DPA-MELDUNG  2001-07-12
Beutekunst-Ikone: In Berlin zurückgegeben
Pskow/Berlin (dpa)
– Eigentlich sollte für viele Bürger der russischen Stadt Pskow der 16. Juni 2000 so etwas wie ein Feiertag sein: Eine über Jahrhunderte hoch verehrte Marien-Ikone, bedeutender Kunstbesitz der historischen Stadt, sollte 56 Jahre nach ihrem Raub durch die Deutsche Wehrmacht endlich wieder in die Heimat zurückkehren. Doch das erlesene Kunstwerk, das im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder und des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei einer Feierstunde in Berlin einem orthodoxen Bischof ausgehändigt worden war, ist nie in Pskow angekommen.
Zuletzt stand die »Bogomatjer Pokrowskaja« noch einmal am 31. August 2000 im Rampenlicht, als Deutschlands Botschafter Ernst-Jörg von Studnitz die ungewöhnliche Ikone, die viele russische Gläubige als wundertätig verehren, in die Hände des Moskauer Patriarchen Alexi II. gab.
»Von da an hat niemand, den wir kennen, die Ikone je wieder gesehen«, ärgert sich Natalja Tkatschowa, Ikonen-Expertin am Museum von Pskow, aus dessen Bestand im April 1944 auch dieses Stück zusammen mit Waggonladungen weiterer »Beutekunst« nach Westen verschleppt worden war. Aufgetaucht ist die um das Jahr 1600 gemalte »Maria-Schutz-Ikone« mit der ältesten Darstellung der ehrwürdigen Handelsstadt Pskow erst wieder bei einer Ikonen-Ausstellung 1970 in München, wo sie als »bayerischer Privatbesitz« russischen Experten ins Auge gefallen ist. Nach langwierigen Verhandlungen hatten sich schließlich die streng katholischen Besitzer bereit erklärt, die Ikone im vergangenen Jahr ausschließlich in den Besitz der orthodoxen Kirche zurückzugeben mit der klarem Maßgabe, sie in Pskow wieder den Gläubigen zugängig zu machen.
Ganz offenbar hat sich aber mittlerweile um die wundertätige Gottesmutter ein dichtes Netz aus deutsch-russischen Diplomaten-Rücksichten, innerkirchlichen Querelen sowie »Erzfeindschaft« zwischen russischem Kulturministerium und dem Patriarchen zusammengezogen. Briefe aus Pskow, so von der aus Kosaken neu gegründten Pokrow-Kirchengemeinde als historischem Eigentümer, an den Patriarchen blieben unbeantwortet. »Wir können uns nicht vorstellen, welche Argumente Patriarch Alexi hat, das Stück zu behalten«, wundert sich Museumsfrau Natalja Tkatschowa. Längst sei die sichere Aufbewahrung des »einzigartigen patriotischen, ästhetischen und historischen Denkmals« in der Dreifaltigkeits-Kathedrale im Kreml von Pskow vorgesehen gewesen.
»Jetzt können nur noch die Deutschen helfen, die durch den Patriarchen düpiert worden sind«, heißt es in Pskow, wo man sich eine ganz unkomplizierte »private« Rückgabe ohne den Glanz eines »Staatsaktes« wie in Berlin gewünscht hat, »denn dann wäre die Ikone schon bei uns«. Das Moskauer Patriarchat, das bei der feierlichen Übergabe das Weiterreichen nach Pskow versprochen hatte, hüllte sich auf Journalistenfragen zunächst in Schweigen und gab schließlich zu, die Weitergabe »vergessen« zu haben. Angeblich habe zuerst ein Aufbewahrungsort in Pskow ausfindig gemacht werden müssen, dann sollte die entsprechende Kirche zunächst restauriert sein. Vielleicht will der Patriarch den wertvollen Kunstschatz am Ende doch im typisch russisch-zentralistischen Denken für ein neues kirchliches Ikonen-Museum in der Erlöser-Kirche der russischen Hauptstadt zurückhalten, wie diplomatische Beobachter vor Ort und auch Kenner in Pskow annehmen.
Deutschlands Botschaft an der Moskwa möchte zum derzeitigen Zeitpunkt nicht eingreifen und empfiehlt zunächst weitere Gespräche zwischen Pskow und Patriarchat. Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) war von der unangenehmen Entwicklung der in Berlin noch als kleiner Schritt zur Lösung der komplizierten Beutekunst-Frage eingeschätzten Angelegenheit überrascht. Er sagt wenigstens zu, »mit großer Aufmerksamkeit den Gang der Dinge zu beobachten«. Nun bleibt abzuwarten, ob die Gottesmutter, die nach der Ikonendarstellung im Jahr 1581 die Stadt vor polnischen Belagerern gerettet hat, nun auch ein Wunder in eigener Sache vollbringt.
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