Beraun, Bericht Nr. 120: Mord an deutschen Soldaten.  Berichter: Franz Tengler
Ich wurde im Jahre 1942, da ich noch immer die tschechische Staatsbürgerschaft hatte, nach Kladno berufen und da wurde mir gesagt, da meine Eltern Deutsche waren: "Sie haben die Wahl, entweder Sie werden Soldat oder Sie kommen in ein Konzentrationslager." Ich wurde Soldat und nach militärärztlichem Gutachten GvH. Ich machte die Ausbildung mit und wurde krank. Ich lag ein Jahr im Lazarett und kam dann zu meinem Regiment nach Tábor zurück. Dort war ich kurze Zeit und wurde nach Prag abgeschickt; in Prag blieb ich kurze Zeit und kam zur Brückenbewachung nach Dobrichovic. Bei der Kapitulation wurde die Brückenbewachung von den Tschechen gefangengesetzt und in einer Schule untergebracht. Untergebracht waren 385 Mann und 9 Frauen. Wir blieben 2 Tage in Dobrichovic und wurden nach Beraun weitertransportiert. Da ich perfekt tschechisch spreche, wurde ich für den Transport als Dolmetscher eingesetzt; den Transport führte die tschechische Gendarmerie. Bevor wir von Dobrichovic abzogen, ließ ich mir von einem tschechischen Major einen Schein ausstellen des Inhalts, es sei eine Arbeitskolonne, nicht im Felde gewesen, ohne Waffen; mit Hilfe dieses Scheines glaubte ich an eine leichtere Durchführung des Transportes.
Jeder tschechische Kommunist trug ein Gewehr, er sah in jedem Soldaten einen Angehörigen der Waffen-SS. Wir zogen von Dobrichovic ab ohne jede Behinderung und Belästigung. Vor Tetín wurden wir von den Wlassow-Truppen aufgehalten; der Führer dieser Truppe ließ die Frauen ins Wasser werfen. Da die Beraun an der Stelle nicht tief war, zogen wir die Frauen wieder heraus. Dann ließ der Führer der Wlassowtruppen einen Hauptfeldwebel von unserer Abteilung sich ausziehen, nahm ihm seine Kleider weg und gab ihm dafür seine verlausten Kleider. Dann sagte er, er fordere ein Opfer für seine Mutter, die angeblich von den Deutschen erschossen wurde. Da ging ich hin und redete tschechisch und so gut es ging russisch, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Es gelang mir; er ließ uns weiterziehen.
In der Nähe von Beraun wurden wir von Kommunisten mit vorgehaltenen Gewehren empfangen. Es kam zu keinem Zwischenfall von Bedeutung. Sie übernahmen uns und sperrten uns in eine Autohalle ein. Die ersten 2 Tage verliefen ganz ruhig, am dritten Tag stürmten die Kommunisten herein und untersuchten alle, ob jemand von der Waffen-SS dabei sei; ich wußte es tatsächlich nicht, wies das Schreiben des tschechischen Majors vor. Wie ich nachher erfuhr, waren innerhalb dieser Kolonne 14 SS-Leute, die aber erst in letzter Zeit zu dieser Waffengattung eingezogen wurden; 4 Mann, die das Tätowierungszeichen hatten, wurden herausgezogen und vor meinen Augen mit den Füßen zertrampelt; als sie blutüberströmt dalagen, wurden sie mit Wasser begossen, aufgestellt und - die Fotografie Hitlers auf der Brust haltend - wurden diese Vier auf dem Kasernenhofe den Leuten gezeigt. Mir drückte man die Pistole auf die Brust und sagte zu den Leuten: "Paßt auf auf diesen, das ist auch so einer." Über das Schicksal der vier Abgeführten habe ich nie etwas erfahren.
Am 5. Tage wurden wir den amerikanischen Truppen übergeben und wurden nach Rokycan ins Lager gebracht. Ich erkrankte in diesem Lager und wurde nach Pilsen ins Krankenhaus gebracht. Da das Krankenhaus aber überfüllt war, mußten die Neuerkrankten im Garten übernachten. Nach einigen Tagen ging es mir besser und ich wurde deshalb nach Tepl bei Marienbad überwiesen. Nach einem halben Jahr wurde ich zu meiner Tante nach Hermannshütte entlassen. Dort verblieb ich fast 3 Monate; ich wollte eine Beruhigung der Gemüter abwarten, um dann meinen gefaßten Plan, zu meiner Frau nach Beraun zurückzukehren, auszuführen. Ich führte meinen Plan durch und fuhr zu meiner Frau nach Beraun. In der Nacht meiner Ankunft wurde ich von der tschechischen Kriminalpolizei verhaftet und in der Kaserne eingesperrt. Dort wurde ich, wie auch andere Inhaftierte, von 4 Mann, die mit Gummiknüppeln bewaffnet waren, auf den entkleideten Körper bis zur Ohnmacht geschlagen. Beim Austreten unter Bewachung sah ich in der benachbarten Zelle einen toten Soldaten, neben ihm sein silbernes Kreuz. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wieviele Soldaten in dieser Kaserne ihr Leben lassen mußten.
Mein Gesundheitszustand wurde von Tag zu Tag schlechter, vor allem litten meine Nerven. Nach 5 Monaten wurde ich in ein Konzentrationslager gebracht. Im Lager wurde ich sofort für die Arbeit eingesetzt. Wir waren zu 120 Mann in einem Zimmer untergebracht. Für die notwendigste Möglichkeit sich zu waschen, war nicht gesorgt worden, sodaß schon nach kurzer Zeit die Läuseplage überhand nahm. Fast jeden Tag erfolgte eine Durchsuchung nach Waffen und Zigaretten. Behandlung und Verpflegung in diesem KZ waren völlig menschenunwürdig. So war es nur zu natürlich, daß die Hälfte der Insassen an Hunger starb, die andere Hälfte bis zum Skelett abgemagert war. Ein kleines Beispiel, wie es meinem Freunde Andreas Rott erging: infolge Tbc lag er im Krankenzimmer; seine Mutter war in der Frauenabteilung des gleichen KZ; es wurde aber seiner Mutter nicht erlaubt, ihren mit dem Tode ringenden Sohn zu besuchen, um einige tröstende und liebe Worte mit ihm zu sprechen. Ich suchte den Schwerkranken jeden Abend nach meiner Arbeit auf, um ihn umzubetten. Ein gütiges Schicksal hat ihn bald von allen Leiden erlöst. Die Schwerkranken waren auf einem Speicher untergebracht, die Verstorbenen wurden in den Keller gebracht. Eines Tages trug ich wieder eine Leiche vom Speicher in den Keller, da sah ich, wie eine Frau, die noch Lebenszeichen gab, gleichfalls in den finsteren Keller geschafft wurde.
Nach der Arbeitseinteilung war ich tätig in einem Steinbruch, einer Eisengießerei und einem Gehöft. Trotz der sehr schweren Arbeit war die Ernährung völlig unzureichend und miserabel: Gerstengrütze ohne Salz, Erbsen ohne Salz. Lag man im Krankenzimmer, gab es folgende Verpflegung: morgens ein Stückchen Brot, mittags eine Suppe mit 4 Kartoffelstücken, abends eine Krautsuppe, manchmal gab es Pellkartoffeln. Nur an Feiertagen gab es Salzkartoffeln.
Trotz der unzureichenden Ernährung wurde aber größte Arbeitsleistung verlangt. Als ich auf dem großen Gehöft arbeitete, wurde von mir binnen 9 Stunden folgende Leistung verlangt: 28 Leiterwagen mit Getreide auf die Maschine abladen. Bei meiner Feldarbeit beobachtete ich, wie eine Frau - es soll die Frau eines Professors sein - nicht so rasch die Getreidegarben binden konnte, da ihr diese Arbeit völlig fremd war. Auch der Wachhabende beobachtete dies, sprang wütend hinzu und versetzte der Frau einen Stoß, daß sie hinfiel. In seiner Unmenschlichkeit trat er sie noch in den Leib, daß die Frau vor Schmerzen schrie. Es war aber unmöglich, der Frau beizustehen und ihr zu helfen, da man Gefahr lief, vom Posten über den Haufen geschossen zu werden. Das weitere Schicksal dieser Frau ist mir nicht bekannt.
Auf diesem großen Gehöft befanden sich auch evakuierte reichsdeutsche Frauen, die auch zur Arbeit herangezogen wurden. Kamen russische Soldaten auf dieses Gehöft, dann wurden diese Frauen erbarmungslos von den Russen vergewaltigt.
Im KZ befand sich auch ein Hochschüler, der durch Schläge vollständig blöd wurde; warum er aber geschlagen wurde, haben wir nie erfahren können.
Nach einiger Zeit wurde das KZ von Skurov nach Karlstein verlegt. Ich erkrankte abermals ernstlich und wurde in ein Krankenhaus in Beraun überführt. Hier war das Essen besser. Obgleich ich noch nicht völlig genesen war, wurde ich zur Arbeit im Krankenhaus eingesetzt. In 18stündiger Arbeitszeit hatte ich 140 Zentner Kohlengries mit einem Handkarren ins Kesselhaus zu fahren und dabei noch einen, manchmal auch zwei Kessel zu heizen, um das Krankenhaus mit Dampf und Warmwasser zu versorgen. Ich hatte, um Zeit zu gewinnen, mein Bett im Kesselhaus aufgestellt.
In dieser Zeit wurde meine Frau in das gleiche Krankenhaus eingeliefert, da meine Frau in Beraun wohnte. Sie mußte sich einer Operation unterziehen; nach den Angaben meiner Frau wurde sie von einem Tschechen vergewaltigt und bekam ein Kind. Infolge einer Sepsis mußte die Operation raschestens durchgeführt werden. Der Zugang zu meiner Frau wurde mir verweigert. Als ich mir Zugang verschafft hatte, sah ich nur noch, daß meine Frau im Sterben lag infolge verspäteter Operation. Um Mitternacht verließ ich das Krankenhaus und begab mich wieder ins Kesselhaus. Um 5 Uhr morgens wurde ich durch das Telefon geweckt, die meine Frau betreuende Krankenschwester gab mir Kenntnis vom Hinscheiden meiner Frau. Sie wurde in das Totenhaus gebracht, ca. 10 Schritte von meiner Arbeitsstelle. Meine Frau war von Geburt Tschechin, wurde aber automatisch Deutsche, da ich Deutscher bin. Ein in meinem Hause wohnender Tscheche, politisch Kommunist, hatte den Antrag gestellt, man möge meine Frau in einem Schacht begraben. Meinem Schwager aber gelang es, dieses Vorhaben zu vereiteln, und so wurde meine Frau in dem Grab ihrer Mutter beigesetzt.
Nach einigen Wochen nach der Beerdigung wurde ich mit einem Transport in den Harz (russische Besatzungszone) abgeschoben. Von dort ging ich in die amerikanische Zone. Die genauen Daten sind mir entschwunden, da ich infolge der wiederholten Mißhandlungen in den verschiedenen Lagern Gehirn-, Gallen- und Milzverletzungen davongetragen habe.

Aus: Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen. Überlebende kommen zu Wort.
Originalausgabe: Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung Sudetendeutscher Interessen, 1951
Einleitung und Bearbeitung von Dr. Wilhelm Turnwald