Dekret des Präsidenten der Republik vom 19.
September 1945
über die Arbeitspflicht der Personen, welche die tschechoslowakische
Staatsbürgerschaft verloren haben.
Slg. Nr. 71
Auf Vorschlag der Regierung bestimme ich:
§ 1
(1) Zur Beseitigung und Wiedergutmachung der durch den Krieg und die Luftangriffe
verursachten Schäden, wie auch zur Wiederherstellung des durch den Krieg zerrütteten
Wirtschaftslebens wird eine Arbeitspflicht der Personen eingeführt, die nach dem
Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik vom 2. August 1945, Slg. Nr. 33, über die
Regelung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Personen deutscher und
madjarischer Nationalität die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren haben. Die
Arbeitspflicht erstreckt sich auch auf Personen tschechischer, slowakischer oder einer
anderen slawischen Nationalität, die sich in der Zeit der erhöhten Bedrohung der
Republik um die Erteilung der deutschen oder der madjarischen Staatsangehörigkeit
beworben haben, ohne dazu durch Zwang oder besondere Umstände gezwungen zu sein (§ 5 des
genannten Verfassungsdekretes)
(3) Besondere, im Einvernehmen mit dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten vom Ministerium des Innern erlassene Richtlinien bestimmen, ob und in welchem Umfange der Arbeitspflicht nach diesem Dekret auch Personen deutscher oder madjarisdier Nationalität unterliegen, auf die sich das Verfassungsdekret Slg. Nr. 33/1945 nicht erstreckt.
§ 2
(1) Der Arbeitspflicht unterliegen Männer vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60.
Lebensjahr und Frauen vom vollendeten 15. bis zum vollendeten 50. Lebensjahrs.
(2) Von der Arbeitspflicht sind befreit:
a) körperlich oder geistig untaugliche Personen, solange dieser Zustand dauert,
b) schwangere Frauen, vom Beginn des vierten Monates der Schwangerschaft an,
c) Wöchnerinnen für die Zeit von sechs Wochen nach der Niederkunft und
d) Frauen, die für Kinder unter sechs Jahren zu sorgen haben.
(3) Die in Absatz 2. Buchst. a) bis c) angeführten Umstände stellt der Amtsarzt fest.
Den in Absatz 2. Buchst. d) angeführten Umstand bestätigt der Ortsnationalausschuß (die
örtliche Verwaltungskommission)
§ 3
(1) Die der Arbeitspflicht unterliegenden und die von ihr nach § 2 Abs. 2 befreiten
Personen sind verpflichtet, sich auf Grund einer öffentlichen oder einer persönlichen
Aufforderung innerhalb der festgesetzten Frist persönlich bei dem nach dem Orte ihres
Wohnsitzes (Aufenthaltes) zuständigen Ortsnationalaussclrnß (der örtlichen
Verwaltungskommission) zu melden und alle erforderlichen Belege vorzulegen, wie auch die
notwendigen Auskünfte zu geben. Soweit dies möglich ist, machen sie innerhalb derselben
Frist gegebenenfalls auch die Befreiung von der Arbeitspflicht gemäß § 2 Abs. 2
geltend.
(2) Der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) teilt dann die Personen, welche der Arbeitspflicht unterliegen, zur Arbeit zu und stellt gegebenenfalls Arbeitskolonnen zusammen. Die Entscheidung über die Zuteilung zur Arbeit ist endgültig.
§ 4
(1) Eine Person, die zur Arbeit zugeteilt wurde, ist verpflichtet, der ergangenen
Zuteilungsanordnung Folge zu leisten, und zwar auch dann, wenn sie der Auffassung ist,
daß sie von der Arbeitspflicht gemäß § 2 Abs. 2 befreit ist, solange über ihren
Antrag auf Befreiung nicht amtlich entschieden wurde.
(2) Über die Befreiung von der Arbeitspflicht entscheidet der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) auf Antrag des Ortsnationalausschzusses (der örtlichen Verwaltungskommission), und zwar endgültig.
§ 5
Die Arbeitspflicht erstreckt sich auf die Ausführung von Arbeiten aller Art, die zu den
§ 1 Abs. 1 angegebenen Zwecken geleistet werden und die der zuständige
Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) als im öffentlichen Interesse
geleistete Arbeit anerkennt.
§ 6
(1) Den der Arbeitspflicht unterliegenden Personen steht für die ausgeführte Arbeit ein
Entgelt zu, das der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskomission) nach den
örtlichen Verhältnissen festsetzt.
(2) Der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) kann den die
Arbeitspflicht leistenden Personen, welche verpflichtet sind, ihren Familienangehörigen
Unterhalt zu gewähren, auf Ansuchen eine angemessene Beihilfe zum Unterhalt der Familie
bewilligen, soweit das Entgelt gemäß Absatz 1 dazu nicht ausreicht. Die Höhe der
Beihilfe setzt der Bezirksnationalausschuß (die Bezirksverwaltungskommission) nach den
örtlichen Verhältnissen fest.
(3) Über die Zuteilung von Lebensmittelkarten für schwer und sehr schwer arbeitende
Personen gelten die besonderen Richtlinien des Ernährungsministeriums.
§ 7
Die Bezirksnationalausschüsse (Bezirksverwaltungskommissionen) üben ihre Befugnisse
gemäß §3, 4, 5 und 6 im Einvernehmen mit den zuständigen Bezirksämtern für
Arbeitsschutz aus.
§ 8
(1) Die zur Arbeit zugeteilten Personen sind verpflichtet, die ihnen auferlegte Arbeit
ordentlich und gewissenhaft zu verrichten und alles zu unterlassen, was das Erreichen des
Zwecks in dem betreffenden Arbeitsbereich erschweren oder gefährden könnte. Sie sind
gehalten, die ihnen auferlegte Arbeiten an jedem beliebigen Ort zu leisten, und sind
verpflichtet, auch Arbeit zu verrichten, die nicht zu ihrer normalen Beschäftigung
gehören.
(2) Die der Arbeitspflicht unterliegenden Personen sind wegen geringfügigerer Verletzungen der Bestimmungen des Absatzes 1 und der aus der Arbeitspflicht sich ergebenden Obliegenheiten der Disziplinargewalt der Bezirksnationalausschüsse (Bezirksverwaltungskommissionen) nach der Diszplinarordnung, die das Ministerium des Innern erläßt, unterworfen.
(3) Die Ausübung der Disziplinargewalt gegenüber Frauen und Personen männlichen Geschlechts unter 18 Jahren, hat unter Berücksichtigung ihres Geschlechtes und Alters zu erfolgen.
§ 9
(1) Übertretungen der Bestimmungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 und des 4 Abs.
1 bestrafen die Bezirksnationalausschüsse (die Bezirksverwaltungskommissionen) mit
Gefängnis bis zu einem Jahr.
(2) In gleicher Weise werden Übertretungen der Bestimmungen des § 8 Abs. 1 bestraft, sofern nicht mit Rücksicht auf die geringere Bedeutung des Vergehens gegen den Schuldigen disziplinarisch vorgegangen wird (§ 8 Abs. 2).
§ 10
Die Gerichte, öffentlichen Ämter und Organe sind verpflichtet, bei der Durchführung
dieses Dekretes mitzuwirken.
§ 11
Dieses Dekret tritt mit dem Tag der Kundgebung in Kraft und gilt nur in den Ländern
Böhmen und Mähren-Schlesien; es wird vom Minister des Innern im Einvernehmen mit den
beteiligten Ministern durchgeführt.
Dr. Bene e.h.
Fierlinger e.h.
Nosek e.h.
Veröffentlicht am 27. September 1945