KK 1124 vom 30. Dezember 2000 Seite 8

Auferstanden aus Ruinen – um unterzugehn
Die Zerstörung des Berliner Schlosses vor 50 Jahren

Selbst der Drachentöter mußte der „Volksdemokratie“ weichen: Eosanderhof im Berliner Schloß
(Bild kann hier leider nicht wiedergegeben werden)


Es geschah 1950. Sprengungen und Preßlufthämmer radierten das Schloß aus dem Bild der Stadt Berlin. Kein Stein blieb auf dem anderen. Das am Kopf der „Linden“ – die Mark Twain einmal „drei Straßen in einer“ genannt hatte – stehende Baudenkmal war so etwas wie die steinerne Mitte Alt-Berlins. 1950 wurde diese steinerne Wirklichkeit ausgelöscht. Es sollte, wie Walter Ulbricht es forderte, ein „großer Demonstrationsplatz“ geschaffen werden. Der Direktor des Märkischen Museums, Stengel, begehrte mutig gegen diese Untat auf. Wörtlich erklärte er: „Die anglo-amerikanischen Bomben haben unersetzliche Kulturgüter vernichtet. Aber das war im Krieg. Was jetzt geschieht, ist wohlüberlegter kaltblütiger Mord.“

Im Sommer 1950 war noch alles still gewesen – keine Sprengungen, keine Preßlufthämmer. Die vom Krieg gezeichnete Ruine war auch noch aufbauwürdig. In dem mit einer Notdecke versehenen Weißen Saal hatten sogar noch etliche Ausstellungen die Berliner zum Besuch angelockt. Ludwig Justi, der Generaldirektor der Staatlichen Museen, vermittelte ein „Wiedersehen mit Museumsgut“ – noch überschattet von der Furcht vor dem Zugriff der sowjetischen Trophäenkommission auf manchen deutschen Kunstschatz –, und 1948 wurde hier eine Gedenkausstellung zum Revolutionsjahr 1848 gezeigt. Dazu gab es im leidlich erhaltenen Schlüterhof, der wegen seiner Akustik weltberühmt war, einige gutbesuchte Konzerte.

Das Schloß, weitgehend erbaut vom Danziger Andreas Schlüter, war aus den Plänen zum Wiederaufbau Berlins nicht von vornherein ausgeklammert. Der Saal, in dem Friedrich Wilhelm IV., der von Eichendorff gepriesene „Romantiker auf dem Königsthron“, die Frankfurter Deputation empfangen hatte und in dem später Kaiser Wilhelm I., thronend auf dem Goslarer Kaiserstuhl, den ersten Reichstag des Zweiten Deutschen Reiches eröffnete, war einigermaßen erhalten, ebenso das Portal, von dem aus Karl Liebknecht am 9. November 1918 die Deutschen zur „Vollendung der Weltrevolution“ aufforderte. Auf diese Nachricht hin sprang damals Philipp Scheidemann, welcher der Überlieferung nach in der Kantine des Reichstags eine dünne Suppe gelöffelt hatte, auf, rannte zu einem der Fenster, riß es auf, kletterte auf die Brüstung und rief die „Deutsche Republik“ aus.

All das war 1950 nur allzuschnell vergessen. Otto Grotewohl, der damalige Ministerpräsident der DDR, besichtigte das Schloß ohne fachkundige Begleitung und erklärte hernach: „Jetzt schreien alle. Aber wenn das Schloß weg ist, kräht kein Hahn danach.“ Alle Proteste halfen nichts, weder die Einsprüche des Städteplaners Hans Scharoun noch die Rettungsversuche des Kunsthistorikers Gall. Selbst Bemühungen, den stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission, Wladimir Semjonoff, um Hilfe zu bitten, scheiterten.

Während im Dezember 1950 zu Füßen der Ruine die Budenstadt des Weihnachtsmarktes alt und jung einen Schimmer des Friedens vermittelte, sank das Schloß und mit ihm die Kuppel mit den Cherubinen Friedrich Wilhelms IV. in einer Staubwolke zusammen.

Hans-Ulrich Engel (KK)
Quelle: KK1124 Seite 8 2000-12-30