KK 1124 vom 30. Dezember 2000 Seite 3

Brückenbau vor Toresschluß
Metaphern helfen nicht: Symposion des Ostdeutschen Kulturrats über Eger/Cheb

Man kann es eigentlich nur als traurig bezeichnen: Da wird von der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat eine Tagung organisiert, die als voller Erfolg bezeichnet werden kann, im Hintergrund aber schwingt das Wissen mit, daß es vielleicht die letzte von ihr ausgerichtete Veranstaltung dieser Art gewesen ist. Denn nach dem Willen der Politik ist dieser Stiftung die institutionelle Förderung entzogen worden. Seltsame Zwiespältigkeit des Denkens: Auf der einen Seite fordern Politiker unter dem Vorzeichen der Osterweiterung der Europäischen Union eine Intensivierung der Kontakte mit den östlichen Nachbarn, auf der anderen Seite werden Institutionen, die diese Kontakte jahrelang mühsam aufgebaut haben und nun erfolgreich pflegen, liquidiert, weil sie den vermeintlichen Makel „Vertriebenengründung“ tragen. Eine objektive Wertung der tatsächlichen Arbeit wird verweigert.

Die Wahl Egers als Gegenstand des Symposions war ein glücklicher Griff. Nicht nur liegt es geographisch im Zentrum Mitteleuropas, es hat entlang seiner Geschichte auch eine ganz besondere Brückenfunktion erfüllt, die es in der Euregio Egrensis erfolgreich weiterzuführen sich anschickt. Trotz knapper Vorbereitungszeit war es gelungen, qualifizierte Referenten aufzubieten. Stiftungspräsident Professor Dr. Eberhard G. Schulz konnte bei der Eröffnung im Georg-Bayer-Saal der Würzburger Barockhäuser rund 40 Teilnehmer begrüßen, darunter den Würzburger Bürgermeister Gerhard Franke und den ehemaligen Bürgermeister und Landrat von Eger, Otto Karl Mika, an der Spitze einer starken Delegation der Stadt, um die es ging.

Den Auftakt des Symposions bildete ein Doppelreferat: Je ein deutscher und ein tschechischer Referent nahmen Stellung zum Thema „Kulturelles Erbe – Brücke oder Hindernis?“. Um die Antwort vorwegzunehmen: Beide Referenten bewerteten das kulturelle Erbe des Egerlands eindeutig als Brücke im Umgang der Völker miteinander. Für die deutsche Seite äußerte sich dezidiert und engagiert Bernd Posselt, München, Mitglied des Europa-Parlaments und zugleich Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Für ihn besitzt Kultur eine eindeutig friedensstiftende Wirkung unter der Voraussetzung, daß sie von nationalmythologischer Vereinnahmung befreit wird. Auch wenn Egerländer Kultur inzwischen in drei Museen außerhalb Egers, in der Bundesrepublik Deutschland (Sudetendeutsches Schaufenster im Sudetendeutschen Haus in München, Isergebirgsmuseum in Neugablonz und Egerlandmuseum in Marktredwitz) zu finden sei, stelle die Unterstützung der Museen am Ursprungsort, in Eger selbst, eine wichtige Aufgabe für die Zukunft dar. Für die tschechische Seite referierte Dr. Jaromir Bohác. Ausschlaggebend für ihn ist die Tatsache, daß tschechische Kulturbeamte (Archivare, Museumsfachleute, Volkskundler) mit dem Kulturerbe von Menschen konfrontiert waren, die selbst nicht mehr im Land lebten. „Sachzeugen des Gedächtnisses“ nach der Vertreibung der Deutschen zu wahren, sei zunächst eine Pflichtaufgabe für Menschen gewesen, die zum Teil gar nicht Deutsch sprachen. Erst die Suche der tschechischen Bewohner in diesem Raum nach neuer, regional verankerter Identität und ein neues Denkmalschutzgesetz vom Februar 2000 mit dem Auftrag, „nationales Kulturerbe zu wahren“, habe hier eine neue Situation geschaffen. Die Erklärung und Interpretation der „Sachzeugen des Gedächtnisses“ in gemeinsamer Arbeit sei eine grenzüberschreitende Aufgabe für die Zukunft.

„Eger im Mittelalter“ behandelte der junge Historiker Dr. Frantisek Kubu aus Prachatitz. Ihm gelang es ausgezeichnet, die entscheidenden Entwicklungslinien der Geschichte – fernab jeder national gefärbten Deutung – objektiv herauszuheben: die Besiedlung als slawische Wallburg im 9. und 10. Jahrhundert, die Einbeziehung in den Einflußbereich des Bayerischen Nordgaus zu Beginn des 12. Jahrhunderts, die Sonderstellung des Gebietes als staufisches Ministerialgut Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts, die Entwicklung zur Reichsstadt mit Herausbildung des Egerer Stadtstaates, die Verpfändung des Reichsgutes 1322 an das Königreich Böhmen, die Stellung des nicht mehr eingelösten Reichspfandes Eger mit zahlreichen Privilegien im Königreich Böhmen, bis in die Zeit der Habsburger.

Gegenüber diesem Rückblick in die frühere Geschichte allerdings hatte die Betrachtung des Schicksals von Eger im 20. Jahrhundert eindeutige Priorität im Programm des Symposions. Christa Hruba aus Eger stellte die dort ansässige Balthasar-Neumann-Gesellschaft als „gemeinsame Tat von Deutschen und Tschechen“ vor. Balthasar Neumann, 1687 in Eger geboren und 1753 in Würzburg gestorben, einer der bedeutendsten Barockarchitekten Deutschlands, Erbauer der Würzburger Residenz, wurde zum kulturellen Verbindungsglied zwischen Deutschen und Tschechen und als solches zum Namenspatron der am 17. August 1992 gegründeten Gesellschaft. Jiri Rak aus Eger erläuterte die Initiativen des Bundes der Deutschen – Landschaft Egerland. Nach der Grenzöffnung 1989 habe der Bundesvorsteher der Egerländer Gmoin, Seff Heil, einen Zusammenschluß der in der Heimat verbliebenen deutschen Landsleute nach Kräften unterstützt. Am 29. November 1991 schließlich sei es im Museum am Franziskanerplatz in Eger zur Gründung des Bundes gekommen. Dieser umfasse als Dachverband der deutschen Volksgruppe im Egerland rund 1300 Mitglieder. Sein Hauptzweck sei die Pflege der Egerländer Kultur in der Tschechischen Republik im Sinne der Völkerverständigung.

Die deutsch-tschechische Aufarbeitung der frühen Nachkriegsgeschichte als unabdingbar notwendige Voraussetzung für ein spannungsfreies Zusammenleben von Deutschen und Tschechen heute problematisierte PhDr. Frank Boldt aus Eger. Nach 1989 konnte und mußte, meint er, auch bei den Tschechen die Einsicht wachsen, daß die Vertreibung der Deutschen ein Unrecht war und auch dem tschechischen Staat viele gute Kräfte entzogen hat. Die Vertreibung als Problem der philosophischen Staatsrechtslehre beleuchtete Stiftungspräsident Professor Dr. Eberhard G. Schulz. Mit seinem Vortrag bot er gewichtige Argumente, die bei einer Regelung der Vertreibungsfolgen in zwischenstaatlichen Beziehungen Beachtung finden müssen und deren Geltung über die tagesaktuellen Streitigkeiten weit hinausreicht. Das „sudetendeutsche Problem“ in den Jahren 1919-1938, die Stellung der Deutschen im neugegründeten tschechoslowakischen Staat und die Einflußnahme des Nationalsozialismus auf diesen Raum beschrieb Tobias Weger aus Neu-Esting, ein junger Doktorand, der mit seinem fundierten, aber auch pointierten Ausführungen bei manchen Zuhörern Widerspruch erregte.

Hoffnungsvolle Perspektiven in der grenzüberschreitenden Verständigung eröffnete Dr. Birgit Seelbinder, Oberbürgermeisterin von Marktredwitz und zugleich Präsidentin der Euregio Egrensis, über deren Projekte und Begegnungen sie manch Anregendes zu berichten wußte. Im Dreiländereck Bayern–Böhmen–Sachsen angesiedelt, umfaßt die im Februar 1993 gegründete Euregio Egrensis die drei Arbeitsgemeinschaften Bayern, Vogtland/Westerzgebirge und Böhmen. Die Zusammenarbeit der Heilbäder und Kurorte über die Grenzen hinweg, die Einrichtung eines Radwanderwegs, der Aufbau eines grenzüberschreitenden Landschaftsverbundes (u.a. mit einem Projekt zum Schutz der Flußperlmuschel), gemeinsame Jugendsommerlager, Gastschuljahre, ein gemeinsamer Museumsführer usw. seien Veranstaltungen und Vorhaben, die von der Europäischen Gemeinschaft gefördert werden.

Die Tragik der Lebenswege einzelner Menschen und Familien, die vom Schicksalsschlag der Vertreibung getroffen werden, war ein besonderes Thema, das gleichwohl den Rahmen des Symposions keineswegs sprengte, sondern die Diskussion bereicherte. Die Behandlung des Schicksals der Vertreibung in der deutschen Nachkriegsliteratur ließ Professor Dr. Louis F. Helbig von der Université de Savoie im Spiegel zahlreicher Szenen und Zitate aus Werken so bekannter Autoren wie Siegfried von Vegesack, Ernst Wiechert, Günter Grass, Siegfried Lenz, Horst Bienek oder Peter Härtling lebendig werden. Mit einem Diavortrag über Eger gestern und heute demonstrierte Dr. Werner Chrobak aus Regensburg das reiche kulturelle Erbe der einstigen Stauferpfalz und Reichsstadt.

In dem zweitägigen Symposion gelang es, den Stellenwert Egers als Brücke zwischen Tschechen und Deutschen über Jahrhunderte hin wie auch in der Gegenwart eindrucksvoll deutlich zu machen. Nicht zuletzt die Besetzung des Referentenkollegiums mit einem starken Anteil führender Kulturschaffender aus Eger war ein Beweis dafür.

Angesichts des Einschnittes in der Geschichte der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat sei es einem Außenstehenden, aber mit ihrer Arbeit Verbundenen erlaubt, einen besonderen Dank auszusprechen für diese Tagung wie auch für die völkerverbindende Kulturarbeit dieser Einrichtung in den vergangenen Jahren. Dank gebührt dem derzeitigen Präsidenten Professor Dr. Eberhard G. Schulz, dem früheren langjährigen Präsidenten Dr. Herbert Hupka, der in grenzüberschreitender Kulturarbeit die binationalen Tagungsreihen „Gemeinsame Verantwortung für die Kulturdenkmäler“, „Nachgeholte Wiedergutmachung“ und „Gemeinsame Spurensuche“ begründet hat, und der Fachreferentin Dr. Christine Kucinski, die durch ihre Kontakte in die östlichen Nachbarländer einen wesentlichen Teil zum Gelingen der internationalen Veranstaltungen beigetragen hat.

Werner Chrobak (KK)
Quelle: KK1124 Seite 3 2000-12-30

„Ohne Lot und Waage. Alltag in Eger 1993“, fotografiert von Andrea Weiduschadt Bild: Künstlergilde, Esslingen
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