Tod durch Verhungern
im Gefängnis Bory am 20. August 1945
Berichterin: Eleonore Hochberger
Am 16. Mai 1945 wurde mein Gatte Adalbert Hochberger, Hauptschullehrer in Tuschkau,
wohnhaft in Kosolup 123 bei Pilsen, Kreis Mies, von den Tschechen verhaftet. Seit 7. Mai
mußte er mit anderen Deutschen auf Befehl der Tschechen zuerst Panzersperren entfernen
und dann Schutt wegräumen, da unser Ort einige Volltreffer bei Fliegerangriffen
abbekommen hatte. In der ersten Zeit waren die Tschechen noch etwas zurückhaltend, da sie
fürchteten, sich die Ungnade der Amerikaner zuzuziehen. Bald aber wurde es anders, als
sie merkten, daß sie von den Amerikanern nichts zu fürchten hatten und mit uns
Sudetendeutschen machen konnten, was sie wollten.
Als mein Gatte am 16. Mai von der Arbeit nicht heim kam, teilte mir meine Tochter mit,
daß viele Männer verhaftet worden seien. Ich lief sofort zum Výbor und da standen,
lagen und hockten ungefähr 20 Männer. Einige waren durch Mißhandlungen ganz
verschwollen. Meinen Mann sah ich stehen, er war noch unverletzt. Beim Výbor war eine
Menge Tschechen des Ortes und Gendarmen aus Pilsen, welche mit einem Autobus angekommen
waren. Ich lief hin und rief: "Was hat mein Mann verbrochen, wem hat er etwas getan?
Ich war auch bei der Partei, so nehmt mich auch mit." Ein Tscheche ging auf mich zu
und sagte: "Tak pojdte". Da faßte mich ein Gendarm am Arm und zog mich in die
Gemeindekanzlei. Er ließ sich dort meine Personalien geben und ging dann mit mir und vier
Tschechen in meine Wohnung. Nun wurde das ganze Haus, auch Hof und Garten durchsucht. Ein
Tscheche sagte: "Wo ist Revolver?" Ich sagte ihm, daß wir noch nie einen
besessen hätten. Er sagte: "Ihr Mann sagte, er hat Revolver." Als sie endlich
nach zwei Stunden, ohne etwas gefunden zu haben, mit der Hausdurchsuchung fertig waren,
entfernten sie sich. Der Gendarm, der sich verhältnismäßig zurückhaltend benahm und
bloß das Radio beschlagnahmte, sagte beim Weggehen zu meiner Tochter in tschechisch:
"Sagen Sie Ihrer Mutter, sie soll sich nicht so aufregen, ihr Mann wird bald
wiederkommen." Er ist nicht wiedergekommen.
Als ich mich nach einiger Zeit wieder hinaus wagte, war der Autobus mit den Gefangenen
weg. Nach vier Wochen erfuhr ich erst durch eine vorgedruckte Karte mit Unterschrift
meines Mannes, daß er in Pilsen im Gefängnis Bory war. Auf der Karte
stand, daß man den Gefangenen jede Woche frische Wäsche bringen könne. Einmal versuchte
ich, von den Tschechen eine Bescheinigung für die Bahnfahrt nach Pilsen zu erlangen.
"Ihr Verbrecherfrauen wollt fahren? Zu Fuß könnt Ihr laufen," sagte der
Tscheche, gab mir aber dann doch einen Schein, jedoch von den Amerikanern erhielt ich
keine Bewilligung und man warnte uns vor Pilsen, daß es für uns Deutsche sehr
gefährlich sei. Zweimal gelang es mir, Wäsche nach Bory zu schicken, d. h. es nahm sie
jemand mit, ob mein Mann sie jemals erhalten hat, das erfuhr ich nicht. Ich unternahm
verschiedene Schritte, um meinen Mann zu helfen oder ihn zu retten, alles vergebens. Ich
schrieb ein Gesuch, wurde aber beim Výbor ausgelacht, ich versuchte immer wieder beim
amerikanischen Kommandanten vorzusprechen und um Hilfe anzuflehen.
Es war einfach unmöglich zu ihm zu gelangen. Vor dem Tor hielten zwei tschechische
Legionäre Wache und ließen nur jene vor, die vom Výbor eine Bescheinigung dafür
hatten. Einmal gelang es mir, mit dem amerikanischen Dolmetscher zusprechen. Dieser
erklärte mir kurz: "Wir Amerikaner sind nicht gekommen, um den Deutschen zu helfen,
sondern um die Tschechen von euch zu befreien. Was aber diese mit euch machen, ist uns
gleich, nur die reichsdeutschen Flüchtlinge stehen unter unserem Schutz, diesen darf
nichts geschehen."
Eines Tages erhielt ich von einem ganz fremden Tschechen ein Schreiben meines Mannes,
worin er mir mitteilte, daß er furchtbare Hungerqualen leide und ich ihm Essen schicken
möchte. Der Tscheche ließ keine Adresse zurück, ich war nicht zuhause.
In dieser Zeit erhielt ich von den Tschechen die Aufforderung, das Haus zu verlassen.
Meine Tochter erzählte einem amerikanischen Soldaten von unserer Not und dieser kam am
anderen Tag mit zwei Freunden und sie trugen unsere schweren Möbel in die uns zugewiesene
Wohnung. Die Soldaten wunderten sich nur, daß wir aus unserer schönen Wohnung in diese
alte schlechte zogen und sie konnten nicht verstehen, warum wir den Tschechen gehorchten.
Meine Tochter mußte auf dem im Orte gelegenen Gutshofe arbeiten, ohne dafür Essen oder
Lohn zu erhalten.
Als wir das Haus geräumt hatten, erfuhr ich, daß mein Mann gestorben sei. Es war am 20.
8. 1945, ich wollte ihm das erste Lebensmittelpaket bringen, es war endlich erlaubt, da
schon das große Sterben unter den Gefangenen im Gang war, drei kleine Kartoffeln in ½
Liter heißem Wasser war alles, was sie täglich bekamen. Ich wollte durch die Sperre, da
stimmte wieder etwas an meinem Ausweis nicht. Ich gab das Paket einer Bekannten, die auch
nach Bory ging, mit. Nachmittag brachte sie es wieder und teilte mir mit, daß mein Mann
heute früh gestorben sei. Zwei Tage ging ich in Pilsen von einer Amtsstelle zur anderen.
Ich beachtete keine Vorschriften und Verbote für die Deutschen. Ohne Armbinde liefen wir,
meine Tochter und ich, umher, fuhren mit der Straßenbahn, trotzdem schwere Strafen darauf
standen, mir war alles egal. Von einem Amt zum anderen wurden wir geschickt, hoffte ich
doch wenigstens die Leiche meines armen, an Hunger gestorbenen Mannes zu bekommen. Als wir
endlich an die richtige Stelle kamen, sagte der tschechische Beamte auf tschechisch:
"Ihr seid Deutsche? Nein, glauben Sie, wir konnten unsere Toten aus den deutschen KZ
überführen lassen?"
Am vierten Tage verließen wir die Heimat, wobei uns ein Amerikaner behilflich war, sodaß
wir doch einige notwendige Sachen mitnehmen konnten.
Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Überlebende
kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher
Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald