KK 1199
10. März 2005
Martin Hollender: Bibliotheksdatenbanken als Hilfsmittel der
Regionalgeschichte 2
Wolf Oschlies: Deutsche Sprache und osteuropäische Markwirtschaft 6
Matthias Buth: Unbehaustes Masuren 8
Diskussion zu Flucht und Vertreibung auf der Leipziger Buchmesse 12
Eberhard G. Schulz: Karlheinz Lau ist 70 geworden 13
Bücher und Medien 14
Literatur und Kunst
Peter Mast: Werk und Wirkung Adalbert Stifters heute 18
Königsberg in Bildern Ausstellung in Lüneburg 20
Adelheid von Rohr: 50 Jahre Schlesische Musik e. V. 21
Dieter Göllner: Dokumentarausstellung über Jo Mihaly in Düsseldorf 22
KK-Notizbuch 23
Je digitaler die Daten,
desto forscher die Forschung
Bibliotheksdatenbanken im Netz als Hilfsmittel
regionalgeschichtlicher Recherche
Regional- und heimatgeschichtliche Forschung macht in der Regel auch die
Benutzung von Bibliotheken unumgänglich. Wie aber läßt sich rasch und bequem ermitteln,
wo etwa der in der KK 1174 im September 2003 besprochene Sammelband Das Bistum
Danzig in Lebensbildern vorhanden ist? Nicht jeder mag die geforderten 24,90 Euro
für dieses Werk, in dem ihn womöglich nur einige Seiten interessieren, aufbringen. Und
in Zeiten zunehmend schwindender Erwerbungsetats darf man nicht wie selbstverständlich
davon ausgehen, ein solcher Band werde sich in der heimischen Bücherei auffinden lassen.
Der Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK) ist eine sogenannte Meta-Suchmaschine,
die zeitgleich die Bestände mehrerer hundert deutscher (vorwiegend wissenschaftlicher)
und ausländischer Bibliotheken durchsucht und insgesamt 75 Millionen Bücher nachweist.
Unter www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html
steht diese Datenbank kostenfrei im Netz zur Verfügung und erleichtert die früher
zumeist mühselige und zeitaufwendige Literatursuche immens.
Und in der Tat: Es sind keine zwei Dutzend Bibliotheken deutschlandweit, die derzeit mit
dem Bistum Danzig in Lebensbildern dienen können. Wie aber gelangt man nun
konkret an das Buch? Niemand wird dafür bestraft, daß im gesamten Land
Nordrhein-Westfalen nur die Universitätsbibliotheken in Koblenz und Münster das Werk
beschafft haben. Seit jeher muß nicht der Leser dem Buch entgegenreisen, sondern das in
der heimischen Bibliothek nicht vorhandene Buch wird für einige Wochen aus einer
besitzenden Bibliothek leihweise beschafft. Wer es komfortabler schätzt: Verknüpft mit
der Titelanzeige im KVK sind die Angebote sogenannter Dokumentlieferdienste, die entweder
Fotokopien anfertigen oder das gewünschte Buch für weniger als 10 Euro per Post an die
heimische Adresse des Interessenten schicken Der über Jahrhunderte hinweg unausweichliche
Gang in die Bibliothek zur Recherche und Lektüre kann in vielen Fällen entfallen. Das
Buch Das Bistum Danzig in Lebensbildern kann man beispielsweise für 8 Euro
über den Lieferdienst Subito (www.subito-doc.de)
aus der Universitätsbibliothek Tübingen erhalten.
Auch Kataloge von Spezialbibliotheken wie der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne mit ihrem
Sammelgebiet, dem gesamten Raum Ostmittel , Ost- und Südeuropas (mit besonderem
Schwerpunkt auf den Regionen im heutigen Westen Polens), sind heute frei über das
Internet zugänglich. Unter www.martin-opitz-bibliothek.de/katalog.htm
recherchiert man ausschließlich in den Beständen dieser Spezialbibliothek; effektiver
noch ist eine Suche über den mit Mitteln des BKM neu geschaffenen Verbundkatalog
östliches Europa (http://www.herne.de/voe/),
der neben der Martin-Opitz-Bibliothek die Bestände folgender Einrichtungen nachweist:
Carl-Schirren-Gesellschaft Das Deutsch-Baltische Kulturwerk (Lüneburg), Deutsches
Historisches Institut Warschau, Deutsches Polen-Institut (Darmstadt),
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (Leipzig),
Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus (Düsseldorf), Haus Schlesien (Königswinter), Institut
für deutsche Musikkultur im östlichen Europa (Bonn), Nordost-Bibliothek (Lüneburg),
Nordost-Institut (Göttingen), Ostpreußisches Landesmuseum (Lüneburg), Schlesisches
Museum zu Görlitz, Stiftung Kulturwerk Schlesien (Würzburg) sowie der
Westpreußen-Bibliothek (Münster). Der Katalog enthält somit Literatur zum gesamten Raum
des östlichen Europas, zur Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa, zur
Geschichte Deutschlands und seiner östlichen Nachbarländer sowie zu Migration und
Integration. Derzeit sind 340 000 Titel online recherchierbar. Ein weiterer Ausbau im
Sinne einer virtuellen Bibliothek für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa
soll kontinuierlich erfolgen.
Nach der Bayerischen Staatsbibliothek (http://mdz2.bib-bvb.de/osteuropa/)
hat nun auch die Osteuropaabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, die Literatur aus und
über Ost , Ostmittel- und Südosteuropa sammelt, auf ihren Internetseiten (http://osteuropa.staatsbibliothek-berlin.de/)
eine nach Sachgruppen äußerst detaillierte Abfragemöglichkeit der Neuerwerbungen
eingerichtet.
Die Osteuropaabteilung der Berliner Staatsbibliothek ist eine der Institutionen aus acht
europäischen Ländern, die an der Erstellung der Bibliographie européenne des
travaux sur l'ex-URSS et l'Europe de l'Est (Europäische Bibliographie zur
Osteuropaforschung) mitarbeitet.
Weitere Datenlieferanten sind u. a. die Österreichische Nationalbibliothek (Wien), das
Osteuropa-Institut der Universität Amsterdam, die Schweizerische Osteuropabibliothek
(Bern), der Council for Slavonic and East European Library and Information Services
(London) sowie das Centre d'Etudes du Monde Russe, Soviétique et Post-soviétique
(Paris). Die Bibliographie, die 1974 aus der Fusion zweier gedruckter Bibliographien
hervorgegangen ist und heute von der École des Hautes Études en Sciences Sociales
(Paris) redaktionell betreut wird, ist seit drei Jahren über das Internet zugänglich (http://www1.msh-paris.fr/betuee/) und enthält
derzeit ca. 50 000 bibliographische Hinweise auf Veröffentlichungen aus Westeuropa
(Monographien, Zeitschriftenartikel, Rezensionen, Dissertationen etc.) über Osteuropa.
Für Publikationen über Osteuropa mit Erscheinungsort in Nordamerika muß zusätzlich
eine weitere Datenbank, The American Bibliography of Slavic and East European Studies
(ABSEES) (www.library.uiuc.edu/absees/),
konsultiert werden; eine gemeinsame Abfragemöglichkeit über beide Datenbanken ist
allerdings in Arbeit.
Wie sieht es hinsichtlich der Zeitschriften aus, namentlich der kaum zu überblickenden
Zahl der Vertriebenenzeitschriften der frühen Nachkriegsjahre? Die frühen Jahrgänge
etwa der Beskiden-Post werden selbstverständlich in den einschlägigen
Spezialbibliotheken wie der des Marburger Herder-Institutes vorgehalten, doch auch andere
Bibliotheken verfügen über beachtliche Bestände an Zeitungen und Zeitschriften, die
sich inhaltlich den Vertreibungsgebieten widmen.
Eine komfortable Recherche ermöglicht die Zeitschriftendatenbank (ZDB), die unter der
Adresse http://zdb-opac.de mehr als 1,1 Millionen
deutsche und ausländische Zeitschriften- und Zeitungstitel seit dem Jahr 1500 nachweist
und den jeweiligen Besitz von mehr als 4000 beteiligten deutschen Bibliotheken beschreibt.
Problemlos läßt sich so von jedem PC aus der nach allen Kriegs- und
Nachkriegsvernichtungen heute noch verfügbare Bestand an Ausgaben z. B. der
Königsberger Hartungschen Zeitung oder der Egerer Zeitung
ermitteln.
Verwiesen sei auch auf mehrere Spezialdatenbanken für Karten, Autographen und Alte
Drucke. Die Altkartendatenbank IKAR (http://ikar.staatsbibliothek-berlin.de)
verzeichnet Titel und Standort von weit über 200 000 Landkarten und Stadtplänen mit
Erscheinungsjahren vor 1850, darunter solch bizarre Seltenheiten wie den Ocular-Plan
von der Stadt Ratibor und ihren Wasserleitungen aus dem Jahre 1831, der in der
Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrt wird. Die Datenbank
Kalliope weist die Nachlässe und Einzelautographen vor allem
Korrespondenzen in zahlreichen deutschen Bibliotheken und Archiven nach. Unter http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de
finden sich so Briefe etwa Ernst Wiecherts an Schriftstellerkollegen und Verleger in
Bibliotheken und Archiven in Schwerin, Braunschweig, Marbach, München, Nürnberg, Kiel,
Dortmund, Hamburg und Bielefeld.
Auf den Internetseiten des Bundesarchivs (www.bundesarchiv.de)
findet sich die
Zentrale Datenbank Nachlässe (http://www.bundesarchiv.de/findbuecher/stab/db_nachlass/),
ein Nachfolgeprojekt des früher gedruckt erschienenen Verzeichnisses Die Nachlässe
in den deutschen Archiven von Wolfgang Mommsen. Derzeit sind rund 21 000 Nachweise
zu Nachlässen und Teilnachlässen vor allem aus deutschen Archiven enthalten. Gibt man
beispielsweise in der Suchmaske schlesisch an und aktiviert sämtliche
Suchfelder (so daß auch die biographischen Daten durchsucht werden), so erhält man
Angaben zu 51 Nachlässen mit Schlesienbezug, u. a. denjenigen des Breslauer Pfarrers
Robert Berger, im Dritten Reich Mitglied des Schlesischen Bruderrates der
Bekennenden Kirche, des Kattowitzer Rabbiners Jacob Kohn und der Gründerin des
Schlesischen Frauenverbandes, Marie Wegner.
Im Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17.
Jahrhunderts, kurz VD 17 (www.vd17.de), werden nach
und nach deutschsprachige Titel sowie, unabhängig von ihrer Sprache, alle im historischen
deutschen Sprachgebiet gedruckten und verlegten Werke aus dem Erscheinungszeitraum 1601
bis 1700 mitsamt ihren Bibliotheksstandorten nachgewiesen. Ergänzt werden die
bibliographischen Daten häufig durch gescannte Abbildungen der prächtig barocken
Titelseiten der Bücher eine Fundgrube somit für jeden wissenschaftlich über die
großen Schlesier Martin Opitz oder Andreas Gryphius Forschenden.
Selbstredend ist keine dieser Nachweisdatenbanken vollständig, da sukzessive die alten
hand- oder maschinenschriftlich gefertigten Nachweise retrospektiv in die Datenbanken
integriert werden müssen. Je nach Aufwand, den man zu treiben bereit ist, ist die
konventionelle Recherche in traditionellen Zettelkästen und natürlich in gedruckten
Bibliographien sowie in lizenzpflichtigen (und somit zumeist nur innerhalb von
Bibliotheken recherchierbaren) Datenbanken auch heute noch unabdingbar. Zusehends aber
verdrängen Bibliotheksdatenbanken die standortgebundenen Nachweismaterialien und machen
eine komfortable Erstinformation vom heimischen PC-Arbeitsplatz aus möglich. Wer sich in
der Anwendung unsicher fühlt: nahezu jede Bibliothek bietet regelmäßig Einführungen in
die Feinheiten der effektiven Datenbankanwendung an.
Abschließend sei noch auf einige Möglichkeiten der Recherche über fachbezogene
Internetportale hingewiesen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt
derzeit im Rahmen des Programms zur Förderung der wissenschaftlichen
Literaturversorgungs- und Informationssysteme den Aufbau von über 30 sogenannten
Virtuellen Fachbibliotheken, darunter auch die Virtuelle Fachbibliothek Osteuropa
(ViFaOst) (www.vifaost.de/), die von vier
Kooperationspartnern, der Bayerischen Staatsbibliothek München mit dem Sondersammelgebiet
Osteuropa, der Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas am Historischen Seminar
der LMU München, dem Osteuropa-Institut München sowie dem Herder-Institut Marburg
betreut wird. Die ViFaOst bietet einen fachspezifischen Zugriff auf Fachinformationen,
neueste Literatur, Bibliographien, Datenbanken, Quellen, Volltexte und Materialien. In der
ersten Projektphase lag der thematische Schwerpunkt auf Geschichte, Politik und Kultur
Osteuropas; Angebote zu Sprache, Literatur, Kunst und Musik sollen in naher Zukunft folgen
und das Projekt insgesamt weiter ausgebaut werden. Ein Literaturdienst präsentiert
systematisch alle monographischen Neuerwerbungen der jeweils letzten Monate zu und aus
Osteuropa; in der Zeitschriftenschau werden die aktuellen Inhaltsverzeichnisse von hundert
relevanten Fachzeitschriften zur Geschichte Ost , Ostmittel- und Südosteuropas
zugänglich gemacht; außerdem werden Aufsätze aus historischen Fachzeitschriften und
zahlreichen Sammelbänden erfaßt; im Netz bestehende Bibliographien sollen künftig
online koordiniert werden. Weiterhin erhält man Zugang zum OstNet, einem Katalog von
ausgewählten und kommentierten Internetressourcen zu Ost , Ostmittel- und
Südosteuropa (derzeit ca. 2300 Internetquellen). Und schließlich können sich Forscher
und Interessierte über einen Veranstaltungskalender und das Verzeichnis der
laufenden und gerade abgeschlossenen Promotionen und Habilitationen über Projekte
informieren.
Wer im Internet Informationen zur Regionalgeschichte erforschen will, der vermag sich mit
einer quick and dirty-Abfrage in gängigen Suchmaschinen wie Google erste
Einblicke zu verschaffen. Zu berücksichtigen ist aber, daß solche Suchmaschinen nur
einen Teil des Internets durchsuchen alle Informationen, die nicht auf statischen
Internetseiten, sondern in Datenbanken abgelegt sind (sei es nun eine Bahnverbindung über
www.bahn.de oder eine Literaturangabe in einem
Bibliothekskatalog) und die erst durch Eingabe von Suchbegriffen aus der Datenbank
herausgezogen werden, können von Suchmaschinen nicht abgefragt werden (man spricht vom
hidden web, dem versteckten Netz). Daher ermöglicht erst eine gezielte
Recherche in elektronischen Bibliothekskatalogen oder Aufsatzdatenbanken eine
qualifizierte Suche. Von Fachleuten evaluierte Internetquellen, wie sie z. B. über die
Virtuellen Fachbibliotheken angeboten werden, helfen, aus der Unzahl von Netzquellen
qualifizierte Internet-Angebote herauszufiltern. Der Weg des Interessierten wird aber in
vielen Fällen schließlich wieder in einer Bibliothek oder einem Archiv enden, um dort
die zuvor über das Internet recherchierten Aufsätze, Bücher, Karten, Dissertationen,
Nachlässe und historischen Drucke einzusehen. Zur Vorbereitung von Bibliotheks- oder
Archivbesuchen oder zur Ermittlung von bibliographischen Daten für eine erfolgreiche
Fernleihbestellung kann allerdings das Internet heutezutage hervorragende Dienste leisten.
Martin Hollender (KK)
Geschefty auf der jarmarka
Deutsche Sprache und osteuropäische Marktwirtschaft sprachliche
Globalisierung geht mit der wirtschaftlichen einher
Adresant, brandmauer, buchgalterija, grosch, grjunderstvo (Gründertum)
und so fort bis standort, stempel, straf, strejkbrecher, veksel etc.
deutsche Wörter in der russischen Sprache, sehr alte Wörter, die zumeist bereits zu
Zeiten Peters des Großen (1672-1725) auf Jahrhunderte ihres Gebrauchs zurückblicken
konnten: 1192 richtete die Hanse in Nowgorod, etwa 200 Kilometer südlich von Sankt
Petersburg (das erst 500 Jahre später entstand) gelegen, ihre Niederlassung
Peterhof ein, in der dieses Vokabular im Umlauf war.
Interessant ist jedoch, daß russische Jungmanager diese und zahllose weitere Ausdrücke
als spezielle Termini des modernen Bank- und Finanzwesens pauken müssen. In diesem
Wortgut überwiegen natürlich anglo-amerikanische Begriffe, aber die sind fast durchweg
neu. Wörter deutscher Herkunft sind Russen hingegen wohlvertraut, jedoch benötigen sie
eine marktwirtschaftliche Auffrischung. Daß Rußlands Wirtschaft nicht mehr
im Korsett kommunistischer Plandiktatur steckt, schlägt sich eben auch in der russischen
Sprache nieder. Und dabei entfalten Begriffe, die eigentlich nur noch in der älteren
Literatur auftauchten, neuen Glanz und neue Wirkung.
Motor modernen Wirtschaftens sind die großen Messen wie etwa die Berliner Grüne
Woche, die zu Jahresbeginn 2005 wieder einmal stattfand. Russen waren natürlich
auch da, angeführt von Aleksej Gordeev, Landwirtschaftsminister der Russischen
Föderation. Fachlich bewegten sie sich auf vertrautem Gebiet, sprachlich auch, denn
Messe heißt seit jeher auf russisch jarmarka. Dahinter erkennt man
sofort den deutschen Jahrmarkt, aber während der deutsche Begriff etwas
altfränkisch anmutet, ist eine russische jarmarka ein Wunderwort,
das aus dem altehrwürdigen Thesaurus der russischen Sprache frisch und funktionstüchtig
in die Globalisierung unserer Zeit sprang. Inzwischen gibt es in Rußland allenthalben jarmarki,
und Russen tummeln sich auf allen internationalen Messen.
Auf Messen werden Geschäfte gemacht, welches Wort im Deutschen zwei Bedeutungen hat: Man
kann ein Geschäft haben oder eins machen. Nur in dieser zweiten Rolle hat das Wort
Eingang in slawische Sprachen gefunden: Russisch gescheft, polnisch geszeft,
tschechisch und slowakisch kseft, slowenisch ebenfalls kseft und so
fort. Diese auffällige Präsenz des deutschen Wortes läßt auf einige sprachhistorische
Umstände schließen: In dieser deutschen Benennung werden in Osteuropa überall dort
Geschäfte gemacht, wo es bis in die jüngste Vergangenheit noch zahlreiche Deutsche gab.
Diese osteuropäischen Deutschen waren überwiegend wegen ihrer Fähigkeiten in die
Länder geholt worden vom altungarischen Herrscher István, von Katharina der
Großen, von Maria Theresia etc. , damit sie diese kolonisierten und im
Bedarfsfall verteidigten. Das taten sie auch mit der ganzen Solidität und
Korrektheit, die Deutsche nun einmal nach Meinung aller Osteuropäer auszeichnet. Weil sie
so waren, hatten sie auch Erfolg, keinen überwältigenden, aber doch einen dauernden. Und
der schwingt bis heute in dem Wort Geschäft mit: Ein von Russen, Tschechen, Polen als
solches benanntes Geschäft ist immer eine solide Sache, von der alle
Beteiligten profitieren. Trifft das nicht zu, denn war es kein geszeft, sondern
etwas anderes, was dann auch anders benannt wird. Grenzfälle wie etwa der slowenische
Ausdruck rihtati kseft (sich's Geschäft richten, d. h. Eigeninteresse
gelegentlich über Gesetzesnormen zu stellen) sind übersehbar (und kommen in
Wörterbüchern ohnehin nicht vor).
Im Februar 2005 ging das Deutschland-Jahr in Rußland zu Ende, und seinen
Schlußpunkt setzte die große Ausstellung Deutsche in der Akademie der Künste vom
18. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Der Titel der Ausstellung suggeriert besondere
künstlerische Aktivitäten der Deutschen, die z. B. in Petersburg an den ersten
Tagen von dessen Gründung anwesend waren, und die deutsche Diaspora wurde mit der Zeit
äußerst zahlreich. So vermelden es russische Berichte, die auch einige Künstler
erwähnen, etwa den Maler Johann Groot (1717-1806), viele waren es aber nicht, und als
sozusagen abgeworbene Künstler waren sie auch nicht repräsentativ für das
rußländische Deutschtum. Dieses lieferte mehr tüchtige Ärzte, Architekten,
Unternehmer, Bauern etc., die in ihren Berufen bleibende Verdienste erwarben, aber nicht
auffallend musisch waren. Sagen wir es so: Die Deutschen tummelten sich weniger in
Kunstakademien, sondern mehr an der birsha wie die Börse seit
Jahrhunderten bei Russen heißt. Fast acht Jahrzehnte lang gab es diese
kapitalistische Institution bei ihnen nicht, jetzt existiert sie wieder,
natürlich unter ihrer alten deutschen Benennung.
Details nennt die großartige Enzyklopädie Nemcy Rossii (Deutsche Rußlands),
die seit 1999 als deutsch-russisches Gemeinschaftswerk in Moskau erscheint. Ohne es zu
beabsichtigen, porträtiert sie die Deutschen als Repräsentanten einer Lebensführung,
für die sich seit wenigen Jahren in ganz Osteuropa das deutsche Wort macher
eingebürgert hat. Selbst Komposita wie Liedermacher sind im Osten schon recht
frequent, aber dominierend bleibt vorerst der Macher: Jemand, der weiß, was
er will, wie er's anzufangen hat, und der es zum allgemeinen Staunen auch schafft. Die in
Osteuropa noch junge Marktwirtschaft braucht mehr Akteure dieses Typs.
Der Deutsche kommt mit dem Verstand zu etwas, der Russe übernimmt es mit den
Augen, besagt ein uraltes russisches Sprichwort. Alle osteuropäischen Sprachen sind
nicht gerade arm an Sprichwörtern, die uns Deutschen gelten. Manchmal sind sie etwas
boshaft, aber das scheint nur so; sie karikieren nur gelegentlich deutsche Sparsamkeit,
Geschäftigkeit und ähnliche Eigenschaften, die Osteuropäern, Slawen zumal, nicht immer
in die Wiege gelegt wurden.
Aber der Osten braucht solche Eigenschaften, wenn er in der Marktwirtschaft Erfolg haben
will. Das ist die mehr oder minder deutliche Botschaft eines russischen
Internet-Journals, das sich gut deutsch Erfolg nennt. Es
gibt Erfolgreichen und Erfolgsbewußten gute Ratschläge und Tips. Erfolg
heißt auf russisch uspech, den es als eigene Rubrik bei Erfolg auch gibt. Und
der deutsche Titel wird mitunter kyrillisch geschrieben, was ihn sehr verändert aussehen
läßt. Was Deutsche vielleicht als graphische Verwirrung ansehen würden, ist für Russen
ganz normal: Wenn der Russe Erfolg haben will, soll er sich an den Deutschen orientieren
die haben schließlich in Rußland seit Jahrhunderten vorgemacht, wie man Erfolg
erreicht.
Wolf Oschlies (KK)
Unbehaustes Masuren
Diese Landschaft hängt alten Träumen nach, der vom neuen Europa jedoch scheint
noch weit weg
Nachdem die diktatorischen Staaten in Ostmitteleuropa seit 15 Jahren auf dem Weg
zu Demokratie und europäischer Integration sind und auch die westeuropäischen
Stereotypen und Denkmuster zerbröseln, ist das Erinnern auf der politischen Agenda nach
vorne gerückt. Erinnerungskultur hat sich besonders seit 1990 etabliert als eine neue
Kulturwissenschaft, in die wie der Göttinger Historiker Otto Gerhard Oexle meint
traditionelle Fächergrenzen eingeebnet werden und zu denen die Frage nach
Gedächtnis, Erinnerung und Gedenken in Geschichte und Gegenwart gehört. Historische
Kulturwissenschaft will dem Vergessen etwas entreißen und Gedanken erhalten. Ob man sich
wissenschaftlich oder künstlerisch der Vergangenheit zuwendet, man wird auswählen,
zuordnen und bewerten und trotz aller Mühen im Netzwerk politischer Koordinaten bleiben.
Wenn schon Etienne François und Hagen Schulze fragen, ob es überhaupt eine deutsche bzw.
französische Geschichte gebe, und diese in die Globalgeschichte Europas aufgehen lassen,
wenn sich also zwei ausschließlich dominante Kulturnationen in Europa souverän in die
europäische Kulturgeschichte delegieren, wird es für kleinere Kulturnationen und
-regionen schwerer, sich zu behaupten, wahrnehmbar zu bleiben. Denn der Abschied von
Ideologie und Tabu und damit der Abschied der ethnisch oder sprachlich begründeten
Nationalkulturen ist damit angezeigt. Das beunruhigt nicht nur die tschechische Regierung
und erklärt den durch nationalistische Rhetorik gefärbten Euro-Skeptizismus des
tschechischen Staatspräsidenten (Ingeborg Fiala-Fürst). In Polen ist dies nicht
grundlegend anders. Auch dort wird befürchtet, der Europäisierung der Gesellschaften
nicht standhalten zu können, eben zu verschwinden in einem Globalstaat.
Wo bleiben die alten Landschaften, wo liegt Masuren? Wer den Namen Masuren langsam
ausspricht, intoniert den Klang einer Region, die märchenhaft weit zurückzuliegen
scheint, einer Landschaft, die sich kulturhistorisch der klaren Zuordnung entzieht. Es ist
ein unbehauster, doch sehr europäischer Landstrich inmitten des alten Kontinents.
Der von der Kunsthistorikern und Slawistin Hanna Nogossek initiierte Fotoband Fremde
Heimat. Alltag in einem masurischen Dorf versammelt textliche und bildliche
Eindrücke des Historikers Mathias Wagner, ergänzt durch ein luzides Vorwort von Andreas
Kossert und eine sanfte Nachbemerkung der anmutig formulierenden Publizistin und
Dokumentarfilmerin Ulla Lachauer. Wer diese Fotoserie durchblättert, wird eingefangen von
der Schönheit der dunklen Seen, die in rosa Wolken auszulaufen scheinen, von Gehöften,
um die sich Nebelbänder schlingen, von leeren, von blaugemusterten Decken überzogenen
Sofas in der Nachbarschaft von Schürzen an Türhaken, von Weizengarben, zusammengestellt
auf einem herbstlichen Feld unter einer dramatisch aufgebauschten Wolkenlandschaft.
Überall Stilleben, die den Atem anhalten.
Noch stärker werden den Betrachter die Bilder vom harten, der Landschaft geradezu
abgerungenen Leben der dörflichen Bewohner ergreifen, die mit Fahrrädern hantieren, die
sie zum Transport von Milchkannen benutzen, er wird sehen, wie sie ermattet ausruhen auf
windschiefem Möblement, und er wird in Gesichter schauen, die so verwittert und gegerbt
sind, daß sie alterslos wirken. Die Fotos, zum Teil schwarzweiß und manchmal
sepia-bräunlich eingefärbt, überwiegend jedoch farbig, nehmen den Betrachter schon beim
ersten Begegnen auf, ja sie scheinen zu riechen nach Erde, Feuer, Kälte, Schweiß, zu
klingen in fernen, langsam verwehenden Lauten.
Der Kirchenschlüssel befindet sich im Haus Nr. 52 (gegenüber der Post):
Dieses Türschild ist Signum eines Dorfes in Masuren, das sich nur zögernd dem Betrachter
öffnet. Daß es dennoch gelingt, daß es möglich ist, mehr zu erfahren, als diese Bilder
mitteilen können, ist den Texten zu verdanken, den Episoden und Erzählungen, die die
Menschen des Dorfes Orlowo Mathias Wagner anvertraut haben und die er mit eigenen
Eindrücken zurückhaltend, aber mit Zuneigung verbindet. Ein Jahr blieb er ab dem Sommer
1995 in diesem Ort in Polen.
Masuren ist ein Landstrich voller Verluste, vielleicht ist es das Charakteristische dieser
Region, immer verloren zu haben, immer neu zugeordnet zu werden. Masuren läßt sich nicht
auf einen Begriff bringen, obwohl deutsche und polnische Nationalisten das immer wieder
versucht haben. Es wurde entweder germanisiert oder polonisiert.
Schon um 1226 beauftragte Konrad von Masowien den Deutschen Orden mit der
Christianisierung der Prußen. Aus dem polnischen Herzogtum Masowien kamen seit dem 14.
Jahrhundert Siedler in die südlichen und südöstlichen Waldregionen des
Deutschordensstaates und des späteren Herzogtums Preußen. Diese gaben der Landschaft den
Namen. 1525 übernahmen nach der Säkularisierung des Ordensstaates auch die polnischen
Untertanen des neuen Herzogtums Preußen (bis 1656 im Lehnsverband der polnischen Krone)
den evangelischen Glauben, den Protestantismus. Und so entstand eine polnischsprachige
evangelische religiöse Minderheit, welche die politische und kulturelle Loslösung
Masurens von den polnischen Herkunftsregionen auslöste.
Andreas Kossert verweist darauf, daß das masurische Polnisch, das auf dem Lande
gesprochen wurde bis 1945, auf die masurischen Dialekte des 14. und 15. Jahrhunderts
zurückgeht und daß durch die territoriale und konfessionelle Abgrenzung gegenüber den
masurischen Herkunftsregionen der in den Masuren gesprochene polnische Dialekt von
neuzeitlichen Sprachentwicklungen des Polnischen weitgehend unberührt geblieben sei.
Durch die lutherische Religion entstand ein Identitätsbewußtsein. Bemerkenswert ist die
starke Bindung der Masuren an den preußischen Staat; sie verstanden sich als
polnische Preußen. Die kleindeutsche Reichsgründung 1871 löste dann eine
massive Germanisierung aus unter dem Oberpräsidenten Karl-Wilhelm von Horn, so daß ab
1873 Polnisch aus den Schulen und Kirchen weitgehend verschwand und Deutsch die dominante
Sprache wurde. Am Ende des Ersten Weltkrieges 1918 war umstritten, ob Masuren Polen oder
dem Deutschen Reich zugeschlagen werden sollte. Die Volksabstimmung brachte dann ein
eindeutiges Ergebnis: 99,3 Prozent stimmten für einen Verbleib Masurens bei Ostpreußen
und somit bei Deutschland. Auf diesem Votum aufbauend konnte sich die NSDAP später mit
ihrer Deutschtumsideologie präsentieren. Dies führte im Jahre 1932 zu einem Wahlsieg der
Hitlerpartei von 65 bis 80 Prozent.
Der Zweite Weltkrieg verheerte das Land wie andere Teile Europas. Die sowjetischen Truppen
deportierten fast alle arbeitsfähigen Männer zwischen 17 und 60 zur Zwangsarbeit nach
Sibirien. Schon in der Konferenz von Jalta am 5. Februar 1945 artikulierte Polen den
Anspruch auf Masuren als urpolnisches Land, das mit dem Mutterland
Polen vereinigt werden müsse. In den 40er und 50er Jahren nahm der Druck der
Polonisierung zu, so daß sich viele deutsch fühlende Masuren gezwungen sahen,
hinter die Oder, also nach Deutschland auszureisen.
Dies war im Jahre 1956 zum ersten Mal möglich. Das Land verlor die alten Familien. Ganze
Dörfer wurden Stein für Stein abgetragen, um das von den Deutschen zerstörte Warschau
wiedererstehen zu lassen. Masuren wurde eine in vielfacher Hinsicht ausgebrannte
Landschaft. Die polnische Bevölkerung kam im Zuge großer
Repatriierungsmaßnahmen vor allem aus den ehemals polnischen Ostgebieten in
diese Region. Neben Polen waren es vor allem Ukrainer, die jetzt dort eine neue Heimat
aufbauen mußten. Das friedliche Zusammenleben von Polen und Ukrainern in Galizien und in
Wolhynien war schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr möglich. Die neuen
Grenzziehungen nach 1945 führten zur Zwangsaussiedlung der Menschen von dort. 140 000
Ukrainer kamen der Aktion Weichsel aus den Wojewodschaften Rzeszów, Lublin
und Krakau nach Pommern, Niederschlesien und eben nach Masuren. Um sicherzustellen, daß
die neue Bevölkerungsgruppe der Ukrainer keine Gefahr darstellte für den polnischen
Nationalstaat, durften in einem Dorf nur 10 Prozent Ukrainer wohnen, und sie wurden zudem
angewiesen, mindestens 100 km von den Landesgrenzen entfernt zu leben. Erst später
durften sie ihre Geburtsstätten wieder besuchen und auch in ihre alte Heimat
zurückkehren.
Viele blieben jedoch so in dem Dorf, das Mathias Wagner besuchte, in Orlowen, das
Adlersdorf hieß und heute Orlowo heißt. Ich wollte nicht auswandern, sagt
einer der Deutschen aus der Runde, aber mein Vaterland wanderte aus, und so ging ich
hinterher. Das Vaterland kam vielen Masuren abhanden, Deutschen, Polen, Ukrainern,
und immer wieder mußten sie sich neue Heimaten suchen. Über die Menschen, die dennoch
dort leben wollten und so sehr Geschlagene der Kriege, Vertreibungen und nationalistischen
Zuordnungen waren, berichtet dieses wunderbare und so aufrichtige Buch.
Die Texte und Bilder bringen eine Landschaft zum Klingen, die aller Aufmerksamkeit und
Zuwendung wert ist. Masuren spiegelt Europa in seiner Abgründigkeit und in seiner
landschaftlichen Schönheit gleichermaßen. Die Menschen wollen nicht weiter bevormundet
werden, sondern ihr Lebensglück suchen in ihrem Horizont, in dem Lebenskreis, der ihnen
die ganze Welt ist. Europa hat eine Seele auch in Masuren, in dem märchenhaft fernen und
doch so nahen Landstrich im Herzen unseres alten, zersplitterten Kontinents.
Matthias Buth (KK)
Mathias Wagner: Fremde Heimat. Alltag in einem masurischen Dorf.
Bildband, herausgegeben in der Potsdamer Bibliothek östliches Europa / Kunst;
Verlag des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam 2005. 128 Seiten, 14,80 Euro
Erhellen der Geschichte
Nachwuchswissenschaftler, die sich in ihren Dissertationen mit kulturellen
Themen und der Geschichte der Deutschen im östlichen Europa befassen, können sich um ein
Immanuel-Kant-Promotionsstipendium bewerben. Gefördert werden geisteswissenschaftliche
Arbeiten in den Fächern Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie, Rechtswissenschaft,
Literatur- und Sprachwissenschaft, Volkskunde oder Musikwissenschaft. Die Stipendien
sollen Wissenslücken über die Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa
füllen und den multiethnischen Charakter dieser Kulturlandschaften herausarbeiten.
Vergeben werden sie von der Kulturbeauftragten der Bundesregierung, Christina Weiss.
Anträge sind bis zum 31. Juli zu richten an die Geschäftsstelle im Bundesinstitut für
Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Johann-Justus-Weg 147a, 26127
Oldenburg, Telefon 04 41 / 96 11 95-0; E-Mail: bkge@uni-oldenburg.de,
www.bkge.de.
(KK)
Wie schwer wiegt noch das unsichtbare Gepäck?
Podiumsdiskussion auf der Leipziger Buchmesse, veranstaltet von der Bonner
Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen
Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen veranstaltet auf der diesjährigen
Leipziger Buchmesse am 19. März 2005, 13 Uhr, im Congress Center Leipzig,
Mehrzweckfläche 1, im Rahmen der Veranstaltungsreihe Leipzig liest eine
Podiumsdiskussion über 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung Die
Wiederentdeckung des deutschen Kulturerbes des Ostens. Es diskutieren unter der
Moderation von Professor Dr. Frank-Lothar Kroll von der TU Chemnitz Jens Baumann vom
Sächsischen Staatsministerium des Innern, Professor Dr. Carola L. Gottzmann von der
Universität Leipzig und Dr. Andreas Thüsing von der Universität Leipzig.
Ist die Beschäftigung mit Kultur und Geschichte des historischen deutschen Ostens, also
der ehemaligen deutschen Ostprovinzen sowie der Siedlungsgebiete der Deutschen in Mittel
, Ost- und Südosteuropa heute noch aktuell bzw. sinnvoll? Anhand konkreter Projekte
und neuer Publikationen nehmen die Wissenschaftler hierzu Stellung.
Mit gefahrenreicher Flucht und oft brutaler Vertreibung von Millionen Menschen endete in
der Schlußphase des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Nachkriegsjahren abrupt die
Präsenz von Deutschen in den deutschen Ostprovinzen sowie in den mittel-, ost- und
südosteuropäischen Gebieten. Dort hatten sie bzw. ihre Vorfahren über Jahrhunderte
gelebt und gewirkt, kulturelle Leistungen beträchtlichen Ausmaßes erbracht. Als
unsichtbares Fluchtgepäck wird bisweilen das geistig-kulturelle Erbe
bezeichnet, das die fliehenden oder vertriebenen Menschen unter weitgehender
Zurücklassung materiellen Kulturerbes mit sich in den Westen brachten.
In unterschiedlicher Weise konnte dieses Erbe in den Nachkriegsjahrzehnten gepflegt
werden: War den sogenannten Umsiedlern in der DDR ebenso wie den
vergleichsweise wenigen in ihrer Heimat verbliebenen und unter Assimilierungsdruck
stehenden Deutschen eine Weiterführung oder gar Entfaltung ihrer Traditionen kaum
möglich, so erfuhr das kulturelle Erbe der Vertreibungsgebiete in der Bundesrepublik
Deutschland eine durch den Paragraphen 96 des Bundesvertriebenengesetzes geregelte,
zeitweise großzügige staatliche Förderung. Indes blieb auch im Westen ostdeutsche
Kultur weitgehend eine lediglich von den ostdeutschen Landmannschaften gepflegte, zudem
mit dem Ruch des Verstaubten oder gar Rückwärtsgewandten behaftete Erscheinung.
Heute, 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung, ist ein neues Interesse an Kultur und
Geschichte des historischen deutschen Ostens zu beobachten, und zwar nicht zuletzt
ausgehend von den ost- und ostmitteleuropäischen Ländern, wo neue Generationen sich
unbefangen mit dem vorgefundenen deutschen Kulturerbe identifizieren. Aber auch im Westen
ist es nicht länger verpönt oder inopportun, sich mit dem im historischen Sinne
verstandenen ostdeutschen Kulturerbe zu beschäftigen. Es stellt sich die Frage, ob
sich somit wirklich die Chance bietet, eine reiche, bislang vernachlässigte Kultur in
grenzübergreifendem Bemühen für die Deutschen und ihre Nachbarn fruchtbar zu machen,
oder ob es bei dem ostdeutschen Kulturerbe nicht doch eher um eine gestrige, bestenfalls
museal zu behandelnde Angelegenheit geht.
Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen ist auf der Leipziger Buchmesse mit einem
eigenen Bücherstand Deutsches Kulturerbe des Ostens in der Halle 3 des
Messegeländes, B 210, vertreten.
(KK)
Ein Schulmann lehrt über die Schule hinaus
Oberschulrat Karlheinz Lau ist 70 geworden
Wer weiß, wieviel das schlichte positive Wissen in den Fächern Erdkunde und
Geschichte für die Bildung eines wohlfundierten politischen Urteils bedeutet, der wird es
nicht gering veranschlagen, wenn ein hochqualifizierter Schulmann sich jahrzehntelang für
die historische Wahrheit über den von der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung bis
1945 deutschen Osten und dessen kulturelles Erbe in den verschiedensten, die Lehrpläne
mitgestaltenden Gremien einsetzt.
Karlheinz Lau wurde am 4. Februar 1935 in der preußischen Festungsstadt Küstrin in der
Neumark geboren. Mit seinen Eltern, beide Lehrer, wurde er im Februar 1945 nach Berlin
evakuiert, da Küstrin zur Festung erklärt worden war. Sein zum Volkssturm einberufener
Vater ist am 21. April 1945 bei Erkner gefallen. Zurück in Berlin mit seiner Mutter,
machte er schließlich dort das Abitur und trat nach dem Studium von Geschichte, Erdkunde,
Anglistik und Politik in den höheren Schuldienst. Von 1972 bis 1976 war Lau Direktor
eines Gymnasiums in Berlin-Friedenau. Seit 1976 war er Oberschulrat beim Senator für
Schule, Berufsbildung und Sport im Lande Berlin. Nun wirkte er in verschiedenen Gremien
der Kultusministerkonferenz (KMK), u. a. als Beauftragter für das Fach Geographie. Die
Darstellung Deutschlands im Unterricht war dem Patrioten Lau immer ein Herzensanliegen.
In diesem Geiste hat er seine Erkenntnisse und Erfahrungen auch in die Arbeit der Stiftung
Ostdeutscher Kulturrat eingebracht, seit 1989 auch als Mitglied des Stiftungsrates
zusätzlich in der nun schon mehrjährigen Funktion als Rechnungsprüfer.
In den Expertengesprächen zur Pädagogik, die der Ostdeutsche Kulturrat vor allem in den
90er Jahren veranstaltete, hat Lau mehrfach über die Diskussionen in der KMK zur
Darstellung Deutschlands im Unterricht berichtet. Im Band 9 der Studienbuchreihe des OKR
über Pommern und Ostbrandenburg hat er den Abschnitt Ostbrandenburg
nach 1945 verfaßt.
Wir wünschen diesem sachlich hervorragend gerüsteten und hochmotivierten Pädagogen auch
im nächsten Lebensjahrzehnt die Frische, um das notwendige Werk der Versöhnung mit
unseren östlichen Nachbarn ohne Verzicht auf die Sichtbarkeit der historischen Tatsachen
besonnen und geduldig fortführen zu können.
Eberhard G. Schulz (KK)
Sienerth neuer IKGS-Direktor
Seit dem 1. Februar 2005 hat das Institut für deutsche Kultur und
Geschichte Südosteuropas einen neuen Direktor. Dr. Stefan Sienerth, seit 1992
wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, löst seinen langjährigen Kollegen Dr.
Peter Motzan ab, der sich für die öffentlich ausgeschriebene Stelle nicht beworben hat
und seit dem Eintritt in den Ruhestand der Institutsdirektorin Dr. Krista Zach am 1.
September 2004 das IKGS als kommissarischer Direktor leitete.
Dr. Stefan Sienerth wurde 1948 in Durles/Siebenbürgen geboren, studierte Germanistik und
Rumänistik an der Universität Klausenburg und war in Rumänien als Hochschulassistent am
Pädagogischen Institut in Neumarkt, als Dozent für Neuere deutsche Literatur an der
Universität Hermannstadt und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut
für Sozial- und Geisteswissenschaften in Hermannstadt tätig. 1990 siedelte er in die
Bundesrepublik Deutschland aus. Er ist Lehrbeauftragter der
Ludwig-Maximilians-Universität München, Honorarprofessor der Universität Bukarest sowie
Verfasser zahlreicher Publikationen.
(KK)
Bücher und Medien
Eine ansehnliche Literatur wird besichtigt
Pommersches Jahrbuch für Literatur. Hg. von Karl-Heinz Borchardt, Michael Gratz und
Roland Ulrich.
Band 1. Verlag des Wiecker Boten, Greifswald 2003, 293 S.
Es ist wahr, Pommern hat bedeutende Schriftsteller hervorgebracht, aber diese
Region wuchert nicht mit ihren Pfunden, wie Roland Ulrich in seiner Rede zur Begründung
des Unternehmens, ein Pommersches Jahrbuch herauszugeben, bemerkt. Daß dies anders wird,
dazu wollen die im Jahr 2000 in Greifswald gegründete Pommersche Literaturgesellschaft
und das Pommersche Jahrbuch beitragen. Dieses will Spuren literarischen Lebens
nachgehen und zugleich aktueller Literatur Raum geben, so heißt es im Editorial.
Dieses Vorhaben ist sehr zu begrüßen, steht pommersche Literatur doch in ihrem
Bekanntheitsgrad und im Bewußtsein des regionalen Ursprungs so bekannter Autoren wie Hans
Fallada, Hans Werner Richter, Wolfgang Koeppen, Uwe Johnson hinter anderen Regionen weit
zurück.
Das Jahrbuch ist auf Vielfalt und Breite angelegt und umfaßt daher vier Sparten. Auf
literarische Texte der Gegenwart folgt ein Archiv, in dem Gedichte pommerscher
Autorinnen und Autoren vergangener Jahrhunderte herausgegeben werden. Als dritter Teil
folgen Beiträge aus der Forschung. Der vierte Teil enthält Interviews,
Laudationes und Dankesreden sowie Beiträge zu inhaltlichen Aspekten. Dieser Teil
schließt ab mit der originellen Rubrik Pommern im Web. Herbst 2000. An den
Schluß gestellt sind sehr nützliche Personalien, also Angaben zu den Autoren
der edierten Werke wie zu denen der verschiedenen Beiträge.
Die Fülle des Gebotenen macht es unmöglich, jeden Beitrag angemessen zu würdigen, so
daß vieles nur kurz erwähnt werden kann. Im eröffnenden Teil mit moderner Dichtung
repräsentieren Gedichte von Silke Peters und Irmgard Senf den zeitgenössischen Stil der
Lyrik. Eingerahmt sind sie durch zwei Prosatexte mit deutlichem Bezug zu Pommern.
Angelika Janz beschreibt präzise die Übergangszeit nach dem Ende der DDR am Beispiel
einer Arbeitsgruppe, die ihre Arbeitsstelle in einer Baracke hat, und vermag dies auch im
sprachlichen Wandlungsprozeß zu fixieren. Bert Papenfuß führt die einzelnen Etappen der
Geschichte der Stadt Greifswald jeweils höchst amüsant in kubo-futuristischen
Tafeln in die ferne Zukunft hinein. So wird z. B. an die 1322 erfolgte Gründung des
St. Georg Hospitals erinnert und an die Beschädigung des Rathauses bei einer Feuersbrunst
im Jahr 1736, um dann Zukunft vorauszusagen: Die nächste Welle führt 2149 zur
Aufnahme erneuter Friedensverhandlungen mit den intergalaktischen mikrobionischen
Horden.
Den beiden Textausgaben im Archivteil muß hohe Anerkennung gezollt werden. Die Gedichte
von Sibylla Schwarz werden aus der Ausgabe von 1650 in behutsam modernisierter
Fassung vorgelegt. Sorgfältige Erklärungen zu Lebensumständen und zum
poetologischen und sachlichen Verständnis der Gedichte sowie die Erläuterungen von
Michael Gratz zum Petrarcadeutsch wecken den Wunsch, daß auf der hier
vorgeführten Grundlage bald eine Gesamtausgabe der Werke der pommerschen
Sappho erscheinen möge. Ebenso verdienstvoll ist die Herausgabe früher Gedichte
des weithin vergessenen Oskar Kanehl. Stefan Kalhorn stellt den aufrührerisch politisch
engagierten Autor des beginnenden 20. Jahrhunderts in der Rubrik Dokumentation und
Kritik vor.
In den Beiträgen aus der Forschung streift Jürgen Grambow Uwe Johnsons Werke
unter dem Gesichtspunkt des Themas Ausgrenzungen, in die Johnson selbst gern flüchtete.
Roland Ulrich beschreibt den Neuanfang Falladas in der Sowjetischen Besatzungszone und
in der Rubrik Dokumentation und Kritik die ungleichen
Brüder Koeppen und Domnik, so daß die überregionale Bedeutung pommerscher
Literatur angemessen sichtbar wird. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung der
Geschichte des Greifswalder Stadttheaters in zwei Diktaturen von Karl-Heinz Borchardt.
Namentlich die Beschreibung der kulturpolitischen Bedingungen im Dritten
Reich, die nicht oft zur Sprache gebracht werden, sind aufschlußreich für die
Inbesitznahme des kulturellen Lebens durch die Nationalsozialisten.
Besonderen Respekt und viel Zustimmung darf man dem Beitrag des Stettiner Historikers Jan
M. Piskorski zollen, der die alten und die neuen Pommern der Nachkriegsgeneration in ihrer
Wurzellosigkeit erfaßt und das Unrecht der Vertreibung und den Irrtum, es als Strafe für
kollektive Verantwortung zu begreifen, reflektiert.
Karl Heinz Borchardts schöne Übersicht Pommern im Web lenkt ebenso wie Jan
Piskorskis Beitrag den Blick auf Hinterpommern. Die Webseiten von Institutionen wie des
Bundesinistituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte, der Ostsee-Akademie oder des
Pommerschen Kreis- und Städtetages werden vorgestellt, vor allem aber werden auch
einzelne hinterpommersche Kreise und Städte, Bütow, Rummelsburg, Deutsch Krone, Stolp
und andere, in historischem Rückblick wieder als pommersche Lebenszentren gegenwärtig.
Pommersche Schicksale werden in ihrer bedrückenden Realität sichtbar, so in der
Geschichte der jüdischen Gemeinde Schivelbein, oder in ihren weit über Pommern
hinausreichenden Verflechtungen, so im Hinweis auf meinen verehrten Lehrer Helmut de Boor.
Der renommierte Germanist begann seine wissenschaftliche Laufbahn in Greifswald. Die
Familie de Boor aber ist mit der Stadt Stolp eng verbunden.
Es bleibt zu wünschen, daß das Pommersche Jahrbuch einen festen Platz in den Bemühungen
um die pommersche Literatur und ihre Geschichte einnehmen und behalten kann. Gerade auch
die Besonderheit der Spaltung der Region in einen deutschen und einen nunmehr polnischen
Teil fordert dazu heraus.
Roswitha Wisniewski (KK)
Das war und ist Schlesien
Schlesien. Großer Atlas zur Heimat und Geschichte Schlesiens.
Archiv Verlag, Braunschweig 2004, Bibliotheks-Ausgabe, 84 S., 99,80 Euro
1913 war der Heimatatlas für die Provinz Schlesien zum ersten Mal
erschienen und wurde 1925 neu aufgelegt. Fedor Sommer (1864-1930 ), Schriftsteller und
Schulrat, war der verantwortliche Herausgeber. Jetzt in der neuen Vorlage sind es 50
farbige Landkarten und Pläne der Städte Schlesiens. Dazu kommen 90 historische
Aufnahmen. Die Landkarten zeigen Schlesien vor dem Ersten Weltkrieg, also einschließlich
Ost-Oberschlesiens und des Hultschiner Ländchens, während in den sehr lesenswerten
Zahlen zur Heimatkunde von Schlesien bereits die nach dem Ersten Weltkrieg an
Polen und die Tschechoslowakei abgetretenen und verlorenen Gebiete nicht mehr einbezogen
werden.
Im Geleitwort heißt es zum Schluß: Unter den 16 Wojewodschaften im heutigen Polen
tragen die drei Wojewodschaften Schlesien im Namen: Niederschlesien, Oppelner Schlesien,
Schlesien. Noch immer fließt die Oder durch das Land, ist die Schneekoppe im
Riesengebirge mit 1604 m der höchste Berg, Breslau die Hauptstadt ganz Schlesiens,
Oberschlesien das Industrierevier. Wir müssen achtgeben, daß Schlesien hierzulande keine
terra incognita (ein fernes, fremdes unbekanntes Land) wird.
Man kann die Anzeige der Neuerscheinung dieses Heimat-Atlasses mit den Sätzen beginnen:
Wer sich seiner Heimat Schlesien geistig vergewissern will, der greife zu diesem Band. Wer
anderen, der Jugend, unseren Mitbürgern, über Schlesien berichten und Kenntnisse
vermitteln will, auch der greife zu diesem Atlas.
Noch war die Provinz Schlesien bei seiner Entstehung in drei Verwaltungen aufgeteilt:
Niederschlesien mit Liegnitz als Regierungssitz, Mittelschlesien mit Breslau und
Oberschlesien mit Oppeln. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Oberschlesien eine selbständige
Provinz, und es gab und gibt bis heute im deutschen Bewußtsein Nieder- und Oberschlesien.
Die alten Teilprovinzen Nieder- und Mittelschlesien sind gründlicher, das heißt
vielfältiger dokumentiert als das seinerzeitige ganze und große Oberschlesien. Die in
den Farben hervorragend reproduzierten physischen Landkarten von ganz Schlesien sind
geradezu eine Augenweide und Zeugnis der Vielgestaltigkeit und Schönheit der Provinz
Schlesien, heute sagen wir: des Landes Schlesien.
Auf der letzten Seite geben die Zahlen und Statistiken von der Einwohnerzahl der Städtel
und Städte über Bodennutzung und Verkehr bis zur Witterung in den zwölf Monaten des
Jahres 1927 zuverlässige Auskunft. Davorgeschaltet ist der Historische Teil,
beginnend mit einer kurzen Geschichte von Breslau. Unter den ausgewählten großen
Schlesiern werden jenseits von Adolph von Menzel und Paul Ehrlich auch Otto Mueller, der
Maler des Expressionismus (mit einem falschen Todesdatum), Edith Stein, die Ordensfrau
jüdischer Herkunft (die Seligsprechung wird notiert, die Heiligsprechung vergessen),
Helmuth James Graf von Moltke, der Mann des Kreisauer Kreises, und Günther Bialas, der
Musikpädagoge und berühmte Komponist, genannt. Leider vermißt man, was zur
Fortschreibung der Geschichte notwendig gewesen wäre, einen Zahlenbericht über die
Abstimmung in Oberschlesien. Unter den vielen Schwarzweißfotos, ein großes Angebot,
stößt man auf den Zeitgeschmack der Erstausgabe, wenn für Görlitz das Haus der
Oberlausitzischen Gesellschaft für Wissenschaft, für Liegnitz ein Geschäftshaus, für
Ratibor eine Volksschule als kennzeichnend abgebildet sind. Bauliche Schönheit erschien
damals sekundär.
Erfreulich, daß gelegentlich auch die ehedem österreichische Nachbarregion mit dem
Altvatergebirge, mit Hohenelbe und der Spindlerbaude, sogar Gablonz einbezogen wurden.
Richtig ist die Feststellung in der Einleitung: Die Zeit hat manche der Bilder, die
zu den einzelnen Erinnerungen gehören, verblassen lassen und ihnen zum Teil die farbige
Lebendigkeit genommen, die sie einst hatten. So soll mit dem ,Heimatatlas das alte
Schlesien noch einmal lebendig werden. Die rühmliche Absicht erfüllt die Sammlung
von Landkarten, Bildern aus vergangener Zeit und historischen Reminiszenzen. Allerdings
will dieses Buch nicht nur flüchtig durchgeblättert werden, der Heimatatlas Schlesien
lädt vielmehr zum Studieren und Verweilen ein.
Herbert Hupka (KK)
Nachbarn auf Distanz
Polen und Deutsche 1998-2004. Herausgegeben von Anna Wolff-Poweska und Dieter
Bingen.
Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt, Bd. 19, XII,
Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2005. 496 S., 29,80 Euro
Deutsche und polnische Forscher unternehmen den Versuch, die deutsch-polnischen
Beziehungen auf den wichtigsten Gebieten zu analysieren und zu bewerten. Den zeitlichen
Rahmen bilden der Regierungswechsel in Berlin 1998 und der Beitritt Polens zur
Europäischen Union.
Die letzten sechs Jahre stellen in den deutsch-polnischen Beziehungen eine Zäsur von
epochaler Bedeutung dar und das nicht nur für diese beiden Staaten. Die
Mitgliedschaft Polens in der NATO und in der Europäischen Union bedeutet u. a., daß
erstmalig in der Geschichte der Neuzeit beide Staaten in denselben Bündnisstrukturen
verankert sind und auf die gleichen Werte und Ziele setzen. Andererseits haben die
dramatischen Ereignisse auf internationaler Ebene Unterschiede in den Prioritäten der
Außen- und Sicherheitspolitik Polens und Deutschlands herauskristallisiert.
Gleichzeitig führt die Häufung innerer Probleme in beiden Ländern dazu, daß nach einer
Anfangsphase des Aufbaus von Grundlagen der guten Nachbarschaft und
freundschaftlichen Zusammenarbeit in den deutsch-polnischen Beziehungen nun die
schwierigere Etappe der Verwirklichung der Interessengemeinschaft begonnen
hat. Unterschiedliche Sichtweisen der aktuellen Realität verdecken allerdings nicht die
gemeinsame grundlegende Sorge der Autoren darum, daß gegenseitige Loyalität und eine auf
Vertrauen beruhende deutsch-polnische Zusammenarbeit die Basis für die bilateralen
Beziehungen im europäischen Kontext sein müssen.
Bestellungen nimmt jede Buchhandlung entgegen oder auch der Verlag Harrasowitz.
(KK)
Was suchte die Zarinmutter auf dem Cannstatter Wasen?
Maria Feodorowna als Mittlerin zwischen Württemberg und Rußland.
Herausgegeben vom Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg.
Mit Beiträgen von Annemarie Röder, Harald Schukraft, Andreas Henning, Wolfgang Wiese,
Sonja Hosseinzadeh, Michaela Weber, Gisela Zick.
Stuttgart 2004. 108 S., 10 Euro
Was hat die russische Großfürstin und Zarin Maria Feodorowna mit der Flucht
Friedrich Schillers in der Nacht vom 22. zum 23. September 1782 von Stuttgart nach
Mannheim zu tun? Welche verwandtschaftlichen Beziehungen bestehen zwischen ihr und
Friedrich Wilhelm Carl, dem späteren Herzog, Kurfürsten und König von Württemberg? Wie
kommt es, daß die Zarinmutter seit 1818 als förderndes Mitglied des württembergischen
Wohltätigkeitsvereins einen jährlichen Beitrag von 2000 Rubeln zahlte? Warum besuchte
sie das Cannstatter Volksfest? Und welche Folgen hatte der Besuch für die Bewohner von
Pawlowsk? Und wieso erinnert ein Straßenname in der baden-württembergischen
Landeshauptstadt an diese berühmte Frau, wo sie doch in Stettin das Licht der Welt
erblickte?
Ausgehend von der Publikation Maria Feodorowna als Mittlerin zwischen Württemberg
und Rußland stellt der Stuttgarter Historiker Harald Schukraft zusammen mit Dr.
Annemarie Röder, der stellvertretenden Leiterin des Hauses der Heimat des Landes
Baden-Württemberg, ausgewählte Beispiele württembergisch-russischer Beziehungen vor.
(KK)
In der Reihe Erlebte Geschichte des Hauses des Deutschen
Ostens in München kommt am 10. März Erika Feigl zu Wort.
In ihren Aufzeichnungen Mädchenjahre hinter Stacheldraht
schildert sie ihre Eindrücke in einem sowjetischen Arbeitslager im Donbass, wohin sie im
Januar 1945 aus einem Dorf in Siebenbürgen deportiert worden ist.
(KK)
Literatur und Kunst
Majestät ist in der Tiefe, in der Ruhe, in dem Bleibenden
Die Lektüre Adalbert Stifters als Schule der Wahrnehmung Werk
und Wirkung des Dichters heute
Als man am 30. Januar 1868 den zwei Tage vorher gestorbenen Adalbert Stifter
feierlich, unter Beteiligung einer unübersehbaren Menge von Kindern, zum St.
Barbara-Friedhof in Linz an der Donau geleitete, galt das, wie der Münchner
Staatsbibliotheksrat und Stifterforscher Max Steil bemerkt hat, dem angesehenen und
verdienten Schulrat, nicht dem Dichter. Dieser war vergessen. Niemand habe damals, so
Steil, ahnen können, daß dieser Vergessenheit nach ein paar Menschenaltern eine
Auferstehung folgen werde, die wohl in der Weltliteratur ohne Beispiel ist. Doch
noch heute vielleicht sogar erst recht heute hat derjenige, der sich dem
Werk Stifters nahen will, eine nicht geringe Schwelle zu überwinden. Das meinten die
Teilnehmer einer Podiumsdiskussion, mit der jüngst der Adalbert-Stifter-Verein, verbunden
mit einer Stifter-Lesung, im Sudetendeutschen Haus in München das Stifter-Jahr 2005 in
der bayerischen Landeshauptstadt eröffnete.
Stifter war aus der Mode gekommen, weil er als Schüler Jean Pauls, Goethes und Herders
entgegen dem Zug seiner Zeit zu einem alles zergliedernden Realismus an der Ganzheit von
Mensch und Natur festhalten wollte, in der ein sanftes Gesetz wirke.
Gott ist nicht im Erdbeben, nicht im Feuer, sondern im sanften, stillen
Sausen, so heißt es in der Vorrede zu den Bunten Steinen von 1853.
Die unaufdringliche Majestät ist in der Tiefe, in der Ruhe, in dem
Bleibenden.
Als Stifter seine Erzählungen überarbeitete und bis 1850 in sechs Bänden unter dem
Titel Studien wieder veröffentlichte, verstand er darunter Skizzen und
Vorarbeiten zu einem Werk, das seine Kunst in der reifsten Form darbieten sollte und das
1857 unter dem Titel Nachsommer in drei Bänden erschien. Es ging ihm um
das große Gemälde eines neuen Natur- und Menschenbildes, in dessen Zentrum sich
das geschichtslose Gesetz der Natur und die geschichtlich bedingte Gestalt des Menschen
begegnen. So schreibt Wolfgang Frühwald, einer der beiden Herausgeber der zweiten
Stifter gewidmeten historisch-kritischen Ausgabe (1978 ff.).
Das dadurch bestimmte epische Maß und die Ausgewogenheit der Komposition (Stifter war
immerhin auch Maler, der über 160 Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder hinterlassen hat)
erschweren dem modernen Menschen den Zugang zum Werk. Dieser Befund war die Grundlage der
Podiumsdiskussion im Sudetendeutschen Haus. Dagmar Knöpfel, Regisseurin und Autorin, die
durch eine Verfilmung von Stifters Brigitta hervorgetreten ist, meinte, bei
Stifter bestehe eine Diskrepanz zwischen Idylle und Leiden am Leben, das sich durch
geheimes Brodeln bemerkbar mache. Die psychische Entwicklung der Personen
berge die Spannung in sich, die anderswo durch äußere Dramatik und Aktion erzeugt werde,
setzte dem der Literaturwissenschaftler Ulrich Dittmann hinzu, der als Bearbeiter an der
historisch-kritischen Stifter-Ausgabe beteiligt ist. Wenn man bei der Lektüre Stifters
über eine sublime Langeweile hinwegkommen wolle, so bemerkte Konstanze
Fliedl, Germanistikprofessorin an der Universität Salzburg, müsse man erst
Leseerfahrungen sammeln. Nur so stoße man auf jene Abgründigkeit
des Erzählten. Peter Becher, der Geschäftsführer des Adalbert Stifter Vereins, der die
Diskussion moderierte, gab zu bedenken, ob zum Stifter-Lesen nicht auch
Lebenserfahrungen vonnöten seien, und sprach von einer Schule der
Wahrnehmung, die den Leser erst in den Stand setze, die unterschwellige
Spannung bei Stifter zu erfassen.
Eine andere Frage war die nach der Erfahrung Stifters mit der Volkstumsgrenze. Dazu meinte
Dittmann, daß dem Dichter die Einheit Altösterreichs selbstverständlich gewesen sei.
Die Erfahrung der unbeschränkten Natur sei ihm nach den Irritationen, die bei ihm die
Revolution von 1848 ausgelöst hätten, noch wichtiger geworden; auch die Neigung, sich
auf den Böhmerwald als eine heile Welt zurückzuziehen, habe diesen in seinem Werk als
Urwald erscheinen lassen. Die in der Zeitgeschichte liegenden Gefährdungen seien ihm aber
gegenwärtig geblieben, wie sein Leiden unter dem deutschen Bruderkrieg von 1866 zeige.
Auf die Frage Bechers, ob das Verlusterleben Stifter eine
harmonisierende Weltsicht eingegeben habe, wies Konstanze Fliedl darauf hin, daß in
seinem Werk die im Verhältnis der Geschlechter zueinander liegende gesellschaftliche
Spannung nicht nur verborgen zum Ausdruck gekommen sei, sondern daß er sich auch
mit Souveränität über die herkömmlichen Dominanzverhältnisse zwischen den
Geschlechtern hinweggesetzt habe.
Wenn sich im Unterschied zu der Langeweile beim ersten Lesen Stifters immer mehr Lesern
dessen stille Faszination mitteile, so Becher, stelle sich die Frage nach der
Attraktivität des Dichters heute. Der Regensburger Schriftsteller und Theaterregisseur
Joseph Berlinger, der Autor des in Kürze erscheinenden Reisebuches Stifters
Städte, Stifters Land, empfiehlt den Dichter, der das Gespräch als
Ritual (so die Formulierung Dittmanns) gepflegt habe und für den Geduld eine Tugend
gewesen sei, als literarischenAnwalt der Versöhnung zwischen den Völkern.
Dagmar Knöpfel meinte, im Zusammenhang mit der heute spürbaren Tendenz zur
Entschleunigung als Reaktion auf das moderne Tempo könnte Stifter vermehrte
Bedeutung bekommen.
Denn dieser Dichter, so Konstanze Fliedl, entziehe sich einer geschwinden
Verwertung. Sein Werk erschließe sich nur durch eine langsame Entzifferung
der Details.
Peter Mast (KK)
Sehen und Ansehen, Sicht und Ansicht
Königsberg in Bildern und Visionen zeigt das Ostpreußische Landesmuseum
Lüneburg
Königsberg in Preußen, einst östlichste Großstadt Deutschlands, ist in vielen
Teilen heute nur noch eine Erinnerung. Im jetzigen Zentrum der russischen Exklave
Kaliningrad blieb wenig von den prägenden Bauwerken, die einst den Charme und die
Bedeutung dieses Ortes ausmachten.
Schloß und Dom, die ehrwürdige Albertus-Universität und der alte Hafen 750 Jahre
nach der Gründung Königsbergs ruft die Ausstellung Königsberg in Bildern und
Visionen dem Betrachter durch Kunstwerke aus fünf Jahrhunderten das Bild dieser
Stadt vor Augen. Je nach Absicht der Künstler zeigen sie in ihren Werken Ansichten der
Stadt oder ihre Visionen von Königsberg.
Die Arbeiten des 16. und 17. Jahrhunderts bemühten sich um die Wiedergabe der Strukturen
der ganzen alten Stadtanlage mit ihren drei Teilen Altstadt, Kneiphof und Löbenicht. Aus
dem 18. Jahrhundert sehen wir eher ereignisbezogene Blätter. Die in einiger Vielfalt
erschienenen Ansichten des 19. Jahrhunderts geben schon ein sehr viel detaillierteres Bild
der im schnellen Wachstum begriffenen Hauptstadt Ostpreußens.
Durch den Siegeszug der Photographie im späteren 19. Jahrhundert sehen sich die bildenden
Künstler nicht mehr dem bloßen Abbilden verpflichtet, sondern gestalten stärker
persönlich geprägte Schilderungen. Mit der Zerstörung und Unerreichbarkeit der Stadt
und des nördlichen Ostpreußen seit 1945 blieb den deutschen Malern nur dieses:
Erinnerungen an ihre einstige kulturelle Heimat zu gestalten. Russische Künstler in
Kaliningrad versuchten später ihrerseits, in bildnerisch gestalteten Visionen sich der
Geschichte ihrer Stadt und ihren Resten zu nähern.
Beispiele all dieser künstlerischen Annäherungsversuche an eine Stadtlandschaft stellt
das Ostpreußische Museum Lüneburg vom 19. März bis zum 17. Juni aus. Noch bis zum 16.
Mai sind die Bilder aus dem Museum für Ermland und Masuren in Allenstein zu sehen. Diese
Ausstellung war in unserem letzten Heft fälschlicherweise ohne Orts- und Terminangabe
präsentiert worden.
(KK)
Klangvolles Gedenken
50 Jahre Schlesische Musik e. V. Internationale Musiktagung und
Deutsch-polnische Jugendbegegnung
Im Sommer des Vorjahres trafen sich wieder 90 Musikliebhaber, denen schlesische
Klänge besonders vertraut sind, im ehemaligen Zisterzienserkloster Altenberg, um diesen
und anderen Klängen Leben und Gehör zu verleihen.
Zu dem Thema Breslau/Wroclaw konnte die Vorsitzende Prof. Edith Urbanczyk,
Berlin, wie es schon Tradition ist, Schüler und Lehrer des Oppelner Musikgymnasiums
begrüßen. Ihre Reise wurde mit Hilfe des Goethe-Instituts, der GEMA-Stiftung und des
Deutsch-Polnischen Jugendwerkes ermöglicht.
Nach ersten Proben folgte am Abend ein Diavortrag über Breslau, Geschichte und
Gegenwart.
Das erste Konzert im Altenberger Dom für Orgel und Gesang war bekannten schlesischen
Komponisten gewidmet: Friedrich Metzler, Fritz Lubrich, Max Gülbnis und Adolph Hesse, um
nur einige zu nennen. Ein Höhepunkt war gewiß der Besuch von Professor Hans Pischner und
seiner Frau, der Schwester von Günter Bialas, aus Berlin. Hans Pischner, Jahrgang 1914,
ist ein Zeuge des früheren Breslauer Musiklebens. Seinen anschaulichen Schilderungen
folgte eine CD-Einspielung seines Cembalospieles.
An den drei folgenden Tagen wurden einstudierte Chor- und Orchesterwerke im Kapitelsaal
und im Dom (Komplet) aufgeführt. Weitere Angebote wie Kunstlied und erstmalig Jazzgesang
waren zu hören. Auch ein Salonorchester fand sich zusammen.
Die Möglichkeiten für Sänger und Instrumentalisten sind so vielseitig, daß unabhängig
von Können und Alter eine Teilnahme Interessierter sehr zu empfehlen ist. Familien mit
Kindern sind immer willkommen und finden eine Sonderprogramm.
In diesem Jahr feiert der ASM sein 50jähriges Bestehen. Eine Rückschau mit
Festveranstaltung ist für die Zeit der Tagung vom 1. bis zum 6. August geplant.
Gedenktage schlesischer Komponisten sollen musikalisch gewürdigt werden. Bei dieser
Gelegenheit soll auch Professor Gotthard Speer, dem Mitbegründer und langjährigen
Vorsitzenden des ASM, der seinen 90. Geburtstag feiert, gedankt werden.
Nähere Informationen hält Bernward Speer bereit.
Adelheid von Rohr (KK)
Die Sudetendeutsche Wallfahrt nach Altötting findet in diesem Jahr am 2. und 3. Juli statt. (KK)
Tanzende, dichtende Politikerin
Dokumentarausstellung zu Leben und Wirken der Künstlerin Jo Mihaly aus Westpreußen
in Düsseldorf
Noch immer gibt es zu Unrecht vergessene, übersehene
Künstlerpersönlichkeiten der Weimarer Republik. Eine solche ist Jo Mihaly, deren
vielfältiges Wirken als Tänzerin und Schriftstellerin in der hier und heute zu
eröffnenden Ausstellung erstmals gewürdigt wird. Mit diesen Worten führte der
Nachlaßverwalter Thomas B. Schumann am Tag der Vernissage im Düsseldorfer
Gerhart-Hauptmann-Haus in die Schilderung des den beachtenswerten Lebens- und
Schaffensweges der 1902 im westpreußischen Schneidemühl geborenen Künstlerin ein.
Er selbst, so Schumann, habe das Glück gehabt, Jo Mihaly persönlich kennenzulernen, sie
in Ascona zu besuchen, mit ihr zu korrespondieren. Nach dem Tod der Künstlerin 1989
übernahm Thomas B. Schumann den literarischen Nachlaß, während sich das Vermächtnis
ihrer Tanzarbeit im Kölner Tanzarchiv befindet.
In Kooperation mit dem Gerhart-Hauptmann-Haus, Düsseldorf, und dem Westpreußischen
Landesmuseum, Münster, konnte nun erstmals eine umfangreiche Dokumentation einer breiten
Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die von der Kunststiftung NRW geförderte Ausstellung
wird übrigens noch im Laufe dieses Jahres in Münster zu sehen sein und kann ab 2006 als
Wanderausstellung vom Gerhart-Hauptmann-Haus angefordert werden.
Jo Mihalys Leben und Werk wird anhand von Büchern, Briefen, Dokumenten, Manuskripten,
Bildern und Fotografien vorgestellt. Die chronologisch angeordneten Stationen zwischen dem
Geburtsort Schneidemühl und dem Aufenthalt in Ascona veranschaulichen die facettenreiche
Entwicklung der gebürtigen Westpreußin. Sie galt zu Recht als eine der vielseitigsten
Persönlichkeiten der Weimarer Republik, des deutschen antifaschistischen Exils und der
frühen Nachkriegszeit. Die Zeit nannte sie eine der großen Frauen des
20. Jahrhunderts.
Zu ihrem künstlerischen Tätigkeitsfeld sei erwähnt, daß Jo Mihaly bereits in den 20er
Jahren eine eigene Form sozialkritischer epischer Tänze kreierte. Im
Schweizer Exil nahmen ihr Arbeitseifer und ihr politisches Engagement neue Formen an. Sie
war zeitweilig Präsidentin der Kulturgemeinschaft der Emigranten und
redigierte die Exil-Zeitschrift Über die Grenzen. Von Flüchtlingen Für
Flüchtlinge. 1942 erschien ihr Roman Hüter des Bruders und drei Jahre
später ihr Gedichtband Wir verstummen nicht.
In der Nachkriegszeit war Jo Mihaly im Stadtparlament von Frankfurt/Main engagiert und
gründete die Freie deutsche Kulturgemeinschaft. Sieben Jahre vor ihrem Tod
veröffentlichte sie ihr Tagebuch aus dem Ersten Weltkrieg ... da gibt's ein
Wiedersehn! Erst posthum, zu ihrem 100. Geburtstag, brachte dann der Verlag Edition
Memoria den Roman Auch wenn es Nacht ist heraus. Dieses Werk beschreibt
packend und ergreifend die Flucht und Vertreibung aus dem deutschen Osten zu Beginn des
Jahres 1945. Es wurde übrigens von der KK im April 2002 entsprechend gewürdigt.
Dieter Göllner (KK)
KK-Notizbuch
Deutschland und seine östlichen Nachbarn Beiträge zur europäischen
Geschichte: Unter diesem Titel hat die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius
Doktoranden-Stipendien 2005 für Nachwuchswissenschaftler in Geschichte und benachbarten
Fächern ausgeschrieben, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich im Rahmen von
Dissertationen mit Aspekten der Geschichte Mittel- und Südosteuropas zwischen Mittelalter
und Zeitgeschichte auseinanderzusetzen. Ausdrücklich sind ideengeschichtliche,
wissenschafts- und kulturgeschichtliche Arbeitsvorhaben erwünscht. Die Stiftung gewährt
abhängig vom jeweiligen Studienland eine monatliche Unterstützung von bis zu 1000 Euro
über einen Zeitraum von zwei Jahren. Rückfragen unter Telefon
0 40 / 41 33 67 70, www.zeit-stiftung.de.
Der baden-württembergische Landesbeauftragte für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler, Innenminister Heribert Rech, hat am 28. Februar in einer Feierstunde im Neuen Schloß in Stuttgart den Rußlanddeutschen Kulturpreis des Bundeslandes für das Jahr 2004 verliehen. In diesem Jahr war der Preis im Bereich Musik ausgeschrieben. Der mit 5000 Euro dotierte Hauptpreis wurde in Würdigung seines Lebenswerks an Professor Rudolf Kehrer verliehen. Den mit 2500 Euro dotierten Förderpreis erhielt Olga Gollej für ihre musikalischen Leistungen als aufstrebendes Talent am Klavier. Für sein kompositorisches Schaffen ist Wladimir Wecker mit der Ehrengabe des Rußlanddeutschen Kulturpreises ausgezeichnet worden, ebenfalls dotiert mit 2500 Euro.
Im Rahmen einer Deutschlandtournee stellen Schriftsteller aus Südosteuropa und aus Deutschland ihre Werke am 11. März im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm vor. Neben den Autoren Richard Wagner (Berlin), Petra Curescu (Temeswar), Michael Astner (Jassy) und Lucian Varsandan (Temeswar) werden unter der Moderation von Dr. Stefan Sienerth (München) die ungarische Autorin Anna Maria Popescu, Vorsitzende der Temeswarer Abteilung des rumänischen Schriftstellerverbandes, und Annemarie Podlipny-Hehn, die Vorsitzende des Temeswarer Literaturkreises Stafette, auftreten.
Das Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus eröffnet am 10. März eine Ausstellung mit schlesischen Landschaften von Ivo Hauptmann, die bis zum 10. Mai zu sehen sein wird.
Die Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft Ostdeutscher Museen, Heimatstuben und Sammlungen in Nordrhein-Westfalen findet am 10. März um 10 Uhr in der Stadthalle Vennehof in Borken statt. Referate zu grenzüberschreitenden Kontakten und Materialien zu Flucht und Vertreibung stehen am Vormittag im Mittelpunkt, der Nachmittag ist dem Stadtmuseum von Borken gewidmet.
Das Haus Brandenburg in Fürstenwalde zeigt bis zum 24. März eine Ausstellung über Klabund. Klabautermann und Vagabund (1890-1928). Zusammengestellt hat sie Dr. Wilfried Reinicke aus Berlin vornehmlich aus der eigenen Sammlung, angereichert mit Tafeln aus dem Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum Lübeck.
Die Academia Baltica veranstaltet vom 31. März bis zum 3. April in
Aussig eine deutsch-tschechische kommunale Begegnung unter dem Titel Nachbarschaft
in Böhmen. Geplant sind ein Austausch über Geschichte und Landeskunde und
Gespräche über kommunale und regionale Entwicklung und Politik.
(KK)