Ein seltenes Denkmal in Melsungen
Am Marktplatz erinnert eine Plakette an eine deutsch-russische Waffenbrüderschaft:

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Es ist das wohl einzige Denkmal aus einer Zeit, als Deutsche und Russen gemeinsam in den Kampf zogen. In Melsungen direkt am Markt ist jene Plakette angebracht, die vom Tod des russischen Husaren-Obersten lgor Iwanowitsch Bedriaga im September des Jahres 1813 berichtet.
Gestorben ist er in Melsungen an den Folgen einer Verwundung, die er sich bei der Befreiung Kassels von der französischen Besatzung zugezogen hat.

 

Foto: Soremski

Die historischen Hintergründe jener Zeit sind inzwischen verblaßt. Dabei war es jene Zeit, in der die deutsch-russische, oder genauer: preußisch-russische Waffenbrüderschaft begründet wurde. Die dann bis zu ihrer Aufkündigung im Jahre 1890 zum bestimmenden Element der europäischen Politik werden sollte. Preußen, später das Deutsche Reich und Rußland gingen fest zusammen – und das ermöglichte Preußen schließlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, die deutsche Einigung voranzutreiben. Denn man wußte sich auch beim deutsch-französischen Krieg von 1870/71, der dieser Vereinigung voranging, von Rußland sicher geschützt. Die Tafel in Melsungen spricht vom Oberst in "kaiserlich russischem Dienst". Es war der Zar Alexander I., der zunächst Krieg führte gegen Napoleon, der damals weite Teile Europas besetzt hielt. Dann verbündete er sich mit dem korsischen Abenteurer, der dann, ähnlich wie Hitler fast 130 Jahre nach ihm, plötzlich in Rußland einmarschierte. Und dessen Truppen im russischen Winter einem elenden Tod ausgesetzt wurden. Die Russen standen nun im Krieg gegen die Franzosen. Und um die Jahreswende 1812/13 schloß sich zunächst die preußische Armee, dann der preußische König, dann das gesamte Volk ihnen an. Es war eine Zeit, in der die russischen Kosaken in vielen europäischen Ländern als Befreier von napoleonischer Herrschaft gefeiert wurden. Unter ihnen auch der Kosaken-General Tschernicheff, dessen Kommando Oberst Bedriaka unterstand. Es waren die Russen, die damals weite Teile Deutschlands von der Besatzung befreiten. Und im September 1813, noch vor der schließlich entscheidenden Schlacht von Leipzig, besetzten sie Kassel, das von Napoleon bekanntlich zur Hauptstadt des "Königreichs Westfalen" unter seinem Bruder Jerome gemacht wurden war. Nur durch die Hilfe der russischen Truppen war es möglich, daß der Kasseler Kurfürst Wilhelm I. in seine Residenz zurückkehren konnte. Die Russen trafen natürlich auf harten französischen Widerstand. So bei der Eroberung Kassels. In Kassel selbst aber gibt es noch Spuren der Kanonenkugeln, mit denen die Truppen des Generals Tschernicheff die französischen Besetzer beschossen. Das einzige wirkliche Denkmal in Form einer großen Plakette gibt es in Melsungen.

Ein Denkmal, das zu neuer Bedeutung gekommen ist, seit die Russen ihre zaristische Zeit neu entdecken und ein anderes Verhältnis zu ihr gewonnen haben. Und ausgerechnet das friedliche Melsungen verweist auf eine Zeit, in der Europa unter den Stürmen des Krieges litt, der alle Länder in Mitleidenschaft zog. Und in dem russische Soldaten zum ersten Mal weit in das Herz Mitteleuropas vorstießen.

Melsungen bewahrt eine Gedenktafel. In Paris gibt es eine andere Erinnerung an die Besetzung der Stadt durch die Kosaken. Denen ging es nämlich nie schnell genug, und deshalb riefen sie den französischen Wirten, die ihnen Getränke reichen sollten, immer das russische Wort "Bjistro, bjistro" – "Schnell, schnell" zu. Aus diesem Wort entstand dann der Begriff "Bistro", der in dieser Zeit gerade wieder in Europa seinen Siegeszug antritt.

ExtraTip Kassel, 2001-01-31 Seite 11