worte aus Psalm 73:
Und doch, Gott, ich komme von dir nicht los! / Du hast meine Hand ergriffen und
hältst mich; / du leitest mich nach deinem Plan / und holst mich in deine
Herrlichkeit.
Günther Ott (KK)
Zwischen Paris und Riesengebirge
Ivo Hauptmann im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus
Das Gerhart-Hauptmann-Haus beherbergt bis zum 10. Mai eine Ausstellung mit
Gemälden von Ivo Hauptmann (1886-1973), dem Sohn des berühmten schlesischen
Schriftstellers.
Die Enkelin des Künstlers und zugleich Nachlaßverwalterin Harriet Hauptmann stellte bei
der Vernissage die wichtigsten Stationen im Leben des Malers vor. Alles hatte mit einem
Selbstporträt begonnen, das Ivo als 14jähriger gemalt hatte. Es folgte eine Ausbildung
zum Maler, die der Vater wohlwollend unterstützte. Der junge Hauptmann studierte u. a.
bei Lovis Corinth in Berlin und bei Ludwig von Hofmann in Weimar. Er lebte zeitweilig als
freier Maler in Paris, unternahm zahlreiche Auslandsreisen und besuchte regelmäßig
seinen Vater im Riesengebirge. Hier entstanden viele der Werke, die bekannte schlesische
Landschaftsmotive wie Riesengebirge, Hirschberg, Schreiberhau und Agnetendorf festhalten.
Der Künstler hat viele seiner schlesischen Landschaften vor Ort gemalt, aber einige
Motive entstanden auch später aus der Erinnerung. Ein Beispiel dafür ist das Ölbild
Haus Wiesenstein in Agnetendorf aus dem Jahr 1961.
Einen besonderen Platz in der Ausstellung nimmt das Selbstporträt ein, das
Ivo Hauptmann 1908 in Öl schuf.
(KK)
KK-Notizbuch
Der Musiker Gotthard Speer, über dessen 90. Geburtstag wir im vorigen
Heft unterrichteten, ist am 23. März in Moitzfeld gestorben.
Am 1. April starb nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 65 Jahren der bekannte
Völkerrechtler Dieter Blumenwitz.
Nachrufe auf die beiden der ostdeutschen Kultur und Zeitgeschichte eng verbundenen
herausragenden Persönlichkeiten folgen.
Die Künstlergilde lädt für den 6. Mai 11 Uhr ins Eßlinger Schwörhaus zur Eröffnungsausstellung der europäischen Kunstinitiative aus Kroatien Europa 2020. Um 17 Uhr wird in der gildeneigenen Galerie am Hafenmarkt in die Ausstellung Weltkulturerbe Heimat von Jutta Pallos-Schönauer eingeführt, und um 19 Uhr stellt Professor Dr. Manfred Jähnichen in der Alten Aula die kroatische Dichtung des 20. Jahrhunderts vor. Am 7. Mai 14 Uhr ist im Dick-Areal die Jahreshauptversammlung des nach wie vor vitalen Künstlerverbandes unter der Leitung von Franz Peter Künzel geplant.
Der Grafiker und Heimatforscher Franz Toenniges gewährt in einer Ausstellung vom 24. April bis zum 5. Juni im Oberschlesischen Landesmuseum Ratingen einen Einblick in sein vielfältiges Werk, in dem Historisches, Geographisches, Kulturgeschichtliches, Kalligraphisches, Regionales und Mundartliches miteinander verbunden werden.
Vom 27. bis zum 29. Mai finden im Rahmen der Jahrestagung der Historischen
Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung im Eden-Hotel Göttingen
zahlreiche öffentliche Veranstaltungen, vornehmlich kulturhistorische und
zeitgeschichtliche Vorträge, zum Thema 750 Jahre Königsberg statt.
Rückfragen an Prof. Dr. Bernhart Jähnig, Telefon 0 30 / 8 01 44 50, E-Mail bernhart-.jaehnig@t-online.de.
(KK)