„Das Konzept geht nicht auf“

Historiker Jörg Friedrich über bombardierte deutsche Städte und den Irak-Krieg

HNA Nr. 43 Po4, 2003-02-20
Von Wolfgang Blieffert

Vor dem Hintergrund des drohenden Irak-Krieges erhält Jörg Friedrichs Buch „Der Brand: Deutschland im Bombenkrieg 1940 – 45“ (Propyläen-Verlag) eine neue Dimension. Darüber sprachen wir mit dem Berliner Historiker (Jahrgang 1944) am Rande einer Veranstaltung der Kasseler Buchhandlung Vaternahm und des Evangelischen Forums.

George W. Bushs Absichten erinnern an die Kriegsziele der Alliierten im Zweiten Weltkrieg: Befreiung, Entwaffnung, Demokratisierung. Droht den irakischen Städten also das Schicksal von Kassel oder Würzburg?

Friedrich:
Nein. Das ist nicht vorstellbar. Ein US-Präsident, der solche Angriffe anordnen würde, müßte am nächsten Tag zurücktreten, UN und Nato müßten sich auflösen.

Die Strategie des Luftkrieges hat sich also geändert?

Friedrich:
Ja. Kein Luftkriegsstratege erwägt heute noch Bombardierungen mit dem Ziel, die Bevölkerung zur Rebellion oder Revolution gegen die eigene Führung aufzustacheln. Das Konzept geht nicht auf. Das haben auch die Amerikaner spätestens nach dem Vietnamkrieg einsehen müssen.

Aber sind sogenannte intelligente Waffen oder chirurgische Luftschläge nicht bloßes Wunschdenken der Militärs?

Friedrich:
Irrtümer oder Pannen gibt es natürlich immer. Denken Sie an die Bombardierung der chinesischen Botschaft im Kosovokrieg, wo wir bis heute nicht wissen, ob es geheimdienstliche Absichten. Aber die ganze Charakteristik der lasergelenkten Waffen zielt auf eine ganz andere Wirkung als Flächenbombardements oder gar die Atombombe. Heute werden Waffen benutzt, die etwa die Computer-Kommunikation des Gegners lahmlegen sollen. Das ist eine vollkommen andere Zielsetzung.

Dennoch werden Zivilisten sterben...

Friedrich:
Ja, natürlich; Es ist schlechterdings nicht möglich, einen Krieg zu führen und jeden Unschuldigen zu schonen. Aber ich mache doch einen entscheidenden Unterschied zwischen einem, der ein Ziel anstrebt und es nicht hundertprozentig er­reicht, und jemandem, der die Bevölkerung ganz bewußt als Ziel nimmt, als Inhalt seines militärischen Bemühens. Das muß man unterscheiden.

Dennoch: Gerade der Zweite Weltkrieg zeigt, daß auch zweifelsfrei demokratische Staaten zu barbarischen Mitteln greifen können.

Friedrich:
Das ist richtig. Es bestand die Vorstellung, hier haben wir ein Mittel, den Krieg schnell zu beenden. Das war ja auch der Grund für den falsche Zielkarten oder doch Einsatz der Atombombe. Die USA fürchteten bei der Invasion der japanischen Inseln hohe Verluste an eigenen Soldaten. Um dies zu verhindern, setzten sie die Atombombe gegen die japanische Zivilbevölkerung ein.

Woran liegt eigentlich die Aufhebung der alten Unterscheidung von Zivilisten und Militär?

Friedrich:
Diese Unterscheidung setzte nach den Religionskriegen im 17. Jahrhundert ein. Vorher hatten wir Unternehmer wie Wallenstein, die auf eigene Faust Landsknechte einsetzten und sich an keine Konventionen hielten.

Der Krieg hat sie ernährt.

Nun übernahm der moderne neuzeitliche Staat die Kriegsführung, und er legte ihr Regeln auf. Eine lautete: Wir unterscheiden zwischen Kombattant und Nichtkombattant. Wer die Hände hebt, wer nicht an Gewaltaktionen teilnimmt, der wird geschont. Wer kapituliert, ist nicht mehr Objekt von Kriegsmaßnahmen. Diese goldenen Regeln haben zwei, drei Jahrhunderte gehalten.

Erst die Industrialisierung des Krieges schmiedete die Bevölkerung zusammen in eine Gemeinschaft der Kämpfenden und der Kampfmittel-Produzierenden. Der Krieg wurde getragen durch die industrielle Kapazität einer Gesellschaft, und alle standen in der einen oder anderen Weise hinter den Kriegsanstrengungen einer Nation. Unter diesen Voraussetzungen der Totalität eines Krieges konnte die Unterscheidung von militärischen und zivilen Zielen nicht mehr gelten.

Reichen internationale Konventionen und Bestimmungen aus, um Kriegsszenarien wie Flächenbombardements auszuschließen?

Friedrich:
Das erste Zusatzprotokoll (1977) zum Genfer Zivilschutzabkommen ist von den entscheidenden Luftkriegsmächten nicht unterzeichnet worden. Es verbietet klipp und klar den Angriff auf eine Stadt als solche. Es dürfen danach nur militärische Ziele innerhalb einer Stadt angegriffen werden.

Ich kann mir auf der anderen Seite nicht vorstellen, daß eine Nation in einem Krieg, in dem es um Sein oder Nichtsein geht wie im Zweiten Weltkrieg, den Krieg verliert, um dem Recht Genüge zu tun. Dann wird man jenseits des Rechts kämpfen.