Kochanowski, Jerzy: W polskiej niewoli [In polnischer Gefangenschaft]: Niemeccy jency wojenni w Polsce 1945-1950 [Deutsche Kriegsgefangene in Polen 1945-1950], Warszawa: Wydawnictwo Neriton 2001. 503 S., ISBN 8386842-85-7, ca. 35 Zloty>
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von: Daniel Patrick Schwane, Institut für Geschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Mit der Analyse des Schicksals der ca. 45 000 deutschen Kriegsgefangenen in Polen in den Jahren 1945-1950 wendet sich der polnische Historiker Jerzy Kochanowski einem wichtigen, bisher in der deutschen und polnischen Historiographie nur wenig beachteten Thema zu. Was die Anzahl der Beiträge anbetrifft, beschäftigte sich die DDR-Historiographie mit dem Los deutscher Kriegsgefangener in Polen noch am meisten; dies geschah hier jedoch vor allem aus ideologischen Gründen: DDR-Historiker stellten vor allem die Umerziehung der Betroffenen durch die SED unter Beteiligung polnischer Kommunisten dar. Die konkreten Lebensumstände der Gefangenen vor Ort interessierten demgegenüber kaum.

In der polnischen Historiographie bestand dagegen vor 1989 an einer Aufarbeitung des Problems, so schrieb 1995 der polnische Historiker Jan Walczak in seiner Untersuchung deutscher Zwangsarbeiter im oberschlesischen Bergbau nach dem Zweiten Weltkrieg, „aus gesellschaftlichen Gründen kein Bedarf“. In der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft fand lediglich in den siebziger Jahren das Los deutscher Kriegsgefangener in Polen durch Otto Böss (1974) und Manfred Hellmann (1977) Beachtung. Besonders Böss legte in Anbetracht der damaligen dürftigen Quellenbasis eine breit angelegte Untersuchung vor, die basierend auf Aktenstücken des Internationalen Roten Kreuzes und Heimkehreraussagen und trotz einiger mittlerweile erschienener Autobiographien lange die einzige Möglichkeit bot, sich über das Thema zu informieren.
Demgegenüber erscheint heutzutage das Schicksal des weitaus größeren Kontingentes deutscher Kriegsgefangener in amerikanischem und sowjetischem Gewahrsam als besser untersucht. Dies ist nicht zuletzt den Forschungsergebnissen der von Erich Maschke herausgegebenen zweiundzwanzigbändigen Reihe „Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges“ zu verdanken.
Jerzy Kochanowski ist bereits bei der Untersuchung deutsch-polnischer Beziehungen nach 1945, vor allem spezieller Probleme des Verhältnisses der DDR und der VR Polen, hervorgetreten. Im Jahr 2000 veröffentlichte er gemeinsam mit Wlodzimierz Borodziej und Bernd Schäfer eine Studie, die sich mit der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste der DDR und Polens in den Jahren 1956 und 1989 beschäftigte. Zuletzt gab er den zweiten Band der Dokumentenauswahl „Niemcy w Polsce [Deutsche in Polen] 1945-1950“ heraus.
Kochanowski kann sich in seinem neuen Buch über die deutschen Kriegsgefangenen in Polen nicht nur auf die Auswertung bislang erschienener Literatur und Quellen, sondern überdies bislang unbekannter Dokumente aus regionalen Wojewodschaftsarchiven und dem Warschauer Archiv der Neuen Akten stützen, die z. B. Bestände des ehemaligen Außenministeriums, des Staatlichen Verwaltungsarchivs, des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit und der Zentralleitung der Kohleindustrie enthalten. Diese ungewöhnlich breite Aktenbasis war bis 1989 aus bekannten Gründen einer interessierten Öffentlichkeit nicht zugänglich, daher stellt ihre Erschliessung und Bearbeitung an sich bereits einen Wert dar.
Der Verfasser beschäftigt sich zunächst mit dem Weg der Soldaten in die Gefangenschaft, der die Mehrheit in die oberschlesischen Bergwerke führte. Die bereits 1994 von Mariola Maruszczyk und Marek Pa¿d¿iora vorgestellten Ergebnisse über die besonders 1945/46 in der dortigen Gefangenschaft herrschenden unerträglichen Lebensbedingungen finden bei dem Autor ihre Bestätigung: Besonders in dieser ersten Phase der Gefangenschaft war die Sterblichkeit aufgrund miserabler Unterbringung, Kleidung und Ernährung, mangelnder medizinischer Versorgung, desolater sanitärer Verhältnisse und der schweren körperlichen Arbeit hoch.
Nicht zuletzt mit den sich im zerstörten Nachkriegspolen allmählich günstiger entwickelnden Lebensbedingungen, durch den wachsenden öffentlichen Druck des auf die Einhaltung der Genfer Konventionen bedachten Komitee des Internationalen Roten Kreuzes sowie durch die westlichen Presseberichte sollten sich jedoch die Lebensbedingungen der deutschen Kriegsgefangenen in Polen langsam verbessern. Beeindruckend ist das umfangreiche statistische Material, das Kochanowski zu den Todesursachen und zur Sterblichkeit von Lagerinsassen zusammentrug und den Angaben der damaligen Zentralleitung der Kohleindustrie gegenüberstellt. Er verdeutlicht damit, wie sehr traurige Lagerwirklichkeit und offizielle opinio auseinanderklafften.
Doch richtet der Autor auch den Blick über die Schilderung der unmittelbaren Haft- und Arbeitsbedingungen hinaus auf das sozialgeschichtlich interessante Kapitel der „Freizeit“. Besonders in den späteren Jahren der im Vergleich zu westlichen Gewahrsamsländern langandauernden Gefangenschaft war die Ausübung von sportlichen, religiösen und kulturellen Aktivitäten gestattet und weit verbreitet. Theateraufführungen, Kinoabende und Konzerte waren in den Lagern häufige Praxis. Selbst Sprachkurse, philosophische Gesprächsrunden und handwerkliche Fortbildungen sind insbesondere für die Warschauer Lager und für das einzige Offizierslager bezeugt.
Mit der Darstellung des erst 1948 begonnenen Versuchs der Umerziehung von ehemaligen Soldaten durch die SED wendet er sich überdies einer nur wenig bekannten Problematik zu. Kochanowski behandelt in einem besonderen Kapitel die Tätigkeit des „Zentralen Aktivs“ und der durch die SED-Ideologie geschulten „Selbstverwaltungen“ in den polnischen Lagern. Dem Leser wird deutlich, daß selbst in den scheinbar jahrelang isolierten Lagern der Kalte Krieg und somit der Kampf um die politische Beeinflussung der früher oder später nach Hause zurückkehrenden Soldaten begonnen hatte. Einige Erfolge scheinen nicht ausgeblieben zu sein.
Konfrontiert man jedoch die skeptischen Aussagen von Otto Böss über die „antifaschistischen Aktivitäten“ mit Kochanowskis Vermutung, daß die von dem damaligen SED-Funktionär Karl Wloch von Mai 1948 bis August 1949 mitherausgegebene und zensierte Zeitschrift „Die Brücke“ von Kriegsgefangenen trotz ideologischer Ressentiments gegenüber dieser Publikation tatsächlich „bei jeder Lieferung mit Freude begrüßt“ worden sei (S. 384), kommt Zweifel auf. Diese Aussage ist offenbar ungesichert.
Zustimmung zu bestimmten Sichten von „Die Brücke“ mag es bis Ende 1948 gegeben haben, hierzu wies jedoch der damalige Lagerinsasse, „Brücke“-Redakteur und spätere Journalist Manfred Gebhardt in seiner bereits 1964 in der DDR erschienenen Diplomarbeit und auch in seinen späteren Erinnerungen „Deutsche in Polen nach 1945“ (1997) auf kritische Töne etwa von christlichen und sozialdemokratischen Gefangenen hin, welche später zunehmend durch die plumpe kommunistische Propaganda und tendenziöse Berichterstattung der Zeitung abgeschreckt wurden.
In weiteren Kapiteln, welche sich u. a. mit französischen, russischen und österreichischen  Kriegsgefangenen in Polen sowie dem Vergleich des Schicksals deutscher Kriegsgefangener in Polen mit dem ihrer Leidensgenossen in tschechischem und französischem Gewahrsam beschäftigen, gelingt es dem Autor, nicht nur eine Perspektive hinsichtlich der Behandlung deutscher Gefangener zu eröffnen. Er erinnert auch an diejenigen, die als Ausländer in den Reihen der Nazi-Agressoren kämpften und nicht selten, wie etwa französische SS-Männer, wie ihre deutschen Kameraden oft schwere Verbrechen begangen hatten. Auch sie wurden Gegenstand der Propaganda durch die polnische Seite. In einem letzten Kapitel wird deutlich, wie schwer es gerade in einem Polen war, das die grausame deutsche Besatzungspolitik noch in frischer Erinnerung und überdies mit schwierigen sozialen und ökonomischen Kriegsfolgen zu kämpfen hatte, die Forderungen des Internationalen Roten Kreuzes nach einer humanen Behandlung von Kriegsgefangenen durchzusetzen.
Mit diesem wichtigen Buch, das nicht in allem und überall Zustimmung finden wird, trägt Jerzy Kochanowski zur Auseinandersetzung mit einem problematischen Kapitel des deutsch-polnischen Verhältnisses im Umfeld von Kriegsfolgen und Ost-West-Konflikt bei. Es bleibt zu hoffen, das in absehbarer Zeit für die deutschsprachige Leserschaft eine Übersetzung dieses empfehlenswerten Buches erscheint.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von: Michael Lemke

Mitgeteilt über den Ostpreußen-Nachrichtenring 2001-12-28