Geschichte

Mährischer Ausgleich von 1905

Ilse Reiter, 13. Juli 2004

Beim sogenannten mährischen Ausgleich von 1905 (am 16. November 1905 wurde der „Mährische Ausgleich“ beschlossen und am 27. November 1905 als Gesetz veröffentlicht) handelt es sich um vier Landesgesetze, nämlich um eine neue Landesordnung und Landtagswahlordnung sowie Gesetze, die den Sprachgebrauch bei den autonomen Landes- und Schulaufsichtsbehörden und eine umfassende nationalitätenpolitische Neugestaltung des Schulwesens regelten.

Im Bereich des Schulwesens verankerte Mähren mit dem Schulausgleichsgesetz nicht nur nach böhmischem Vorbild den Zwang zur nationalen Zugehörigkeit für die Mitglieder der Schulbehörden auf allen Ebenen (Ortsschulrat, Bezirksschulrat, Landesschulrat), sondern versuchte auch, einem beliebten Mittel im Nationalitätenkampf, dem sogenannten „Kinderfang“ – der darin bestand, Kinder einer anderen Nationalität zum Eintritt in eine Schule der eigenen Nationalität zu bewegen – ein Ende zu setzen, indem nun normiert wurde, daß in der jeweiligen Volksschule in der Regel nur Kinder aufgenommen werden durften, welche der Unterrichtssprache mächtig waren, woraus von tschechischer Seite abgeleitet wurde, daß alle der tschechischen Sprache mächtigen Kinder auch nur in die tschechischsprachigen Volksschulen zu gehen hatten. Die national getrennten Ortsschulräte hatten überdies das vom Verwaltungsgerichtshof bestätigte Recht, gegen die Anmeldung von Kindern in Schulen der anderen Nationalität Beschwerde zu erheben, was zu heftigem Unmut von deutschmährischer Seite gegen diese Einschränkung des Elternrechts und zu einer Fülle von Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof führte.

Die Reform der Landesordnung und Landtagswahlordnung hingegen brachte die Einführung nationaler Kurien im Landtag (unter grundsätzlicher Beibehaltung des traditionellen Kuriensystems). Mit Ausnahme der Virilisten und der Kurie des großen Grundbesitzes wurde nämlich der Landtag zwecks Durchführung der dem Landtag zustehenden Wahlen – etwa der Bestellung des Landesausschusses, der Landtagsausschüsse, Wahl von Vertretern in Körperschaften, in denen dem Landtag eine Vertretung eingeräumt war, u. a. – in eine deutsche und eine tschechische Kurie geteilt. Darüber hinaus wurde der nationale Proporz bzw. die nationale Zugehörigkeit für den gesamten Bereich der autonomen Landesverwaltung festgelegt. Die Wahl der Abgeordneten zu diesen nationalen Kurien erfolgte mittels der Festlegung von Wahlkörpern „böhmischer und deutscher Nationalität“, womit ganz Mähren nun die Struktur doppelter, keineswegs deckungsgleicher Wahlkreise aufwies. Die Erfassung der Wähler und Zuweisung zu diesen nationalen Wahlkörpern geschah durch sogenannte nationale Kataster, in welche die Eintragung aufgrund behördlicher Erhebung „nach Maßgabe der ihr bekannten Verhältnisse“ geschah. Es war allerdings für die Ersterfassung gesetzlich ein Richtigstellungsverfahren vorgesehen, wonach nicht nur jeder in einer nationalen Liste Eingetragene die Streichung seines Namens begehren und sich auf der Liste, zu der er sich bekannte, eintragen konnte, sondern es stand auch jedem Wähler frei, die nationale Zugehörigkeit eines anderen in der gleichen Liste eingetragenen Wählers zu bestreiten. Im Streitfalle entschied der Gemeindevorsteher, wobei ein Instanzenzug zur staatlichen Behörde bestand. Regelmäßig vor Landtags- und Reichsratswahlen war außerdem ein eigenes Reklamationsverfahren vorgesehen, womit es nun erstmals ein gesetzlich normiertes Verfahren zur Feststellung der nationalen Zugehörigkeit gab. Diesen Durchbruch des „objektiven Prinzips“ der nationalen Zugehörigkeit nicht nur im Bereich des Schulwesens, sondern auch im Bereich der nationalen Ausgestaltung des Wahlrechts wertet Stourzh „als wichtigstes Ergebnis des mährischen Ausgleichs“.

Quelle: Die autochthonen Volksgruppen Österreichs
(zitiert nach „Brünner Zeitung 2004-07-13“)

Da hier ein gegenüber meiner bisherigen Kenntnis völlig anderer Aspekt beleuchtet wird, nämlich die amtliche Feststellung der Zugehörigkeit zur einen oder anderen Nation, und auch der hierüber entfachte Streit anklingt, bringe ich diesen Text im vollen Wortlaut.
ML 2004-07-13