Hinweise auf Machenschaften Edvard Benešs vor 1938
(Mitteilungsblatt der SL Nr. 10/1997, S. 317-319)

Im Jahre 1994 sind die Memoiren des ehemaligen Leiters der sowjetischen Auslandsspionage, Generalleutnant Pavel A. Sudoplatov, unter dem Titel „Die Spionage und der Kreml“ erschienen. Von daher war bekannt, daß der Rücktritt Edvard Benešs als tschechoslowakischer Präsident im Jahre 1948 durch eine sowjetische Erpressung forciert wurde (vgl. MBl. 9/94, Titelseite und Seite 284). Diese Memoiren erhalten aber noch mehr brisante Fakten. Wir geben nachstehend die Übersetzung der Seiten 277 ff. aus dem russischen Original wieder, die von Landsmann Günther Federmann angefertigt und im Jägerndorfer Heimatbrief Nr. 725, Juni 1997, S. 183 veröffentlicht wurde:  

„Im Jahre 1948, am Vorabend des Machtwechsels von Edward Beneš auf Klement Gottwald, rief mich Molotow in sein Kremlarbeitszimmer und befahl mir, nach Prag zu fahren und ein geheimes Treffen mit Beneš zu organisieren und ihm vorzuschlagen, mit Würde seinen Posten aufzugeben und die Macht an Gottwald, den Führer der Kommunistischen Partei, zu übergeben. Um Beneš an seine engen inoffiziellen Verbindungen zu erinnern, sollte ich ihm eine Quittung über 10.000 Dollar, von seinem Sekretär unterschrieben, präsentieren, das Beneš und seine Leute zur Übersiedlung nach Großbritannien benötigten. Anderenfalls war es mir überlassen, ihm zu sagen, daß wir eine Möglichkeit finden, ein Durchsickern der Gerüchte über die Umstände seiner Flucht aus dem Lande und die dafür erwiesene finanzielle Hife zu organisieren. Außerdem über das geheime Abkommen über die Zusammenarbeit der sowjetischen und tschechischen Spionagedienste, unterschrieben im Jahr 1935 in Moskau, über den Geheimvertrag über die Abtretung der Karpatoukraine an uns und die Teilnahme von Beneš selbst an der Vorbereitung des politischen Umschwungs im Jahre 1938 und auf den Anschlag auf den Premierminister Jugoslawiens.

Molotow unterstrich, daß ich nicht bevollmächtigt sei, irgendwelche Verhandlungen zu Fragen der tschechischen Politik zu führen: meine Aufgabe bestehe lediglich darin, unsere Bedingungen zu übergeben und Beneš das Recht zu überlassen, wie er diese erfüllt. Ich antwortete, daß eine derartig delikate Aufgabe besser für einen Mann geeignet sei, der Beneš persönlich kennt und ihm durch frühere Arbeit verbunden ist. Dieser Mann war Subow, unser Resident in Prag in den Vorkriegsjahren. Molotow sagte dazu, daß ich persönlich diese Aufgabe erledigen solle unter Hinzuziehung der nötigen Leute, wie, das liege in meinem Ermessen. Es war klar, daß er dafür nicht die Verantwortung übernehmen wollte, mit welchen Methoden ich handeln werde. Ihn interessierte nur das Resultat. Ich solle Prag zwölf Stunden nach dem Gespräch mit Beneš verlassen, ohne eine Antwort abzuwarten.

Zusammen mit Subow fuhr ich im Januar 1948 mit der Bahn nach Prag, wir stiegen aber nicht in der Botschaft ab, sondern in einem bescheidenen Hotel, wo auch die Mitglieder der sowjetischen Handelsmission auftauchten. Unsere Spezialabteilung, ungefähr 400 Mann in Zivil, war bereits in Prag. Diese Gruppe hatte man insgeheim zur Unterstützung und zum Schutz von Gottwald hergebracht.

Die offiziellen sowjetischen Vertreter übten ohnehin einen überaus starken Druck auf Beneš aus und wir sollten hier noch unser Scherflein dazu beitragen. Subow und ich verbrachten in Prag eine ganze Woche und in dieser Zeit gelang es Subow, der sich vor dem Krieg mit Beneš in Anwesenheit unseres Botschafters Aleksandrowski getroffen hatte, all sein Können und frühere Verbindungen nutzend, sich mit Beneš für fünfzehn Minuten in seiner Residenz im Zentrum von Prag zu treffen. Weisungsgemäß sagte Subow zu Beneš, daß er von ihm keine Antwort erwarte, ihm aber eine inoffizielle Botschaft überbringe. Nach Subows Worten zeigte sich Beneš als gebrochener, kranker Mann, der sich bemühen werde, alles Mögliche zu unternehmen, um einen Gewaltausbruch und Unordnung in der Tschechoslowakei zu vermeiden.

Nachdem wir unsere Mission erfüllt hatten, setzten wir uns in den Zug Prag-Moskau. Nach einem Monat überließ Beneš friedlich Gottwald das Steuer des Staates.“

 

Analyse:
Das erwähnte – unseres Wissens unveröffentlichte – Geheimabkommen über die Zusammenarbeit der Spionagedienste von 1935 ist zumindest problematisch, weil in den darauffolgenden Jahren die stalinistische Terrorwelle ihren Höhepunkt erreichte.

Näheres würde man auch gerne wissen über die angesprochene „Teilnahme von Beneš selbst an der Vorbereitung des politischen Umschwungs im Jahre 1938“ – sprich, an seiner Rolle vor dem Münchner Abkommen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der hierfür in der deutsch-tschechischen Erklärung gefundenen einseitig Deutschland belastenden Formulierung.

Klärungsbedürftig erscheint auch der Bezug zu dem Anschlag auf den jugoslawischen Premierminister; uns ist es zunächst nicht gelungen, den in Rede stehenden Vorgang zu identifizieren. Ein „Geheimvertrag über die Abtretung der Karpato-Ukraine“ ist der SL nicht bekannt; es hat jedoch seit Jahren immer wieder Hinweise gegeben, daß die Abtretung der Karpato-Ukraine an die Sowjetunion eine der Gegenleistungen Benešs für die Zustimmung Stalins zur Vertreibung der Sudetendeutschen war.

Memoiren gelten gemeinhin und zu Recht als historische Quellen zweiter Klasse. Allerdings sind keinerlei Motive erkennbar, warum Sudoplatov mit seinen Memoiren der SL eine Freude und der tschechischen Regierung Schwierigkeiten hätte machen sollen. Insoweit wäre es zumindest wünschenswert, daß engagierte Historiker – soll man auf die deutsch-tschechische Historikerkommission hoffen? – den Hinweisen Sudoplatovs im Sinne einer vollen Aufklärung nachgehen.

Von der SL-Seite gezogen 2002-01-13 ML.