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Wien, 12. März 2003/GE

EU-Gutachter: Beneš-Dekrete offene Frage

Bernitz und Blumenwitz in Straßburg

Eine sensationelle Wendung nahm die Debatte über die Beneš-Dekrete und ihre fortwirkenden Unrechtsfolgen im Europaparlament. Nachdem sich zunächst nach dem Gutachten des Heidelberger Professors Frowein in Straßburg die Meinung festzusetzen schien, dieses Thema habe keine europarechtliche Bedeutung, wurde diese Ansicht durch eine Anhörung erschüttert, die die größte Fraktion des Hauses, die christdemokratische Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), durchführte. Bei dem Hearing, das der EVP-Fraktionsvorsitzende Prof. Hans-Gert Pöttering auf Initiative seiner Kollegen Hartmut Nassauer (Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe) und Bernd Posselt (SL-Bundesvorsitzender) angesetzt hatte, standen zwei erstklassige Völkerrechtler den mehr als 80 Abgeordneten und Experten aus fast allen Nationen und Fraktionen zwei Stunden lang Rede und Antwort: der Stockholmer Professor Ulf Bernitz, vom Europaparlament berufener Ko-Gutachter von Prof. Frowein, sowie der Würzburger Professor Dieter Blumenwitz, der im Auftrag der SL ein Gegengutachten zu Frowein verfaßt hat.

Wer nun eine Auseinandersetzung zwischen diesen beiden weltweit renommierten Wissenschaftlern erwartet hatte, sah sich getäuscht: Sie unterschieden sich in der Akzentuierung der Kritik am Frowein-Text, aber nicht im wesentlichen. Während Blumenwitz, ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts und der Entschließung des Europaparlamentes vom 20. November 2002, eine schonungslose Fundamentalkritik an den Frowein-Thesen vortrug, machte Bernitz an zwei Punkten deutlich, wodurch sich seine Meinung von der seines Heidelberger Kollegen unterscheidet. Zum einen riet er den Abgeordneten, sich nicht auf eine Vereinbarkeit der Beneš-Dekrete und ihrer Folgen mit dem EU-Recht festlegen zu lassen: „Nehmen Sie dazu nicht endgültig Stellung, halten Sie die Frage offen!“. Es gebe noch Verfahren beim Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag, beim UN-Menschenrechts-Unterausschuß, und auch innerhalb der EU sei mit der Erweiterung die Angelegenheit keineswegs abgeschlossen: „Diese Fälle lassen es nicht angeraten sein, daß die EU definitiv Position bezieht. Sie werden auch nach dem Beitritt weiterlaufen, vielleicht auf neuen Wegen.“

Bernitz stellte auch eindeutig in Abrede, daß die EU sicher sein könne, daß es im tschechischen Recht und in der Rechtspraxis keine Diskriminierungen aufgrund der Dekrete mehr gebe: „Aber die Tatsache allein, daß die Dekrete weiter bestehen, gibt schon Anlaß zur Besorgnis.“ Das so genannte Straffreiheitsgesetz bezeichnete er als „menschenrechtswidrig und menschenrechtsverachtend“.

Blumenwitz widerlegte die Frowein-These, wonach die Siegermächte für das hafteten, was den Sudetendeutschen 1945 widerfahren sei: „Dafür haftet der Rechtsnachfolger Tschechische Republik“. Das Problem Beneš-Dekrete werde auch durch die deutsch-tschechische Erklärung nicht aus der Welt geschafft, da es zumindest auch die Slowakei, Ungarn, Österreich und Liechtenstein betreffe, also multilateral sei. Bundeskanzler Kohl habe zudem betont, daß die Erklärung kein Vertrag sei und daß die Vermögensfragen offen blieben.

Blumenwitz schilderte ausführlich die fortdauernde Diskriminierung von Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen durch „aktuelle Gesetze und Ausübung neuer tschechischer Staatsgewalt, die in altem Unrecht wurzeln.“ Die meisten der „rassistischen Dekrete“ seien nach wie vor in den aktuellen Gesetzessammlungen des tschechischen Staates enthalten, nicht zuletzt das Dekret Nr. 5, das nach wie vor Deutsche und Magyaren kollektiv als „national unzuverlässig“ diskreditiert.

Bernd Posselt dankte den Professoren für ihre klaren Aussagen und kritisierte Kommissar Verheugen: „Er hat die Kopenhagener Kriterien auf das heutige Gemeinschaftsrecht verengt. Dabei enthalten sie unverzichtbare Prinzipien wie Demokratie und Rechtstaatlichkeit, Menschen- und Minderheitenrechte, die man bei dieser Erweiterung eigens als Beitrittsvoraussetzung formuliert hat, während man sie früher als selbstverständlich voraussetzte.“ Wenn man jetzt nur noch vom EU-Recht rede, „dann hat man sie weichgespült und entkernt – das halte ich für absolut unzulässig. Wir werden die Kopenhagener Kriterien auch nach dem Beitritt als Grundlage einer erfolgreichen Integration der Kandidatenländer brauchen.“