Sie stehen vor einer Gedenktafel, die an
Vertriebenentransporte erinnern will, und Sie wollen mehr dazu wissen?
Diese Tafel soll unsere Gedanken mehr als 70 Jahre
zurückführen zu den schecklichen Ereignissen nach dem unheilvollen Zweiten Weltkrieg.
Sie wurde angebracht von einigen
Leuten, die als kleine Kinder das Geschehen erlitten hatten, zusammen mit heutigen
Trägern der politischen Verantwortung.
In Anlehnung an den Pressebericht der Landesregierung
wird ergänzend zur Enthüllung der Tafel am Nachmittag des 9. Dezember 2016
mitgeteilt:
49 Güterzüge mit je 1.200 Heimatvertriebenen,
vornehmlich aus dem Sudetenland, trafen nach jeweils mehrtägiger Reise im
Jahr 1946 am Bahnhof in Fulda ein. Zur Erinnerung an die Ankunft der
Vertriebenentransporte vor 70 Jahren wurde im Beisein von rund 60 Besuchern,
zum Teil Personen, die als Kleinkinder dabei gewesen waren, an Gleis 1 diese
Gedenktafel enthüllt. Initiatoren für die Tafel waren der Heimatkreisverband
Leitmeritz und die Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf.
In der alten Heimat angefertigt
Frau Margarete Ziegler-Raschdorf drückte ihre Freude aus über die
eindrucksvoll gelungene Bronzetafel und dankte dem Oberbürgermeister der
Stadt Fulda, Herrn Dr. Heiko Wingenfeld für seine Unterstützung und ebenso
der Deutschen Bahn für die Bereitschaft, die Gedenktafel am Bahnhofsgebäude
anbringen zu lassen. Sie erläuterte, daß die Gedenktafel von
Horst W. Gömpel aus Treysa und Markwart Lindenthal aus
Kirchberg entworfen, der Text in gemeinsamer Arbeit in Fulda formuliert, der Entwurf
von Bildhauer Lutz Lesch aus Treysa umgesetzt und die Tafel schließlich in
Reichenberg (tschechisch: Liberec) am wiederbelebten Stammsitz der Gießerei
Pfeiffer, Stadtallendorf, gegossen wurde. Es hat eine besondere Symbolik,
daß die Tafel in der alten sudetendeutschen Heimat im heutigen Tschechien
angefertigt werden konnte.
Im Januar 1946 hatte aufgrund der Beneš-Dekrete die
planmäßige Vertreibung aller Deutschen aus dem sudetendeutschen Heimatland
begonnen, sie dauerte bis in den Herbst des Jahres. Mit lediglich 30 kg
Handgepäck mußten binnen kurzer Frist die Häuser und Höfe verlassen werden.
Für 13 Vertriebenentransporte mit 15 000 Menschen war Fulda Zielort, für 36
weitere Transporte nur Durchlaufstation. Viele Menschen waren schon
ein Jahr früher vor der
Walze des Krieges westwärts geflohen, hatten sich zu Fuß und mit
ungeregelten Transportmitteln durchgeschlagen, wurden nach dem Schweigen der
Waffen an der Rückkehr in ihre ostdeutschen Heimatorte gehindert, suchten
ein neues Dach überm Kopf und neue Grundlage für ihr armseliges Leben. Sie
stammten aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern und weiteren Ostgebieten. Nun
kamen mit der sogenannten „geordneten Überführung“ organisierte
Massentransporte in den Westen. Insgesamt waren nach dem Zweiten Weltkrieg
in Fulda und Umgebung 34 000 Heimatvertriebene aufzunehmen. Ihre Zahl
entsprach mit rund 37 % deutlich mehr als einem Drittel der ansässigen
Bevölkerung. Und landesweit hat mit ca 30 % knapp ein Drittel der Hessischen
Bürgerinnen und Bürger Vertreibung oder Aussiedlung erlitten und den
Neuanfang bewältigen müssen.
Anlass zum Nachdenken für viele
In ihrer Gedenkrede führte die
Landesbeauftragte, Frau Margarete
Ziegler-Raschdorf, bei der Enthüllung der Gedenktafel aus: „Es ist gut und
richtig, hier am Bahnhof der Stadt Fulda, am Ankunftsort der Vertriebenen,
auf die historischen Ereignisse hinzuweisen. Für die Tafel kann es keinen
besseren Platz geben als das Bahnhofsgebäude, den Ort, an dem die
Vertriebenen eintrafen. Alle Menschen, die hier im Bahnhof an Gleis 1
unterwegs sind, auch täglich Hunderte von Schülern, kommen an der Tafel
vorbei und werden sie sehen. So kann die Darstellung Anlass zum Nachdenken
für viele werden“.
Die insgesamt mehr als 13 Millionen heimatvertriebenen
Deutschen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit den
Einheimischen maßgeblich am Wiederaufbau Deutschlands mitgewirkt und
unser Land zu einem erfolgreichen, wirtschaftsstarken Land aufgebaut. Auch
wenn dies rückblickend eine Erfolgsgeschichte war, so wissen doch viele
Leute herzlich wenig über das Thema Flucht und Vertreibung, manchmal sogar,
obwohl selbst ihre eigene Familie davon betroffen war. Es ist nicht viel über diese schlimme Zeit gesprochen worden, die
Menschen hatten vorrangig damit zu tun gehabt zu überleben, ihre Seelen
notdürftig zu heilen und wieder Fuß zu fassen. Notwendig aber ist die
Erinnerung für alle Deutschen. Menschenrechtlerin Freya Klier spricht von
einem 11. Gebot: „Du sollst Dich erinnern!“
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Bundespräsident Joachim Gauck hatte beim zentralen Tag
der Heimat 2016 in Berlin dazu aufgefordert, „das Thema Flucht und
Vertreibung aus dem Erinnerungsschatten zu holen“ und herausgestellt, „daß
an Flucht und Vertreibung zu erinnern, nicht nur Aufgabe der
Landsmannschaften sei, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
„Ich freue mich, dass in Fulda die Erinnerung mit
dieser Gedenktafel sichtbar wird. Es ist wohl keine zweite Heimat, die die
damals Angekommenen hier in Fulda gefunden haben, denn Heimat, die gibt es
nur einmal. Und die Erinnerung an die Heimat und an das bittere
Vertreibungsschicksal wird immer schmerzlich bleiben. Aber nach 70 Jahren
können wir sagen: sie haben hier ein neues Zuhause gefunden und ihr Leben
ging weiter. Dafür wollen wir auch unserem Herrgott danken“, führte
Landesbeauftragte Ziegler-Raschdorf am Ende ihrer Ansprache aus und sprach
gemeinsam mit den Anwesenden ein Vaterunser.“
Abbild der Gedenktafel, aufgenommen vor der
Anbringung:
Der erste für Fulda bestimmte Transportzug, aus Niklasdorf in Sudetenschlesien
am 6. Februar 1946 beladen, hatte am Morgen des 9. Februar 1946 die
bayerisch-böhmische Grenze passiert. Die Insassen erreichten am 10. Februar 1946
nachmittags Fulda, wurden abgewiesen und kamen am frühen Abend in Treysa an. Von
dort wurden sie in Notquartieren untergebracht bzw. gleich auf mehrere Dörfer im
Altkreis Ziegenhain verteilt.