Zum Geleit
Aus dem Buch „Altvaterland“ von Zdenek Mateiciuc, ISBN 80-86217-39-6

Als ich zum erstenmal die Fotografien ansah, die aus alten, im Spätsommer 2000 in Odrau gefundenen Glasnegativen angefertigt wurden, war mir alles unbekannt:  Landschaft, Fabrik, Menschen. Als ich dann, nach mehreren Monaten, fast 600 dieser Fotos Frau Lieselotte Klamt im deutschen Städtchen Bitburg/Eifel übergab, waren sie keine anonymen Bilder mehr. Es war ihre Heimat. Ihre Familie und ihre Bleicherei in Reutenhau, festgehalten mit dem Fotoapparat ihres Großvaters Gustav Ulrich.

Meine Begegnung mit Frau Lieselotte Klamt und ihr Wiedersehen mit ihren (heute auch schon meinen) Nächsten hatte mich sehr beeindruckt. Gerade hier kam mir der Gedanke, eine ähnliche Freude auch anderen Menschen zu bereiten, unseren Landsleuten in Tschechien und in Deutschland.

Ich mußte erwägen, auf welche Weise ich die Fotografien und auch das Leben unseres Landsmannes Gustav Ulrich der Öffentlichkeit vorstellen soll. Eine Ausstellung oder ein Buch? Zuletzt entschied ich mich für beides. Beides hat seinen Reiz und seinen Sinn. Das Werk Gustav Ulrichs verdient es.

Heute liegt das Buch vor Ihnen, in dem wir euch einige seiner Bilder vorstellen werden. Die Auswahl war nicht leicht. Aber der Umfang des Buches ist begrenzt  Auch aus diesem Grunde wird gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buches eine Ausstellung im Heimatmuseum Mährisch Schönberg veranstaltet.

Beim Besichtigen der einzelnen Bilder werden wir in die Jahrhundertwende zwischen dem 19. und 20 Jahrhundert versetzt. In diesen Jahren erreichte die Industrielle Revolution ihren Höhepunkt. Entdeckungen und Erfindungen begann man im normalen Leben zu nutzen (Elektrizität, Automobile, Flugzeuge...). Andererseits waren viele Vorrhaben schon fertiggestellt. Als Beispiel aus unserer Region seien die Brüder Klein erwähnt (ihr Schloß steht noch heute in Wiesenberg), diese hatten ihre großartigen Bauten in ganz Europa schon zum größten Teil vollendet und Professor Anton Rolleder aus dem österreichischen Steyr hatte sein Lebenswerk, die Chronik „Geschichte der Stadt Odrau“ schon herausgegeben.

Auf den Bildern sieht die damalige Welt fast wie eine ideale Zeit voller Behaglichkeit aus. Die Idylle aber war nur Schein. Für die meisten war es ein Leben voller schwerer, mühsamer Arbeit, Entsagung und Bescheidenheit. Das herrliche, aber rauhe Gebiet im „Land unter dem Altvater“ gab nichts umsonst. Aber trotz aller Schwierigkeiten ist es doch gelungen, daß die Menschen im Stande waren, hier zu leben, Häuser und Fabriken zu ihrem Nutzen aufzubauen. Sie kümmerten sich um ihre Heimat.

Dann kommen die schweren Schläge des 20. Jahrhunderts: Der erste Weltkrieg mit all seinen Folgen (Oktoberrevolution, der Zerfall Österreich-Ungarns, der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus). Es kommt der Zweite Weltkrieg, wiederum mit tragischen Folgen (Vertreibung von überwiegend unschuldigen Menschen aus ihrer Heimat, Teile von Europa werden politisch von Moskau beherrscht, der Kalte Krieg). Leider Gottes wurden, wie schon immer, die einfachen Menschen von diesen Tragödien am meisten betroffen.

Der Krieg war zu Ende, der Feind besiegt, man konnte abrechnen. Es kam zu Wutausbrüchen.
Selbstverständlich, viele Tschechen nahmen daran nicht teil. Es waren auch genug solcher, die all dies verurteilten, aber die Zeit kam eher den Siegern gelegen.

Die Vertreibung unserer deutschen Landsleute entsprach auch der sich in Vorbereitung befindenden Sowjetisierung der Tschechoslowakei. Man erwarb Vermögen, das man unter das Volk verteilen konnte, um es ihm kurz danach wieder wegzunehmen (1948).

Es kam das Jahr 1989. Es schien, es sei ein freier Raum geschaffen, um über die Geschichte nach zu denken. Dies sollte den Politikern am nähesten liegen. Der Raum ist da, der Wille fehlt. Die Wahrheit ist oft unangenehm. Sie einzugestehen erfordert Mut und auch eben guten Willen. Leider Gottes ist beides in der heutigen politischen Szene nur spärlich zu finden. Die Zeit aber läuft und die Menschen werden den Weg zueinander auch ohne den Segen der Politiker finden. Ich wäre froh, wenn auch dieses Buch ein Beweis dafür würde.

Diese zauberhaften Bilder, auf dem Glas alter Negative vor hundert und mehr Jahren festgehalten, fotografierte Gustav Ulrich nicht nur mit seinem Fotoapparat, sondern vor allem mit seinem Herzen. Er bildete deshalb die ihm am nächsten stehenden Dinge ab – Familie, Freunde, Kinder, die Bleiche, Menschen bei der Arbeit und Muße, sein Geburtsland, seine Heimat.

Das Buch, das Sie in den Händen halten, wurde schon lange Monate vor seinem Druck vorbereitet, auch im Herzen. Im Herzen eines Menschen, der darüber sehr traurig ist, daß Millionen unschuldiger Menschen, unsere Landsleute, aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Es wäre für mich, und ich glaube auch für Gustav Ulrich, die größte Genugtuung, wenn unser Buch auch in Ihrem Herzen einen Platz finden würde.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Verweilen bei den Bildern von Gustav Ulrich, eines großen Fotoamateurs, Künstlers und vor allem Menschen.

Odrau den 11. März  2002
Zdenek Mateiciuc

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