Buchbesprechung
„Böhmerland“ von Franz Strunz

Neugierig war ich auch, und so habe ich das Manuskript gelesen vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Zuerst ist das Lesen etwas anstrengend, das möchte ich gerne zugeben. Es wimmelt von Menschen, und man muß schon manches Mal zurückblättern, um den Faden nicht zu verlieren. Mit der Zeit wird man vertraut mit den Personen und ihrem Schicksal. Und mit Fürstenhut, dem kleinen, armen, windigen Ort, tief drin und hoch oben im Böhmerwald, der doch für die dargestellten Menschen der Mittelpunkt der Welt ist, solange er es sein darf.

Da ist die Emma, die als elftes Kind des Schneiders und Totengräbers Julius Tahedl, schwach und auch wenig willkommen, in diese Welt eintritt, aber ihren Weg macht, den Adi bekommt, und 64 Jahre in dieser Welt blieb. Oder die Betty, des Gebetbuchherausgebers Steinbrenner Töchterchen aus Winterberg, die manche Irrungen und Wirrungen durchmachte und schließlich als Ernestine Tutzinger, Schriftstellerin und Hörspielautorin, wieder in den Wald zurückkam, zumindest in ihren Werken.

Dann der Professor Rudolf Kubitschek, der zwar nicht in Fürstenhut zur Welt kam, aber trotzdem ein wackerer Fürstenhuter wurde, in allen Belangen, vom kräftigen Bierdurst bis zu seinen Böhmerwaldgeschichten. Bleibenden Ruhm habe er sich erworben, weil er, rechtzeitig, das sei hier angemerkt, die Spracheigenheiten der Böhmerwäldler sammelte und dokumentierte. Daß er dazu noch manches Fest organisierte und auch als Festredner in der ganzen Umgebung begehrt war, darüber wird anschaulich berichtet. „Rechtzeitig“ war wohl das Prinzip des „Dokters“, wie ihn liebevoll die Fürstenhuter nannten; deshalb starb er 1945, noch gerade rechtzeitig, um das Ende zwar zu ahnen, aber nicht mehr miterleben zu müssen.

Auch daß der Ort, der seit Menschengedenken oder zumindest seit seiner Gründung Fürstenhut hieß, nach 1919 plötzlich und amtlich Knížecí Pláne genannt werden sollte, obwohl man doch mit Fürstenhut ganz gut zurechtgekommen war ...

Dann die Reporterin Marianne Hawlitzl von Radio „Pravda“ aus Pardubitz, die von der Kundgebung in Prachatitz berichtete und mit ihren Reportagen den Menschen in „Innerböhmen“ von den Problemen der deutschen Bewohner der „Randgebiete“ und den massiven Tschechisierungsmaßnahmen berichtete und dabei auch noch „ihren“ Johann Peters kennenlernte, der, wie er ihr erklärte, plötzlich Jan Petrs heißen soll oder gar muß.

Probleme, die die Menschen am neuen Staat verzweifeln lassen.

Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, würde man das alles wiedergeben. Aber als ich diesen Abschnitt mit einer tschechischen Bekannten besprach, war das Erstaunen doch sehr groß, hat man doch gelernt, daß die Sudetendeutschen mit fliegenden Fahnen und aus purem Chauvinismus zu Henlein und letztlich den Nationalsozialisten übergelaufen sind. Allein diese Seiten sind es wert, das Buch zu lesen. Sie sollten auf Plakate gedruckt werden, so eindringlich wird das geschildert, was Wenzel Jaksch, das sei hier angemerkt, im Prager Parlament so vehement, aber letztlich erfolglos anprangerte.

So geht es weiter, es kam der Anschluß und danach das endgültige Ende. Heute gibt es Fürstenhut nicht mehr, auch wenn auf Landkarten Knížecí Pláne vermerkt ist. Vielleicht sollte ich noch ein Detail anführen, aber das überlassen wir lieber wieder dem Dialog der beiden ungenannten Fürschtenhuater.

(Der obige Dialog ist den vielen im Buche enthaltenen Zwiesprachen nachempfunden. Diese sind vielleicht der bemerkenswerteste Teil des Buches, informativ, aufschlußreich und amüsant.)

Am 6. Juli 1946 wurden die übrig gebliebenen Fürstenhuter auf Lastwagen „geladen“ und zum Abtransport nach Deutschland gebracht.

Im Mai 1956 sahen sie von der nahen Grenze, wie ihre Häuser mit Bulldozern eingeebnet wurden. Die Kirche wurde gesprengt. Das war das endgültige Ende von Fürstenhut! War es das Ende?

Etwas unvermittelt führt uns dann der Autor, dessen Vorliebe für die griechische Mythologie unverkennbar ist, noch in die Unterwelt. Dort findet eine Gerichtsverhandlung gegen die drei größten Verbrecher der europäischen Geschichte statt: Gegen Josef, Adolf und Edvard. Das Urteil ist vorauszusehen: Sie werden für ewig in die Hölle verdammt, was dort bei den früher Verurteilten für Aufregung sorgte, befanden sie sich doch wegen vergleichsweise geringerer Verbrechen dort. Aber es gibt halt keine höhere Strafe als die ewige Verdammnis.

 

Alles in allem ein bemerkenswertes Werk, informativ, unterhaltsam und mit viel Liebe zum Böhmerwald und seinen Menschen geschrieben. Einfach lesenswert!

Franz Strunz, „Böhmerland“ (ISBN 978-3-89923-126-7) kann zum Subskriptionspreis von 19,80 € beim Verlag Stekovics, Straße des Friedens 10, 06198 Dößel, bestellt werden. Ab 1. Dezember ist der Preis 24,80 €.)
Sicherlich nimmt auch der Autor Bestellungen gerne entgegen: franz.strunz@gmx.de
Gerd Hanak, Brünn, im Sommer 2006