Tschechoslowakei: Umsturz in Prag
Mit der Gründung des Kominform verfolgte Stalin das Ziel, alle im sowjetischen Einflußbereich liegenden Staaten Ostmittel- und Südosteuropas rasch in »Volksdemokratien« umzuwandeln. In der Tschechoslowakei (CSR) hatte die von den fünf zugelassenen Parteien getragene Regierung in Realisierung des am 5. April 1945 verkündeten Programms bereits einschneidende Verstaatlichungsmaßnahmen, die Enteignung des Großgrundbesitzes und der vertriebenen Sudetendeutschen sowie einen Zweijahrplan für die Wirtschaft durchgeführt, eine Politik, die den Vorstellungen der starken kommunistischen Partei (KPC) entgegenkam. Bei den Wahlen am 26. Mai 1946 hatte die KPC 38 % der Stimmen erhalten und stellte mit Klement Gottwald (1896-1953) den Ministerpräsidenten.

Die Vertreter der demokratischen Parteien, die mit der KPC in der Nationalen Front zusammenarbeiteten, beklagten im Jahresverlauf 1947 die zunehmenden Eigenmächtigkeiten und Ungesetzlichkeiten der Kommunisten, die im November 1947 die nicht kommunistischen Politiker aus der slowakischen Landesregierung verdrängten und rücksichtslos ihre Kader in den Staatssicherheitsdienst und die Polizei einschleusten.

Da der kommunistische Innenminister einen diese Praktiken untersagenden Kabinettsbeschluß ständig mißachtete, traten am 20. Februar 1948 elf Minister zurück; die Regierung blieb aber beschlußfähig, weil sich die parteilosen Ressortchefs, unter ihnen Außenminister Jan Masaryk, diesem Schritt nicht anschlossen.

Nach von der KPC organisierten Streiks und Massendemonstrationen beugte sich Präsident Eduard Benesch der Forderung Gottwalds, entließ am 25. Februar die zurückgetretenen Minister und stimmte einem neuen Koalitionskabinett zu, das durch die Mitarbeit von gefügigen Statisten aus den anderen Parteien den Anschein einer Fortsetzung der Nationalen Front erweckte. Nach dem »Siegreichen Februar« gehörten 12 der 24 Minister der KPC an, die nun alle bedeutenden Ressorts kontrollierte. Am 11. März sanktionierten die anwesenden 230 der 300 Abgeordneten einstimmig den Machtwechsel, der von Entlassungen aus dem Staatsdienst und der Armee, der Verhaftung potentieller Oppositioneller, der Gleichschaltung der Medien und einer unduldsamen Kirchenpolitik begleitet wurde.

Nachdem Jan Masaryk, möglicherweise unter Zwang, am 10. März Selbstmord begangen hatte, trat am 7. Juni 1948 Benesch zurück, weil er den von den Kommunisten massiv veränderten Verfassungsentwurf nicht unterzeichnen wollte. Unter seinem Nachfolger Gottwald wurde die CSR konsequent zu einer »Volksdemokratie« stalinistischen Typs umgestaltet, wobei auf allen relevanten Gebieten das sowjetische Vorbild kopiert wurde. »Säuberungen« fielen bis 1954 auch zahlreiche Kommunisten zum Opfer. Die Unterdrückung des slowakischen Autonomiebegehrens, die schlechte Wirtschaftslage, die Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte und die Verkrustung der KPC gaben jedoch einer Reformbewegung Auftrieb, die sich schließlich 1968 im Prager Frühling Bahn brach.

Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 1999